Deutsch-griechische Verflechtungen vom Deutschen Kaiserreich bis zum Einmarsch der Wehrmacht in Griechenland

Politik, Kultur, Gesellschaft (1871-1941)

Die außerordentlich schwierigen zwischenstaatlichen Beziehungen zwischen Griechenland und Deutschland, die durch die Ereignisse des Ersten Weltkriegs und in besonders dramatischer Weise durch die deutsche Besatzung Griechenlands im Zuge des Zweiten Weltkriegs geprägt wurden, hielten beide Seiten nicht von einer Fortführung und Vertiefung der bilateralen Kontakte und des gegenseitigen Austauschs ab. Über den gesamten Zeitraum hinweg übten die politischen und gesellschaftlichen Ideale der deutschen „Bildung“, die sich ihrerseits auf das antike Griechenland bezog, eine gewaltige Strahlkraft auf das zeitgenössische Griechenland aus. Die Sehnsucht der gebildeten Deutschen nach dem, was sie als die Wiege ihrer persönlichen und gesellschaftlichen Identität ansahen, blieb auch in diesen Jahren unvermindert, während sich die Griechen, die auf dem Wege der Bildung zu gesellschaftlicher Reputation gelangen wollten, hauptsächlich (wenn auch nicht ausschließlich) durch die Augen der Deutschen sahen.

Diese Vorbildfunktion Deutschlands bildete die Grundlage der gegenseitigen Verflechtungen, die sich nicht allein auf politische und wirtschaftliche Prozesse reduzieren lassen. So sehr letztere auch einen bedeutsamen Faktor für die Gestaltung der deutsch-griechischen Verflechtungen in diesem Zeitraum darstellten, wurden diese doch oftmals durch den Bezug auf die deutsche Bildung ergänzt und eingerahmt – und das in weitaus größerem Umfang, als dies bei den vormals oder nachher dominanten Modellen der französischen, britischen oder italienischen Bildung der Fall war. Die verschiedenen Bezugsformen der Deutschen auf Griechenland und der Griechen auf Deutschland trugen zur Herausbildung von Kommunikationsfeldern mit langfristigen Folgen für die jeweiligen Mentalitäten und Praktiken bei. Ebenso leisteten sie einen Beitrag zur Abmilderung oder gar Überwindung der Feindseligkeiten, die im Rahmen der internationalen politischen Konflikte geschürt werden. Die Kulturpolitik des Deutschen Reiches und die Stipendienvergabe, die v. a. nach dem Ende des 19. Jahrhunderts einsetzt, befördern die Fortsetzung von Verbindungen, die bis in die Zeit König Ottos zurückreichen. Die Bedeutung der Studien an deutschen Universitäten wird sich auch nach den traumatischen Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs unvermindert fortsetzen. Gleichzeitig bilden die ökonomischen Beziehungen die Basis sowohl für den Transfer von Technologie wie von Konsumgütern. Selbstverständlich verfolgen auch die griechischen Architekten die Entwicklungen in ihrem Bereich stets mit dem Blick auf die aktuellen deutschen Strömungen. Im 19. Jahrhundert lernten sie den Neoklassizismus zu schätzen. In der Zwischenkriegszeit zeigten sie sich bereitwillig, den formalen und bautechnischen Vorbildern der deutschen Moderne zu folgen.

Entsprechende Entwicklungen lassen sich auch in der Literatur mit der Debatte über die „Nordmanie“ der jungen Generation, in den Bildenden Künsten und in der Musik feststellen, aber auch in den Sozial- und Rechtswissenschaften. Nicht unerheblich sind auch die deutschen Bezüge auf den Gebieten der Medizin, der Naturwissenschaften und selbst der Theologie. Viele dieser Aspekte der deutsch-griechischen Verflechtungen sind bislang nicht ausreichend erforscht worden. Vergleichsweise am besten ist die Situation noch mit Blick auf die Zwischenkriegszeit, während über die deutsch-griechischen Verflechtungen in den ersten 30 Jahre des Deutschen Kaiserreiches viel weniger bekannt ist. Ebenso wenig Aufmerksamkeit haben die Umwandlungen der Beziehungen zwischen den Griechen und dem deutschsprachigen Raum im Zuge von dessen radikaler politischer Neuordnung und dem bewegten Verlauf der deutschen Geschichte nach 1871 erfahren.

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Veröffentlicht28.06.23
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