Soziale Fürsorge und Gegenpropaganda: Rundfunksendungen und Zeitungen für Gastarbeiter in den 1960er Jahren

In welchem Rahmen hat die deutsche Bundesregierung die Rundfunkanstalten aufgefordert, fremdsprachige Sendungen für Gastarbeiter aus Südeuropa, damit auch aus Griechenland, in ihr Programm aufzunehmen? Handelte es sich dabei um eine (umfassendere) Strategie der sozialen Fürsorge für die Einwanderer oder war dies als „Gegenpropaganda“ gegenüber den populären Rundfunksendern der kommunistischen Länder zu verstehen, die die „Rekrutierung“ und die Arbeitsbedingungen der ausländischen Arbeiter in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) scharf kritisierten? Welchem konkreten Ziel dienten die (politischen) Interventionen des Bundespresseamts durch die Finanzierung von Zeitungen für Gastarbeiter (wie beispielsweise die Zeitung I Elliniki)?

Inhalt

    Einleitung: Zweck dieses Essays in Kürze

    Unter Berücksichtigung des institutionellen Rahmens und der garantierten Unabhängigkeit der Medien im Nachkriegsdeutschland untersucht dieser Essay nicht nur Haltung und Argumentation Bonns und der relevanten Institutionen und Organisationen (Rundfunkanstalten, Arbeitgeberverbände usw.), sondern auch die diesbezügliche Zusammenarbeit des deutschen Staates mit der griechischen Regierung in diesem Bereich. Gleichzeitig wird der Kontext umrissen, in dem die später besonders populären fremdsprachigen Radioprogramme (wie die Sendungen der Deutschen Welle und des Bayerischen Rundfunks in griechischer Sprache) entstanden sind.1Dieser Essay ist Teil meiner Forschungsarbeit mit dem Titel: Αντίσταση από μικροφώνου. Ο Παύλος Μπακογιάννης απέναντι στη δικτατορία των συνταγματαρχών [Widerstand am Mikrofon.Pavlos Bakogiannis΄ Haltung gegenüber dem Regime der Obristen], Athen, Papadopoulos, 2020.

    Einige Bemerkungen zur griechischen Einwanderung nach Westdeutschland

    Mit der Unterzeichnung des Abkommens zur Beschäftigung griechischer Arbeitnehmer durch die deutsche Bundesregierung 1960 wurde die Bundesrepublik zum Hauptziel der griechischen Arbeitsmigranten. Das enorme Wachstum der Bundesrepublik in der Zeit des „deutschen Wirtschaftswunders“ und die ständige Zunahme der Arbeitsplätze wurden durch die Arbeitskräfte aus den südeuropäischen Ländern möglich gemacht, denn der Bau der Berliner Mauer 1961 benahm der westdeutschen Wirtschaft der Möglichkeit, den diesbezüglichen Bedarf mit Arbeitskräften aus Ostdeutschland zu decken. Für die Unterzeichnung solcher organisierten Migrationsabkommen zwischen Bonn und den Ländern des Südens wurde starker Druck seitens der deutschen Unternehmen ausgeübt – vor allem von solchen, die an der Besetzung von Arbeitsplätzen an einem anspruchsvollen und schlecht bezahlten Arbeitsumfeld interessiert waren, wie z.B. in der Produktionskette der deutschen Autoindustrie. Interesse daran zeigte auch die Textilindustrie, die aufgrund der internationalen Konkurrenz Anstrengungen unternahm, die Lohnkosten zu senken. Im Gegenzug betonte die griechische Regierung immer wieder, dass es sich um eine innereuropäische Migration handele, die aufgrund der geringen Entfernung und des vorübergehenden Charakters nicht die „negativen Folgen“ (Innenminister D. Makris, 1961) der Überseeauswanderung habe. Abgesehen von der Hoffnung, dass ungelernte griechische Migranten eine Fachausbildung in der Industrie des technisch entwickelten Westens erhalten würden, bestand stets die Erwartung, dass deren Überweisungen den griechischen Staatshaushalt aufbessern würde und das Land gleichzeitig Tausende von Arbeitslosen und Unterbeschäftigten weniger zu verkraften hätte.

    Griechische Gastarbeiter arbeiteten als ungelernte Arbeitskräfte in der deutschen Industrie und in den Kohlebergwerken, um für sich und ihre Kinder eine bessere Zukunft zu gestalten. Die meisten Arbeiter kamen aus Nordgriechenland (Makedonien und Thrakien) und aus dem Epirus, wo wirtschaftliche Not und Arbeitslosigkeit herrschten.

    Für die angespannten und verunsicherten Migranten war am Münchner Hauptbahnhof die erste Etappe einer Reise ins Ungewisse zu Ende, die von Träumen und Hoffnungen auf eine bessere Zukunft begleitet wurde. Die Übersiedlung und das Leben in Westdeutschland waren von Anfang an nicht leicht. Die ersten Wirtschaftsmigranten aus Griechenland wurden in veralteten Arbeiterheimen neben den Fabriken einquartiert. Die Unkenntnis der Arbeits- und Lebensbedingungen war ein großes Hindernis für die Integration der griechischen Migranten in das neue Arbeits- und Gesellschaftsumfeld. Keines der Herkunftsländer bereitete die Angeworbenen auf ihre zukünftige Umgebung vor, auch Griechenland nicht. Die Auswahlkriterien beschränkten sich auf eine Bescheinigung der politischen Gesinnung und einen guten Gesundheitszustand. Die Migranten blieben jahrelang der deutschen Gesellschaft fremd, da die fehlende soziale Infrastruktur in Verbindung mit der Unfähigkeit, sich auf Deutsch zu verständigen, die Bewältigung alltäglicher Probleme zu einer unüberwindbaren Herausforderung machte. Die Schwierigkeiten der Integration ausländischer Arbeitnehmer und die Weigerung, Sozialmaßnahmen zu ergreifen, hingen jedoch in erster Linie damit zusammen, dass Deutschland es ablehnte, sich als Einwanderungsland zu betrachten. Aus diesem Grund wurde der Begriff Gastarbeiter verwendet, der auf den zeitlich begrenzten Charakter der Beschäftigung (sowie den Status eines Außenseiters) und auf die Absicht des deutschen Staates hinweist, das sogenannte Rotationsprinzip anzuwenden: Die ausländischen Arbeitnehmer sollten einige wenige Jahre arbeiten und dann anderen Landsleuten Platz machen. Aufgrund des Widerstands der Arbeitgeber, die verpflichtet gewesen wären, ständig neue Arbeiter anzulernen bzw. auszubilden, wurde diese Maßnahme jedoch sehr bald wieder aufgegeben, obwohl die Arbeitsverträge zunächst zeitlich befristet waren.

    Die Distanz der Migranten zur Bundesrepublik wurde auch dadurch verschärft, dass die Behörden die positiven Auswirkungen der Einwanderung im Lande ignorierten und sich jahrelang weigerten, die rechtliche Gleichstellung von Ausländern und Einheimischen in Bezug auf die Arbeitsrechte zu fördern. Ganz im Gegenteil wurde 1965 das Ausländergesetz verabschiedet, welches das Recht der Einwanderer auf politische Teilhabe einschränkte.

    Trotz dieser Auflagen führten die negativen Erfahrungen mit der griechischen Militärdiktatur zu einer politischen Reifung und Mobilisierung der griechischen Migranten gegen die Junta. Die Bildung antidiktatorischer Komitees, aber auch deren Unterstützung durch deutsche gesellschaftliche und politische Akteure (Gewerkschaften, künstlerische und wissenschaftliche Organisationen, aber auch Mitglieder der SPD), machten Deutschland zum Zentrum der massivsten Demonstrationen gegen die griechische Militärjunta in ganz Europa.

    Eine wichtige Rolle spielten sowohl das griechischsprachige Radioprogramm des Bayerischen Rundfunks unter der Leitung von Pavlos Bakojannis – dessen Kommentare während der siebenjährigen Diktatur nicht nur über die Verletzung der Menschenrechte und der politischen Freiheit, sondern auch über alle wichtigen Ereignisse in Griechenland berichteten –, als auch das griechischsprachige Radioprogramm der Deutschen Welle, dessen Redakteure ebenfalls dafür kämpften, das geschönte politische Bild der Diktatur zu revidieren.

    Der 1973 von Bonn verkündete Anwerbestopp für ausländische Arbeitnehmer hat die Zahl der Zuwanderer in Westdeutschland letztlich nicht verringert, wenngleich der Zuwanderungsstrom vorübergehend gedrosselt wurde. Bis 1973 hatte die Bundesrepublik insgesamt 14 Millionen Migranten aufgenommen, von denen 11 Millionen in ihre Heimat zurückkehrten. Mit dem Anwerbestopp wurden jedoch viele Gastarbeiter zu Einwanderern, weil sie sich für eine dauerhafte Niederlassung entschieden, da sie selbst bei einer vorübergehenden Rückkehr in ihr Heimatland das Recht auf Rückkehr nach Westdeutschland verloren hätten (Matzouranis, 1974; Berlinghoff, 2013; Bade, 2014).

    Fremdsprachige Rundfunksendungen in der Sozialarbeiterrolle

    Die ersten Maßnahmen zur Förderung der Integration von Migranten wurden erst Ende der 1970er Jahre ergriffen. Eine soziale Betreuung der griechischen Einwanderer kam bis dahin einzig von der Diakonie Deutschland, dem Wohlfahrtsverband der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Seit den frühen 1960er Jahren bot diese Stiftung Beratungsdienste an und organisierte Freizeiteinrichtungen speziell für griechische Einwanderer („Griechische Häuser“) (Ventura, 2006, 141).

    In die Sozialpolitik und eine problemlosere Integration ausländischer Arbeitskräfte in Westdeutschland wurden damals auch die Bundesrundfunkanstalten durch fremdsprachige Sendungen eingebunden, obwohl deren Intendanten die Übernahme der „Sozialarbeiterrolle“ als weitgehend unvereinbar mit ihrer Satzung betrachteten. Die Redaktion des griechischsprachigen Radioprogramms des Bayerischen Rundfunks fungierten seit 1964 für die einfachen Arbeitnehmer, die in Deutschland ihr Glück suchten, als Sozialdienst. Die Leiter hatten die Aufgabe übernommen, die fremdsprachigen Sendungen für die Zuwanderer zu einer Brücke zu ihren Herkunftsländern zu machen, damit sie die Verbindung zu ihrer Heimat und ihrer Kultur aufrechterhalten konnten. Der Inhalt der Sendungen war vor allem sozialer Natur und behandelte Arbeits- und Steuerfragen, aber auch Fragen zum Ausländergesetz u.v.m. Die Resonanz auf die Themen der griechischen Sendungen war enorm. Im ersten Jahr der täglichen Ausstrahlung (1964–1965) erreichten 35.000 Hörerbriefe die Redaktion des griechischen Radioprogramms, etwa 100 Briefe pro Tag. Zum Vergleich: Die italienisch- und spanischsprachigen Sendungen bekamen durchschnittlich lediglich 50-60 Hörerbriefe pro Woche. Zur politischen Information meint Gerhard Bogner, Leiter der fremdsprachigen Radioprogramme des Bayerischen Rundfunks, dass aufgrund des Vertrauens in die demokratischen Errungenschaften Nachkriegsdeutschlands und die Werte der westlichen Gemeinschaft besonderer Wert auf die Stärkung der demokratischen Gesinnung gelegt wurde, mit Kommentaren zu den aktuellen politischen Ereignissen und ohne Übernahme von Ostblockpraktiken (Papanastasiou, 2020, 18 und 256).

    Im Gegensatz dazu hatte der italienische Ministerpräsident Amintore Fanfani bereits seit Anfang der 1960er Jahre eine Reaktion auf die Propaganda der kommunistischen Rundfunksender verlangt, eine Forderung, der sich die deutschen Arbeitgeberverbände und die Sozialverbände angeschlossen hatten. In der Zeit der großen internationalen Spannungen, die 1961 der Bau der Berliner Mauer ausgelöst hatte, gab eine italienischsprachige Radiosendung des Prager Rundfunks bekannt, dass die BRD ihre Grenzen schließen würde. Die Folge war, dass italienische Gastarbeiter Deutschland in Panik verließen. Es bedurfte großer Anstrengungen, sie zur Rückkehr in die deutschen Fabriken zu bewegen. Die Italiener waren die ersten Migranten aus dem Süden Europas, die nach der Unterzeichnung des entsprechenden Abkommens 1955 in Deutschland die Arbeit aufgenommen hatten (Sala, 2011, 49; 2005, 368).

    Das Tauziehen um den Anspruch, den kommunistischen Einfluss einzudämmen

    Auf Druck der damaligen Bundesbehörden erklärte sich der Westdeutsche Rundfunk (WDR) schließlich bereit, ein tägliches 45-minütiges Radioprogramm für italienische Gastarbeiter in deren Muttersprache in sein Programm aufzunehmen. Im Februar 1962 nahm dieser Sender vorübergehend 15-minütige Sendungen für spanische und griechische Arbeitnehmer in deren Sprache in sein Programm auf, die einmal pro Woche ausgestrahlt wurden. Geplant war, diese Sendungen in das italienische Radioprogramm zu integrieren. Die Landesrundfunkanstalten weigerten sich jedoch, längere Sendungen dieser Art in ihr Programm aufzunehmen, sodass Bonn die Aufnahme der fremdsprachigen Programme im Deutschlandfunk vorantrieb. Dieser war seit seiner Gründung Anfang der 1960er Jahre dafür bekannt, als Reaktion auf die kommunistische Propaganda vor allem Programme für die Hörer in der DDR und anderen Ostblockstaaten zu produzieren.

    Auch die südeuropäischen Staaten, die ein bilaterales Abkommen mit Deutschland unterzeichnet hatten, drängten die Bundesregierung zur Gestaltung von Rundfunksendungen zur Eindämmung des kommunistischen Einflusses. Die deutsche Botschaft in Athen war bereits 1961 über das entsprechende griechische Interesse informiert worden. Die Aussage des WDR, dass es notwendig sei, „jeder Nation eine Sendung anzubieten“, um den Vorwurf der Diskriminierung Griechenlands und Spaniens zu vermeiden, wurde auch vom Auswärtigen Amt bestätigt. Im Falle Griechenlands wiesen deutsche Diplomaten insbesondere auf die durch den Zweiten Weltkrieg belasteten griechisch-italienischen Beziehungen hin. Sie gingen davon aus, dass die Integration der griechischsprachigen Sendung in das italienische Radioprogramm eine Reaktion Athens hervorrufen würde, da dies einen „Schlag gegen das nationale Selbstbewußtsein“ bedeuten könnte, obwohl, wie betont wurde, die Zahl der italienischen Arbeitsmigranten in Deutschland die der 50.000 Griechen überstieg (Sala, 2011, 50–51).

    Aufgeschreckt durch die Gefahr, das im Grundgesetz verankerte Informationsmonopol zu verlieren, lenkten die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ein und stellten nicht nur die notwendige Sendezeit, sondern auch die notwendigen Mittel zur Verfügung, um die fremdsprachigen Sendungen in die Landesrundfunkanstalten zu integrieren. Diese Entscheidung der Intendanten bedeutete jedoch nicht, dass sie sich den Ansichten der Bundesregierung und der Wirtschaftskreise anpassten, die eine westliche Gegenpropaganda für unerlässlich hielten, um den kommunistischen Einfluss auf die Migranten zu beenden und in der Bundesrepublik eine eventuelle Instabilität zu vermeiden (Nolte, 1996, 141; Risso, 2013, 145–152).

    Die Bundesrundfunkanstalten hatten schon früh erkannt, dass es – trotz des Drucks aus Bonn, zügig auf die Propaganda der Warschauer-Pakt-Staaten zu reagieren –, besser war, die Fremdsprachenprogramme auf praktische Hilfe für den Alltag der Migranten in Deutschland auszurichten. Obwohl die deutschen Rundfunkanstalten die Inhalte der Ostblocksendungen kannten, hatte es für sie keine Priorität, sich an die jeweiligen Umstände des Kalten Krieges anzupassen (Papanastasiou, 2020, 256).

    Im Gegenteil: Das Bundespresseamt hielt es 1963 für gegeben, dass die Gastarbeiter aus Italien, Griechenland und Spanien „von mittags bis spät in die Nacht“ im Fadenkreuz der kommunistischen Rundfunkpropaganda von Radio Prag und anderer Rundfunksender der sowjetischen Satellitenstaaten stünden. Besonders hervorgehoben wurde die Popularität der Sender Prag und Budapest, die das Bedürfnis der Migranten nach Musik- und nicht nach Wortsendungen nutzten: Sie spielten über Stunden die angesagten Lieder dieser Zeit und boten damit den deutschen Sendern ein gutes Beispiel dafür, wie man populäre Radioprogramme für Migranten gestalten könne.

    Was die deutsche Seite jedoch am meisten ärgerte, war die „unbegründete bis hin zur übertriebenen Kritik“ der kommunistischen Sender an der Unterbringung und Verpflegung der südeuropäischen Migranten. Diese Kritik war zudem mit der politischen Forderung verbunden, die Einwanderer dürften den Kapitalismus nicht unterstützen. Ihre Arbeit in Westdeutschland wurde als Beitrag zur Kriegsindustrie dargestellt, die sich auf den Dritten Weltkrieg vorbereite. Sie wurden aufgefordert, „den Frieden […] durch Langsamkeit, Störungen oder Sabotage“ zu fördern und damit auch ihr Heimatland zu retten (Sala, 2011, 72-73).

    Zeitungen für Gastarbeiter als Waffe der Gegenpropaganda

    Das Bundespresseamt, das sich nicht nur mit den Propagandarundfunkstationen des Ostblocks, sondern auch mit der Verteilung von Flugblättern in westdeutschen Betrieben befassen musste, betrachtete die Finanzierung von Zeitungen für Gastarbeiter als wichtigste Waffe Deutschlands im Propagandakrieg. Auf diese Weise konnte es den ihm zur Verfügung stehenden Spielraum für gezielte politische Interventionen nutzen, ohne sich vorher mit den Rundfunkanstalten abstimmen zu müssen. Da das Bundespresseamt jedoch der Ansicht war, dass aggressive antikommunistische Propaganda im Ganzen kontraproduktiv sei, bevorzugte es, Publikationen zu finanzieren, die von ausländischen Journalisten in der Bundesrepublik veröffentlicht wurden, und nicht von bekannten antikommunistischen Organisationen. Solch ein Fall war eine Veröffentlichung mit dem Titel „Informationen für italienische Arbeiter in Deutschland“ (Informazioni per gli operai italiani in Germania), die erstmals im Januar 1961 vom „Volksbund für Freiheit und Frieden“ herausgegeben wurde. Der offenkundig antikommunistische Inhalt des Flugblatts veranlasste deutsche Beamte zu der Bemerkung, dass eine solche antikommunistische Propaganda oft das Gegenteil bewirke. Die Zeitschrift hatte zuvor italienische Arbeiter dazu aufgerufen, der deutschen Polizei die Namen ihrer kommunistischen Kollegen zu melden, was die offizielle Zeitung der Kommunistischen Partei Italiens L‘ Unita dazu veranlasste, von einem Antikommunismus „à la Goebbels“ zu sprechen.

    Da das Bundespresseamt nach wie vor davon überzeugt war, dass Veröffentlichungen, die sich mit den täglichen Bedürfnissen der Migranten befassten, das beste Mittel gegen die kommunistische Propaganda seien, wurde im Dezember 1962 der „Volksbund für Freiheit und Frieden“ beauftragt, die erste Ausgabe der griechischsprachigen Zeitung I Elliniki (Efimeris dia tous Ellinas ergatas tis Germanias / Griechische Zeitung für die griechischen Arbeiter in Deutschland) herauszubringen. Um eine ähnliche Kritik wie die an der extrem antikommunistischen Ausrichtung der italienischen Ausgabe zu vermeiden, versicherte der Verleger:

    Die Zeitung ist dazu bestimmt, die griechischen Gastarbeiter zu informieren und möglichen kommunistischen  Einflüssen vorzubeugen bzw. entgegenzutreten. Diese Tendenz wird jedoch nur in vorsichtiger Form in Erscheinung treten, da gute Information und die Beschäftigung mit den Tagessorgen der Gastarbeiter Aufklärung sind.2Fritz Cramer, Volksbund für Freiheit und Frieden/CIAS, Zeitung I ELLINIKI für griechische Gastarbeiter in der Bundesrepublik, Bonn, 30.12.1962, BArch (Bundesarchiv), B145, Akte 2404.

    Diese Zeitung widmete ihre Titelseite und den größten Teil des Inhalts dem Besuch von „Arbeitsstätten und Wohnheimen der Arbeitnehmer“.3Η Ελληνική, αρ. φ. 7/Ιούνιος 1963: „850 Έλληνες εις το εργοστάσιον “Μέτσελερ” του Μονάχου“. Εs sei darauf hingewiesen, dass der Korrespondent der Zeitung „Eleftheria“, Vasos Mathiopoulos, gleich nach Erscheinen der ersten Ausgabe der „I Efimeris“ aus oppositioneller Sicht zum Ausdruck brachte, dass die Initiative zur Herausgabe der Zeitung auf die Intervention der Regierung Karamanlis zurückzuführen sei, um den Einfluss der Zeitungen der griechischen Oppositionspartei Enosis Kendrou (Zentrumsunion) einzuschränken. Er stellte fest, dass ursprünglich geplant war, in der ersten Ausgabe ein gemeinsames Grußwort von König Paul I. von Griechenland und dem Bundespräsidenten Heinrich Lübke zu veröffentlichen. Stattdessen wurde eine Erklärung des griechischen Ministerpräsidenten Konstantinos Karamanlis veröffentlicht, in der er die Arbeit seiner Partei ERE hervorhob.4BArch (Bundesarchiv), Telegramm Dipgerma Athen an Ausw. Bonn, Nr.26, 22.1.1963, B145, Akte 2404. 

    Mathiopoulos‘ Kritik am Projekt des Bundespresseamts setzte sich auch nach dem Putsch der Militärjunta am 21. April 1967 fort und konzentrierte sich auf die Unfähigkeit der Zeitung, den kommunistischen Einfluss unter den griechischen Einwanderern einzudämmen. Der deutsche Vorschlag, eine Zeitung herauszugeben, die diese Aufgabe übernehmen konnte, hatte auch mit Mathiopoulos zu tun: Er hatte nämlich nicht nur nach den sogenannten „Juli-Ereignissen“ von 1965 seine Stellung als Korrespondent der Athener Nachrichtenagentur (ANA) in Deutschland verloren, sondern war in Bonn auch nicht mehr Korrespondent der Eleftheria, nachdem deren Verleger Panos Kokkas beschlossen hatte, die Zeitung am 21. April 1967, dem Tag des Militärputsches, zu schließen und nach Paris zu ziehen. Die Initiative von Mathiopoulos, eine neue, von der Bundesregierung finanzierte griechische Zeitung herauszugeben, wurde auch vom Deutschen Gewerkschaftsbund unterstützt (Kalogrias, „Kommata“, 2018, 234; Ahlers an Klaus Schütz, 13.6.1967, PAAA5PAAA: Politisches Archiv des Auswärtigen Amts., B26, Akte 415). Das Auswärtige Amt und das Bundespresseamt machten jedoch, trotz ihrer anfänglich positiven Haltung, zur Bedingung, dass deutsche Journalisten damit beauftragt werden sollten. Grund dafür waren die möglichen Auswirkungen einer solchen Ausgabe auf die deutsch-griechischen Beziehungen und insbesondere die Problematik, die Forderung nach Wiederherstellung der Demokratie in Griechenland zu unterstützen. Bonn hatte im April 1967 bei der Junta vorgesprochen und vermittelt, damit Mathiopoulos im Mai aus Griechenland ausreisen konnte. Jetzt wurde Mathiopoulos an die Zusage der BRD erinnert, dass er in Deutschland nicht politisch aktiv werden dürfe. Am Ende entschied sich Bonn für eine ‚Verzögerungstaktik‘ gegenüber dem Antrag von Mathiopoulos, um die deutsch-griechischen Beziehungen nicht zu belasten, aber auch um die Sozialdemokraten und die deutschen Gewerkschaften nicht zu verärgern (Papanastasiou, 2020, 257–259).

    Das griechischsprachige Radioprogramm des Bayerischen Rundfunks hatte bereits 1964 begonnen, die griechischen Zuwanderer in Deutschland mit Hörfunkinformationen zu versorgen und gleichzeitig die Aufgaben eines Sozialdienstes für die problemlose Integration dieser Gastarbeiter in die deutsche Arbeitswelt übernommen. Aufgrund der journalistischen Freiheit, die der Münchner Sender in den Anfangsjahren der Junta hatte, entwickelte er sich später zu einem Außenposten gegen die Junta, wie auch die Deutsche Welle nach 1969. Zu der Frage, ob die journalistische Freiheit der griechischsprachigen Sendungen in der Bundesrepublik nach dem Athener Staatsstreich im April 1967 eingeschränkt wurde, ist anzumerken, dass der Bayrische Rundfunk als einzige Bedingung an die griechischsprachige Sendung zur Kommentierung der politischen Geschehnisse nach dem 21. April 1967 die Einhaltung der journalistischen Berufsethik verlangte – stets unter Berücksichtigung des Schutzes von Pressefreiheit und der Unabhängigkeit der Medien, die im Grundgesetz und dem Pressegesetz festgelegt sind. Das Bundespresseamt hielt dagegen an der Logik eines ‚realistischen‘ Umgangs mit der griechischen Diktatur fest und verwies auf die Gefahr einer Störung der deutschen Interessen in Griechenland. Obwohl im Herbst 1967 das Bundespresseamt feststellte, dass der Leiter des griechischsprachigen Radioprogramms des Bayerischen Rundfunks Pavlos Bakojannis nicht gegen die journalistische Ethik verstieß, wurde für ihn ein geeigneter Ersatz oder zumindest ein deutscher Mitarbeiter gesucht, der als Vertrauensperson die Endkontrolle der Sendungsbeiträge übernehmen sollte. Diese Haltung des Bundespresseamts hing auch mit dem Einfluss zusammen, den die Propaganda der Militärdiktatur zur Verhinderung eines kommunistischen Aufstandes, zur Abwehr des korrupten „alten politischen Systems“, der Vetternwirtschaft usw. auf hochrangige deutsche Beamte und Regierungsvertreter ausübte (ebd., 116–117).

    Zur gleichen Zeit waren nicht nur bayerische Politiker (vor allem Franz Josef Strauß), die enge Beziehungen zur Junta unterhielten, sondern auch Sozialdemokraten der Meinung, dass die in den griechischsprachigen Rundfunksendungen der Deutschen Welle und des Bayerischen Rundfunks am Regime geäußerte Kritik gemäßigt werden sollte, um die deutschen Interessen in Griechenland gegenüber den Konkurrenten Bonns in Ost und West zu gewährleisten (Papanastasiou, 2020, 156–163). Da selbst Gegner der Junta in der Bundesregierung – vor allem ab 1970 – eine Politik gegenüber den griechischen Obristen verfolgten, die zwischen demokratischen Prinzipien und politischem Pragmatismus balancierte (ebd.), erkannten die Intendanten der Rundfunkanstalten sehr früh, dass das Argument, ein eventuelles Nachgeben gegenüber dem von der Junta ausgeübten Druck zur Einschränkung der Kritik seitens der griechischsprachigen Sendungen dazu führen würde, dass sich die griechischen Migranten in Westdeutschland osteuropäischen Rundfunksendern zuwenden würden, weder auf Bundes- noch auf Länderebene Gehör fand. Die Politiker waren eher der Meinung, es sollte die Gefahr vermieden werden, dass sich die fremdsprachigen Sendungen zu autonomen „Emigrantensendern“ innerhalb der deutschen Rundfunkanstalten entwickelten.

    Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden in der Bundesrepublik Struktur und Rahmenbedingungen der Medien von den Alliierten vorgegeben, so dass die Presse auf einer völlig anderen Grundlage als in den finsteren Zeiten des Nationalsozialismus agieren konnte. Durch Berufung auf diese demokratischen Prinzipien waren die deutschen Rundfunkanstalten in der Lage, ihre Unabhängigkeit und damit auch die journalistische Freiheit der griechischsprachigen Sendungen zu verteidigen. Gestärkt durch die beständige Unterstützung demokratischer Einrichtungen wie die Journalisten- und Gewerkschaftsverbände, weigerten sich die deutschen Rundfunkanstalten Anfang der 1970er Jahre, dem ausgeübten politischen Druck zum Trotz, die fremdsprachigen Programme (darunter auch das griechische) in die beiden Anstalten des Bundesrechts Deutsche Welle und Deutschlandfunk einzugliedern (ebd.).Der Intendant des WDR Klaus von Bismarck, den viele mit dem legendären Generaldirektor der BBC Hugh Greene verglichen, stellte in diesem Zusammenhang fest: „Die Sendungen für ausländische Arbeitnehmer bieten Nachrichten aus ihren Heimatländern und auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Informationen – im Gegensatz zu den Sendungen der Deutschen Welle oder des Deutschlandfunks, die hauptsächlich das Bild Deutschlands im Ausland prägen sollen“ (Sala, 2011, 126).

    Zusammenfassung

    Der Kalte Krieg im Rundfunk und der Betrieb von Radiosendern auf beiden Seiten des „Eisernen Vorhangs“ wurden offiziell mit der Notwendigkeit begründet, auf die „feindliche Radiopropaganda“ des gegnerischen ideologischen Blocks zu reagieren. In der Bundesrepublik Deutschland entwickelte sich dieser Konflikt zu einer Konfrontation zwischen den Rundfunkanstalten und den Bundesbehörden über den Inhalt und die Ausrichtung fremdsprachiger Radiosendungen für Gastarbeiter aus dem europäischen Süden, die sich im Spannungsfeld zwischen sozialer Fürsorge und Gegenpropaganda bewegte. Die Forderung nach einer reibungslosen Integration der Einwanderer in die deutsche Gesellschaft wurde vor allem durch die Radiosendungen für Griechen zum Ausdruck gebracht, wie z.B. die des Bayerischen Rundfunks, die 1964 eingeführt wurde. Diese Sendung war auch ein Zeichen des gemeinsamen Engagements deutscher und griechischer Akteure und eine Aufforderung, den Schutz des Grundgesetzes und der deutschen Gesetze zur Freiheit und Unabhängigkeit der Medien zu nutzen, um eine unabhängige Kommentierung der Ereignisse und Entwicklungen in Griechenland sicherzustellen.

    Die Herausgabe der Zeitung I Elliniki durch das Bundespresseamt bewies, dass es in Westdeutschland ranghohe Staatsbedienstete gab, die im Rahmen der konkurrierenden Propaganda des Kalten Krieges in der Finanzierung von Zeitungen für Gastarbeiter eine wichtige Waffe gegen die kommunistische Einflussnahme sahen.

    Übersetzung aus dem Griechischen: Athanassios Tsigkas

    Einzelnachweise

    • 1
      Dieser Essay ist Teil meiner Forschungsarbeit mit dem Titel: Αντίσταση από μικροφώνου. Ο Παύλος Μπακογιάννης απέναντι στη δικτατορία των συνταγματαρχών [Widerstand am Mikrofon.Pavlos Bakogiannis΄ Haltung gegenüber dem Regime der Obristen], Athen, Papadopoulos, 2020.
    • 2
      Fritz Cramer, Volksbund für Freiheit und Frieden/CIAS, Zeitung I ELLINIKI für griechische Gastarbeiter in der Bundesrepublik, Bonn, 30.12.1962, BArch (Bundesarchiv), B145, Akte 2404.
    • 3
      Η Ελληνική, αρ. φ. 7/Ιούνιος 1963: „850 Έλληνες εις το εργοστάσιον “Μέτσελερ” του Μονάχου“.
    • 4
      BArch (Bundesarchiv), Telegramm Dipgerma Athen an Ausw. Bonn, Nr.26, 22.1.1963, B145, Akte 2404. 
    • 5
      PAAA: Politisches Archiv des Auswärtigen Amts.

    Verwendete Literatur

    Galerie

    Zitierweise

    Nikos Papanastasiou: «Soziale Fürsorge und Gegenpropaganda: Rundfunksendungen und Zeitungen für Gastarbeiter in den 1960er Jahren», in: Alexandros-Andreas Kyrtsis und Miltos Pechlivanos (Hg.), Compendium der deutsch-griechischen Verflechtungen, URI : https://comdeg.eu/essay/131207/.