Einleitung
Im Rahmen der Erforschung des Kulturphänomens des deutschen Philhellenismus und seiner verschiedenen Ausprägungen im Verlauf von anderthalb Jahrhunderten kann die gezielte Untersuchung des künstlerischen Ausdrucks und der visuellen Kultur, die mit diesem Phänomen einhergehen, bedeutend zu dessen tieferem Verständnis beitragen. Im Verlaufe eines zyklischen interpretativen Prozesses, in dem die Kunst als Teil des jeweiligen Kultursystems betrachtet wird,1Der deutsche Philosoph Ernst Cassirer (1929) vertrat die Ansicht, dass die Semantisierung visueller Strukturen einen A-posteriori-Prozess darstelle, während dessen diese als Teile bestimmter symbolischer Strukturen, also bestimmter Kultursysteme, verarbeitet werden. Diese Theorie auf den kunstgeschichtlichen Raum anwendend, fundierte E. Panofsky (1939/1991) theoretisch die bildinterpretative Methode (Gemtou, 2017, 133f.). in dessen Kontext sie zugleich Bedeutung erhält wie Bedeutung stiftet, werden wir die antikenzentrierten künstlerischen Expressionen im Deutschland Ludwigs I. und Ottos sowie auch des Naziregimes betrachten. Bezugsfeld für die Interpretation der Kunstwerke wird das Kulturphänomen des Philhellenismus sein, welches während dieser beiden Epochen in vollkommen verschiedener Form auftritt, da es als dynamische ideologische Bewegung ohne zeitliche und räumliche Grenzen jedes Mal durch den Rahmen festgelegt wird, in dem es sich zusammensetzt und dem es dient. Nach dem gleichen Prinzip wird auch das Verständnis der klassischen Antike als Teil des philhellenischen ideologischen Rahmens neugestaltet.
Ziel dieser Arbeit ist es also, die unterschiedlichen Arten zu untersuchen, in der die klassische Antike verstanden, interpretiert und verwendet wurde, im Rahmen der zwei ausgewählten Beispiele, der Königsherrschaft Ottos in Athen und des Naziregimes in Deutschland, jeweils mittels der Gattung der Ruinenmalerei und der visuellen Künste der Olympischen Spiele 1936 in Berlin. Von der bereits genannten theoretischen Grundlage ausgehend, dass der hermeneutische Vorgang und die Bedeutungsgebung zyklisch verlaufen, werden wir bestimmte Kunstwerke als Teile des philhellenischen Kultursystems analysieren. Hiermit wird einerseits auf ein besseres Verständnis des Umgangs mit der klassischen Antike in den „philhellenischen Politiken“ zur Zeit König Ottos und des Nationalsozialismus abgezielt, andererseits auf ein Verständnis der Werke selbst als Teile der damaligen „philhellenischen“ Ideologie.
Die griechische Ruinenmalerei als Teil des Philhellenismus Ludwigs I. und Ottos
Die erste Epoche, die wir untersuchen werden, ist die Herrschaft Ottos in Griechenland direkt nach dem griechischen Freiheitskampf von 1821. Als Teil des Philhellenismus dieser Epoche haben wir uns für die Untersuchung der Ruinenmalerei entschieden, die hier sowohl mit Blick auf den sozialgeschichtlichen und politischen Kontext der Zeit wie auf die damalige Dimension des Philhellenismus betrachtet wird, um so die Bedeutung verschiedener Teilwerke zu erschließen. Zugleich werden wir den Versuch unternehmen, den deutschen Philhellenismus der Zeit aus der Perspektive der Ruinenmaler zu betrachten, wie sich diese in ihren Werken abzeichnet.
Zunächst werden wir einige grundlegende historische Geschehnisse präsentieren, deren Kenntnis notwendig für das weitere Verständnis des Philhellenismus und der Ruinenmalerei in der zu untersuchenden Epoche ist. Es ist bekannt, dass Otto die philhellenische Kultur von seinem Vater, Ludwig I., erbte, welcher ein enthusiastischer Amateurarchäologe war, philhellenische Gedichte verfasste (Hering, 2021, 98) und eindrücklich konstatierte, er würde es bevorzugen, Bürger des antiken Griechenland als König Bayerns zu sein. Seine Haltung den Griechen gegenüber war eindeutig von dem romantischen Zeitgeist beeinflusst, eine Tatsache, die nicht unabhängig von seinen politischen Ansichten zu verstehen ist: sein Hauptziel war die Erschaffung eines Modellkönigreiches in Griechenland, gleichwertig mit denen der großen europäischen Nationen. Dazu würde unter anderem die Erstellung von Sammlungen2Bezüglich des Anschaffungsprozesses der Skulpturen des Temples der Aphaia Athene vgl. Stoneman, 1996, 269ff. antiker Kunst, vergleichbar mit denen in London und Paris, beitragen. Ludwig I. trug zur Unterstützung Griechenlands bei in einer Zeit, in der die meisten deutschsprachigen Staaten eine negative Haltung gegenüber dem griechischen Befreiungskampf einnahmen: Die preußische Regierung beispielsweise implementierte Maßnahmen zur Unterdrückung der philhellenischen Aktivitäten, basierend auf dem Allgemeinen Preußischen Landrecht (Hering, 2021, 64-65).
Die antike griechische Kultur übte weiterhin einen starken Reiz auf die europäischen Gelehrten aus. Einige Jahrzehnte zuvor hatte Johann Joachim Winckelmann mit großem Anklang die Künstler seines Landes dazu angehalten, die Kunst der klassischen Antike zu imitieren, da diese die Grenzen der Perfektion berührt habe. Groß waren auch die Beiträge Hölderlins und Goethes in diesem Bereich: Sowohl die Weimarer Klassik als auch die Romantik vermittelten die Werte der altgriechischen Kultur in unterschiedlicher Weise. Ludwigs Traum war es, München in ein Isar-Athen zu verwandeln. Die Griechen stellten, im Endeffekt, im Bewusstsein der Europäer nicht einfach ein Volk dar, sondern eine Fortsetzung der Altgriechischen Kultur, wie auch Otto selbst in seiner ersten Rede an die Griechen hervorhebt (Efimeris tis Kyvernisseos tou Vassiliou tis Ellados, 16.02.1833).
Die Wiedereinführung eines neoklassizistischen Stils in der Umgestaltung Münchens und Athens diente nicht allein ästhetischen Kriterien, sondern besaß – im Einklang mit der gesamten philhellenischen Politik der Bayern – auch politische Implikationen mit doppelter Ausrichtung. Einerseits zeigten das intensive architektonische und künstlerische Schaffen und dessen Resultate die Macht Ottos, seiner Regentschaft und seines neuen bayerischen Königreichs in den Augen der Schutzmächte, des bayerischen Volkes und ganz Europas, andererseits trugen sie zur Herausbildung des Nationalbewusstseins der modernen Griechen bei. Das griechische Volk benötigte Symbole der Einheit,3Die archäologischen Denkmäler wurden sofort als Nationalsymbole verwendet: Mit Ottos Ankunft kamen sie auch unter den Schutz der Politik. 1833 wurde der Griechische Antikendienst gegründet, 1834 wurde das erste archäologische Gesetz verabschiedet, in dem die Altertümer als „Nationalerbe“ und als „Staatseigentum“ charakterisiert wurden, womit die Grundlagen für die Gründung der ersten Museen gelegt wurden, während 1837 die Archäologie Gesellschaft in Athen gegründet wurde, welche eine bemerkenswerte Ausgrabungs- und Publikationstätigkeit aufwies. Die symbolischen Handlungen der Wittelsbacher zur Erzeugung von Assoziationen zwischen der Antike und den modernen Griechen und Bayern waren ebenfalls zahlreich: Es gab Berichte, dass der Palast Steine aus dem Parthenon brachte, es wurden Vorschläge eingereicht, den Palast der Akropolis wieder zu errichten und es wurden Verleihungen auf dem Berg der Akropolis durchgeführt, wie am 28.08.1834, als Otto zum Schutzherrn der Denkmäler ausgerufen wurde, indem er im Rahmen des Wiederaufbaus des Parthenon den Grundstein der ersten Säule platzierte (Koulouri, 2020). die die Kontinuität seiner Geschichte von der Antike bis in die Moderne aufzeigen sollten. Dabei dürfen die Behauptungen Jakob Phillip Fallmerayers, dass die modernen Griechen keinen Bezug zu den alten Griechen hätten, nicht außer Acht gelassen werden, ebenso wenig wie die Reaktionen, die sie bei deutschen und griechischen Gelehrten hervorriefen (Gourgouris, 1996, 142-143).
Es war generell eine schwierige Zeit für die Griechen, die gezwungen worden waren, eine autoritäre politische Macht zu akzeptieren, welche in Kombination mit dem Fehlen einer Verfassung und einer Zurückhaltung bezüglich ihrer Einführung schwerwiegende politische und soziale Probleme verursachte. Eine Kulturpolitik mit vielen Bezügen zu der glorreichen Vergangenheit wirkte sicherlich zum Vorteil sowohl der neuen Regierung, die somit zumindest auf indirekte Art und Weise das Wohlwollen ihrer Untertanen gewann, wie zu dem der Griechen, die durch solche Assoziationen nationale Genugtuung empfanden. Dass Ludwig und Otto den institutionellen und einflussreichen Charakter der Kunst erkannt hatten, zeigt sich durch Handlungen wie die Gründung der Königlichen Kunsthochschule Athen (31.12.1836), in der Unterricht zum Zeichnen, der Mathematik, der Architektur und der Kalligraphie angeboten wurden und der mit der Zeit auch die eigentlichen Schönen Künste hinzugefügt wurden. In die gleiche Richtung ging auch die Gründung eines Stipendienprogramms für griechische Künstler, mit dem Ziel, dass diese in München studieren sollten, wodurch die berühmte griechische „Münchner Schule“ begründet wurde. Hierauf verweist aber auch die Tatsache, dass das Gefolge Ottos aus Soldaten-Künstlern bestand, deren Aufgabe unter anderem darin bestand, die Geschehnisse und die Landschaft in all ihren Dimensionen darzustellen.
Der Philhellenismus trug ebenfalls zur Herausbildung der deutschen nationalen Identität bei. Tatsache ist, dass mit der Vereinigung der süddeutschen Staaten das Interesse der Regierungen an einer Koexistenz von Monarchie und konstitutionellem Liberalismus zurückging, während die lang ersehnte politische Partizipation des Bürgertums weiterhin schwach ausgeprägt blieb. Wie Hauser (1990, 16) erwähnt, scheint es, als hätten die oppositionellen Mächte die griechische Revolution als Auslöser für die „gesellschaftliche Selbstorganisierung ihrer Forderungen für politische Teilhabe“ aufgefasst. In diesem Fall wurden jedoch andere Aspekte der philhellenischen Bewegung aufgerufen als die der Antike, da die Assoziationen mit der antiken Kultur eher die gebildeten Philhellenen sensibilisierten und weniger die ökonomisch und sozial schwächeren Schichten (Hering, 2021, 79). Dementsprechend gibt es auch Beispiele philhellenischer Ankündigungen, die an das soziale Mitgefühl4Im Zeitraum zwischen 1821 und 1827 wurden 57 philhellenische Proklamationen in deutscher Sprache verfasst (Hering, 2021, 85-86). im Zeichen der christlichen Pflicht der Nächstenliebe appellieren. Allerdings überwiegt vor allem das Argument der Dankbarkeit gegenüber den von der osmanischen Herrschaft geschundenen Nachkommen der antiken Griechen (Quack-Eustathiades, 1984, 37ff.)
Ruinenmalerei
An dieser Stelle werden wir uns auf diejenige Kategorie der Malerei konzentrieren, welche in der untersuchten Epoche systematisch kultiviert wurde und die als „Ruinenmalerei“ bezeichnet wird, da sie sich mit der Abbildung antiker Bauten befasst. Ziel ist es, die ausgewählten Werke als Teile des ottonischen Philhellenismus zu analysieren, um somit dessen Aspekte besser zu erfassen. Zugleich wollen wir die Werke im Hinblick auf den Philhellenismus interpretieren. Die Ruinenmalerei erreicht ihren Höhepunkt von der Mitte des 18. bis kurz nach der Hälfte des 19. Jahrhunderts. Genereller Zweck der Ruinenmaler war die Visualisierung der griechischen archäologischen Landschaft, als Teil der weiteren Landschaft einer Nation, die darum kämpfte, auf die Beine zu kommen, die christlich war und die die Kontinuität der antiken Kultur darstellte, welche unbestreitbar der Startpunkt der westlichen Kultur gewesen war. Je nach ihrer Bildung und ihren Absichten stellten die Künstler ihre ruinenmalerischen Kompositionen auf klassische, romantische oder eher naturalistische Art dar.
Durch die Technik der Kunstdrucke fanden die Ruinenmalereien eine weite Verbreitung im europäischen Raum, wie es auch mit dem Großteil der visuellen Repräsentationen von Reiseberichten geschah. In den 1830er- und 1840er-Jahren wurden in den europäischen Druckereien und Lithografien eine hohe Anzahl an griechischen Sujets produziert, die zu großen Teilen aus Ruinenmalerei bestanden, , wodurch die von den Philhellenen so sehr hervorgehobene griechische Realität einem breiten Publikum auch visuell bekannt gemacht wurde. In diesem Rahmen bildete sich auch eine nachgerade industrielle Produktion philhellenischer Objekte heraus, die meist von geringem künstlerischen Wert waren die Bezüge zur klassischen Antike aufwiesen und in denen sich eine Tendenz zur Kommerzialisierung der philhellenischen Bewegung bezeugt (Τσιγκάκου, 1993, 24).
Im Sinne des Staatsphilhellenismus Ludwigs I. nahmen an den Exkursionen nach Griechenland auch Künstler teil, die mit der Abbildung der zeithistorischen Geschehnisse und der griechischen Landschaft betraut worden waren, wobei neben der kontemporären Realität auch die Überreste der glorreichen antiken Vergangenheit eine wichtige Rolle spielten. Einige dieser Landschaftsgemälde stellen die antiken Monumente in den Mittelpunkt, meist fungieren diese jedoch als Teil des weiteren Raumes, ob natürlich oder artifiziell, während die Abbildung der modernen Griechen deutlich die Umstände der Zeit vermitteln.
Ein wichtiges Beispiel für diese Tendenz ist der Landschaftsmaler Carl Rottmann (1797-1850), dem von Ludwig 1834 aufgetragen wurde, sich ein Jahr in Griechenland aufzuhalten, um historische Orte für einen ikonographischen Zyklus zu den wichtigsten Städten zu erforschen (Schnell, 2012, 340-344). Das Werk, welches 23 Gemälde griechischer Landschaften beinhaltete, wurde 1850 fertiggestellt und sollte als Erweiterung der ikonographischen Zyklen der bayrischen Herrscher und Rottmanns italienischer Landschaftsgemälde im Münchner Hofgarten ausgestellt werden, um somit zur Bildung des Volkes beizutragen (Rott & Sturmer, 2007, 16-18). Als Landschaftsmaler romantischer Prägung fokussierte Rottmann bei der Abbildung von Ruinen, aber auch der modernen Griechen letztendlich auf die Weite der Landschaft und auf den zutiefst poetischen Eindruck des Himmels. In keinem Fall nahm er dabei die Landschaft als unabhängig von dem griechischen Volk war, sondern begegnete ihr als Zeugin der Geschichte und als Ausdruck des fortschrittlichen Geistes der Griechen (Rott & Sturmer, 2007, 61). In seinem Werk erkennen wir somit eine romantische Ebene des deutschen Philhellenismus, der von Sympathie gegenüber den modernen Griechen gekennzeichnet ist und ihnen das Privileg zugesteht, in einem Land mit ruhmreicher Geschichte zu leben und hohen ästhetischen und moralischen Werten zu leben. Die Malerei Rottmanns spiegelt die romantischen Ansichten in den Kreisen der Philhellenen wider und vermittelt sie in der expressiven Wirkung der Bilder dem deutschen Volk.
Eine ähnliche Herangehensweise findet sich in den Landschaftsgemälden Ludwig Langes, eines Freundes und Schülers von Rottman, der diesen auf seiner Griechenlandreise begleitete und ebenfalls unter anderem einige Panoramadarstellungen archäologischer Stätten schuf, aber auch in den Ruinenmalereien Karl Wilhelm von Heidecks (Kasimati, 2000, 561). Heideck, ein philhellenischer Offizier und Vertrauter Ludwigs, kam zunächst 1826 nach Griechenland, um dem griechischen Volk unter anderem durch die Aufstellung eines regulären Heeres von Griechen und Philhellenen zu helfen. In seiner gesamten Laufbahn als Offizier notierte er politische und militärische Entwicklungen und stellte Berichte an Ludwig I zusammen. Parallel dazu dokumentierte er die Sitten und Gebräuche der Regionen, in denen er sich aufhielt. Im Zeitraum zwischen seiner Rückkehr nach München und seiner Rückkehr nach Griechenland im Jahr 1832, als Mitglied der Regentschaft Ottos, beschäftigte er sich systematisch mit der Malerei. Während seines zweiten Aufenthalts in Griechenland zwischen 1832 und 1835 notierte er weiterhin die Geschehnisse, an denen er selbst teilnahm. Diese Aufzeichnungen wurden häufig von Bildern begleitet, die sich auf Orte und Menschen bezogen, mit denen er in Kontakt getreten war. Er schuf mehr als 40 Werke, die sich auf Griechenland beziehen, von denen einige antike Stätten und Denkmäler abbilden. Seine Wiedergabe von Bauwerken ist so genau, dass seine Ruinenmalereien häufiger zur Rekonstruktion von historischen Informationen dieser Periode verwendet wurden. Dennoch stellt nicht das antike Denkmal die alleinige Hauptfigur der Kompositionen Heidecks dar, sondern die Figuren griechischer Freiheitskämpfer scheinen seine Kompositionen zu dominieren. Indem wir dem Prinzip der zyklischen Interpretation folgen, können wir nicht umhin festzustellen, dass Heidecks Ruinenmalereien mit der rationalen Seite des Philhellenismus in Verbindung stehen, welche auf dem Wissen und der Information basiert: Sie fungieren vor allem als optische Dokumentationen zur Ergänzung der Informationen über die antike und moderne griechische Zivilisation. Die Kunstwerke zielten nicht nur auf eine emotionale Bewegung ab, sondern dienten, wie auch verschiedene andere Dokumente, Texte, etc., als Quellen visueller Information: Den Käufern von Heidecks Drucken5Tsigakou, 1993, 24 erwähnt, dass in den 1830ern und 1840ern eine enorme Anzahl an Drucken in verschiedenen europäischen Ländern produziert wurde, um das breite Publikum auf visueller Ebene an die Orte, Geschehnisse und Personen zu gewöhnen, die die philhellenische Presse überfluteten. stand die Möglichkeit offen, die griechische Landschaft in ihrer antiken und modernen Form mit realistischer Genauigkeit zu visualisieren.
Die Tatsache, dass die deutschen Ruinenmaler nicht aus eigener Initiative nach Griechenland gekommen waren, sondern als Mitglieder von Exkursionen, die die Präsenz und Macht des bayrischen Monarchen als Anführer einer Nation mit glorreicher Vergangenheit verewigen sollten, veranlasst uns dazu, die Ruinenmalereien im Rahmen eines politisch gelenkten Philhellenismus zu interpretieren. Der Auftrag der Maler hatte keinen subjektiven Ausgangspunkt im Sinne subjektiver Inspiration und Expression, sondern ergänzte auf künstlerisch-visuelle Art und Weise die philhellenische Politik Ottos. Das Ziel war es, dass der deutsche Bürger positive Gedanken und Empathie gegenüber dem Volk entwickeln sollte, das der bayrische Monarch zu regieren berufen worden war. Der Verweis auf seine glorreiche Geschichte war unvermeidlich und notwendig. Semiotisch geschieht dies sogar in den Porträts des jungen Königs, in denen dessen Figur meist von mediterraner Landschaft umrahmt wird, in deren Hintergrund sich die Akropolis abzeichnet (Tsingakou, 1993, 84). Im Wesentlichen spiegeln die Abbildungen antiker Denkmäler der deutschen Maler der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Ansichten des deutschen Philhellenismus auf staatlicher, intellektueller und ästhetischer Ebene wider. Sie lassen sich nicht unabhängig von der neuhumanistischen Überzeugung verstehen, dass es eine geistige Verwandtschaft zwischen den zeitgenössischen deutschen Philhellenen und den antiken Griechen gebe, eine Annahme, die gewissermaßen Erstere zu den Beschützern der Nachkommen Letzterer machte. Die Aufgabe der Maler war es, durch ihre Ruinenmalerei Verbindungen zwischen dem antiken und modernen Griechenland, aber auch zwischen dem antiken und modernen Griechenland und dem zeitgenössischen Deutschland herzustellen und diese Sichtweise durch die Ausstellung und den Verkauf der Werke, aber vor allem der Drucke an eine breite deutsche Öffentlichkeit zu vermitteln. Die Ruinenmalerei nahm entweder romantische Dimensionen an, indem sie die Emotionen und moralischen Grundsätze des deutschen Publikums ansprach, oder sie beabsichtigte die Wissensverbreitung durch die Bereitstellung von Bildern, die die Informationsmacht der Philhellenen befestigen sollten. In Bezug auf das zeitgenössische Wissen und die Semantisierung des deutschen Philhellenismus bzw. der Ruinenmalerei als kulturelle Bezugsphänomene einerseits und Interpretationssysteme andererseits lässt sich demzufolge konstatieren, dass das Studium der Ruinenmalerei uns dabei hilft, die Bilder zu entdecken, die die „bayerische“ Sympathie gegenüber den Griechen ergänzten und verstärkten, die Bezüge zur Antike aufzeigten und die Notwendigkeit einer sowohl emotionalen als auch rationalen Rückversicherung darstellten.
Philhellenismus und Propaganda im Deutschland des Nationalsozialismus
Das Konzept des Philhellenismus nahm mittels der Projektion der antiken Kunst im nationalsozialistischen Deutschland einen anderen Charakter an. In diesem Fall trug der Philhellenismus nicht den Zug der Sympathie gegenüber den modernen Griechen, sondern nur gegenüber den antiken, welche die Nationalsozialisten (wie zuvor auch Otto) als ihre kulturellen Vorfahren betrachteten. Von der Prämisse ausgehend, dass der nationalsozialistische Philhellenismus sich ausschließlich an der Antike orientiert und allein auf die Schaffung politischer Bindungen zwischen dieser und dem kontemporären Deutschland (und nicht dem kontemporären Griechenland) abzielt, werden wir dessen Erscheinungskontext in den Blick nehmen und dabei vor allem auf den Zeitraum der Olympischen Spiele in Berlin fokussieren. Wir werden Elemente der visuellen Kultur und Kunst/Architektur, die sich auf die griechisch-römische Antike beziehen, analysieren, um zu sehen, wie deren einzelne Aspekte (Rezeption der Antike, klassizistische Kunst und Architektur) ihre Bedeutung im Verhältnis zur symbolischen Form, der sie angehören, in diesem Fall konkret der des nationalsozialistischen Philhellenismus, verändern. Wie im Folgenden gezeigt werden soll, erfolgt auch die Semantisierung des NS-Philhellenismus durch die visuelle Kultur der Zeit und die propagandistische Verwendung der Antike.
Als die nationalsozialistische Regierung im Januar 1933 die Herrschaft in Deutschland übernahm, ging dies mit der Idee der vollkommenen Veränderung des soziopolitischen und im weiteren Sinne kulturellen Umfelds des Landes einher. Die Vertreter des Regimes wollten eine „Rückkehr“ zu den „traditionellen“ deutschen Werten, die Entfernung und, oftmals, Vernichtung von ausländischen und insbesondere jüdischen bzw. „entarteten“ Einflüssen zwecks Erschaffung einer homogenen, „reinrassigen“ Gesellschaft, welche die nationalsozialistischen Überzeugungen widerspiegeln würde. Im Rahmen der kulturellen Umgestaltung des deutschen Sozialgefüges unterstütze das NS-Regime nachdrücklich einen Traditionsbegriff, der der idyllischen Vergangenheit des deutschen Neoklassizismus und der Romantik verpflichtet war, und wies die moderne Ästhetik ab. Diese Abweisung äußerte sich vor allem in einer vehementen Opposition gegen Ideen, Vertreter und Werke jeglicher moderner Kunstrichtungen. Ein anschauliches Beispiel stellen die Werke des deutschen Expressionismus dar, die vom Regime herabgewürdigt und als „entartet“ bekämpft wurden (Grosshans, 1983, 73).
Das NS-Regime betonte die Bedeutung der Nation und der Familie, den Wert des persönlichen „Kampfes“, den Glauben an Ideale zum Wohl der Gemeinde und die Aufopferung im Dienst des „Führers“, der eine Personifizierung der Nation darstellte, während es den Materialismus, die Diversität und den bürgerlichen Idealismus verwarf (Mason, 1993, 6). Im Zeichen dieser scheinbar neuen Auffassung begannen die visuellen Künste im Deutschland der 1930er Jahre sich ästhetisch und ideologisch neu zu orientieren und die vorgenannten Werte mit Nachdruck auf die Glorifizierung des ländlichen Lebens, der Familienbande und nicht zuletzt der „arischen Reinrassigkeit“, des angeblichen Ursprungs dieser Werte, zu projizieren. Die Kunst wurde in fast allen ihren Formen als propagandistische Waffe auf das noch von der Niederlage des Ersten Weltkrieges gelähmte und erschöpfte deutsche Volk gerichtet (Adam, 1992, 110). Abgesehen von Terrormaßnahmen und Gewalt, verwendete die neue politische Macht die Kunst und Kultur, um mit größerer Leichtigkeit in Herz und Geist der breiten Bevölkerung einzudringen, und beeinflusste damit entscheidend deren Leben, Entscheidungen und Handlungen.
Im Kontext dieser neuen Ästhetik, der allgemeinen politischen Ideologie Adolf Hitlers und der Kulturpolitik von Goebbels, lässt sich der deutsche nationalsozialistische Philhellenismus als Versuch deuten, die antike griechische Kultur zu Gunsten der NS-Propaganda zu instrumentalisieren. Laut Marchand (1996, 350) gab es trotz eines mit dem Aufstieg des „Dritten Reichs“ einhergehenden Rückgangs des Studiums der klassischen Philologie und somit der Zuneigung der Deutschen für die altgriechische Kunst immer noch genug deutsche Philhellenen, die die tiefe geistige und ästhetische Bindung zwischen Deutschen und antiken Griechen betonten. Dergleichen Theorien boten offenbar Chancen für die nationalsozialistische Kulturpropaganda, die sich auch auf die klassische Bildung des 18. Jahrhunderts und die Schriften Winckelmanns stützte (Crystal 2021). Das Werk Winckelmanns, der die klassische Kunst gegenüber allen anderen Kunstschöpfungen für überlegen hielt, hatte über mehrere Generationen hinweg gelehrten, kultivierten Nationalisten, Anhängern der Aufklärung und Künstlern als Inspirationsquelle gedient: Die muskulösen männlichen Figuren altgriechischer Skulpturen, aus leuchtend weißem Marmor geschaffen, wurden als Ideenträger ästhetischer und ethischer Werte genutzt (Roche 2018, 5). Im Kontext der NS-Ideologie wurde der nackte männliche Körper der antiken Skulpturen jedoch mit den Theorien bezüglich der Reinheit und Überlegenheit der „arischen Rasse“ konnotiert: als anerkanntes visuelles Zeichen bot dieser die geeignete Form für deren indirekte Vermittlung an die Öffentlichkeit. Damit in Verbindung steht die Systematisierung der Lehre klassischer Künste und antiker griechischer Literatur an deutschen Schulen (Crystal, 2021).
Den Glauben an die Existenz von Bindungen zwischen der altgriechischen und teutonischen Kultur teilte Hitler mit den Architekten der eindrucksvollen öffentlichen und Parteibauten, die während seiner Regierung errichtet wurden. Eingedenk der Maßgabe, dass die neuen Gebäude Ehrfurcht einflößen und die Macht des nationalsozialistischen Staates demonstrieren sollten (Martin, 2021), entwarf der Neoklassizist Speer die Pläne für das Nürnberger Stadion, indem die Zuschauer spezielle Brillen benötigt hätten, um aus der Vogelperspektive jede Seite des riesigen Raumes zu erkennen. Laut Speer war dieses Werk von dem Panathenäischen Stadion Athens inspiriert, das ihn sehr beeindruckt hatte, als er es 1935 besuchte (Speer, 1996, 75). Das klassische Grundprinzip des menschlichen Maßes umgehend, wandten die Architekten andere klassische Elemente an, und gaben ihnen somit neue, von denen zu Zeiten Ottos verschiedene Bedeutungen. Damals diente die Widerbelebung antiker Vorbilder sowohl in der Architektur als auch der Ruinenmalerei im Grunde der Förderung des Nationalbewusstseins Deutscher und Griechen durch eine Projektion historischer Kontinuität zwischen antiker Vergangenheit und kontemporärer griechischer und deutscher Realität: Das antike Griechenland stellte den Ausgangspunkt beider Welten dar, indem es zwischen ihnen semiotisch starke Bande schuf. Die Nationalsozialisten hingegen fokussierten ausschließlich auf die Antike, die sie nicht mit den modernen Griechen verbanden, welche – im Gegensatz zu den Ruinenmalereien des 19. Jahrhunderts – keinen Platz in ihren antikisierenden Kunstwerken fanden. Besonders betont wurden jene Prinzipien der klassischen Ästhetik, die die Möglichkeit boten, mit den nationalsozialistischen Werten bezüglich der Besonderheit und „Reinheit“ der „Rasse“ verbunden zu werden. Beispielsweise in den Ansichten öffentlicher Bauten herrschten dorische Säulen ohne Kannelüren vor, die das Prinzip der Einheitlichkeit, der Ordnung und der Disziplin evozieren und die strenge Organisation der nationalsozialistischen Armee widerspiegelten: Es handelt sich dabei um semiotische Bezüge, die auf die einheitlichen, symmetrischen und streng synchronisierten Militärparaden verweisen (Charalampidis, 1993, 128–129).
Die Olympischen Sommerspiele 1936
Die Olympischen Sommerspiele 1936 in Berlin stellten ein bedeutendes sportkulturelles Ereignis dar und fungierten als Epizentrum für die Durchführung politischer Propaganda mit kulturellen Mitteln. Auf dem Wege der minutiösen, politisch und sozial instrumentierten Organisation der Veranstaltung versuchte das Regime, den Ruhm des NS-Deutschlandes zu fördern und zugleich Ästhetik und Ideologie mit den altgriechischen Werten der idealen Schönheit und Philosophie, des «ευ αγωνίζεσθαι», des edlen Wettkampfes und des Sportes im Allgemeinen zu verknüpfen. Mit diesem weltweiten Sportfest wurden der jüngeren Generation der „gesunden arischen deutschen Rasse“, deren Zentrum die körperliche Betätigung und der männlichen Körper bildeten, die neuen Ideale vermittelt (Healy, 2006, 28-29). Hinter dieser Handlung lag der Wunsch zur Erschaffung der berüchtigten sozialen Prototypen der „Übermenschen“, d.h., der mächtigen und gesunden Deutschen, die den altgriechischen Athleten entsprechen sollten, um die Stärke und Macht der „Arier“ als neue Version von Letzteren zu präsentieren (Carr, 1974, 3).
Erfüllt vom Geiste eines „zutiefst subjektiven“ Philhellenismus mit propagandistischer Ausrichtung erkannten Hitler und andere wichtige Unterstützer des Regimes, die Bedeutsamkeit der Gelegenheit, die diese weltweite Sportveranstaltung mit Wurzeln in der altgriechischen Kultur für die Verwirklichung ihrer sozialpolitischen Vision bot., , Daher zögerten sie nicht, die Staatsressourcen ihren Veranstaltern zur Verfügung zu stellen (Krüger, 2003, 22). Das Olympiastadion riesigen Ausmaßes, das berühmte Reichssportfeld, entworfen eigens für diesen Anlass von dem deutschen Architekten Werner March, einem Liebhaber der altgriechischen Kunst und Architektur, bot Platz für über 110.000 Zuschauer, während weitere 150 olympische Gebäude rechtzeitig für den Anlass fertiggestellt wurden, darunter auch das Schwimmbad, das etwa 16.000 Zuschauer fassen konnte. Diese grandiosen Sportereignisse wurden durch internationale Wettbewerbe in Architektur, bildender Kunst, Literatur und Musik eingerahmt.
Mittels der Eröffnungsfeier, die von ästhetischen und ideologischen Anspielungen auf die altgriechische Kultur nur so strotzte, präsentierte sich Deutschland als ein friedfertiges und ehrbares Land, das die dunklen Jahre der ökonomischen Krise der 1920er Jahre hinter sich gelassen hatte, und das nur von weißen Athleten, Vorzeigeexemplaren der „arischen Rasse“, vertreten wurde, nachdem Juden und dunkelhäutige Sportler demonstrativ aus den Mannschaften ausgeschlossen worden waren. Offensichtlich hatte Hitler die Bedeutsamkeit der Gelegenheit dieser Spiele erkannt: NS-Deutschland einem internationalen Publikum vorzustellen, das nicht nur aus den Tribünen-, sondern vor allem aus den Fernsehzuschauern und Radiohörern des Landes und der übrigen Welt bestand.
Die Darstellung der Olympischen Spiele durch den Film Leni Riefenstahls
Leni Riefenstahls Dokumentarfilm Olympische Spiele [Olympia: Der Film der XI. Olympischen Spiele, Berlin 1936] bildete den vielleicht wichtigsten Versuch einer visuellen Dokumentation dieser historischen Periode, und zwar weniger in Bezug auf den internationalen Sport, sondern eher hinsichtlich der ideologischen und im weiteren Sinne soziopolitischen Umgestaltung Deutschlands, die in den kommenden Jahren dramatische Auswirkungen auf den Lauf der Geschichte haben sollte. Der überaus wichtige Versuch zur visuellen Kodifikation dieses großen Festes durch die Verbindung des antiken griechischen Geistes und der neuen Gesellschaftsordnung bildete das Rückgrat der neuen visuellen Kultur, die sich im zwischenkriegszeitlichen Deutschland vor allem über das Kino und die jüngst entstandene Fernsehtechnik durchsetzen sollte. Der Film war der erste Spielfilm über die Olympischen Spiele und wurde von dem Organisationskomitee großzügig finanziert, da viele von dessen Mitgliedern bereits mit einem anderen der NS-Regierung freundlich gesinnten Werk vertraut waren, dem Triumph des Willens (1935), in dem der „Reichsparteitag“ in Nürnberg mit der Teilnahme Hunderttausender Anhänger des Regimes in einzigartiger Weise propagandistisch dargestellt wurde (Barsam, 1975, 21). Die hedonistische Manie der Nationalsozialisten, ihre Propagandaansprüche mittels der modernen Filmkunst durchzusetzen, hätte keine bessere und kompetentere Regisseurin als Riefenstahl6Laut Trimborn (2002, 138) war Riefenstahl nicht die einzige Regisseurin des Films. Willy Zielke, ebenfalls ein deutscher Regisseur, hatte einen Vertrag unterzeichnet, in dem klargestellt wurde, dass er nicht nur für die Dreharbeiten des Prologs, sondern auch für den gesamten Schnitt des Films allein verantwortlich sein würde. finden können, die sich bereits mit der visuellen Darstellung nationalsozialistischer Werte wie Heldentum, Epik, Tapferkeit, Sieg und Entschlossenheit eingearbeitet hatte. Allerdings gab sie selbst nie zu, dass ihr Werk propagandistischen Zielen verpflichtet war und der Unterstützung und Verbreitung der NS-Ideologie diente.
Riefenstahl gelang es, mit großem Erfolg Techniken und Methoden anzuwenden, die ihr Werk nicht nur originell, sondern besonders ansprechend für das unerfahrene Auge der deutschen Zuschauer machten, die das Kino meist als reines Unterhaltungsmedium betrachteten. Die atemberaubenden Luftaufnahmen, der originelle und fantasievolle Einsatz der Unterwasserkamera, die Verwendung von Makroobjektiven, die unerwartete Blickwinkel ermöglichten und oftmals einer Verzerrung der Perspektive dienten, aber auch die Möglichkeit, die 45 verwendeten Kameras einfach und originell zu bewegen – sogar mit Hilfe kleiner Ballons oder Boote – stellten wichtige Neuerungen in der bis dahin statischen Ausführung von Dokumentarfilmen dar (Barnouw, 1993, 108-109). Die Dauer der Aufnahmen war besonders lang, mehr als 200 Stunden, während die Dauer des bearbeiteten Endresultats 225 Minuten betrug. Aufgrund seiner Länge wurde der Dokumentarfilm in zwei Teile mit zwei verschiedenen Titeln unterteilt: Olympia – Fest der Völker, mit einer Dauer von 118 Minuten und Fest der Schönheit, mit einer Dauer von 107 Minuten.
Inhaltlich gelang Riefenstahl ein Dokumentarfilm, der die Schönheit des männlichen, sportlich geformten Körpers im heiligen Ritual des edlen Wettkampfes auf poetisch-idealistische Weise verherrlichte. Durch ihr aufmerksames, erfahrenes Auge und ihren geschulten Sinn für Ästhetik verwandelte sie das Sportnarrativ der Olympischen Spiele auf eine für die damalige Zeit revolutionäre Weise in eine ästhetische Hymne an die altgriechische männliche Schönheit, indem sie den Fokus ihrer Aufnahmen auf die Präsentation geschmeidiger, wohlgeformter, nackter oder halbnackter männlicher Körper legte. Die Darstellung des nackten Körpers hatte aufgrund des symbolischen Verweises auf die nackten altgriechischen Skulpturen und antiken Athleten, deren Wettkämpfe unbekleidet abgehalten wurden keinen provokativen Effekt. Das Ziel war die Herstellung von Assoziationen zwischen den deutschen und im weiteren Sinne nordeuropäischen Athleten und den antiken Griechen und zugleich die Vermittlung der Werte der absoluten Schönheit, Männlichkeit, Harmonie und Reinheit der Körper der „arischen Rasse“ (Hurwit, 2007, 46).
In dem wahrlich beeindruckenden Prolog, aber auch während des gesamten Dokumentarfilms fängt Riefenstahl die Anmut der Athleten ein, indem sie Ausschnitte der olympischen Flammenzeremonie, aber auch populärer Sportarten wie Fußball, Feldhockey, Radfahren, Reiten, Schwimmen, Turnen, Fünfkampf und Zehnkampf zeigt. Es ist jedoch anzumerken, dass der Dokumentarfilm in Bezug auf die Kommentare zu den Sportarten recht schwach ist, da Riefenstahl das Bild, das durch die „Sprache der Schönheit und Anmut der Athleten“ geformt wird, dem rein beschreibenden Diskurs überwiegen lässt (Riefenstahl, 2002).
Bei einer genaueren Betrachtung des Prologs des Dokumentarfilms lässt sich erkennen, dass Riefenstahl visuelle Methoden verwendet, um Verbindungen zwischen der mythischen, antik-griechischen Vergangenheit und der ästhetischen Ideologie der Nazis hervorzuheben: Ausgangspunkt ihrer Verweise ist das Antike Griechenland, als Topos wie auch als Kultur. Bilder antiker Ruinen wie der Akropolis von Athen ermöglichten es Riefenstahl, die offensichtliche Verbindung der Olympischen Sommerspiele in Berlin und der Olympischen Spiele im antiken Griechenland aufzuzeigen. Zugleich werden in der Antike besonders beliebte Sportarten wie Fünfkampf, Speer- und Diskuswerfen präsentiert. Betont wird die Verbindung zwischen Sport und dem männlichen Geschlecht, das in der Antike ein Symbol für Schönheit, Tapferkeit und Mut darstellte. Diese Verbindung entsprach genau Hitlers rassistischen Vorstellungen bezüglich der Überlegenheit der Männer gegenüber den Frauen,7Riefenstahl betonte die Geschlechterdifferenzierung und stellte die Frauen im antiken Griechenland als den Männern unterlegen, schwach und von Aktivitäten wie Sport und sozialem Leben ausgeschlossen dar. In dem Dokumentarfilm tanzen die Frauen hauptsächlich mit Reifen. Das NS-Regime sah im Tanz eine kreative, weibliche Tätigkeit, die zur Entwicklung gesunder und „rassisch reiner“ Frauen beitragen konnte, die den traditionellen Rollen der Ehefrau, Mutter und Hausfrau verpflichtet waren. aber auch synekdochisch der „Arier“ als wahren Nachfahren der antiken Griechen. In einem interessanten Dialog zwischen Objekten und Menschen, der stets darauf abzielt, dem NS-Regime zu schmeicheln, präsentiert Riefenstahl vor einem nebligen Hintergrund eine der berühmtesten altgriechischen Skulpturen, die einen nackten Athleten in dem Augenblick des Diskuswurfes darstellt: eine Kopie aus weißem Marmor des bronzenen Diskobolus von Myron, Hitlers Lieblingsskulptur (Sooke, 2015).
Ebenfalls charakteristisch ist die ausgedehnte Aufnahme des Staffellaufs des olympischen Feuers. Viele Szenen wurden per Luftaufnahmen gedreht, die den Beginn des Weges vom antiken Olympia, die Reise durch viele europäische Länder und die endgültige Ankunft in Berlin zeigen. Die symbolische Verbindung zwischen der antiken Zivilisation und dem modernen Deutschland wird abermals deutlich: Mit dem klassischen Griechenland als Ausgangspunkt führen alle Wege schließlich zum nationalsozialistischen Berlin, der Krönung der modernen westlichen Zivilisation (Włodarczyk, 2016, 37-38).
Die Olympischen Spiele im Fernsehen
Die Tatsache, dass die Olympischen Sommerspiele in Berlin die ersten waren, die im Fernsehen übertragen wurden, wurde im Rahmen der ausgeklügelten politischen Propaganda des NS-Regimes besonders hervorgehoben: Deutschland stellte nicht nur die Fortsetzung des antiken griechischen Geistes dar, sondern verfügte auch über die geeignete Technologie, um ihn im ganzen Land zu verbreiten. Es ist jedoch anzumerken, dass diese neue technische Errungenschaft, die in den Fabriken und auf den Märkten Großbritanniens und der Vereinigten Staaten bereits erhebliche Fortschritte gemacht hatte,8Der Mai 1937 war ein Meilenstein für das britische Fernsehen, da es zum ersten Mal auf breiter Basis sendete: Die Krönungszeremonie König Georgs VI. wurde übertragen, und im Großraum London wurden rund 9.000 Geräte verkauft. In den Vereinigten Staaten hatte der Verkauf bereits in den späten 1920er Jahren begonnen. in Deutschland nur langsam vorankam und die Möglichkeit eines Massenabsatzes von Fernsehgeräten auf dem deutschen Markt noch nicht absehbar war. Dies veranlasste die Verantwortlichen dazu, alternative Einsatzstrategien zu finden. So wurde kurz vor den Olympischen Spielen das Fernsehen der deutschen Öffentlichkeit durch speziell konzipierte große Zuschauerräume vorgestellt, von denen zunächst sieben in Berlin eröffnet wurden, in denen den Zuschauern die Möglichkeit geboten werden sollte, das Sportfest in einem öffentlichen Raum zu genießen und zugleich die neue Technik zu bewundern (Deutsches Fernsehmuseum professionell, 2021). Die Zuschauerräume waren mit mehreren Fernsehern mit einer Bildschirmgröße von 19×25 cm ausgestattet und boten Platz für 30 bis 40 Personen. Die endgültige Entscheidung der Organisatoren bestand darin, 28 solcher Säle und zwei Theater in Berlin mit einer Kapazität von 100 bzw. 300 Zuschauern zu schaffen. Bis zum Ende der Spiele verbrachten schätzungsweise über 150.000 Zuschauer mehrere Stunden vor den Bildschirmen dieses technischen Wunders in den Zuschauerräumen der deutschen Hauptstadt (Scott, 2021).
Es sollte jedoch betont werden, dass im Gegensatz zu den systematischen Verbindungen zwischen den modernen Spielen in Berlin und den antiken griechischen Spielen in Olympia in Riefenstahls Dokumentarfilm die Fernsehberichterstattung zu den Spielen eher informativen als propagandistischen Charakter hatte, so dass keine systematische Förderung von Elementen der antiken griechischen Kultur stattfand. Wir dürfen nicht vergessen, dass das Fernsehen noch ein technologisch schwaches Medium war, dessen Regisseure und Techniker nicht über das nötige Know-how und die Erfahrung für komplexere Ansätze verfügten.
Die ikonischen Druckerzeugnisse
Die bekannteste Form der visuellen Kommunikation, lange vor dem Erscheinen von Fernsehen und Kino, hatte ihren Ursprung in der Grafik, die oftmals mit Werken hoher künstlerischer Qualität die Möglichkeit der Informationsvisualisierung bot (Ambrose, Harris und Ball, 2016, 8). Zeitungen, Zeitschriften, Fotografien, Postkarten und Plakate stellten in Deutschland eine einzigartige Gelegenheit dar, die Ideologie des NS-Regimes zu verbreiten.
Unter welchen Bedingungen aber wirkten die Druckerzeugnisse zugunsten dieser neuen politischen Ideologie, die sich mit dem sportlichen Ideal und schließlich der altgriechischen Kultur zu verflechten begann? Wie viel eher und eventuell wie viel drastischer begannen sie, die Bildung des nationalen und sozialen Bewusstseins der deutschen Bevölkerung zu beeinflussen, und unter welchen Bedingungen? Fakt ist, dass die nationalsozialistische Regierung weder je direkt gebeten wurde, die Olympischen Spiele 1936 zu organisieren, noch diese selbst dies angestrebt hatte. Das Olympische Komitee hatte bereits 1931 der Weimarer Republik die Rechte an den Spielen übertragen, die durch einen historischen Zufall in die Hände der Nationalsozialisten fielen und entsprechend genutzt wurden. Wie Rodden und Rossi (2016) darlegen, äußerte Hitler selbst Einwände gegen die Spiele, da er zunächst ihren Propagandawert nicht erkannte, im Gegensatz zu Joseph Goebbels. So nahmen Goebbels und sein Stab lange vor der Durchführung der Spiele viele der damaligen Publikationen in Beschlag und erzwangen ausführliche Verweise und Würdigungen der Olympischen Spiele, mit besonderem Fokus auf dem Wert der antiken griechischen Kultur (Rodden & Rossi, 2016).
Im Vorfeld der Spiele präsentierte die gesamte deutsche Presse mittels glühender Verweise auf Geist und Schönheit der Antike die neue politische Linie des Landes, die auf der nationalen Größe, der Reinheit der „arischen Rasse“, aber auch auf der Abwertung aller, die dieser nicht angehörten, beruhte. Populäre Publikationen wie Die Woche und die Berliner Illustrierte Zeitung überschwemmten bis 1936 den deutschen Markt mit Titelseiten, die Fotografien klassischer Skulpturen harmonisch mit Elementen der neuen deutschen Kultur montierten, männliche blonde Athleten neben antiken griechischen Skulpturen und „arische“ Frauen mit stolzem und überlegenem Blick, die den Siegern der Spiele Lorbeerkränze überreichten. Gleichzeitig ergänzten vor allem in den Zeitungen Postkarten, Fotografien historischer Regionen des antiken Griechenland sowie Karikaturen, die den Bezug der Olympischen Spiele in Berlin zur griechischen Antike schufen, , die Visualisierung der Propagandapolitik mit ihrer eigenen Perspektive.
Die emblematischste Form der Grafik und damit der visuellen Kommunikation dieser Zeit stellten jedoch die Plakate dar: Bereits seit den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts aus einer Kombination von Kunst, Fertigkeit, Information und hoher Ästhetik bestehend, fanden sie großen Anklang bei der breiten Öffentlichkeit. Indem er das Potenzial dieses Mediums erkannte, beschloss Goebbels’ Stab es auf möglichst produktive Art zu nutzen, weshalb es bereits früh in die Propagandakampagne der Olympischen Spiele in Berlin eingebunden wurde. Schon 1934 schrieb das Komitee für Öffentlichkeitsarbeit der Elften Olympischen Spiele einen Wettbewerb für die Gestaltung eines offiziellen Plakats der Spiele aus, an dem nur deutsche Zeichner teilnehmen konnten. Von den 49 eingeschriebenen Zeichnern reichten schließlich 44 ihre Entwürfe ein, die 59 verschiedene Arten von Plakaten umfassten. Der erste Preis ging an Willy Petzold, dessen Arbeit deutliche Hinweise auf die Beziehung der Spiele und dem Griechenland der Antike enthielt: Sie zeigte einen antiken Bronzekopf mit Siegeskranz, jedoch ohne direkten Bezug der modernen Realität auf die altgriechische Kultur. Vielleicht aus diesem Grund wurde es als unzureichend angesehen, schließlich das offizielle Plakat der Spiele zu werden.
Das Komitee für Öffentlichkeitsarbeit, das für die Werbung für die Spiele zuständig war, beauftragte bestimmte Zeichner und Künstler und übernahm damit aktiv die Verantwortung für die Auswahl eines offiziellen Plakats. Unter den eingereichten Ideen wurde schließlich die des Berliner Malers und Grafikers Franz Würbel ausgewählt. Seine Idee erwies sich als kluge Umsetzung von Goebbels’ Vorstellungen, da sie das Brandenburger Tor als Wahrzeichen der Gastgeberstadt Berlin auf beeindruckende Weise darstellte und dahinter die Figur eines lorbeerbekränzten Athleten mit deutlichen Merkmalen der „arischen Rasse“, der einer altgriechischen Statue aus Gold glich, dem Metall, das symbolisch für die Sieger der olympischen Disziplinen steht. Die charakteristischen fünf Kreise der Spiele in den klassischen Farben Blau, Gelb, Grün, Schwarz und Rot wurden hinter dem Kopf des Athleten platziert, während der Schriftzug „Berlin 1936, Olympische Spiele, 1.-16. August“ die erste Ebene des Plakats als integraler Bestandteil des Brandenburger Tors dominierte.
Plakate ähnlichen Stils in verschiedenen Größen und Qualitäten waren zu diesem Zeitpunkt bereits in Berlin aufgetaucht. Zusammen mit anderen Druckerzeugnissen stellten sie das vorherrschende Mittel der Visualisierung der neuen ästhetischen, kulturellen und politischen Ideologie Deutschlands dar und besaßen katalytische Wirkung auf die Bildung des kollektiven Bewusstseins der deutschen Bevölkerung, insbesondere in der Stadt Berlin, die bald zum Mittelpunkt der turbulenten globalen Entwicklungen werden sollte.
Fazit
Der deutsche Philhellenismus und die antike Architektur und Kunst wurden in beiden untersuchten Epochen mit den ideologischen Ambitionen der jeweiligen Politik verbunden. Während der ottonischen Periode in Griechenland wurden durch die Ruinenmalerei Versuche unternommen, die antike glorreiche Vergangenheit mit der modernen Realität des Landes, die der bayerische Monarch anhand dieses Vorbilds umzugestalten übernommen hatte, interpretativ miteinander zu verbinden. Im Wesentlichen waren die Darstellungen antiker Denkmäler durch Ottos Begleiter Visualisierungen der Aspekte, die der deutsche Philhellenismus angenommen hatte und die einerseits den politischen und neuhumanistischen Absichten Ottos und Ludwigs, andererseits den Forderungen nach der Konstituierung der nationalen Identität der Griechen dienten. Die Prinzipien der klassischen Kunst wurden nicht isoliert, um die Werte der deutschen Nation zu symbolisieren, sondern dienten vielmehr als künstlerische und architektonische Elemente einer glorreichen, für die Entwicklungen des modernen Griechenland (und indirekt Deutschlands) mustergebenden Epoche. Es besteht also ein deutlicher Unterschied in der Behandlung der antiken Denkmäler zwischen der ottonischen Herrschaft und dem NS-Regime, da die Deutschen zur Zeit König Ottos diese eher als Zeugnisse der antiken griechischen Kultur betrachteten, als deren geistige Nachfolger sie sich neben den vermeintlichen biologischen Nachfolgern der antiken Griechen ansahen. Es ist kein Zufall, dass in den meisten zeitgenössischen Ruinenmalereien die Präsenz der modernen Griechen sehr deutlich ist. Demgegenüber sah die NS-Regierung in der antiken Welt die klassischen Werte der Ordnung, der Ausgewogenheit, der Wiederholung, der Strenge und der Gleichförmigkeit, die ästhetische Elemente ihrer eigenen Ideologie widerspiegelten. Die Nationalsozialisten wollten als Nachfolger der verehrten griechisch-römischen Zivilisation auftreten, ohne sich allerdings für deren Verbindung mit dem modernen Griechenland zu interessieren. So verwandelte sich die antike Kunst in ihren Händen in ein Symbol, das auf „Rassenreinheit“, Militärdisziplin, autokratische Ordnung und soziale Einheitlichkeit verwies. Deren Darstellung war rein propagandistischer Natur, und in diesem Zusammenhang wurde sie der breiten Öffentlichkeit über alle kulturellen Medien der damaligen Zeit nahegebracht, von den weitverbreiteten Bildmedien des Plakats und der Postkarte bis hin zu den komplexeren neuen Medien des Kinos und des Fernsehens.