„Miteinander reden!“: Griechische Künstler in West-Berlin zur Zeit der Spaltung im Kalten Krieg

  • Veröffentlicht 30.05.23

Wie positionierten sich griechische Künstler in West-Berlin angesichts der damaligen deutschen Problematik vor allem auf politischem und gesellschaftlichem Gebiet? Wie beeinflussten diese Rahmenbedingungen ihre Arbeit bzw. schlugen sich die Teilung Berlins und die Errichtung der Mauer thematisch in ihrem Schaffen nieder, und zwar zu einer Zeit, in der sie die krisenhaften Folgen der historischen Vergangenheit von ganz anderer Warte als ihre deutschen Künstlerkollegen miterlebten?

Inhalt

    Griechische Künstler mit der Mauer konfrontiert

    In den Jahren des Kalten Kriegs stand das geteilte Berlin im Brennpunkt weltweiter Aufmerksamkeit, zumal es seit Beginn der deutschen Teilung nicht zur Bundesrepublik Deutschland gehörte, sondern isoliert im sowjetisch kontrollierten Herrschaftsbereich der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) lag. In dieser Periode etablierten sich im Schatten der Westberliner Mauer diverse politische Bewegungen, vor allem die 68er Studentenbewegung. Kultureller und politischer Nonkonformismus und abweichende Lebensentwürfe standen für Freiheit des Denkens und politischen Dialog auf alternativer Ebene, es kam zur Gründung experimenteller Künstlerateliers, den gesamten Aufbruch kennzeichnete die Forderung nach Infragestellung, Umbruch und gesellschaftlichem Wandel. Die politische Szenerie der Bundesrepublik mit ihren dynamischen, von Künstlern mitgetragenen Studentenbewegungen der 60er und 70er Jahre trugen dazu bei, dass sich Westberlin auf unerwartete, atypische Weise zur Hauptstadt des Protests und uneingeschränkten künstlerischen Ausdrucks wandelte. Das damalige Berlin durchlebte eine tiefgreifende gesellschaftliche und politische Krise. Das spiegelte sich nicht nur im System seiner ideologischen und sozioökonomischen Koordinaten, im Hang, sich zu Bewegungen zu formieren, und im rebellischen Charakter seiner Gewerkschaften und Universitäten (der Stadt wie der BRD) wider, sondern zugleich darin, dass es zur Heranbildung radikaler Künstlervereinigungen und eines kulturellen Handelns kam, die beide zum Entstehen einer neuen deutschen künstlerischen Identität beitrugen. Laut Alan Barnett (1984, 42) handelte es sich um „eine Art von Aktivismus, der 1967 als Antwort auf die damalige, alles dominierende politische Situation aufkam, welche sich schließlich in Formen künstlerischen Ausdrucks niederschlug“ – neben ihrer Kritik am Establishment, am Konsumdenken und an der Merkantilisierung der Kunst zielte sie auch auf die Brandmarkung staatlicher Gewalt, Ablehnung traditioneller Rollenbilder und traditionellen künstlerischen Handelns ab und erweiterte damit das konventionelle Konzept von Kunst. Die Meinungsfreiheit in Berlin, seine Geschichte, Kultur und Vielgestaltigkeit zeitigten samt der Heterogenität seiner Einwohnerschaft die Entwicklung einer spezifischen Kunstszene und machten die Stadt zur Kunstmetropole. Günter Brus, einer der wichtigsten Parteigänger der Wiener Aktionisten, beschrieb 1968 Westberlin als „willkommenen Ort“, an dem die Kunstszene größtmögliche Ausdrucksfreiheit genieße und an dem jeder einmal gewesen sein sollte (Veitscheggerm, 2016, 3).

    In dieser Atmosphäre stehen künstlerisches Handeln und gesellschaftspolitische Realität in Dialog miteinander, die Kunst rückt der Gesellschaft näher, nimmt den Charakter politischen und sozialen Protests an, und die Künstlerschaft leistet wesentliche Beiträge zur Entwicklung der Protestbewegung. Parallel dazu lässt sich ein wichtiger Wandel der künstlerisch genutzten Ausdrucksmittel beobachten, unter denen u.a. realistische Tendenzen wie solche der Gruppe, die sich für Kritischen und Kapitalistischen Realismus engagierte, auf sich aufmerksam machten.

    Zur Zeit des Kalten Krieges, und hier besonders in den 60er und 70er Jahren zogen griechische Künstler, hauptsächlich mit Stipendienunterstützung des DAAD bzw. gefördert von [dem überwiegend in Deutschland tätigen Kunsthistoriker] Christos Joachimides nach Westberlin, das sich weiter zur Kunstmetropole gewandelt hatte. Hier sahen sie sich mit der Teilung und der gesellschaftlichen wie politischen Krise konfrontiert, in die die deutsche Stadt geraten war (Merritt, 02.1973; Merritt, 1972, 331; Tusa, 04.1994, 346). Die Künstler reagierten darauf, indem sie alles daransetzten, die Mauer als eine der rabiatesten politischen Demonstrationen weltweit hinzustellen und mit ihrer Kunst gegen deren Existenz und ihre Auswirkungen auf das alltägliche Leben Protest zu erheben (Gray, 10.1985, 41). Was die griechischen Künstler betraf, so ließen sich einige wie Konstantinos Xenakis und Jannis Psychopedis schon während ihrer Übersiedlung nach Westberlin direkt an der Mauer fotografieren, um damit ein Zeichen für ihre zukünftige Haltung in dieser Frage zu setzen. Die Berliner Mauer wurde ja auch sonst unablässig von Fotoreportern genutzt, um auf der ganzen Welt Mitgefühl auszulösen. Mit fast jedem [westlichen] Politiker, der sich damals dort fotografieren ließ, unter ihnen Richard Nixon, George Bush, Helmut Kohl und Willy Brandt wurde so verfahren. Sie und andere verdeutlichten damit, oft auch in Reden, ihre Haltung zur Teilung der Stadt, so beispielsweise Ronald Reagan mit seinem „Mr Gorbachev tear down this wall“ und Martin Luther King mit seinem „It symbolizes the divisions of mankind“. Entsprechend ließen sich auch Künstler vor der Mauer ablichten, um – wie etwa Keith Haring und die Künstlervereinigung Der weiße Strich – auf ihre Tätigkeit und ihr Werk aufmerksam zu machen.

    Der „Abriss“ der Mauer durch Konstantinos Xenakis

    Zurück zu den griechischen Künstlern (wir bleiben zunächst beim Fall Xenakis): Schon an seinen Fotografien neben, vor und über der Mauer sehen wir, dass er die Problematik der Teilung auf sarkastische Weise angeht. In Parallele zur Aufschrift auf der direkt an der Mauer aufgestellten Tafel „Miteinander reden“ wird manifest, dass ihn besonders der Fragenbereich Kommunikation beschäftigen sollte. In der Tat wird für uns an Xenakis’ Schaffen bald das Bemühen sichtbar, die Fragen ‚Teilung‘ und ‚Kommunikation‘ mit satirischer Ironie und einigem Humor aufzugreifen, also mit Mitteln, die – anzutreffen auch bei anderen derartigen Aktionen in Westberlin – zur Grundausrüstung des Dadaimus und der Fluxus-Bewegung zählten. Bezeichnendes Beispiel dafür ist Alan Kaprow’s Happening „Sweet Wall“ – eine Installation aus Hohlblocksteinen, frischem Brot und Erdbeermarmelade. Deren Süße bedachte die bitter stimmende Straßensperre aus Beton und ebenso das Happening mit einer Dosis Ironie, wobei der Einsturz der kleinen Mauer Kaprow die Sicherheit verlieh, dass „ob früher oder später, bitter oder süß, alle Mauern einmal einstürzen würden“ (Meyer-Hermann/Perchuk/Rosenthal, 2008, 220-221).

    Bei seinem Bemühen, das menschliche Unvermögen zur Kommunikation und dessen Konsequenzen für das alltägliche Leben aufzuhellen, bediente sich auch Xenakis bei einer Reihe seiner in Berlin realisierten Werke bzw. Aktionen ironischer Elemente. So nutzte er Zeichen und Symbole zur Erstellung einer allgemeinverständlichen Sprache, um die von ihm beobachtete kommunikative Kluft zu überbrücken und die tiefe ideologische Krise der Gesellschaft zu geißeln. In den betreffenden Werken wird das kommunikative Problem in ein spielerisches Dispositiv eingebunden, das ja auch zu den Elementen der Fluxus-Bewegung zählt und schlussendlich vom Künstler dazu eingesetzt wird, Kommunikation zwischen ihm und dem Betrachter herzustellen. Ein Beispiel dafür sind die Collagen, die er 1971 in einer Einzelausstellung der Westberliner Galerie des 20. Jahrhunderts präsentierte. Diese Reihe besteht hauptsächlich aus Postkarten mit Ansichten von Berlin, Teilen der Mauer und Straßen des Stadtzentrums. Bei einigen Collagen benutzte er auch Spiegel, in denen sich Berliner Monumente widerspiegelten, oder amtliche Straßenkegel der Stadtverwaltung, die verboten, das Brandenburger Tor zu passieren, d.h.: in den Ostsektor Berlins zu fahren. Die Kunstkritikerin der Zeitung Die Welt, Dr. Lucie Schauer, stellte dazu in den Vordergrund:

    Xenakis’ Kunst neigt häufig zu politischer Intervention. So wächst auch seiner Aufstellung von Verkehrszeichen in der Nähe des Brandenburger Tors, die es wie ein einziges großes STOP umringen, ein fast politischer Sinngehalt zu. Die Mauer könne man letztendlich, so Xenakis, mit Hilfe eines Spiegels verschwinden lassen. Ob realisierbar oder nicht: derartige Ideen kursieren heutzutage allenthalben und lösen großen Widerhall aus.1Szene Berlin Mai ‚72, Exhibition catalogue, Württembergischer Kunstverein, Stuttgart, Deutschland, 1972. Vgl. Lucie Schauer. „Kunst mit dem Hang zu politischer Mahnung“. Ausstellung Constantin Xenakis, Die Welt, 07.01.1971.

    Roland Goeschl (auch er DAAD-Stipendiat) kommentierte gleich Xenakis den von ihm in Berlin beobachteten Alltag und ging daran, in seinen farbigen Konzepten das Bild der Stadt neu erstehen zu lassen. Xenakis verwendete über Fotografien geklebtes transparentes Material, auf dem die Mauer, die Gegend um den Kurfürstendamm und die Siegesallee zu sehen waren, oder auch weiße Kegel, die er im West- und Ostsektor aufstellte. So baute er quasi die Mauer wieder ab und ermöglichte es dem Publikum, sie zu durchqueren – nicht ohne gleichzeitigen Hinweis auf die Notwendigkeit beidseitiger Kommunikation. Er bemühte sich, überall in Berlin seine Kegelformationen aufzustellen: als abweichend verwendete Alltagssymbole sollten sie zu menschlicher Kommunikation ermuntern, und zwar im Gegensatz zu ihrer üblichen Funktion als öffentliche Verkehrszeichen, die sonst – wie der Künstler selbst geltend macht – dem Betrachter ihren Willen diktieren und im Endeffekt sein Denken so bestimmen, dass er sich ihrem Automatismus nur unterwerfen kann. Auf seiner Fotomontage „Therapieweg“ kritisierte er die gesellschaftliche Unterdrückung und Untätigkeit der Stadtbewohner, kommentierte satirisch die politische Situation und verglich sie mit der Wirkung von Analgetika, die verschiedene Formen des Schmerzes dämpfen bzw. Reflexe des leidenden Organismus unterdrücken. Er kombinierte Bild und Geschriebenes, indem er Straßennamen gegen Reklametexte oder Namen für Medikamente wie beispielweise Rhinopront austauschte. Auf letzteres nahm er wie folgt Bezug: “Politik. Letzte Entwicklungen: Das Rhinopront macht sich bemerkbar! Mein Arzt ist krank, er ist verrückt“, um auf diese Weise die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu erregen. Mit seinen Symbolismen zielte Xenakis auf den Abriss und die Beseitigung der Mauer ab – und dies unter aktiver Beteiligung der Öffentlichkeit. Das lässt sich auch an den Aktionen ablesen, die er in Westberlin realisierte 2Eigenhändiger Text des Künstlers über seine künstlerische Arbeit, α/α 18, Dossier Nr. 712 „Xenakis Constantinos“, Spiteris-Archiv, Teloglion Fine Arts Foundation, Aristoteles-Universität Thessaloniki. So sah sich z.B. der Betrachter bei seiner Aktion „Problem“ dazu aufgerufen, beim Verschieben bunter Kegel vor Ort die Spielregeln selbst herauszubekommen, die der Künstler erdacht hatte. Damit gab der Betrachter seine Passivität auf: er (re)agierte direkt und brachte damit Interaktion und Kommunikation zwischen dem Künstler selbst und den Bürgern der geteilten Stadt zum Gelingen.

    Das fotografische Schaffen von Alexis Akrithakis

    Mit solchen kommunikativen Codes beschäftigte sich während seiner langjährigen Westberlin-Aufenthalte auch Alexis Akrithakis. Schon seit seinen ersten Jahren dort ließ sich an seinem Schaffen ein Wandel beobachten, insbesondere als ihm im historischen Bendler-Block der Deutschen Wehrmacht in der Stauffenberg-Straße ein Atelier zur Verfügung gestellt wurde. Das nah an der Mauer gelegene Gebäude ähnelte einem Gefängnis, von dem aus die Wachen und der Stacheldraht Ostberlins zu sehen waren; kurz daneben dann der zum Flusssystem der Spree gehörige Landwehrkanal, auf dem mit Kohle beladene Frachtschiffe vorbeizogen. In seinem malerischen Werk ging Akrithakis die Wirklichkeit konfrontativ an und entwarf Grenzzonen, welche betreten oder sogar zu Verkehrszeichen werden konnten, die in ständiger Bewegung auf unterschiedliche Wegstrecken verwiesen. Er kreierte also persönliche Zeichensysteme und graphisch-malerische Räume, in denen sich Elemente der realen und einer phantastischen Welt miteinander verbanden. In diesen Arbeiten korrespondiert seine charakteristische spiralförmige Schrift mit Symbolen aus der realen Welt wie Pfeilen, Sonnen, Rädern und Koffern in knalligen, schwarzumrandeten Plakatfarben. Wie andere damalige Künstler in Berlin stellt auch Akrithakis diese Symbole in den Dienst seiner Traumvorstellungen. Auf ähnliche Weise, hie und da auch mit ähnlichen Symbolen (etwa Vögeln) träumt z.B. Jonathan Borofsky wie Akrithakis. Ebenso verbindet er Bild und Text in der Serie „Träume“, vor allem aber in seiner Arbeit „Berliner Traum“ („I had a dream when I was living in West Berlin – near the wall…“) oder in seinem „Brief aus Berlin.“ Im Gegensatz zu Xenakis kommt Akrithakis’ Interesse an der Berliner Mauer und deren Ausweglosigkeit weniger in seinem malerischen Schaffen und den von ihm verwendeten Symbolen als in den Fotografien zum Tragen, die er zwischen 1967 und 1971 herstellte. In ihnen fing er Momente des alltäglichen Lebens – oder eher: dessen Abwesenheit inmitten einer Unzahl von Türen, Fenstern, Wänden Westberlins, aber auch aus Griechenland ein. Auf den Bildern sind alte, verlassene Häuser, mit Holzbrettern oder Beton abgedichtete, obendrein mit Drahtverhauen und Gittern verschlossene Eingänge zu sehen, dazu Öffnungen, die einstmals Eingänge waren, Fenster von Häusern und Läden an der Grenze, die meist gen Westen geöffnet waren und nun des Mauerbaus wegen leerstanden, um jede Kommunikation zwischen Ost- und Westberlin zu unterbinden.

    Akrithakis fotografierte auch Hinweisschilder, die am Ende des Kontrollbereichs eines jeden Westberliner Sektors standen und darauf hinwiesen, dass es hier kein Weiterkommen gab, z.B. das Schild mit der Aufschrift „Ende des französischen Sektors“ oder das Schild von der Bernauer Straße, an der die Mauer entlanglief. Einige von diesen Fotografien hat er in sein schmales Bändchen „Akrithakis & Berlin 1978“ aufgenommen. Zusammengefasst lässt sich also einerseits sein Interesse an Fotografien rund um die Mauer beobachten, andererseits wird, ähnlich wie in seinem malerischen Schaffen, das Moment der Ausweglosigkeit, des Eingesperrtseins und der Unmöglichkeit sich frei zu bewegen manifest. Jeorjios Makris geht auf Akrithakis’ Interesse mit folgender Bemerkung ein: „In Berlin war er als Flaneur unterwegs, es gefiel ihm, in der Nähe der Mauer Rundgänge zu unternehmen, manchmal auch, dort mit dem Auto unterwegs zu sein. Er hielt sich über das Geschehen in Berlin auf dem laufenden“ (Rigoutsou, Zeitung Kathimerini, 01.06.2003). Somit fungierte für Akrithakis die Fotografie nicht nur als allgemeine Arbeitstechnik, sondern dokumentierte vielleicht auch Augenzeugenschaft.

    Die symbolische Verwendung von Beton im Schaffen von Kostas Tsoklis

    Parallel dazu beschäftigte sich auch Kostas Tsoklis, der sich als DAAD-Stipendiat in Westberlin aufhielt, mit dem Kommunikationsproblem und der Errichtung der Mauer. Im Gegensatz zu den übrigen griechischen Künstlern in Westberlin beschränkte er sich nicht auf die zweidimensionale Flächigkeit der Malerei, sondern schuf unter Verwendung organischen und anorganischen Materials großdimensionierte Werkformate. Er experimentierte mit verschiedenen Materialien wie Zement, Stein und Eisen und betonte deren metaphorische Verwendung, indem er den Einfluss andeutete, den die Berliner Mauer auf ihn ausübte. In seiner Arbeit „Säulen“ setzte er unbearbeiteten Beton ein, um daraus wuchtige, eintönig rechtwinklige Formschemata mit monochrom rauhen Oberflächen und markanter Linearität zu erstellen, und brachte durch die Verwendung dieses harten und distanzierenden Materials Zement bei gleichzeitiger Abwesenheit intensiver Farb- oder wenigstens differenzierender Grautöne seine heftigen Emotionen über die aktuelle Situation und die in ihr eingesperrten Menschen zum Ausdruck.

    Auch in anderen Werken benutzte Tsoklis Zement, so in der Installation „Drei Schaufeln“, die auf einer quadratischen Zementbasis drei in hartgewordenem Zementstaub steckende, einsatzbereite Schaufeln zeigt. Auch hier ist die Bezugnahme auf Pressefotos vom Bau der Berliner Mauer und der Einfluss, den die ‚ready mades‘ der Dadaisten, insbesondere die „Schneeschaufel“ von Marcel Duchamp auf Tsoklis hatten, ganz offensichtlich. Zement war übrigens auch zum grundlegenden Element im Werk anderer in Berlin etablierter Künstler geworden. Unter ihnen beschäftigte sich Wolf Vostell in den Jahren 1969-1973 fast ausschließlich mit Beton, der zum eigentlichen Baumaterial seines künstlerischen Schaffens geworden war, welches sich auf die Berliner Mauer, darüber hinaus aber auch auf den Städtebau der Nachkriegszeit und den Wiederaufbau Deutschlands bezog. Das zeigt, dass Tsoklis wie Vostell bestrebt waren, die Realität selbst in ihr Schaffen zu integrieren, ein Umstand, der Tsoklis zur Verlagerung von der Malerei in die Dreidimensionalität führen sollte.

    „Der Brief, der nie ankam“ und Jannis Psychopedis

    Parallel zu seinem bildnerischen Werk lässt uns Jannis Psychopedis auch in einer Reihe von Texten über seine Kunst an seiner Gedankenwelt über das geteilte Berlin teilhaben (Psychopedis, 2009). In diesen Texten beschreibt er uns Erlebnisse von seinen ersten Besuchen in der Stadt, als er noch Student an der Akademie der Schönen Künste in München war:

    Unsere Einfahrt in die Stadt war quasi schon vor der eigentlichen Ankunft zuende. Bei den dauernden Kontrollen konnte man den Zug nicht klar erkennen, der im elektrischen Blau der Morgenfrühe langsam all die zusätzlichen Hindernisse der Berliner Mauer durchquerte, welche die einen bewachte, die anderen beschützte – wer war drinnen, wer draußen? Kilometer um Kilometer zerschnitten Zement und Draht undurchdringlich die Stadt – wie eine gutbewachte Strafanstalt, unter deren eingeschlossenen Insassen einige das Recht auf Ausgang unter der Bedingung hatten, dass sie abends wieder zurückkehrten. […] Das war die Szenerie der Stadt, deren Wege, Flüsse und Seen, so idyllisch sie auch aussahen, im wörtlichen wie übertragenen Sinn des Wortes von elektrischem Draht und Betonmauern zerschnitten wurden, die Familien, Generationen und Seelen zerteilten. (Ebd., 297-299).

    Diese ersten Eindrücke des griechischen Künstlers lassen unschwer erkennen, wie es ihn drängte, mit anderen Eindrücke von der geteilten Stadt zu teilen, ihre Problematik anzusprechen und dazu Kritik an der Mauer zu üben. In seine Serie „Der Brief, der nicht ankam“ gliedert Psychopedis Bilder von Westberlin, aber auch aus Griechenland ein und schneidet dabei auch die Kommunikations-Thematik an (Psychopedis, 2001). Die Serie besteht aus übermalten Collagen auf Karton mit allerlei darauf gehefteten Gegenständen wie Stricken, Haar, Tüten und Beuteln (Ohff, 1995, 7-11). Auf einer dieser Arbeiten ist ein Stück kartonbedeckter Berlinplan auszumachen: nur ein schmaler Streifen davon ist frei geblieben, auf den ein paar Fetzen eines Papierdokuments geklebt sind (Dückers, 1995). Auch eine Ansichtskarte mit der Abbildung einer Apollofigur vom Zeustempel in Olympia ist zu erkennen, über die, von durchsichtiger Folie überdeckt, Zigarettenstummel verstreut liegen.

    Der Serie lag Anfang der 70er Jahre die Idee einer phantastischen Korrespondenz zugrunde, sie war aber auch von einem realen persönlichen Erlebnis inspiriert. Während des Deutschlandaufenthaltes des Künstlers händigte ihm der Postbote einen zerrissenen Umschlag eines Briefes aus, den man ihm aus Griechenland geschickt hatte. Der Brief darin fehlte, als einzige Informationen waren, mit Filzstift geschrieben, nur Name und Adresse des Empfängers zu erkennen. Als Psychopedis sich 1977 permanent in Westberlin niedergelassen hatte, begann er die Überreste der Korrespondenz zu bearbeiten und eine Collage aus beschädigten Gegenständen zu kreieren, die keinen wesentlichen Bezug zueinander aufwiesen und auf diese Weise jeglichen Verlust an Kommunikation signalisierten. Zugleich lösten diese Gegenstände im Künstler Assoziationen zu Berlin und Athen aus, die ihn auf persönliche Erfahrungen, aber auch auf das geteilte Berlin und – wie er selbst anmerkt – „das zertrennte Europa“ verwiesen. Das auslösende Moment für die Entstehung dieser Serie gibt in der Tat Einblick in all das, was der Künstler bis dahin erlebt hatte, d.h. in den Komplex aus griechischen Erfahrungen, die er in sich trug, wie dem, womit er sich tagtäglich konfrontiert sah:

    dem deutschen Rationalismus und der Wahrnehmung einer Gesellschaft, die nach konventionellen Regeln funktionieren solle, dazu einer Kluft zwischen unterschiedlichen Ebenen gesellschaftlicher Lebensform […] Ich kam ja eigentlich aus dem Griechenland der Militärdiktatur und erlebte nun, als ich mich in München befand, genau dies: nicht direkt eine Spaltung, aber doch eine Distanz zwischen verschiedenen Ebenen und Formen gesellschaftlichen Lebens, gesellschaftlicher Erfahrung und Kultur. Ich trug die ganze griechische Erfahrungslast in mir und erlebte dabei gleichzeitig den deutschen Rationalismus und eine Wahrnehmung der Gesellschaft, die nach konventionellen Regeln funktionieren sollte. […] In meinem Bewusstsein ergab sich daraus ein innerer Zwiespalt. Das geteilte Berlin, die Mauer, der Osten, der Westen, all das schlug sich bildlich in meinem Schaffen nieder. Und so umschloss diese Geschichte mit dem “Brief, der nicht ankam„ all diese Elemente, die mit den Händen greifbarer Alltagswirklichkeit zu tun hatten.3Ausschnitt aus einem persönlichen Interview mit Jannis Psychopedis in seinem Atelier. Athen, 16.03.2018.

    Das Berlin des Kalten Krieges in dystopischer Interpretation

    Eine Kombination aus phantastischen und realen Elementen, die auf die Berliner Mauer anspielten, verwendete für ihre Projekte auch die Künstlervereinigung OMA (Office for Metropolitan Architecture), zu der Rem Koolhaas, Ilias Zenghelis, 4Ilias Zenghelis studierte und lehrte an der Architectural Association in London. Er war in bis 1987 während der Zusammenarbeit mit Rem Koolhaas Gründungsmitglied der Künstlervereinigung OMA (Office for Metropolitan Architecture). Anschließend gründete er zusammen mit Eleni Gigante in Athen und Brüssel das Büro Gigantes-Zenghelis Architects. Er wirkte an der Akademie der Schönen Künste in Düsseldorf und hatte als Gastprofessor Lehraufträge an der Columbia University New York und der Princeton University, UCIA, an der Fakultät für Architektur der Universität Thessaliens in Volos, am EPFI in Lausanne, an der ETH Zürich, an der Architektur-Akademie in Mendrisio (CH, Accademia di Architettura) u.a.m. 2001 wurde er mit dem RIBA Annie Spink Award für seinen Beitrag zur Architektenausbildung ausgezeichnet. Madelon Vriesendorp und Zoe Zengheli zählten. Auf der Grundlage einer früheren Studie von Koolhaas unter dem Titel „The Berlin Wall as Architecture“5Koolhaas’ Studie „The Wall as Architecture“ entstand im Sommer 1971, als er im Rahmen seines Studiums an der Londoner Architectural Association Berlin besuchte, um die den Osten vom Westen trennende Mauer zu untersuchen. In dieser Studie fokussierte er den architektonischen Wesenskern der Mauer, was ihn an einem direkten Zusammenhang zwischen architektonischer Form und architektonischem Sinn zweifeln und zu dem Schluss gelangen ließ, Architektur bedeute eher Abtrennung und Ausschluss als Befreiung (Schrijver, June 2008, 238). Daraus resultierte Koolhaas’ erneute Beschäftigung mit der Mauer im Sinne eines entsprechenden städtebaulichen Gegenentwurfs (Gargiani, 2008,07). in der die Geschichte Berlins erzählt wurde, kreierte die Künstlervereinigung OMA die Arbeit „Exodus oder: Freiwillig Gefangene der Architektur“, bei der es darum ging, der „intensiv katastrophalen Gewalt“ einer Architektur Gesicht zu verleihen, wie sie die Mauer kennzeichnete (Koolhaas/Zenghelis, 06.1973, 42-45).6Der Wettbewerb wurde in der Zeitschrift Casabella Heft 357/Oktober 1971 veröffentlicht (Alessandro Mendini, „Editrice Casabella“, Casabella XXXV, 1971, No. 375, 1). Das Projekt von Zenghelis und Koolhaas wurde von der Jury ausgewählt („La città come ambiente significante. Relazione della giuria del concorso“, Casabella XXXVI, 1972, No. 372, 3). Nach der Veröffentlichung der No. 378 der Zeitschrift zählte der „Exodus“ zu den wichtigsten Werken der Avantgarde der 60er und 70er Jahre (Paola Navone & Bruno Orlandoni, „Architettura Radicale, Milan“, Casabella, 1974, 148, 166). Vgl. auch De Cauter/Heynen, 2005,263-276.

    In dieser Arbeit unterbreitete das Team OMA eine allegorisch-dystopische Interpretation Berlins zur Zeit des Kalten Kriegs, die eine örtlich und zeitlich unterschiedliche Welt, aber mit deutlichen Anspielungen auf die Gegenwart schildert. Das Werk beleuchtet die Auswirkung, die die Berliner Mauer auf die Bürger der Stadt hatte, und besteht aus 18 Planzeichnungen.7Die Zeit, in der „Exodus“ entstand, koinzidiert mit der provokantesten Tätigkeit der Mitglieder von Superstudio (1996-1971). In ihr entstanden Werke, die das vorwiegend konzeptive Corpus der Gruppe zur Sache, zum Bauwerk und zur Stadt ausmachen. Eine charakteristische Arbeit dieser Gruppe, die Ähnlichkeiten mit der Studie zur architektonischen Zeichenhaftigkeit von Zenghelis und Koolhaas aufweist, ist das Werk „Permanentes Denk- und Mahnmal“ (Maciocco, 2008, 71-72).

    Im „Exodus“ wird die Stadt mit zwei langen Mauern in zwei Teile getrennt, die „gute“ und die „böse“ Hälfte. Die Bewohner der „bösen Hälfte“ versuchen ständig, in die „gute Hälfte“ zu gelangen, während die Behörden, um die Fluktuation unter der Bevölkerung zu unterbinden und günstige Bedingungen für die in der Zone Ansässigen zu schaffen, Mauern errichteten, die die Zone vor jeglicher Veränderung durch den umliegenden Raum schützen sollte, der sie zu assimilieren drohte. Aus diesem Grund war es den „freiwillig Gefangenen“ nach Betreten „der ‚guten Zone‘ untersagt, mit den Leuten außerhalb der Zone zu kommunizieren, desgleichen, sich über die Massenmedien zu informieren. Nur innerhalb der Zone, die in elf rechteckige Bereiche wie z.B. der Park der Vier Elemente, der Platz der Künste, die Bäder und die Anteile aufgeteilt war, durfte man sich frei bewegen“.8Ausschnitt aus einem persönlichen Interview mit Ilias Zenghelis, Athen, 18.03.2016.

    Ohne dass sich daraus ein logischer Zusammenhang ergäbe, sind in all diesen Bereichen surrealistische Elemente aufgestellt. So ist es z.B. aufgrund der strengen Kontrolle in Privatbereichen der Zone wie Bädern und Wohnungen mit Gärten ausgeschlossen, überhaupt ein Privatleben zu führen. Innerhalb der Zone sind die „freiwillig Gefangenen“ überall äußerst strenger Kontrolle unterworfen, scheinen aber die Fesselung ihres Daseins zu genießen. In dieser Dystopie werden also neue Formen der Kontrolle aufgezeigt, dabei aber zugleich mit Mitteln der Phantasie, metaphorischer Klischees und symbolischer bzw. allegorischer Bilder beschrieben, wie eine vollständige Unterwerfung erzielt wird, ohne dass auf Zwangsmaßnahmen zurückgegriffen werden muss – im Gegenteil, alles lässt sich vermittels eines architektonischen Entwurfs erreichen. Zur Darstellung dieser Elemente zogen die Mitglieder des Teams OMA Ausdruckmittel und Verfahren aus dem Berliner Dadaismus wie Ironie und eine auf Collage basierende Mischtechnik heran, die sich an entsprechende Collagen und Montagen von Raoul Hausmann und Hannah Höch mit Fotografien der realen Welt anlehnten. Demgegenüber werden auf den Plänen des „Exodus“ Fotografien plaziert, die die direkte Wirklichkeit abbilden, wie etwa jene, die mit all ihrer Habe in Richtung Westen laufende Bewohner Ostberlins oder eine Tafel an der Bernauer Straße zeigt, an der die Berliner Mauer verlief, dazu Bilder von Gefangenen, die sich entkleidet hatten, um die Eingangskontrolle in die „gute Hälfte“ zu passieren, und damit auf die Kontrolle der Ein- und Ausreise von Ostberlinern nach und aus der Westhälfte Berlins verweisen. Auf anderen Entwürfen des „Exodus“ sind Fotocollagen plaziert, die die Berliner Mauer oder die Besichtigungsplattformen zeigen, die sich an verschiedenen Stellen Westberlins befanden, bzw. Fotografien einer amerikanischen Gefangenen-Band und von Luxusvillen mit Swimmingpool in Los Angeles. Das Foto der Band heranzuziehen, war höchstwahrscheinlich von der damaligen Musikszene in Großbritannien inspiriert, wo die Rockmusik der Beatles, der Rolling Stones, von Led Zeppelin, Pink Floyd u.a. aufgekommen war und sich durchgesetzt hatte. In den 70er Jahren war auch Westberlin ein Anziehungspunkt für Rock-Künstler wie David Bowie, Iggy Pop und Lou Reed (Pugh, 2008, 222).9Zeitweise charakterisierten Leute wie die „Rolling Stones“ Westberlin als „Zufluchtsort der Unangepassten“, der sich, besonders was Kreuzberg betrifft, rasch den Ruf eines charmanten Ambientes erwarb, wo man sich von allen konventionellen Werten verabschieden konnte (Pugh, 2010, 160). Allerdings, so Zenghelis, „stammt das Foto der Collage aus einer amerikanischen Zeitschrift und bildet eine Gefangenen-Band ab“.10Ausschnitt aus einem persönlichen Interview mit Ilias Zenghelis, Athen, 18.03.2016. Zenghelis und seine OMA-Mitarbeiter „transferieren“ das Gefängnisfoto aus Amerika in diese „Exodus“-Abbildung, weil trotz der Tatsache, dass sich die „freiwillig Gefangenen“ Westberlins aus freien Stücken in die neue Ordnung der Dinge mit ihrer „guten Hälfte“ hineingefunden hatten, der Plan der Zone ein Eingeschlossensein in einen bei der Anwendung der Disziplinarmaßnahmen privilegierten Gefängnisbereich beschreibt. Im „Exodus“-Text zitiert der Architekt wortwörtlich einen Eingeschlossenen, der behauptete, „ihm gefalle das Gefangensein, weil er hier seine Ruhe habe“. Auf diese Weise gerät ein fiktiver Bezug zu einer automatischen, vollständigen Unterordnung, ohne dass es nötig wurde, auf Zwangsmaßnahmen und Stacheldrahtzäune zurückzugreifen – im Gegenteil: es bedarf lediglich einer einfachen architektonischen Idee (Harvey, 1990, 379). Anderes Bildmaterial stammt aus Filmen wie Fritz Langs „Metropolis“, Robert Siodmaks „Escape from East Berlin“ und „The white slave“ von Rene Daalder, wie es auf den Bildern zu sehen ist, die in den Kabinen der „Badeanstalt“ angebracht sind und neben pornographischen Darstellungen offizielle Banketts präsentieren.

    Fazit

    Die griechischen Künstler Westberlins brachten das, was sie dachten und ihnen zu schaffen machte, nicht nur zum Ausdruck, wenn es um ihr eigenes, von der Diktatur betroffenes Land, sondern auch dann, wenn es um die deutsche aktuelle Gegenwart ging, obgleich sie mit dieser ja nur vorübergehend zu tun hatten. In das Alltagsleben der Stadt integriert, thematisierten sie in ihrem Schaffen die gesellschaftliche und politische Krise, in die das Berlin der Nachkriegszeit geraten war. Sie übten Kritik am System, erhoben auf verschiedene Weise Anklage gegen die Existenz der Mauer, die Teilung der Stadt und die aus ihr hervorgehenden Verwicklungen. Mit ihren Werken sprachen sie zugleich Begriffe wie das Freiheitsideal, das Eingeschlossensein und den Mangel an Kommunikation an. Parallel dazu verdeutlicht die unorthodoxe Art und Weise, die einzelnen Elemente in ihren Werken miteinander zu verknüpfen, dass die Künstler auch darauf abzielten, beim Betrachter kritisches Denken in Gang zu setzen. Sie betonten die Kritik und rebellische Grundhaltung ihres künstlerischen Artikulierens, wie sie in der Westberliner Kunstszene der 60er und 70er Jahre weitverbreitet war, und experimentierten dabei mit verschiedenerlei Ausdrucks- und neuen Kommunikationsformen zwischen kreativem Künstler und Rezipienten. So machten sie sich die Tendenz der Fluxusbewegung zu Infragestellung, Widerstand, Protest und die sarkastischen Fotomontagen des Berliner Dadaismus zu eigen. Zu alledem kombinierten sie verschiedene Kunstformen, d.h. häufig konnten in einem einzigen Werk Elemente aus Malerei, Plastik, Musik, Technologie, Fotografie und Film miteinander in Verbindung treten. Diese Tendenz lässt sich an den „Exodus“-Entwürfen beobachten, die von den Filmen „Metropolis“ und Ridley Scotts „Blade Runner“ inspiriert sind, aber auch an Psychopedis’ „Ein Brief, der nie ankam“ mit seinen Assoziationen an das gleichnamige Drama von Mikhail Kalatozov und schließlich an Filme von Wim Wenders wie „Alice in den Städten“, wo es, überwölbt von Destabilisierung und Entfremdung, zu einem Dauerdialog zwischen Vergangenheit und Gegenwart kommt.

    Zusammenfassung

    Dieser Essay schildert die Haltung während der 60er und 70er Jahre in Westberlin niedergelassener griechischer Künstler gegenüber der aktuellen deutschen Problematik, vor allem der politischen und gesellschaftlichen Teilung Berlins mitsamt der Errichtung der Mauer. Ihr zeitlich begrenzter Aufenthalt in Westberlin veranlasste diese Künstler, unter ihnen Alexis Akrithakis, Konstantinos Xenakis, Jannis Psychopedis und Kostas Tsoklis, zeitgemäß dominierende Perspektiven zu den Themen Teilung und fehlende Kommunikation mit dem Resultat beizubringen, ihr Schaffen mit der gesellschaftlichen, politischen und geschichtlichen Realität Berlins in Verbindung zu bringen. Die griechischen Künstler brachten aus ihrem Miterleben der gesellschaftlichen und politischen Situation der deutschen Nachkriegsstadt zum Ausdruck, was sie umtrieb, übten Kritik, erhoben Anklage gegen die Existenz der Mauer und thematisierten in ihren Werken die Teilung der Stadt. In den Werken der griechischen Künstler, die sich mit der Frage der Teilung befassen, lassen sich dabei rhetorische Kunstgriffe wie Allegorie, Fantastik und Widersinn ausmachen, entsprechend etwa an der dystopischen Idee des „Exodus“ der Künstlervereinigung OMA zu beobachten, bei der die Mauer zur Voraussetzung einer Freiheit wird, die darin besteht, sich selbst einzusperren. Die griechischen Künstler, und mit ihnen die Künstlervereinigung OMA brachten die Ideen einer fiktiven Freiheit, des Eingeschlossenseins und der Kommunikation zum Ausdruck. In ihrem Bemühen, an den Erfahrungen, den Erlebnissen, der Gefühlslage und ganz allgemein am Alltag der Berliner Bürger teilzunehmen, kreierten die griechischen Künstler Arbeiten und Kompositionen, die auf Alltagssymbolen, Fotografien, realistischen Collagen, Fotomontagen und organischen wie anorganischen Materialien aufbauten. Darin werden deutliche Anspielungen auf die Berliner Mauer, die Problematik mangelnder Kommunikation, des Eingeschlossenseins und der Ausweglosigkeit dargestellt. Dabei, so lässt sich feststellen, integrieren sich diese Künstler in die deutsche Kunstszene und schließen sich aktuellen künstlerischen Strömungen an.

    Übersetzung aus dem Griechischen: Joachim Winkler

    Einzelnachweise

    • 1
      Szene Berlin Mai ‚72, Exhibition catalogue, Württembergischer Kunstverein, Stuttgart, Deutschland, 1972. Vgl. Lucie Schauer. „Kunst mit dem Hang zu politischer Mahnung“. Ausstellung Constantin Xenakis, Die Welt, 07.01.1971.
    • 2
      Eigenhändiger Text des Künstlers über seine künstlerische Arbeit, α/α 18, Dossier Nr. 712 „Xenakis Constantinos“, Spiteris-Archiv, Teloglion Fine Arts Foundation, Aristoteles-Universität Thessaloniki.
    • 3
      Ausschnitt aus einem persönlichen Interview mit Jannis Psychopedis in seinem Atelier. Athen, 16.03.2018.
    • 4
      Ilias Zenghelis studierte und lehrte an der Architectural Association in London. Er war in bis 1987 während der Zusammenarbeit mit Rem Koolhaas Gründungsmitglied der Künstlervereinigung OMA (Office for Metropolitan Architecture). Anschließend gründete er zusammen mit Eleni Gigante in Athen und Brüssel das Büro Gigantes-Zenghelis Architects. Er wirkte an der Akademie der Schönen Künste in Düsseldorf und hatte als Gastprofessor Lehraufträge an der Columbia University New York und der Princeton University, UCIA, an der Fakultät für Architektur der Universität Thessaliens in Volos, am EPFI in Lausanne, an der ETH Zürich, an der Architektur-Akademie in Mendrisio (CH, Accademia di Architettura) u.a.m. 2001 wurde er mit dem RIBA Annie Spink Award für seinen Beitrag zur Architektenausbildung ausgezeichnet.
    • 5
      Koolhaas’ Studie „The Wall as Architecture“ entstand im Sommer 1971, als er im Rahmen seines Studiums an der Londoner Architectural Association Berlin besuchte, um die den Osten vom Westen trennende Mauer zu untersuchen. In dieser Studie fokussierte er den architektonischen Wesenskern der Mauer, was ihn an einem direkten Zusammenhang zwischen architektonischer Form und architektonischem Sinn zweifeln und zu dem Schluss gelangen ließ, Architektur bedeute eher Abtrennung und Ausschluss als Befreiung (Schrijver, June 2008, 238). Daraus resultierte Koolhaas’ erneute Beschäftigung mit der Mauer im Sinne eines entsprechenden städtebaulichen Gegenentwurfs (Gargiani, 2008,07).
    • 6
      Der Wettbewerb wurde in der Zeitschrift Casabella Heft 357/Oktober 1971 veröffentlicht (Alessandro Mendini, „Editrice Casabella“, Casabella XXXV, 1971, No. 375, 1). Das Projekt von Zenghelis und Koolhaas wurde von der Jury ausgewählt („La città come ambiente significante. Relazione della giuria del concorso“, Casabella XXXVI, 1972, No. 372, 3). Nach der Veröffentlichung der No. 378 der Zeitschrift zählte der „Exodus“ zu den wichtigsten Werken der Avantgarde der 60er und 70er Jahre (Paola Navone & Bruno Orlandoni, „Architettura Radicale, Milan“, Casabella, 1974, 148, 166). Vgl. auch De Cauter/Heynen, 2005,263-276.
    • 7
      Die Zeit, in der „Exodus“ entstand, koinzidiert mit der provokantesten Tätigkeit der Mitglieder von Superstudio (1996-1971). In ihr entstanden Werke, die das vorwiegend konzeptive Corpus der Gruppe zur Sache, zum Bauwerk und zur Stadt ausmachen. Eine charakteristische Arbeit dieser Gruppe, die Ähnlichkeiten mit der Studie zur architektonischen Zeichenhaftigkeit von Zenghelis und Koolhaas aufweist, ist das Werk „Permanentes Denk- und Mahnmal“ (Maciocco, 2008, 71-72).
    • 8
      Ausschnitt aus einem persönlichen Interview mit Ilias Zenghelis, Athen, 18.03.2016.
    • 9
      Zeitweise charakterisierten Leute wie die „Rolling Stones“ Westberlin als „Zufluchtsort der Unangepassten“, der sich, besonders was Kreuzberg betrifft, rasch den Ruf eines charmanten Ambientes erwarb, wo man sich von allen konventionellen Werten verabschieden konnte (Pugh, 2010, 160).
    • 10
      Ausschnitt aus einem persönlichen Interview mit Ilias Zenghelis, Athen, 18.03.2016.

    Verwendete Literatur

    Zitierweise

    Eleana Stoikou: «„Miteinander reden!“: Griechische Künstler in West-Berlin zur Zeit der Spaltung im Kalten Krieg», in: Alexandros-Andreas Kyrtsis und Miltos Pechlivanos (Hg.), Compendium der deutsch-griechischen Verflechtungen, 30.05.23, URI : https://comdeg.eu/essay/113690/.