Einleitung: Eine Autofahrt nach Griechenland im Olympia-Jahr 1936
Im Sommer des Olympia-Jahres 1936 begab sich eine kleine Gruppe im Auftrag des Automobilherstellers Opel in Rüsselsheim auf eine mehrwöchige Autoreise nach Griechenland, um im alten Olympia den Start des ersten Fackellaufs in der Geschichte der Olympischen Spiele der Neuzeit zu erleben und gleichzeitig mit möglichst großer Medienwirksamkeit die Zuverlässigkeit des neues Modells Opel Olympia, dem ersten deutschen Serienfabrikat mit selbsttragender Karosserie, unter Beweis zu stellen. Die Eindrücke der Reisegruppe wurden im Auftrag der Opel-Presseabteilung noch rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft 1936 als reich illustriertes Buch (80 Abbildungen und Karten auf insgesamt 165 Seiten) auf den Markt gebracht, unter dem Titel „Griechenland im Auto erlebt“ (Wiskott, 1936). Die im Stil einer Forschungsexpedition organisierte Reise wurde von erfahrenen Journalisten und Fotografen begleitet und dokumentiert. So stammen die Fotos dieses Buchs von dem Fotografen Alfred Tritschler, Partner in der damals bekannten Frankfurter Agentur „Dr. Paul Wolff & Tritschler“. Tritschler sollte später, während des Zweiten Weltkriegs, als Kriegsberichterstatter einer Propagandakompanie der Wehrmacht arbeiten und war dabei u.a. in Deutschland, Frankreich und Russland eingesetzt. Die Texte stammen aus der Feder von Dr. Carl T. Wiskott, dem damaligen Chef der Opel-Presseabteilung. Hierbei sei gleich angemerkt, dass die Firma Opel ab 1929 zu 80% dem amerikanischen Konzern General Motors gehörte; seit 1931 waren die Amerikaner Alleineigner der Opel-Werke. Dies war jedoch kein Hindernis für die Instrumentalisierung des Rüsselsheimer Werks und seiner Erzeugnisse durch die Nationalsozialisten, auch weil die Amerikaner in erster Linie an der Wirtschaftlichkeit des jüngst erworbenen deutschen Herstellers interessiert waren.1Zur Geschichte der Firma Opel in der NS-Zeit vgl. Henry Ashby Turner, General Motors und die Nazis, Das Ringen um Opel, Berlin, Econ, 2006, sowie Karl E. Ludvigsen, Opel, Räder für die Welt, 75 Jahre Automobilbau, Cleveland, Princeton Publishing, 1975 und Hans-Jürgen Schneider, Autos und Technik, 125 Jahre Opel, Köln, Verlag Schneider + Repschläger, 1987.
Das Buch, das eine der ersten Beschreibungen einer Autofahrt nach Griechenland überhaupt darstellt, fällt in eine Zeit, in der in Europa allgemein das Automobil verherrlicht wurde: gleichzeitig Sinnbild der Moderne, Vehikel der aufsteigenden Freizeitkultur, und Mittel zur Abschaffung gesellschaftlicher Privilegien durch immer preisgünstigere Fabrikate. Zwischen 1933 und 1937 konnte der weltweite Absatz von Kraftfahrzeugen mehr als verdoppelt werden, Hunderttausende von Motorsportbegeisterten pilgerten zu den großen Auto- und Motorradrennen am Nürburgring oder auf der Berliner AVUS. Vor diesem Hintergrund bediente das Buch „Griechenland im Auto erlebt“ sowohl die allgemeine Griechenlandfaszination der Deutschen als auch die Lust nach erschwinglichen Fernreisen. Besonders für die aufsteigende Mittelschicht ermöglichte erst das eigene Automobil selbst geplante und durchgeführte Urlaubsreisen. Zitat: „der Reisende von heute, der Automobilist“. (Wiskott, 1936, 5) Alles in allem lieferten die Autoren mit ihrem Buch auch einen praktischen Reiseführer mit detaillierten Karten und Informationen zu Straßenbeschaffenheit und Unterkunftsmöglichkeiten, zu Sehenswürdigkeiten und kulinarischen Besonderheiten, zu Land und Leuten. Das Ganze wurde abgerundet durch ein kleines Konversations-Wörterbuch am Ende des Bandes. Auch wirft das Buch nicht ausschließlich einen negativen Blick auf das moderne Griechenland. An gleich mehreren Stellen zieht Wiskott Vergleiche zwischen Griechenland und den Vereinigten Staaten von Amerika. Wiskotts Urteil kann als durchaus glaubwürdig erscheinen, wenn man bedenkt, dass er Angestellter eines US-amerikanischen Konzerns war und sicherlich das Land seines Arbeitgebers recht gut kannte. So würdigt er die Leistung der Griechen in der Aufnahme des nach 1922 losgetretenen Flüchtlingsstroms:
In aller Stille hat Griechenland diese erstaunliche Leistung fertiggebracht. Wo immer in Thessalien und in der weiten Schwemmlandebene westlich von Saloniki man schmucke, saubere Bauernhäuser erblickt – und man sieht sie zu vielen Tausenden –, hat man die neuen Siedlungen der vertriebenen Auslandsgriechen vor sich. Gewaltig haben sich unter dem Zwange dieser plötzlichen Bevölkerungszunahme auch die Vorstädte Athens ausgedehnt. Athen allein hat 300 000 Flüchtlinge aufgenommen. In amerikanischem Tempo sind endlose Straßenzüge und Häuserreihen aus dem Boden gestampft worden. (Wiskott, 1936, 52)
In der Athener Innenstadt bemerkt Wiskott den dichten Autoverkehr, „ungeheuer, beinahe amerikanisch, der Lärm in den Straßen ist ohrenbetäubend“. (Wiskott, 1936, 57):
Kleine Automobile gibt es überhaupt nicht. Unsere „Olympia“ und unser kleiner Lieferwagen erregen überall Aufsehen. Niemand kann sich vorstellen, daß man in einem für hiesige Begriffe so kleinen Wagen eine so weite Reise von ‚Berolino’ nach ‚Olimbia’ machen könne. Ein Taxibesitzer, der etwas auf sich hält, wird selbst einen Chevrolet oder Ford nur ungern fahren. Wenn’s auch nicht immer zum Cadillac reicht, den man häufig am Droschkenstand findet, so doch in den meisten Fällen zum 8-Zylinder-Buick. Alle Wohlhabenheit des an sich durchaus nicht reichen Landes scheint in der Hauptstadt konzentriert zu sein. (Wiskott, 1936, 57)
Wo sind die „Nachkommen der alten Griechen“?
Doch das Buch entpuppt sich bald endgültig als ein Werk, das den ideologischen Linien der Nationalsozialisten entsprechend konzipiert wurde, zwischen deutschem Führungsanspruch in Europa, Eroberungsgeist und Verherrlichung technischer Errungenschaften.2Ein ähnlicher Bogen von der Antike zur Moderne wurde auch schon im 1923 erschienenen Sammelband Vers une architecture von Le Corbusier gespannt. Auch dort wurden Bilder von Überresten antiker griechischer Tempel neben Automobilen dargestellt. Vgl. Le Corbusier, Vers une architecture, Paris, G. Crès, 1923, 106-107. Wir bedanken uns bei Katerina Zisimopoulou für diesen Hinweis.
Darüber hinaus spannt das Buch ganz gezielt den Bogen vom antiken Griechenland zum neuen Deutschland, getreu der Vorgaben der Partei. Schon im Kapitel „Erste Eindrücke vom Balkan“, welches die Durchquerung Jugoslawiens zum Thema hat, kann man lesen:
Hier zog einst das nordische Volk der Dorer und Ionier hinab, der Sonne entgegen, um auf griechischem Boden eine Kultur, eine Kunst zu schaffen, die wir Heutigen bewundern. (Wiskott, 1936, 9)
Und so ist es dann von der offenkundigen Faszination für die Errungenschaften der Antike auch nicht weit zur Enttäuschung über die vermeintlich geringen morphologischen Parallelen zwischen den weißen Marmorstatuen der alten Griechen und dem vielfältigen Erscheinungsbild ihrer modernen Nachfahren. Bald stellt sich dem Autor die Frage:
Gibt es noch Nachkommen der alten Griechen?“ – „Aber wo sind die Gestalten von einst, geformt und beseelt wie ihre unsterblichen Götter, edel gewachsen, edel gesinnt, mit dem Blick empor zu den Sternen? Sind sie alle dahin, die herrlichen, nordischen Männer und Frauen mit dem schmalen Kopf, dem blonden Haar, den blauen Augen? (Wiskott, 1936, 122-123)
Antworten auf diese Frage sucht die Gruppe gezielt auf ihrer Reise und folgt dabei offen der rassenideologischen Einteilung der Völker Europas:
So sehr wir suchen, so prüfend wir jedem Hirten, jedem Bauern ins Gesicht blicken –, wir sehen immer nur Menschen, wie wir sie auch aus anderen Südländern, aus Spanien und Italien, kennen […]. Bei den Städtern dürfen wir schon gar nicht forschen, am wenigsten in der Millionenstadt Athen. (Wiskott, 1936, 122-123)
Doch wer sucht, der findet:
Aber in Arkadien, in einem Bergtal des Peloponnes […], dort begegnete uns ein alter Bauer. Wir standen gebannt in sprachlosem Staunen: lockig und hell war sein Haar, edel geformt sein Gesicht, glänzend die blauen Augen, zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt’, stolz der Gang der hochgewachsenen Gestalt, ehrfurchtgebietend der stumme Gruß, mit dem er den unseren erwiderte. Ein Meisterwerk des Praxiteles schien lebendig geworden zu sein. […] Sahen so die Alten aus? Ich weiß es nicht. […] Woher sollte er aber sonst stammen, wenn nicht von ihnen? (Wiskott, 1936, 122-123)
In einem unscheinbaren Reiseführer, der aus den Mitteln einer deutschen Automobilfabrik in amerikanischen Händen finanziert wurde, wird der Leser somit unmittelbar mit wesentlichen Komponenten der nationalsozialistischen Rassenideologie konfrontiert: Die alten Griechen waren blond und blauäugig und waren demnach mit den Germanen verwandt. Diese kurzen Textbeispiele beweisen, wie sehr die extremen Positionen von Ideologen wie z.B. Alfred Rosenberg, nach denen die Griechen von den Germanen abstammen, in den publizistischen Mainstream eingeflossen sind, und dies gerade einmal drei Jahre nach der Machtergreifung durch Adolf Hitler.
Der Versuch, die NS-Bewegung historisch zu legitimieren
In der Tat lässt sich die rassenideologische Fixierung der Nationalsozialisten auf die alten Griechen aus dem Bedürfnis heraus erklären, die Bewegung historisch zu verankern, um ihr dadurch eine größere Legitimität zu verschaffen. Diese Ausrichtung stand im Gegensatz zu den Versuchen anderer Ideologen, an altgermanische Traditionen anzuknüpfen. Kern dieser Aussage war letztlich, dass sich ein Teil der Germanen während der sog. Dorischen Wanderung abgespalten hätte, um Griechenland zu besiedeln. Demnach wären die heutigen Griechen und die Deutschen Brüdervölker, die dazu bestimmt seien, wieder zueinander zu finden (Chapoutot, 2008). Die Idee der vermeintlichen Verwandtschaft zwischen Deutschen und Griechen geht dabei bis auf den deutschen Philhellenismus des 18. Jahrhunderts zurück, bevor sie dann von den Nationalsozialisten aufgefasst und weiter ausgearbeitet wurde.3Vgl. Arnold Bork, „Die deutsche Griechenauffassung von Winckelmann bis Nietzsche im Unterricht“, Die Erziehung 13 (1938), S. 440, zitiert nach Sünderhauf, 2004, 330.
Dabei ging es vor allem Hitler zunächst nicht nur um die Nähe zwischen den Völkern im Sinne der Rassenideologie, sondern auch um eine Annäherung der Werte zwischen jenen der griechischen Antike und solchen des nationalsozialistischen Deutschlands. Schon in Mein Kampf äußert sich Hitler über den „Wert der humanistischen Bildung“, bei der das „Studium der Antike“ im Geschichtsunterricht besonders berücksichtigt werden müsse – eine Idee, die dann bald im Rahmen einer neuen Bildungspolitik entschlossen umgesetzt werden sollte. Neben der Geschichte Roms solle vor allem auch:
das hellenische Kulturideal […] in seiner vorbildlichen Schönheit erhalten bleiben. Man darf sich nicht durch die Verschiedenheiten der einzelnen Völker die größere Rassegemeinschaft zerreißen lassen. Der Kampf, der heute tobt, geht ums ganz große Ziel: eine Kultur kämpft um ihr Dasein, die Jahrtausende in sich verbindet und Griechentum und Germanentum gemeinsam umschließt.4Vgl. Αdolf Hitler, Mein Kampf, Ausgabe 1933, S. 469, zitiert nach Sünderhauf, 2004, 323-324.
Auch bei seiner Rede zum Reichskulturtag in Nürnberg 1933 stand die „rassische Verwandtschaft“ zwischen Deutschen und den alten Griechen im Zentrum von Hitlers Denken. Aus seiner Sicht würden die „unsterblichen Leistungen der alten Völker“ deswegen „immer wieder ihre anziehende Wirkung“ auf die „Germanen“ ausüben, weil letztlich Griechen, Römer und Deutsche derselben „arisch-nordischen“ „Grundrasse“ angehören würden. Diese rassische Filiation sollte dann auch das „Schönheitsideal der antiken Völker und Staaten“ als Vorbild für NS-Deutschland legitimieren. Aus diesem Grund, und im Vergleich mit den vermeintlich ethnisch „reinen“ Völkern der Antike, musste auch das neue Deutschland seine „Rassereinheit“ vergrößern, um dem Erbe der Alten gerecht zu werden und deren Werte angemessen in die neue Zeit transportieren zu können (Sünderhauf, 2004, 296). Während spätestens ab 1938 in den Lehrplänen festgelegt wird, den „nordischen Charakter“ der antiken Kultur zu betonen (Sünderhauf, 2004, 330), erfolgte die Verbreitung des „Griechenideals“ auch über die programmatischen Schriften der NS-Jugendorganisationen sowie in der neuen Bildsprache, wie es z.B. in den Olympia-Filmen („Fest der Völker“ und „Fest der Schönheit“, beide 1938) von Leni Riefenstahl oder der Zeitschrift „Neues Volk“ zum Ausdruck kam. Aus den Texten der damaligen Publikationen, zu denen auch das 1935 erschienene Buch Menschenschönheit – Gestalt und Antlitz des Menschen in Leben und Kunst von Hans W. Fischer gezählt werden muss, geht dann hervor, wie sehr das „Griechenideal“ die Gedanken- und Bilderwelt im Nationalsozialismus prägte. Esther Sophia Sünderhauf (Sünderhauf, 2004, 324-325) schreibt dazu:
Nun stört nicht einmal mehr moderne Sportbekleidung den Vergleich. Der Nacktheit oder antikisierender Attribute bedarf es nicht mehr, um zu zeigen, dass die Deutschen des ‚Dritten Reiches’ die modernen Griechen sind. […] Die mit der Antike assoziierten Werte vermitteln sich in der Zeit des Nationalsozialismus nicht mehr durch Imitation, sondern durch spezifisches Handeln und visuelle Strategien.
Deutsch-griechische Beziehungen zwischen 1933 und 1944
An dieser Stelle ist es nicht uninteressant, auf die Beziehungen zwischen deutschen und griechischen Künstlern in den 1930er Jahren hinzuweisen. So erschien 1938 das Buch Unsterbliches Hellas als offizielle Publikation der NSDAP mit Fotos u.a. der griechischen Fotografin der Neuen Sachlichkeit Nelly (eigentlich Elli Sougioultzoglou-Seraidari), die auch schon Leni Riefenstahl bei ihrer Arbeit für die Olympia-Filme beraten hatte.5Auch außerhalb des rein nationalsozialistischen Rahmens wurde die Arbeit von Nelly genutzt, um publikumswirksam Vergleiche zu ziehen zwischen den alten und den modernen Griechen, so z.B. 1937 im Artikel „Die griechische Rasse“ der Zeitschrift In Griechenland, vgl. In Griechenland, Touristische Vierteljahrsschrift des Unterstaatssekretariats für Presse und Tourismus, Frühjahr 1937. Ähnliche Arbeiten von Nelly dienten auch der Ausschmückung des griechischen Pavillons auf der New Yorker Weltausstellung 1939.
Der Bildhauer Arno Breker, von Hitler verehrt, war seit 1927 mit der Griechin Dimitra Messala liiert, der Tochter eines griechischen Diplomaten. Zehn Jahre später heiratete Breker seine Muse. Somit fanden führende Künstler der NS-Zeit ihre Inspiration nicht nur im Anblick der antiken Bauten und Skulpturen, sondern auch im Umgang mit griechischen Zeitgenossen. Den Höhepunkt der deutsch-griechischen Beziehungen in den 1930er Jahren stellten zweifelsohne die Olympischen Sommerspiele 1936 in Berlin dar (vom 6. bis zum 16. Februar desselben Jahres hatten in Garmisch-Partenkirchen schon die Olympischen Winterspiele stattgefunden). Schon im Vorfeld hatten die Nationalsozialisten mit dem Fackellauf von Olympia in die Reichshauptstadt ein probates Mittel gefunden, um die Verbindung zwischen dem neuen Deutschland und dem alten Griechenland vor den Augen der internationalen Öffentlichkeit zu zelebrieren (Large, 2007, 3-5, 22).
Gleichzeitig spielte das Land Griechenland eine untergeordnete Rolle in den deutschen Expansionsplänen. Militärisch und europapolitisch hatte es in den Augen Hitlers keinen Stellenwert und wurde klar dem Interessengebiet des faschistischen Italien zugerechnet. Für Hitler gab es keinen Anlass, Mussolini in dieser Sache herauszufordern, zumal Deutschland und Griechenland in den 1930er Jahren durch ausgezeichnete Wirtschaftsbeziehungen verbunden waren. Auch in der Zeit des sogenannten „Regimes des 4. August“ ab 1936 unter dem deutschfreundlichen Diktator Ioannis Metaxas konnten diese guten Beziehungen weiter ausgebaut werden, was auch der Besuch des deutschen Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda Joseph Goebbels in Griechenland im September 1936 unterstreicht. Für Goebbels ist diese Reise zwischen dem 20. und dem 28. September die Verwirklichung eines „Jugendtraums“, auf der er das alte Griechenland bestaunt, während er das moderne Griechenland unter Metaxas eher als möchtegern-faschistisch belächelt. Für Goebbels ist die Akropolis „das gewaltigste Denkmal nordischer Gestaltungskraft“.6Vgl. Joseph Goebbels, Tagebücher, 1936, Eintrag vom 22. September 1936. Wir bedanken uns bei Katerina Zisimopoulou für diese Hinweise.
Das Image der modernen Griechen erfährt in den Augen Hitlers jedoch eine deutliche Aufwertung, als diese nach dem Angriff Italiens an der griechisch-albanischen Grenze am Morgen des 28. Oktober 1940 erbitterten Widerstand leisten und die italienischen Angreifer weit nach Albanien hinein zurückdrängen können. Hitler befürchtete nun, dass Mussolinis nicht abgesprochener Alleingang in Griechenland Churchill einen passenden Vorwand bieten würde, auf dem Balkan einzugreifen, so wie es die westlichen Alliierten schon im Ersten Weltkrieg getan hatten. Als dann ab November 1940 erste britische Truppen in Thessaloniki eintrafen, um die Griechen gegen Italien zu unterstützen, wurden Hitlers Befürchtungen bestätigt (Simms, 2020, 605-606).
Der deutsche Einmarsch nach Griechenland
Als Hitler dann selbst auf dem Balkan eingriff, geschah dies weniger aus Interesse an einer eigenen Machtposition in Griechenland und in Jugoslawien, sondern mehr aus dem strategischen Grund heraus, England den Aufbau einer soliden Basis in Südosteuropa zu verwehren. Hitlers Sympathie für die Griechen und seine Faszination für das Altertum machten den Feldzug nach Athen für ihn zu einer emotionalen Angelegenheit, antike Stätten und das Stadtgebiet Athen wurden per Befehl vor deutschen Luftangriffen geschützt. Alfred Rosenberg notierte in sein Tagebuch:
Der Führer sagt, dass es ihm sehr leid tut, mit den Griechen kämpfen zu müssen, es schwebe noch eine Erinnerung an das alte Hellenentum bei ihm mit.7Zitiert nach Simms, 2020, 634-635.
Viereinhalb Jahre nach Erscheinen des Buches „Griechenland im Auto erlebt“ kamen die Deutschen also erneut nach Griechenland, diesmal jedoch nicht nur mit Autos, sondern auch mit Panzern, Kampfflugzeugen und Feldhaubitzen: Zwischen dem 6. April und dem 1. Juni 1941 eroberten deutsche Truppen, mithilfe ihrer italienischen und bulgarischen Verbände, zunächst das griechische Festland, im Rahmen des Unternehmens „Marita“, und schließlich auch die Insel Kreta, nach verlustreichem Abschluss des Luftlandeunternehmens „Merkur“.
Hitler selbst bedauert den deutschen Einmarsch in Griechenland als unabwendbare Notwendigkeit im Kontext des aufziehenden Weltkriegs in einem Brief an Dimitra Messala, die Frau Arno Brekers:
Liebe Frau Breker, ich habe viel an Sie gedacht in der letzten Zeit und die politischen Verwicklungen mit Griechenland bedauert. Sie ermessen nicht, wie schwer es für mich war, gegen Ihre Heimat kämpfen zu müssen. Es war der schwerste Kampf, den die deutsche Wehrmacht in diesem Kampf bisher zu bestehen hatte. Wie die Helden des alten Hellas haben Ihre Brüder gekämpft, und ich habe, an Sie denkend, nach Einstellung der Kampfhandlungen den Befehl gegeben, dass sofort alle Soldaten in Freiheit zu ihren Familien zurückkehren sollten, mit Ausnahme des Offizierskorps, dessen politische Einstellung zu Deutschland einige Fragen offenlässt.8Vgl. Arno Breker, Im Strahlungsfeld der Ereignisse, Preußisch-Oldendorf, Schütz, 1972, S. 183, zitiert nach Wolbert, 1982, 92, ebenfalls zitiert in Sünderhauf, 2004, 347.
In der Zeitung Panzer am Balkan, dem „Nachrichtenblatt unserer Panzergruppe“, konnten deutsche Soldaten am 29. April 1941 unter dem Titel „Über der Akropolis weht Hakenkreuz“ folgende Zeilen lesen, zwei Tage nach der Einnahme der Stadt Athen durch deutsche Truppen:
Da liegt die Stadt unserer Schulträume, unseres ersten geschichtlichen Unterrichts, die Stätte der antiken Kunst und der Muse unter strahlender südlicher Sonne. Das erste Hakenkreuz leuchtet da unten auf. Das Hakenkreuz auf der Akropolis! Weithin leuchtet es auf rotem Grund, daneben die griechische Flagge, sichtbarer Ausdruck dafür, dass wir die Ehre Griechenlands zu achten wissen.9Vgl. Unbekannt, Panzer am Balkan, Nachrichtenblatt unserer Panzergruppe, Folge 9, 29. April 1941, Privatsammlung.
Tatsachlich erging von Hitler nach Ende der Kampfhandlungen der Befehl, alle griechischen Kriegsgefangenen freizulassen und die Organisierung ihrer Heimkehr zu unterstützen. In der Folgezeit verschlechterten sich jedoch die Beziehungen zwischen Deutschen und Griechen zusehends, und es begann eine mehr als dreijährige Besatzungsphase, die bis heute eine der dunkelsten Perioden der jüngeren Geschichte Griechenlands darstellt. Besonders die Hungersnot im Winter 1941-42, die in ganz Griechenland mindestens 300.000 Todesopfer forderte, sowie der deutsche Besatzungsterror und die Massaker z.B. von Kondomari, Kalavryta und Distomo sind heute fest im kollektiven Gedächtnis Griechenlands verankert.
Hier stellt sich unweigerlich die Frage, wie es im Kontext der anfänglichen Verherrlichung Griechenlands und der Griechen überhaupt zu diesen Gewaltverbrechen kommen konnte. Und: Wie erlebten die einfachen Soldaten der deutschen Streitkräfte ihren Einmarsch und ihre Besatzungszeit in Griechenland? Waren ihre Eindrücke von Land und Leuten ähnlich von der nationalsozialistischen Propaganda geprägt wie der Reisebericht von 1936?
Das Bild der Griechen in der Feldpost deutscher Soldaten
Eine Quelle zur Beantwortung dieser Fragen sind die Feldpostbriefe deutscher Soldaten, die heute in großer Zahl in verschiedenen Archivzentren in Deutschland der Forschung zur Verfügung stehen. Doch auch wenn der Zugang zur Gedankenwelt der deutschen Soldaten sich noch relativ einfach gestaltet – vorausgesetzt, man schreckt nicht vor der teils sehr langwierigen Transkription der Schriften zurück –, so bedarf es auch einer militärhistorischen Beurteilung der Briefe und ihrer Autoren, um deren Aussagen im Verhältnis zu spezifischen Gegebenheiten der deutschen Präsenz in Griechenland korrekt gewichten zu können. Für die meisten Soldaten stellte die Feldpost, neben gelegentlichen Beurlaubungen, die in der Regel nicht häufiger als einmal im Jahr genehmigt wurden, die einzige Verbindung zu Familie und Freunden dar. Doch so rege die Schreibtätigkeit der deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg auch gewesen sein mag: Längst nicht alle Soldaten machten sich tiefere Gedanken zu dem besetzten Land und seinen Einwohnern. Viele Soldaten wagten sich nicht ohne Kameraden auf die Straße, und natürlich war die Sprachbarriere zwischen Besatzern und Besetzten in Griechenland ungemein grösser als z.B. zur gleichen Zeit in Frankreich. Viele Briefe sind daher durch inhaltliche Belanglosigkeit geprägt, z.B. wenn sie Auskunft geben über die Schreibfrequenz der jeweiligen Korrespondenten, oder die Reihenfolge, in der die Briefe jeweils zu ihrem Empfänger gelangen. Als weiteres Problem erscheint die Tatsache, dass genaue Ortsangaben in Briefen aus Gründen der militärischen Geheimhaltung oft nicht oder nur in verschleierter Form angegeben wurden. Auch wenn eine Zensur der deutschen Feldpost nur stichprobenartig durchgeführt werden konnte, drohten bei eventuellen Verstößen gegen die Vorgaben teils drakonische Strafen.
Dennoch ermöglichen viele Briefe einen außergewöhnlichen Einblick in das Alltagsleben und die Gedankenwelt der deutschen Besetzer, was beides maßgeblich geprägt war vom kulturellen Referenzrahmen des Nationalsozialismus – und dies längst nicht nur im Falle von Erzählungen des Kriegsgeschehens. Selbst wiederkehrende Themen wie der Arbeitsalltag, die Sehnsucht nach der Heimat, die Lebensmittelsituation, die Beschaffenheit der Unterkünfte sowie das ungewohnte Klima und zum Teil daraus resultierende Krankheiten tragen oftmals die Spuren nationalsozialistischen Gedankenguts. In erster Linie spiegelt sich der Einfluss der Ideologie bei Schilderungen zu Themen der griechischen Geschichte und der Archäologie wider. Viele Soldaten betätigten sich während ihrer Zeit in Griechenland in der Tat als Hobby-Historiker und -Archäologen. Hier mag die allgemeine „Griechensehnsucht“ der Deutschen noch zusätzlich überformt worden sein durch das medienwirksame persönliche Engagement Hitlers an den vom Deutschen Archäologischen Institut Athen in Olympia ausgeführten Grabungen ab 1937 (Kankeleit, 2015, 21-22). In den Briefen der deutschen Soldaten in Griechenland werden somit häufig Bezüge zu den alten Griechen und ihren Bauwerken herausgestellt. So war sich der Oberarzt Dr. Rolf Oberndörfer, Mitglied des Gebirgs-Artillerie-Regiments 79, schon am 6. Juni 1941 sicher:
Die heutigen Griechen sind nicht die aus der Zeit des Perikles, Leonidas usw., sondern ein Mischvolk, das höchstens Schrift, Sprache und Land mit den alten Griechen gemein hat.
Alsbald meint man bei diesem Schreiber eine gewisse Kritik an der bis dahin offiziellen Linie der Partei zu spüren:
Und so schön ,vielleicht‘ Griechenland bei einer Mittelmeerreise sein mag und so geistesverwandt man sich im trägen (aber immerhin wohlverdienten) Urlaub mit dem nichts überhastenden, langsamen und orientalisch bequemen und genügsamen Volk fühlen mag, für wenige Wochen!, so unangenehm ist hier ein Daueraufenthalt. Zugegeben, die Frauen von Athen sind in der Gesamtheit sittenkonsequenter und anständiger gekleidet als die von Paris, Brüssel und Antwerpen, dafür sind aber die anderen für unsere Soldaten viel gefährlicher. Und was heißt hier schon Ruhe- und Erholungszeit, wenn überall Malaria, Ruhr, Typhus, tolle Hunde, Schlangen, Skorpione, Wanzen, usw., usw. als Dauergefahr drohen? Wer kennt hier schon die großen, von uns so verehrten Klassiker? Bestimmt werden sie in Griechenland noch weniger gelesen als bei uns die deutschen Klassiker.10Vgl. Landesbibliothek Baden-Württemberg, Sammlung Sterz (LB BW Sterz), Feldpostbrief des Dr. Rolf Oberndörfer, 6. Juni 1941.
Dieses Textbeispiel stellt exemplarisch dar, wie schnell vorgefertigte Meinungen zu Griechenland und den Griechen im direkten Kontakt mit Land und Leuten erodieren können, und neue Aspekte der nationalsozialistischen Ideologie zu Themen wie Hygiene, Gesundheit und Bildungsstand anderer Völker Überhand gewinnen gegenüber der bis dahin gültigen Verehrung der Griechen. Dennoch schimmert nicht selten die Faszination für die Überreste der alten Kultur durch, wie z.B. in diesem Brief vom 25. April 1941 des Soldaten Hellmuth Hildebrand, seit wenigen Wochen in Nordgriechenland stationiert:
Der Dienst hier ist bis jetzt sehr ruhig; gestern hatte ich persönlich Urlaub zum Besuch allerlei Ruinenreste aus klassischer Zeit, (Amphipolis) darunter ein sehr schöner Frauenkopf als Halbrelief; die erste Berührung mit der alten griechischen Welt auf griechischem Boden!11Vgl. Museumsstiftung Post und Telekommunikation Berlin, Sammlung Feldpost (MPT Feldpost), 03.2002.7139, Feldpostbrief des Hellmuth Hildebrand, 25. April 1941.
Andere Soldaten, von denen noch nicht einmal alle selbst am Balkanfeldzug beteiligt waren, sahen die deutsche Eroberung Griechenlands als Teil der langen Geschichte des Landes, getreu der nationalsozialistischen Ideologie, welche die alten Griechen als Nachfahren von germanischen Einwanderern aus dem Norden präsentieren wollte. So schreibt Helmut Hänsel, Leutnant im Stab des Nachschub-Führers der 258. Infanterie-Division am 27. April 1941:
Soeben wurde durchgegeben, dass die ersten Panzer Athen erreicht und Fallschirmjäger die Landbrücke von Korinth gesichert haben. Ist das nicht gewaltig? Beim Anbringen der Flagge an der Akropolis wäre ich gerne dabeigewesen. Was dieses Gemäuer in der Geschichte alles erlebt hat.12Vgl. LB BW Sterz, Feldpostbrief des Helmut Hänsel, 27. April 1941.
Mancher Soldat sah sich gar als Beschützer der antiken Bauten in Griechenland, auch noch im letzten Jahr der deutschen Besatzungszeit. Dies scheint z.B. aus dem Brief des Soldaten Werner Wesemann vom 27. November 1943 hervorzugehen:
Wir hatten in den letzten Wochen allerhand zu tun. Erst die Insel Leros und zugleich auch die Insel Samos verschafften uns allerhand Arbeit, aber der Erfolg blieb dann nicht aus. Zu demselben Zeitraum versuchte der Gegner unsere Nachschubbasen anzugreifen. Bei uns kam der Segen von etwa 55 viermotorigen Bombern in einer Entfernung von 500 m herunter und dann noch am hellichten Tage. Unsere Jäger und Flak haben etliche von ihnen heruntergeholt und mehrere angetötet. Was sie erreichen wollten, ist ihnen nicht gelungen, nach wie vor starten unsere Kampf-, Sturzkampf- und Transportverbände zum Einsatz. Tag und Nacht hörte das Dröhnen der Motoren nicht auf. Es war immer ein herrliches Gefühl, wenn die Verbände in geschlossenen Formationen feindwärts flogen, unsere besten Glückwünsche hatten sie jedesmal mit auf dem Wege. Jetzt ist es hier wieder ruhig geworden. Nach diesen arbeitsreichen Tagen hatten wir Gelegenheit, die herrlichen Bauten der Akropolis zu besichtigen. Man muss tatsächlich staunen, was die Baumeister der alten Griechen schon für einen hohen Kulturstand gehabt haben. Es wäre schade um diese alten Kulturdenkmäler, wenn sie den feindlichen Bomben zum Opfer fallen würden.13Vgl. LB BW Sterz, Feldpostbrief des Werner Wesemann, 27. November 1943.
Was das Meinungsbild der deutschen Soldaten über die griechische Bevölkerung unddie Beziehungen zwischen Besatzern und Besetzten betrifft, so ergibt sich aus dem Inhalt der Feldpostbriefe letztlich ein differenziertes Bild. Der Soldat Hellmuth Hildebrand schildert am 10. April 1941 in einem seiner ersten Briefe aus Griechenland den Einzug seiner Einheit in den Norden des Landes:
Als wir von oben dann das Meer sahen und zwar kriegsmäßig wenn auch ohne Stahlhelm (!) als die nordischen Eroberer 1000 m hinab ins Tal stiegen, war der Erfolg ein verblüffender. In den Dörfern kamen die Leute mit Brot, Käse, Eiern, Zigaretten an, alles gab Händchen und strahlte, alles noch mehr als in Bulgarien. Das Militär war getürmt u. die Leute hatten wohl einesteils Angst, andernteils alte Sympathien für Deutschland.14Vgl. MPT Feldpost, 03.2002.7139, Feldpostbrief des Hellmuth Hildebrand, 10. April 1941.
Sicherlich spiegelt sich in diesem Auszug auch die Furcht der Bevölkerung vor deutschen Repressalien wider, sowie die Erleichterung, „nur“ von den Deutschen erobert und besetzt worden zu sein, und nicht von den verhassten Bulgaren. Noch drei Wochen später sieht dieser Schreiber keinen Anlass, seine Beurteilung der Griechen zu revidieren, und beschreibt das Verhältnis zur Bevölkerung in der Nähe von Kavala ausdrücklich als „sehr freundlich“:
Hier hat sich nichts geändert und das Leben verläuft sehr ruhig. Vormittags ist unter anderem unsere Beschäftigung, das Dorf zu verschönern; wir haben durch Planierungen, Kieswege, Steinmauern, Tische u. Bänke in einem leeren Garten einen schönen Essplatz geschaffen; sogar ein zementiertes Wasserbecken ist gebaut worden und der anschließende Hausbesitzer wollte gleich seine Treppe usw. zementiert haben. Jedenfalls gibt das Ganze nach unserem Fortgang ein prachtvolles Gartenlokal. Die Griechen staunen nur immer, da die anderen Kompanien, ja die einzelnen Gruppen sich ähnlich betätigen.15Vgl. MPT Feldpost, 03.2002.7139, Feldpostbrief des Hellmuth Hildebrand, 30. April 1941.
Noch im April 1944 beschreibt der Obergefreite Theo Waldmann, stationiert auf der Insel Kos als Teil des XI. Festungs-Infanterie-Bataillons 999 (eines sogenannten Strafbataillons), die Bevölkerung als „durchaus freundlich“.16Vgl. LB BW Sterz, Feldpostbrief des Theo Waldmann, 2. April 1944. Leider geht nicht aus dem Brief hervor, ob diese als positiv bewerteten Beziehungen darauf zurückzuführen sind, dass die Griechen eventuell Kenntnis vom schweren Schicksal vieler „999er“ hatten. Auch Dr. Albert Krumbacher, Leutnant innerhalb des Generalkommandos XVIII. Gebirgs-Armeekorps, zeichnet in seinen Briefen ein differenziertes, eigenständiges Bild der griechischen Bevölkerung und des Verhältnisses zur deutschen Besatzungstruppe. Am 11. Mai 1941 schreibt er:
Die Griechen scheinen – so ist jedenfalls unser Urteil – besser zu sein als ihr Ruf. Dass sie gute Soldaten sind, haben sie gegen die Italiener bewiesen, ihre Niederlage gegen uns ist keine Schande. Sie treten ziemlich selbstbewusst auf, sind aber meist höflich und zuvorkommend. Deutsch spricht fast niemand, dagegen in Athen fast jedes Ladenmädchen Französisch. Leider haben wir gar keine Gelegenheit, in Verkehr mit ihnen zu kommen und so Land und Leute noch besser kennenzulernen. Ich habe den Eindruck, dass es schwer sein wird, sie für uns zu gewinnen; die maßgebenden Leute sind eben durch den ausgedehnten Seehandel, die Haupteinnahmequelle des sonst armen Landes, von England abhängig.17Vgl. LB BW Sterz, Feldpostbrief des Dr. Albert Krumbacher, 11. Mai 1941.
Zehn Tage später ergänzt dieser Schreiber seine Ansichten:
Ich habe nie davon gehört, dass die Griechen die deutschen Truppen mit Orangen und Zitronen empfangen hätten. Wenn es geschah, dann war es sicher ein Einzelfall, der die allgemeine Stimmung nicht wiedergibt. Im Allgemeinen kann von Sympathien der griechischen Bevölkerung für uns nicht die Rede sein. Man kann es ja schließlich auch nicht verlangen.18Vgl. LB BW Sterz, Feldpostbrief des Dr. Albert Krumbacher, 20. Mai 1941.
Zumindest in der Anfangszeit der deutschen Besatzung Griechenlands waren Gespräche zwischen Deutschen und Griechen auch im öffentlichen Raum sicherlich keine Seltenheit. Verkehrssprachen waren Englisch, Französisch, manchmal auch Deutsch. Manche kommunizierten sprichwörtlich mit Händen und Füssen, andere machten von ihren Altsprachenkenntnissen Gebrauch und versuchten es mit einer Mischung aus „Altgriechisch, Latein, Englisch, Französisch“.19Vgl. MPT Feldpost, 03.2002.0861, Feldpostbrief des Dr. Karl Krüger, 29. Juni 1941. Gespräche halfen den meisten bei der einfachen Suche nach dem Weg; andere gingen aus Neugierde aufeinander zu. Am 4. Juli 1941 berichtet Dr. Karl Krüger, Mitglied einer Funkeinheit in Skaramangas, von einem Ausflug nach Athen:
In der Stadt hatte ich neulich ein interessantes Gespräch mit einem griechischen Studenten. Zunächst glauben er und seinesgleichen immer noch stark an die Macht Englands, denn nirgendswo (!) seien bisher Deutsche auf Engländer gestoßen usw. Ich hätte nie gedacht, dass die Mär von glücklichen, sieghaften Rückzügen so sehr geglaubt würde.20Vgl. MPT Feldpost, 03.2002.0861, Feldpostbrief des Dr. Karl Krüger, 4. Juli 1941.
In den kleinen Ortschaften, die von deutschen Einheiten besetzt waren, schien sich zumindest in der Anfangszeit eine Art Besatzungsalltag einzustellen, in dem ursprüngliche Vorurteile eigenen Erfahrungen wichen. So schreibt Krüger am 7. Juli 1941 an seine Frau in der Nähe von Schwerin:
Vormittags war ich zum Einkaufen in unserem Nest. Wir brauchten unbedingt Zwiebeln für unsre Küche, und da musste ich wieder helfen. In den Läden gab es keine; da traf ich zum Glück die alte Hexe aus dem Revier, die dort kochte. Nun klappte es. Ein kleiner Junge führte uns durch das Gewirr der Gassen, und endlich standen wir in einem Hof. ‚Zwiebeln’ waren vorhanden, aber erst musste ich einen kleinen Säugling bewundern. Dann fragte man mich ̶ wie üblich ̶ ob ich auch Kinder hätte, und sogleich wanderten die Kinderbilder von Hand zu Hand. Schließlich musste sich ein Junge den Sack Zwiebeln auf den Buckel laden, und dann gings nach Hause.21Vgl. MPT Feldpost, 03.2002.0861, Feldpostbrief des Dr. Karl Krüger, 7. Juli 1941.
Bemerkenswert ist, dass sich viele Griechen, insbesondere Händler und Verkäufer, sehr schnell auf die deutsche Präsenz einzustellen schienen. So weiß Hellmuth Hildebrand in einem Brief vom 6. Mai 1941 nach einem kurzen Besuch in Thessaloniki Folgendes zu berichten:
Überall viel Betrieb und in den knapp 4 Wochen deutscher Zeit eine schrankenlose Anpassung an uns: Alle 5 Schritt ein Bengel, der dürftige Wörterbücher für uns und andere an die Griechen verkauft; außerdem beiliegenden lächerlichen ‚Führer’ oder Ringe mit ‚Saloniki 1941’ oder Strickwaren: ‚Andenken an Saloniki 1941’ usw. Es gibt noch mancherlei zu kaufen, was es bei uns nicht gibt, besonders Textilien, aber unsereiner kann außer Kleinigkeiten ja aus Platzgründen nichts mitnehmen.22Vgl. MPT Feldpost, 03.2002.7139, Feldpostbrief des Hellmuth Hildebrand, 6. Mai 1941.
Dr. Karl Krüger machte Anfang Juli 1941 eine ganz ähnliche Beobachtung in der Nähe von Athen:
In den letzten Tagen haben wir nun eine neue Möglichkeit entdeckt, um etwas spachteln zu können: Zehn Minuten von uns entfernt liegt ein kleines Fischerdorf. Dort gibt es in einer der beiden schmutzigen Kneipen die Weißfische, von denen ich Dir schon erzählte. Nun stellt sich der Wirt schon auf unsern Bedarf ein und hat gebackene Fische vorrätig. Die Dinger schmecken wirklich gut; nur schade, dass ich nichts davon essen kann – im Augenblick wenigstens! Die Fischerboote haben z.T. jetzt neben der griechischen die deutsche Flagge gesetzt. Im Piräus sahen wir neulich einen ganzen Haufen Schiffe, die unsere Flagge führten. Aber nirgends sieht man ein Fahrzeug mit italienischer Fahne.23Vgl. MPT Feldpost, 03.2002.0861, Feldpostbrief des Dr. Karl Krüger, 9. Juli 1941.
In der Regel sind die Aussagen einfacher Soldaten der unteren Ränge nicht so stark reflektiert, wie das z.B. oft bei Offiziersrängen der Fall ist. Der Gefreite Joseph Braun, ein Angehöriger des Artillerie-Regiments 74, beschreibt am 18. Mai 1941 seine Eindrücke von Griechenland in einem direkten Ton und gibt wenig Anlass, bei ihm von einer Vorprägung durch ein positives „Griechenideal“ auszugehen:
Es laufen hier in der Gegend sehr viele Verkäufer herum mit Früchten, Gebäck, Kurzwaren, Getränken und viel Schuhputzer. Die rufen immer und bieten ihre Waren an. Aber da fliegt man meistens rein. In Eleusis kam zuletzt ein Junge mit Eiern. Er wollte 10 Dr. (20 Pfg.) für’s Stück haben. Ich kann Dir sagen, den haben wir gejagt. Solchen Leuten nehmen wir oft ihre Ware ab und bezahlen überhaupt nichts. Der Pöbel ist sehr diebisch veranlagt. Vorgestern hat ein griechischer Polizist glatt weg eine Frau auf der Straße erschossen, um dem Kohlenklauen ein Ende zu machen. Ich kann Dir sagen, das sind Verhältnisse…24Vgl. LB BW Sterz, Feldpostbrief des Joseph Braun, 18. Mai 1941.
Im Fall der schweren Hungersnot des Winters 1941-1942 stellen manche Verfasser den Versuch an, die Ursachen der Lebensmittelknappheit zu ergründen, während sich andere wiederum nur über das ausgehungerte und bettelnde Volk beklagen. Am 23. März 1942 schreibt der Leutnant Peter Gliemann des Infanterie-Regiments 721 an seine Frau:
Hast Du schon mal was von der Lebensmittelknappheit in Griechenland gehört? In Athen sterben täglich zweihundert Leute den Hungertod. Das ist Tatsache! Auf der Straße kippen sie um! Katastrophe!! Das Land ist zum größten Teil auch nur Steppe. Wie soll sich das Volk da auch selbst ernähren!?25Vgl. LB BW Sterz, Feldpostbrief des Peter Gliemann, 23. März 1942.
Der Soldat Wendelin Peking des Luftnachrichten-Regiments 12 hat nach fast einem Jahr deutscher Besatzung auf dem Balkan ein gänzlich revidiertes Bild der Griechen, die er aus nächster Nähe beobachten konnte. Vom Anblick des Elends auf den Straßen fühlte er sich in erster Linie belästigt, ohne jedoch die deutsche Besatzungsherrschaft und Ausbeutungspolitik zumindest als Teil der Ursachen der Hungersnot zu sehen. Am 9. Januar 1942 schreibt er folgende Zeilen zu sich nach Hause:
Das griechische Volk, einst ein Kulturvolk, das die ganze Welt bewunderte, ist heute ein Volk von Gauklern und Schwindlern. Das Straßenleben, ausgenommen von den kleinen Stadtkernen, ist unbeschreibbar. Elendswohnungen, schrecklicher fast als in Russland, man kann ruhig sagen, gleich. Auf der Straße laufen Leute herum, denen man ansehen kann, dass ihre Stunden gezählt sind. Wenn Du 200 m auf der Straße gehst, so findest Du sicherlich einen Menschen, der in den letzten Zügen liegt. Erbarmen gibt es da nicht. Sie wollten es doch so haben, diese Menschen vom Standpunkt als Volkseinheit betrachtet. Gestohlen werden Dir die Sachen vom Leib bei hellichtem Tag. Bettler und Schwarzhändler fallen Dir zur Last und werden zur Qual, nur mit Gewalt kann man sich dieses nach Knoblauch stinkende Volk vom Leibe halten.26Vgl. LB BW Sterz, Feldpostbrief des Wendelin Peking, 9. Januar 1942.
Schluss
Letztlich muss die Frage gestellt werden, ob die Wechselwirkung zwischen einem von den Nationalsozialisten überformten „Griechenideal“, die Suche nach dem „eigentlichen Griechenland“ (Wiskott, 1936, 56), das massiven Einfluss auf die Erwartungshaltung auch einfacher Soldaten ausübte, und der erlebten Realität im Umgang mit Griechinnen und Griechen im besetzten Land nicht zu einer tiefen Enttäuschung führte. Denn auf die Frage „Sahen so die Alten aus?“, folgte implizit fast immer die Antwort: nein. Mit dem Unterschied, dass die von Eberhard Rondholz charakterisierten „graecophoben Philhellenen“ nicht mehr nur ein paar Reisende waren, sondern zu Hunderttausenden Griechenland besetzt hielten.
Vor diesem Hintergrund bot die rassische Geringschätzung der damaligen Griechen durch die Deutschen, ähnlich dem Verhalten der Deutschen gegenüber slawischen Völkern (auch wenn hier noch einmal andere Maßstäbe galten), auch einen Nährboden der Legimitation für die schließlich auf allen Ebenen der deutschen Kommandostruktur organisierten bzw. geduldeten deutschen Gewaltverbrechen während der NS-Besatzungsherrschaft in Griechenland zur Zeit des Zweiten Weltkriegs. In diesem Kontext erscheint besonders eine Passage des Buches „Griechenland im Auto erlebt“ als dunkle Prophezeiung:
Obwohl er [der Besucher] es genau weiß, daß er das alte Griechentum weder in seinen Bauten noch in seiner Kunst noch in seinen Menschen wiederfinden k a n n, daß schon vor zwei Jahrtausenden das alte Hellas zu sterben anfing und vor eineinhalb Jahrtausenden durch die Stürme der Völkerwanderung fast spurlos hinweggefegt wurde –, er kommt doch, ohne es sich einzugestehen, mit dem Gefühl nach Griechenland, er müsste die alte verschwundene Pracht suchen und könnte sie auch irgendwo finden. Findet er nicht, was er sucht, ist er enttäuscht. […] Warum in aller Welt wird nicht dem Fremden an der Grenze, beim Betreten griechischen Bodens, ein Zettel in die Hand gedrückt des Inhalts, daß alles, was er von hier bis Saloniki sähe, nicht Griechenland sei, daß der Grieche sich dieses Landes schäme, daß er die Dörfer und Städte eigentlich niederbrennen müsse?“ (Wiskott, 1936, 53-55)