Die deutsche technologische Überlegenheit in Griechenland, 1900–1940: Praxis und Vorstellungen

  • Veröffentlicht 01.07.21

Bei einem Besuch in Lavrion vor einigen Jahren sagte mir ein alter Arbeiter Folgendes. Wenn die Techniker der 1882 gegründeten und 1989 geschlossenen Maschinenfabrik Koupas aus Piräus kamen, um ihre Maschinen zu installieren oder zu reparieren, „sagten wir: die Deutschen kommen“. Auf meine Frage, wieso sie das sagten, meinte er, die Maschinenfabrik von Koupas sei ausgezeichnet gewesen und deren Leute hätten ihre Arbeit schnell und mit hoher Präzision erledigt. Was war passiert, dass diese Eigenschaften spontan mit den Deutschen identifiziert wurden, dass griechische Techniker als Deutsche bezeichnet wurden? Zweifellos genießen die deutschen Leistungen im Bereich der Technologie weltweite Anerkennung dank der Dynamik, der Innovationsfähigkeit und der internationalen Verbreitung der deutschen Industrie. Im Übrigen war die Abhängigkeit der Maschinenfabrik Koupas von deutscher Technologie zu jener Zeit ebenfalls bekannt (die Ausstattung war nach dem Krieg deutscher Herkunft, und die Firma ließ die von ihr produzierten Kessel vom Deutschen Lloyd in Hamburg zertifizieren). Aber auf welche Weise verbindet sich diese weltweite Anerkennung mit einem griechischen industriellen Umfeld? Diese Frage versuche ich hier zu beantworten, indem ich dem historischen Verlauf der besonderen Verbindung nachspüre, die sich zwischen deutscher Technologie und griechischer Industrie gebildet und entwickelt hat.

Inhalt

    Frühe Kontakte, 19. Jahrhundert

    Der Austausch zwischen deutscher Technologie und griechischer Industrie setzt am Ende des 19. Jahrhunderts ein. Während des größten Teils des 19. Jahrhunderts war Deutschland – im Sinne einer nationalen kulturellen Gemeinschaft –für die Griechen vor 1871 das Land Goethes, Schillers oder Hegels, der Philosophie und der Dichtung, des juristischen Denkens und der Geschichtsschreibung von Leopold von Ranke sowie der romantischen neuklassizistischen Schule von Schinkel und Klenze. Mit einem Wort das Land der humanistischen Studien, wo die Erforschung der altgriechischen Welt einen prominenten Platz einnahm. Gleichwohl war der Gründer der Technikschule im Jahre 1837, des Vorläufers des Athener Polytechnikums, der Mann, der als erster Ingenieurwesen im neuen Staat lehrte, der bayerische Pionierhauptmann Friedrich von Zentner. Sein für das Griechenland jener Zeit avantgardistisches Vorhaben wurde jedoch im Wesentlichen durch die „künstlerische Wende“ aufgehoben, die der neue Leiter der Technikschule, der Architekt Lyssandros Kaftantzoglou, in der Lehre an der Technikschule durchführte, als er 1843 die Leitung übernahm. Von Zentner wurde – wie sämtliche Ausländer und Auslandsgriechen – aus dem Staatsdienst entlassen. Die nächste „Wende“ der Schule hin zur Technik und praktischen Ausbildung erfolgte im Wesentlichen nach 1863 unter Leitung von Dimitrios Skalistiris, der wie die meisten Ingenieure des 19. Jahrhunderts in Frankreich studiert hatte. So fiel der avantgardistische Gründer des Polytechnikums dem Vergessen anheim (Antoniou, 2006, 91-104). Viele Jahre später hat der deutsche Botschafter Viktor zu Erbach-Schönberg an ihn erinnert, vermutlich auf der Suche nach einer historischen Rechtfertigung seiner Anwesenheit auf der Hundertjahrfeier des Polytechnikums im Jahre 1937. Er schlug dabei sogar die Einrichtung einer Werkstätte mit dessen Namen vor.1Anonym, „Die Hundertjahrfeier des Nationalen Polytechnikums“, Technika Chronika, Bd. 16, Heft 181 (01.07.1939), 31.

    Dem Vergessen fielen auch die bayerischen Handwerker anheim, die in den Jahren 1830 – 1840 in Athen gearbeitet und zur Einführung und Verbesserung zahlreicher technischer Berufe beigetragen hatten. Es war Xenophon Zolotas (1926, 11), der bekannte Ökonom und Verfasser des ersten Werkes zur Geschichte der griechischen Industrie, der fast ein Jahrhundert später ihre Rolle in Erinnerung rief. Dieses Vergessen ist nicht unerklärlich. Es gibt in der Tat keine lineare Kontinuität zwischen diesen frühen sporadischen Kontakten zwischen Griechen und Deutschen im technischen Bereich und dem späteren massenhaften Eindringen deutscher Technologie in den griechischen Markt. Zu den frühen Kontakten zähle ich auch die wenigen deutschen Unternehmer, die sich im 19. Jahrhundert in Griechenland niederließen und neue Industrien schufen wie Gustav Clauss und Albert Hamburger. Beide reüssierten im Bereich der Weinerzeugung, der keine Verbindung zu einer speziell deutschen Technologie hat. Das wird im Übrigen auch durch das Werbeplakat für die Weine der Firma Hamburger belegt, das auf das idyllische traditionelle griechische Landleben verweist (Abbildung 1). Der einzige Fall einer älteren deutschen technologischen Tradition, die in gewisser Weise das 19. Und das 20. Jahrhundert überbrückt, ist das Brauwesen, das die Familie Fix in Griechenland eingeführt hat. Es begann mit der kleinen Brauerei von Johann Fix in Kolonaki im Jahr 1860 und führte zur großen Fabrik von Karolos Fix an der Leoforos Syngrou im Jahre 1893.

    Der deutsche technologische Einfluss in Griechenland seit Ende des 19. Jahrhunderts, der während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ständig zunahm, hatte keinen Vorläufer. Ganz allgemein war der kometenhafte Aufstieg Deutschlands zu einer wirtschaftlichen Großmacht etwas, was sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts niemand hätte vorstellen können. Die griechische Wirtschaftspresse jener Zeit verfolgte den eindrucksvollen Aufstieg Deutschlands auf der internationalen Bühne der Industrie fast mit Verwunderung.2Siehe z. B. Ikonomiki Ellas, 1902-1913, mit Nachrichten über die deutsche Wirtschaft in jedem Heft.

    Massive Marktdurchdringung, 1900-1940

    Deutschland drang in den griechischen Markt durch die neuen Spitzentechnologien der sogenannten zweiten industriellen Revolutionn ein: Elektrizität, Motoren, Werkzeugmaschinen und chemische Produkte. Die deutschen Exportprodukte – Dieselmotoren, Maschinenersatzteile und andere Zwischenprodukte der Hütten- und der chemischen Industrie – betrafen fast ausschließlich die neu gegründete und sich damals rasch entwickelnde griechische Industrie (Agriantoni, 2002). An diesem Markt der Industrieausrüstung würde Deutschland schließlich in der Zwischenkriegszeit den größten Anteil erobern. Ich konzentriere mich hier auf den privaten Sektor und lasse den Markt der staatlichen Beschaffungen, der öffentlichen Bauten oder der Staatsanleihen außen vor.
    Jüngere Forschungsarbeiten (Dimitriadou-Loumaki, 2010, Chatsimichali, 2008) sowie auch die Pionierarbeit von Mogens Pelt (1998) haben diese Themen gründlich untersucht, insbesondere für die 1920er und 1930er Jahre. Heute kennen wir die Details des Vertrages mit Siemens und Halske für das Telefonnetz des Landes im Jahr 1930, der Rüstungslieferungen von Krupp und Rheinmetall-Borsig insbesondere nach 1936 besser, aber auch jene der Beteiligung der Firmen Siemens-Bauunion und Grün & Bilfinger am Bau der Athener Metro im Jahr 1925. Ich merke lediglich an, dass die Deutschen vor dem Zweiten Weltkrieg auf diesen Märkten keinen besonderen Erfolg verzeichnen konnten. Einer der Gründe war der Umstand, dass Griechenland aufgrund seiner Kreditaufnahmen auf Großbritannien und Frankreich angewiesen war und diese Gläubigerstaaten gewöhnlich die Berücksichtigung ihrer eigenen Firmen als Gegenleistung forderten. Im Übrigen wurden die frühen deutschen Erfolge bei Waffenlieferungen an Griechenland nach dem Beginn der Balkankriege eingestellt (Dordanas 2016,122).

    Ein weiterer Grund war, dass in den 1920er Jahren, als in Griechenland viele öffentliche Bauarbeiten eingeleitet wurden, die deutschen Firmen nicht die finanzielle Unterstützung durch ihren Staat bereitstellen konnten. Im Privatsektor hingegen weitete Deutschland seinen Kundenkreis in der griechischen Industrie beständig, systematisch und fast geräuschlos aus. Bereits 1907 stellten die mit den Leistungen ihres Staates notorisch unzufriedenen Franzosen, dass Motoren nach Griechenland fast ausschließlich aus Deutschland eingeführt wurden.3Archives Nationales, F12 7254, Légation de France à Athènes: J. de Peretti de la Rocca, vice-consul, „Rapport pour l’année 1907“, Athènes 10.09.1908. S. für die unmittelbare Nachkriegszeit auch F12 9421, Dussap (Consul de France à Athènes) au Ministre des Affaires Étrangères, Athènes, 03. 02.1921. Gewisse Industriezweige bezogen ihre gesamte Ausrüstung ausschließlich aus Deutschland (EDDE, 1908, 41), andere forderten sogar deutsche Techniker für die Einrichtung neuer Fabriken an (Karas,1925, 2). Die Dimension der bis dahin bereits erzielten deutschen Marktdurchdringung wurde 1908 durch den Besuch einer Gruppe von 90 Berliner Händlern und Industriellen in modernen Fabriken in Piräus und Eleusis auf Einladung der Industrie- und Handelskammer Piräus offiziell bekannt gemacht.4Detaillierte Beschreibung des Besuchs in der Zeitschrift Akropolis, 4.,5.,6. und 7. April 1908 und in der Wochenzeitschrift Alithia, 13 April.

    Der deutsche Exportschwung wurde am Vorabend des Krieges auch von der politischen Führung anerkannt: 1913 veröffentlichte Wirtschaftsminister Andreas Michalakopoulos einen Artikel in einer Berliner Zeitung mit dem offensichtlichen Ziel, die Deutschen im Hinblick auf die griechischen Siege in den Balkankriegen zu beruhigen, indem er ausführte, dass die Gebiete, die damals von Griechenland annektiert wurden, neue Gelegenheiten für deutsche Exporte böten (Michalakopoulos, 1913). Er erwähnte ebenfalls, dass Deutschland, obgleich bei den griechischen Einfuhren insgesamt nur an vierter Stelle, beim Import von Maschinen und chemischen Produkten den ersten Platz einnehme.

    Nach der Erschütterung des Handelsaustauschs durch den Großen Krieg – und insbesondere in Bezug auf Deutschland, da sich Griechenland letztendlich der Entente angeschlossen hatte – erholten sich die deutschen Exporte nach Griechenland schnell wieder und folgten der neuen Ausweitung der griechischen Industrie während der gesamten 1920er Jahre. Die britische Power & Traction mag den Vertrag für die Athener Stromversorgung im Jahr 1925 gewonnen haben, gleichzeitig beherrschte aber die AEG durch ihre griechische Tochtergesellschaft den Umstellungsprozess der bedeutendsten griechischen Industrien vom Dampfantrieb auf Elektrizität und übernahm die Installation des Stromnetzes in kleineren Städten des Landes (Iraklio, Tinos). Gleichzeitig wurden Dieselmotoren zum Symbol des industriellen Fortschritts; solche Motoren wurden nicht nur aus Deutschland importiert, sie wurden auch mit deutscher Technologie gleichgesetzt, genauso wie im 19. Jahrhundert Watts Dampfmaschine mit dem Vorrang der britischen Technologie gleichgesetzt worden war. Die Dieselmotoren von MAN (Maschinenfabrik Augsburg–Nürnberg) und von Deutz beherrschten den Markt. Deutsche Maschinen wurden jetzt für weitere Industriezweige importiert wie etwa Gerbereien, Papier- und holzverarbeitende Fabriken und insbesondere in den neuen Zweigen der Kunststoff- und Gummiindustrie.

    Großbritannien behielt bei Baumwollspinnereien und -webereien, der verbreitetsten Industrie des Landes, seine Vorherrschaft bei, wenn es diese auch nicht mehr monopolisierte, denn moderne Strickmaschinen wurden aus Chemnitz importiert, und einer der bedeutendsten Unternehmer der Baumwollverarbeitung, Christos Katsambas, bezog 1925 die Grundausstattung seiner Spinnerei in Patras aus Deutschland (Katsambas, 1966, 118-130). Die Präferenz von immer mehr Unternehmern für deutsche Maschinen rief die Reaktion des Redakteurs der technischen Zeitschrift Erga (1925-1930) hervor, der bereits im ersten Heft ausführte: „wir haben festgestellt, dass Angebote für Maschinen nur von Deutschen eingeholt werden […] vielleicht weil unsere Akademiker in der Industrie häufig aus deutschen Hochschulen hervorgegangen sind. Das ist absolut nachteilig für die griechische Industrie …“.5„Die Meinung der Redaktion“, Erga, Bd. 1/1 (15.06.1925), 21.

    Bei der erfolgreichen Eroberung des griechischen Marktes für Industrieausstattung durch Deutschland kamen viele Faktoren zusammen. Drei davon sind meines Erachtens die bedeutendsten: Erstens wiesen die Volkswirtschaften beider Länder besonders im Bereich des Exports Elemente der Komplementarität auf, da Deutschland zum Hauptabnehmer des griechischen Tabakexports geworden war, während Griechenland die deutschen Maschinen für seine Industrie brauchte. Die Idee der Komplementarität wurde schon früh von Deutschland als Teil der Theorie der Großraumwirtschaft (Pelt, 1998, 35-38) entwickelt. Sie wurde verbreitet und folgendermaßen formuliert: „Deutschland ist ein vorrangig industrielles, Griechenland ein vorrangig landwirtschaftliches Land“.6Auszug aus dem Bulletin der Griechischen Handelskammer in Deutschland, Bd. 1/1, August 1924, 24, wie veröffentlicht in EEBE/DGIH, 1999, 36. Es handelt sich um das dauerhafteste Stereotyp in Bezug auf die Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Das Werbeplakat der AEG (Abbildung 2) stellt auf eindeutige Weise die wirtschaftliche Rolle, aber auch das entsprechende soziale Vorbild dar, das dem jeweiligen Land zugebilligt wird: Generatoren gegen Tabak und Arbeiter gegen Bauern. Der Austausch dieser Art zwischen Griechenland und Deutschland gipfelte nach 1932 in den Clearing-Abkommen, was allerdings nach und nach zu signifikanten Verzerrungen führte: Nach 1936 wurde der Überschuss Griechenlands im Clearingverfahren mit Deutschland nur durch Waffenimporte aus Deutschland ausgeglichen (Pelt, 1998, 102-125, 145-156).

    Der zweite Faktor hängt mit der aggressiven Politik des Deutschen Kaiserreichs im Außenhandel zusammen, durch die es sich bemühte, Anteile an den externen Märkten auf zweifache Weise zu gewinnen: (1) durch die bekannte Methode des Dumping, d. h. durch den Verkauf seiner Produkte im Ausland zu sehr niedrigen Preisen, bisweilen unter den Herstellungskosten, um Konkurrenten aus dem Feld zu schlagen, und (2) durch die Gewährung von Krediten und anderen Zahlungserleichterungen an die Käufer. Die griechischen Industriellen, die seitens der griechischen Banken nicht über ausreichende langfristige Kreditlinien verfügten, haben beide Praktiken besonders geschätzt.

    Der dritte und vermutlich wichtigste Faktor waren die Menschen. Die oben erwähnten „Akademiker in der Industrie“ stellten einen neuen Typ des gebildeten Industriellen (Ingenieur oder Chemiker) dar, der in Griechenland an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert erschien. Repräsentativste Beispiele für diesen neuen Typ sind die führenden Figuren eines engen Kreises von Unternehmern, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts die bedeutendsten griechischen Industrien auf den neuen Feldern des chemischen Düngers, des Zements, der chemischen Farben, der Medikamente und des Maschinenbaus gründeten. Leontios Ikonomidis, Nikolaos Kanellopoulos, Alexandros Zachariou, Andreas Chatzikyriakos sind einige der bekannteren Mitglieder dieses Kreises, der auch die Familie Zannou, Epaminondas Charilaos und noch einige weitere umfasste. Fast alle hatten an deutschsprachigen Hochschulen studiert; die erste Generation vor allem in Zürich, da sich zu jener Zeit (1880er Jahre) die technische Ausbildung in Deutschland in einer Umstrukturierungsphase befand; die Polytechnischen Schulen wurden zwischen 1879 und 1890 schrittweise in Technische Hochschulen umgewandelt. Die Eidgenössische Technische Hochschule in Zürich war bei diesem Prozess eine Art Vorbild (König, 2007,74). Nicht wenige griechische Ingenieure haben auch in Deutschland gearbeitet, einige haben deutsche Frauen geheiratet und so enge Bande zu diesem Land geknüpft. Bezeichnend für diese Bande ist die Tatsache, dass sich der 1907 gegründete und von diesen Industriellen kontrollierte Verband griechischer Industrieller und Gewerbetreibender bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs ganz offen für die Neutralität Griechenlands einsetzte (Ikonomidis,1914), und dass einige von ihnen während des Krieges auf die schwarze Liste der Entente gerieten.

    Noch ausschlaggebender war die Rolle der Ingenieure, die in der Zwischenkriegszeit in zunehmender Zahl in Deutschland studiert hatten. Von den 2034 Ingenieuren, die im Jahre 1933 Mitglieder der Griechischen Ingenieurskammer waren, hatten 260 (12,8 %) an deutschen Hochschulen studiert (Τεχνική Επετηρίς, 1934). Fast einer von vieren (68 Personen) hatte sein Studium vor 1914 abgeschlossen. Einige von ihnen, die unternehmerischen Ehrgeiz hatten, übernahmen nach ihrer Rückkehr nach Griechenland die Vertretung deutscher Firmen. Der herausragende Ingenieur und Unternehmer Alexandros Zachariou, einer der Gründer der Zementfabrik „TITAN“ in Eleusis (1902), begründete diese Praxis und übernahm bereits 1899 die Vertretung von Siemens. Nach dem Krieg war die Gesellschaft „A. Zachariou & Co“ Vertreterin von vier weiteren deutschen Firmen neben Siemens (darunter MAN und Telefunken). Ingenieure, die aus dem Athener Polytechnikum hervorgegangen waren, aber auch weitere Unternehmer jenseits der in Deutschland ausgebildeten folgten seinem Beispiel: Ioannis Kyriakidis, der bei TITAN gearbeitet hatte, übernahm mit seinem Bruder die Vertretung von AEG, während der Unternehmer Aristotelis G. Makris in der Zwischenkriegszeit ebenfalls fünf deutsche Firmen vertrat, darunter auch Krupp. Die Firmen Bosch, Bayer, Daimler, Zeiss, I.G. Farben, Junkers und viele andere hatten ebenfalls lokale Vertreter und annoncierten ständig in der griechischen technischen und Wirtschaftspresse, sehr viel häufiger als die Unternehmen irgendeines anderen Landes. Die 1924 in Berlin gegründete und um 1931 nach Athen verlagerte Deutsch-Griechische Industrie- und Handelskammer spielte bei der Förderung dieser Kooperationen eine signifikante Rolle (EEBE/DGIH, 1999,32,50).

    Moderne Technologie und nationale Mythen

    Die Vorstellungen, die seit Anfang des 20. Jahrhunderts die Durchdringung Griechenlands durch deutsche Technologie begleiten, verweisen auf die Art und Weise, wie Intellektuelle verschiedener Gesellschaften nationale Mythen und Traditionen aktivierten, um die moderne Technologie zu deuten und sich anzueignen (Hard und Jamison, 1998). Beim Besuch der deutschen Unternehmer in Eleusis im Jahre 1908 begrüßte der Ingenieur Athanassios Papatheodorou, Absolvent der Technischen Hochschule Stuttgart und Mitgesellschafter von Zachariou, die ausländischen Besucher mit diesen Worten: „… wir, die früheren Träger der Kultur, das frühere Vorbild in Kunst und Wissenschaft, verbeugen uns heute vor der deutschen Gelehrsamkeit […]. So wie wir haben Sie die griechische Kultur auf das ihr gebührende Niveau gehoben, wobei sie Ihnen als Vorbild für unsere weitere Entwicklung diente so wie auch wir die Träger des heutigen deutschen Fortschritts sein wollen […] [Ich möchte] die geistige Verwandtschaft hervorheben, die zwischen unseren beiden Völkern besteht […] Beide beschreiten wir den gleichen Weg“.7Anonym, „Die Deutschen in Eleusis“, Akropolis (05.04.1908) 2.

    Der Ort begünstigte sicher den Bezug auf das klassische Ideologem der ununterbrochenen Kontinuität der griechischen Nation, des wesentlichen konstitutiven Elements der griechischen nationalen Identität: vor den Fabriken hatten die Gäste die archäologische Stätte von Eleusis besucht. Die „Verwandtschaft“ zwischen beiden Völkern wird durch das gemeinsame altgriechische „Vorbild“ hergestellt. Und die moderne Technologie wird durch die Deutschen in das Schema inkorporiert, durch einen gleichwertigen Tausch: die altgriechische Kultur gegen den modernen „Fortschritt“ – ein Begriff, der im konkreten Rahmen mit der Technologie, der modernen technischen Zivilisation gleichgesetzt werden kann. Durch diese Vermittlung wird die Technologie an die Vergangenheit angebunden wie zur gleichen Zeit auch die Wissenschaft von den griechischen Akademikern mit „der griechischen Vergangenheit in ihrer leuchtendsten Ausprägung, nämlich der des antiken Griechenlands“, verknüpft wurde (Kritikos, 1995, 121). Gleichwohl wurde die Technologie in Griechenland nicht zu „einem Stück der nationalen Identität“, wie es in Deutschland der Fall war (Herf, 1996). Und dies nicht nur, weil es sich dabei um einen Import handelte und das Land nicht über eine starke technische Tradition verfügte. Die Perspektive einer industriellen Gesellschaft in ihrer Gesamtheit wurde nie völlig akzeptiert. Im Gegenteil, die Vorstellung vom ewig „agrarischen, händlerischen und seefahrenden Griechenland“ hatte starke Wurzeln und wurde durch eine starke Verknüpfung von wirtschaftlichen Interessen, Angst vor der bürgerlichen Welt und strategischen Entscheidungen des griechischen Staates gestützt (Chatzijossif, 1999, 336-349). Das Einvernehmen zwischen Industriellen und Ingenieuren, das sich im liberalen Rahmen der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts entwickelte, wird im Klima des aufziehenden Etatismus und des Autoritarismus in den 1930er Jahren aufbrechen (Antoniou, 2006, 361-408). Deutschland hingegen wird seine Präsenz in den Kreisen der Techniker und Industriellen aufrechterhalten: ohne Gewissensqualen in Bezug auf das Hitlerregime veröffentlicht die Zeitschrift der Technikerkammer, Technika Chronika, häufig Artikel, die sich auf die neuen technologischen Leistungen und die großen technischen Vorhaben Deutschlands beziehen. Bei der Beschreibung der 40-Jahrfeier des Dieselmotors, die im Nürnberger MAN Werk stattfand, bemerkte der Verfasser des Artikels: „Griechenland hat Grund, diesen Pionieren dankbar zu sein, da der größte Teil seiner Industrie […] durch Dieselmotoren angetrieben wird“.8Anonym, „40 Jahre Dieselmotoren“, Technika Chronika, Heft 145, 38. Im Übrigen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg die Beziehungen und der Austausch zwischen Griechenland und Deutschland rasch wiederhergestellt, wie auch nach dem Ende des vorangegangenen Krieges, diesmal mit starker politischer Absicht (Pelt, 2006, Tsakas, 2015). Der Satz des Arbeiters in Lavrion bezeugt, dass die Präsenz der deutschen Technologie im Herzen, im „Motor“ der griechischen Industrie einen dauerhaften Abdruck im Bewusstsein der industriellen Welt hinterlassen hat – einer Welt jedoch, die niemals das Selbstbild der Griechen beherrschen wird.

    Zusammenfassung

    Die deutsche Industrie begann vom Ende des 19. Jahrhunderts an den griechischen Markt für Industrieausstattung und chemische Produkte zu durchdringen. In dem Essay untersuche ich, auf welche Weise und unter welchen Bedingungen die deutsche Technologie auf diesem Markt die beherrschende Stellung erlangt hat. Die Art des Austauschs zwischen beiden Ländern formte im Übrigen auch die gegenseitige Wahrnehmung der Beteiligten auf beiden Seiten.

    Übersetzung aus dem Griechischen: Ulf-Dieter Klemm

    Einzelnachweise

    • 1
      Anonym, „Die Hundertjahrfeier des Nationalen Polytechnikums“, Technika Chronika, Bd. 16, Heft 181 (01.07.1939), 31.
    • 2
      Siehe z. B. Ikonomiki Ellas, 1902-1913, mit Nachrichten über die deutsche Wirtschaft in jedem Heft.
    • 3
      Archives Nationales, F12 7254, Légation de France à Athènes: J. de Peretti de la Rocca, vice-consul, „Rapport pour l’année 1907“, Athènes 10.09.1908. S. für die unmittelbare Nachkriegszeit auch F12 9421, Dussap (Consul de France à Athènes) au Ministre des Affaires Étrangères, Athènes, 03. 02.1921.
    • 4
      Detaillierte Beschreibung des Besuchs in der Zeitschrift Akropolis, 4.,5.,6. und 7. April 1908 und in der Wochenzeitschrift Alithia, 13 April.
    • 5
      „Die Meinung der Redaktion“, Erga, Bd. 1/1 (15.06.1925), 21.
    • 6
      Auszug aus dem Bulletin der Griechischen Handelskammer in Deutschland, Bd. 1/1, August 1924, 24, wie veröffentlicht in EEBE/DGIH, 1999, 36.
    • 7
      Anonym, „Die Deutschen in Eleusis“, Akropolis (05.04.1908) 2.
    • 8
      Anonym, „40 Jahre Dieselmotoren“, Technika Chronika, Heft 145, 38.

    Verwendete Literatur

    Galerie

    Zitierweise

    Christina Agriantoni: «Die deutsche technologische Überlegenheit in Griechenland, 1900–1940: Praxis und Vorstellungen», in: Alexandros-Andreas Kyrtsis und Miltos Pechlivanos (Hg.), Compendium der deutsch-griechischen Verflechtungen, 01.07.21, URI : https://comdeg.eu/essay/104279/.