Forschungslage und Untersuchungsgebiet
Bei der Erforschung des deutschen Philhellenismus ist das Königreich Sachsen bislang wenig beachtet worden. Auch die sächsische Landesgeschichte hat sich des Themas kaum angenommen. Bis jetzt liegen eigentlich nur drei Aufsätze zu Einzelaspekten vor, nämlich über Wilhelm Traugott Krugs progriechisches Wirken, über Leipziger Teilnehmer am griechischen Unabhängigkeitskampf und den philhellenischen Verleger Ernst Klein (Löschburg, 1959; Suppé, 1991; Suppé, 1994). Darüber hinaus werden progriechische Aktivitäten gelegentlich in Veröffentlichungen zum sächsischen Frühliberalismus oder zur sächsischen Kulturgeschichte des frühen 19. Jahrhunderts erwähnt (Ruhland, 1992, 179-180; Ketzer, 2003; Schmidt-Funke, 2006, 118-124). Eine zusammenfassende monografische Bearbeitung, die der von der Forschung durchaus erkannten Bedeutung Sachsens für die deutsche philhellenische Bewegung der 1820er-Jahre entsprechen würde, fehlt. Dass diese Forschungslücke besteht, dürfte auch damit zusammenhängen, dass die Quellenlage zum sächsischen Philhellenismus nicht besonders gut ist. Akten und Korrespondenzen philhellenischer Vereine haben sich in Archiven kaum erhalten, ähnliches ist von den Nachlässen entsprechender Aktivisten zu sagen, und selbst die Überlieferung der staatlichen Behörden fällt insgesamt eher dürftig aus. Auf die andernorts intensiv ausgewertete Presseberichterstattung kann ebenfalls nicht recht zurückgegriffen werden, denn die ohnehin von der Zensur gegängelten Zeitungen und Zeitschriften enthalten auch deswegen wenig, weil die philhellenische Bewegung zwischen 1821 und 1825 weitgehend aus der Öffentlichkeit verdrängt wurde. Erst ab 1826, mit der offiziellen Duldung von Griechenvereinen in Sachsen, fließen gedruckte Informationen reichhaltiger. Dieses und anderes Material umfassend zu sichten und auszuwerten, war nicht das Ziel dieses Beitrags. Vielmehr soll er einen Überblick über die progriechische Bewegung der 1820er-Jahre in Sachsen geben, was wegen der erheblichen Forschungs- und Quellenlücken freilich nur eingeschränkt möglich ist. Besonderes Interesse gilt dabei innenpolitischen Aspekten, vor allem im Vorfeld und Verlauf der konstitutionellen Staatsreform der Jahre 1830/31, sowie den Unterschieden zur Griechenbewegung in anderen deutschen Staaten.
Das Königreich Sachsen, das den rechtlichen und politischen Raum für die progriechischen Aktivitäten seiner Einwohner bildete, gehörte politisch zu den Verlierern der napoleonischen Kriege und musste nach dem Wiener Kongress etwa die Hälfte seines Territoriums und seiner Bevölkerung an Preußen, einen kleinen Teil auch an Sachsen-Weimar-Eisenach, abtreten. Nach der Landesteilung waren administrative Anpassungen an den neuen Gebietsstand und die geringeren Staatseinnahmen erforderlich. Hoffnungen auf eine dadurch ausgelöste politische Modernisierung des Landes wurden freilich enttäuscht, denn der König und sein leitender Kabinettsminister Graf Detlev von Einsiedel lehnten grundlegende Neuerungen und Reformen ab und beschränkten die Veränderungen auf das Allernotwendigste. Durch seinen antiquierten Verfassungs- und Verwaltungsbau zählte Sachsen zu den politisch rückständigsten Staaten Deutschlands und unterschied sich erheblich von den neuen konstitutionellen Staaten besonders Süddeutschlands, wie Baden, Bayern und Württemberg. Außenpolitisch tat die sächsische Regierung nach 1815 alles, um den Fortbestand des verkleinerten Königreiches zu sichern, folgte den politischen Vorgaben des Deutschen Bundes und war um möglichst gute Beziehungen zu den beiden Großmächten Österreich und Preußen bemüht (Podevins, 1999, 84-87). Im Unterschied zur meist streng konservativen Haltung in politischen Fragen zeigte sich die sächsische Regierung in den Bereichen von Wirtschaft und Kultur deutlich beweglicher, unterstützte durch Hilfsmaßnahmen die aufstrebende sächsische Industrie und engagierte sich auf dem Gebiet von Kultur- und Hochschulförderung.
Wirtschaft, Hochschulbildung und Kultur waren denn auch wichtige innere Anknüpfungsbereiche für Sachsens philhellenische Bewegung der 1820er-Jahre. Aus dem regelmäßigen Besuch der Leipziger Messen heraus waren im 18. Jahrhundert in Leipzig eine orthodoxe Kirchgemeinde griechischer Kaufleute und eine kleine Griechenkolonie entstanden (Suppé, 2003, 15-21). Eine weitere Niederlassung von Griechen gab es in Chemnitz, wo sich nach dem Siebenjährigen Krieg griechische Kaufleute ansässig machten, die bei der Versorgung des südwestsächsischen Textilgewerbes mit „mazedonischer“ Baumwolle für einige Zeit eine Quasi-Monopolstellung erlangten (Liebold, 2019). Sowohl in Leipzig wie auch in Chemnitz kam es im 18. und frühen 19. Jahrhundert zu diversen Kontakten zwischen Griechen und Einheimischen, was den Transfer neugriechischer Sprachkenntnisse und das Entstehen familiärer Verbindungen einschloss. Anknüpfungspunkte im akademischen Bereich ergaben sich aus dem Umstand, dass an der Universität Leipzig eine Reihe junger Griechen studierte.1Vgl. in Blecher/Wiemers, 2006, unter anderem S. 129 (Kyriakopolus), S. 148 (Theochar), 150 (Mauros), 151 (Cordellas), 155 (Comnenos), 210 (Manussi), 224 (Athanas). Außerdem gab es dort einen Sprachlehrer für das Neugriechische (Königlich Sächsischer Hof-, Civil- und Militärstaat, 1821, 177). Leipzig mit seiner Universität stellte zugleich ein Zentrum der Beschäftigung mit altgriechischer Sprache und Kultur dar, ebenso Dresden, wo Karl August Böttiger als Direktor der Galerie der antiken und modernen Statuten vorstand und sich als Kunsthistoriker und Philologe intensiv mit der griechischen Antike auseinandersetzte (Schmidt-Funke, 2006). Ein wichtiger unterstützender Faktor für Sachsens Philhellenismus war ferner das leistungsfähige Leipziger Druckerei- und Verlagswesen, dessen Erzeugnisse deutschlandweit eine große Anzahl von Lesern erreichten und das durch politisch unerwünschte Veröffentlichungen den konservativen Staatslenkern des Deutschen Bundes immer wieder Sorge und Verdruss bereitete. Friedrich Gentz, engster Mitarbeiter Metternichs, bezeichnete Leipzig im Juni 1819 als liberalen „Gewitterknoten“ (Briefwechsel, 1857, 290) und zielte damit auf Publizisten wie den Leipziger Philosophieprofessor Wilhelm Traugott Krug und Verleger wie Friedrich Arnold Brockhaus.
Erste Aufrufe und Aktivitäten, April – August 1821
Vor dem Hintergrund dieser wirtschaftlichen, akademischen und publizistischen Anknüpfungspunkte ist die Tatsache, dass der erste medienwirksame Aufruf zur Unterstützung des griechischen Freiheitskampfes (die von Krug verfasste und bei Brockhaus gedruckte Flugschrift „Griechenlands Wiedergeburt“) in Sachsen bzw. in Leipzig verfasst und veröffentlicht wurde, nicht erstaunlich. Die große Resonanz, die Krug mit seinem Aufruf in Deutschland fand, ist schon häufiger hervorgehoben worden. Dagegen wissen wir über die Entwicklungen in Krugs engerem Wirkungsgebiet, dem Königreich Sachsen, bislang eher wenig. Vermuten lässt sich, dass Leipzig nicht nur ein Zentrum des frühen deutschen, sondern auch des frühen sächsischen Philhellenismus war. Bei Krug meldeten sich sächsische Freiwillige zur Aufnahme in ein Philhellenenkorps, er korrespondierte von Leipzig aus mit Griechenlandfreunden innerhalb und außerhalb Sachsens, und bei ihm gingen Spenden für durchziehende Griechen und philhellenische Freiwillige ein (Krug, 1842, 199-201).2Eine Abrechnung über die erhaltenen Spenden in Höhe von 369 Talern und 16 Groschen veröffentlichte Krug in der Leipziger Zeitung vom 30. Oktober 1821, S. 2598. Da Krug in seiner Autobiografie eine ihm rasch lästig werdende Inanspruchnahme durch Korrespondenzen, Spender und Bittsteller erwähnt, ist vermutlich kein philhellenischer Verein gegründet worden, der diese Aufgaben auf mehrere Schultern hätte verteilen können.3Hingegen soll ein Verein armenischer Kaufleute gebildet worden sein, um die Reise von Militärs nach Griechenland mit Geld zu unterstützen, vgl. Allgemeine Zeitung, 19. August 1821, S. 923. Somit fehlte für das sachsenweit vorhandene Interesse an tätiger Unterstützung ein organisatorisches Zentrum.
Verankert war der Leipziger Philhellenismus im akademischen Bereich, genauer gesagt, bei Krug und einigen anderen liberal gesinnten Professoren sowie Studenten. Der Student Wertheim rief seine Kommilitonen zur finanziellen Unterstützung der Griechen auf (Löschburg, 1959, 217)4Gemeint ist offenbar Samuel von Wertheim aus Dobruška in Böhmen, vgl. Blecher/Wiemers, 2006, 129. Die von Wertheim beabsichtigte Veröffentlichung seines Aufrufs im Leipziger Tageblatt wurde von der Zensur verhindert, vgl. SächsStA-D, 10088, 1730., und von Mitgliedern der Burschenschaft soll im Mai 1821 sogar ein eigener Griechenverein gegründet worden sein (Lönnecker, 2013, 52). Leipzig war außerdem Entstehungs- und Verlagsort weiterer progriechischer Flugschriften wie der des Theologieprofessors Heinrich Gottlieb Tzschirner („Die Sache der Griechen, die Sache Europas“), des Medizinprofessors Johann Christian Gottfried Jörg („Die Wichtigkeit des jetzigen griechisch-türkischen Kampfes für das physische Wohl der Bewohner des europäischen Continents“) und einer weiteren von Krug („An meine deutschen Mitbürger“). Ob und in welchem Umfang es 1821 philhellenische Aktivitäten in anderen sächsischen Städten und Regionen gegeben hat, ist derzeit nicht bekannt. Für Dresden lassen sich diese mit einiger Sicherheit annehmen, denn im Sommer/Herbst 1821 zogen von dort einige Freiwillige nach Griechenland (Holtzendorff, 1885, 31). Andererseits stand die Stadt als Residenz unter besonders enger Aufsicht der obersten Landesbehörden. Im Unterschied zu München, wo Kronprinz Ludwig als begeisterter Philhellene eine verdeckte Stütze der frühen progriechischen Bewegung war (Spaenle, 1990, 47-48), fehlte diese dynastische Komponente in Dresden.
Prinz Friedrich August, der künftige Thronfolger und König (ab 1830/37), stand zwar liberalen Ideen nahe, schien sich aber nicht sonderlich für Griechenland zu interessieren. Sein jüngerer Bruder Johann (König ab 1854) entdeckte 1821 während einer Italienreise den Dichter Dante Alighieri für sich, blieb diesem als Übersetzer und Kommentator sein Leben lang treu und entwickelte insofern keine tiefere Neigung für Griechenland, auch wenn er aus eigenem Antrieb Altgriechisch erlernte (Kretzschmar, 1958, 65, 80).5Johanns Einschätzung in seinen Lebenserinnerungen, er habe sich „stets, wie damals viele Tausende, für die griechische Sache interessiert“ (vgl. Kretzschmar, 1958, S. 91), erfolgte im Rückblick auf das verlockende, von ihm aber abgelehnte Angebot der griechischen Krone 1829 und meint sicher keine solche Griechenbegeisterung, wie sie Kronprinz Ludwig von Bayern entwickelte, zumal Hinweise auf eine konkrete Unterstützung der sächsischen Philhellenen durch Johann bislang fehlen. In den Monaten April bis Juli 1821 konnte die philhellenische Bewegung Sachsens offenbar ohne stärkere Störungen durch die Behörden agieren, wenn man von einigen Zensureingriffen bei progriechischen Veröffentlichungen absieht. Dem Leipziger Universitätsprofessor und Zensor Christian Daniel Beck gab die sächsische Regierung noch am 2. August zu erkennen, „es gehe die Meinung zur Zeit nicht dahin, dergleichen Schriften unbedingt zu unterdrücken“; jedoch sollten auffällige und anstößige Stellen nicht freigegeben werden, da in einer Universitätsstadt wie Leipzig wegen der studentischen Jugend besondere Vorsicht geboten sei (SächsStA-D, 10088, 1730).
Einschreiten der sächsischen Regierung
Diese Duldungspraxis fand nur wenige Tage später ein abruptes Ende, als die Regierung Kenntnis von Krugs am 1. August 1821 veröffentlichter Flugschrift „An meine deutschen Mitbürger“ erlangte, in der er die Gründung von Griechenvereinen, die Organisation von Spendensammlungen und die Unterstützung kampfbereiter Freiwilliger vorschlug. Nach Rücksprache mit König Friedrich August I. wies Kabinettsminister von Einsiedel das Oberkonsistorium an, die weitere Verbreitung der Schrift zu unterbinden, und in einem Reskript an die Universität Leipzig vom 7. August wurde dieser aufgetragen, Krug eine Missbilligung dafür auszusprechen, „daß er seinem Standpunct als Staatsdiener und öffentlicher Lehrer auf einer Universität bei sothanem Aufruff nicht gemäs gehandelt habe“ (SächsStA-D, 10026, Loc. 2530/4).
Damit erlitt die progriechische Bewegung Sachsens einen empfindlichen Rückschlag, denn die von Krug vorgeschlagenen Organisationsschritte waren im Land nicht mehr umsetzbar. Krugs in einem Schreiben an Kabinettsminister von Einsiedel vom 3. August unternommener Versuch, die philhellenische Bewegung von radikalen Bestrebungen abzugrenzen und sogar ihren innenpolitischen Nutzen aufzuzeigen (da der Abzug unruhiger Köpfe nach Griechenland der politischen Stabilität im Innern diene), änderte daran nichts. Ein direkter Einfluss seitens der beiden deutschen Großmächte Österreich und Preußen ist bei dieser Entscheidung übrigens nicht erkennbar, sodass Sachsen den Philhellenen im eigenen Land aus eigenem Antrieb Grenzen setzte, und zwar deutlich bevor dies in Österreich und Preußen erfolgte (Klein, 2000, 27; Irmscher, 1966, 18-19). Erklären lässt sich das mit der streng konservativen Haltung der sächsischen Staatsspitze um den greisen König Friedrich August I. sowie mit der besonderen Vorsicht allen Entwicklungen gegenüber, die die 1815 mühsam erhaltene Existenz des Landes zu gefährden schienen. Stützen konnte sich die Regierung auf konservative Kreise, die den progriechischen Aktivitäten Krugs und seiner Mitstreiter skeptisch gegenüberstanden. Der Waldheimer Pfarrer und geistliche Inspektor David Ludwig Wigand veröffentlichte Ende August ein Pamphlet, in dem er Krug vorwarf, sich unberufen und unter Missachtung seiner sächsischen Untertanenpflicht in die Politik der Großmächte einzumischen (Quack-Eustathiades, 1984, 180-182). Ablehnend äußerte sich auch der Leipziger Oberhofgerichtsrat und Universitätsprofessor Karl Friedrich Christian Wenck, der ein sinnloses Aufopfern junger, kriegsunerfahrener Enthusiasten fern der Heimat fürchtete (Hauser, 1990, 47-48, 260).
Halböffentliches Wirken, 1822 – 1826
Die mit den Verboten herbeigeführte Zäsur beendete die Frühphase des sächsischen Philhellenismus und leitete über in eine mittlere Phase, die wie in anderen deutschen Ländern grob die Jahre 1822-1825 umfasste. Dabei wurde die progriechische Bewegung jedoch nicht ausgeschaltet, sondern in die Halblegalität abgedrängt. Die sich nun großenteils im Privaten oder Halböffentlichen abspielenden Aktivitäten sind dadurch noch schwieriger zu erfassen als zuvor. Zum wohl wichtigsten Handlungsfeld wurde die Zusammenarbeit mit den süd- und südwestdeutschen Aktivisten, besonders mit dem „Deutschen Hilfsverein für Griechenland“ in Stuttgart sowie dem „Hilfsverein für Griechenland“ in Darmstadt (Hauser, 1990, 72). An die Griechenvereine in diesen beiden Städten und in Zürich gelangten von 1821 bis 1826 sächsische Spendengelder in Höhe von 2.366 Gulden und zwei Kreuzer. Reiht man das Spendenaufkommen aus den Staaten des Deutschen Bundes pro Kopf der Bevölkerung auf, rangierte Sachsens im Mittelfeld, noch vor Preußen, Bayern, Hannover und den meisten thüringischen Staaten (Hauser, 1990, 74). Stuttgart und die Schweiz waren oft auch Relaisstationen, über die sächsische Freiwillige nach Griechenland gelangten, um gegen die Türken zu kämpfen. In den Namensverzeichnissen deutscher Griechenlandfahrer ist bei fünfzehn bzw. siebzehn eine Herkunft aus Sachsen angegeben (Schott, 1825, 20-30; Barth/Kehrig-Korn, 1960, 65-262), wobei aber nur 11 oder 12 tatsächlich aus dem Königreich Sachsen stammten. Da eine Zahl von etwa 250 deutschen Griechenlandfreiwilligen bekannt ist (Quack-Eustathiades, 1984, 55), betrug Sachsens Quote etwa fünf Prozent, was ungefähr seinem Anteil an der Bevölkerung des Deutschen Bundes entsprach (ohne Österreich, das den Abzug philhellenischer Freiwilliger weitgehend unterband). Auch die soziale Herkunft der sächsischen Teilnehmer glich wohl der der anderen deutschen Freiwilligen: Soweit erkennbar, handelte es sich um Offiziere, Studenten, Angehörige freier Berufe und Angestellte.
Leipzig blieb auch nach 1821 ein wichtiger Verlagsort für progriechische oder sich mit dem Befreiungskampf beschäftigende Texte. Allerdings ging die sächsische Zensur jetzt schärfer gegen solche vor, was offenbar auf einen Vorstoß Metternichs zurückging, der den sächsischen Gesandten in Wien im November 1821 um eine schärfere Zensur griechenlandbezogener Veröffentlichungen in Leipzig gebeten hatte (SächsStA-D, 10026, Loc. 30018/2). Metternichs Aufforderung an die sächsische Regierung, sich in dieser politisch wichtigen Frage wunschgemäß zu bezeigen, verhallte nicht ungehört. Abgesehen von der ohnehin bestehenden Übereinstimmung zwischen Wien und Dresden in politischen Grundsatzfragen war Sachsen auch aus staatlichem Selbsterhaltungstrieb am Erhalt des Status quo in Europa interessiert und unterstützte somit die Vermittlungsversuche Österreichs zwischen Russland und der Pforte, „damit ein Bruch vermieden werde, der im allgemeinen sehr nachtheilige Folgen haben könnte“ (SächsStA-D, 10026, Loc. 30018/3). In der Praxis des Leipziger Zensors (und Universitätsprofessors) Beck lässt sich tatsächlich beobachten, dass Griechenland ab Ende 1821 zum wichtigsten Zensurgrund wurde. Besonders unnachgiebig verhielt sich Beck gegenüber dem als „anmaßend“ bezeichneten Verleger Ernst Klein, den er damit gefügig machte, dass Druckbogen mit „anstößigen“ Stellen mehrmals und so lange bemängelt wurden, bis der Verleger aus Zeit- und Kostengründen schließlich nachgab.6Bei Kleins Zeitschrift „Der Freiheitskampf der Griechen gegen die Türken in seinem Entstehen und Fortgehen“ ließ Beck sich die Druckbögen nicht weniger als viermal nacheinander vorlegen, um Änderungen durchzusetzen. Klein beschwerte sich darüber am 22. September 1822 beim Oberkonsistorium, wurde dort aber abgewiesen, vgl. SächsStA-D, 10088, 1730. Zum Ende des Jahres 1822 hin ließ der Zensureifer nach, sei es, weil der griechische Befreiungskampf an tagespolitischer Bedeutung verloren hatte, sei es, weil weniger Schriften zu diesem Thema herauskamen. Bei der Übersetzung von „Thomas Lord Erskine´s Schreiben an den Grafen von Liverpool, über die Angelegenheiten der Griechen“7Die Übersetzung erschien 1823 in Leipzig. ordnete Kabinettsminister von Einsiedel die Streichung einiger weniger Stellen an, gab den Rest aber frei. Soweit sich aus der Korrespondenz Becks mit dem Oberkonsistorium erkennen lässt, war dies der letzte zentralbehördlich entschiedene Zensurfall, der den griechischen Unabhängigkeitskampf betraf.
Eine veränderte, man könnte sagen etwas entspanntere Haltung der sächsischen Regierungsspitze zur griechischen Frage zeigte sich um diese Zeit auch, als Sachsen zum Durchzugsgebiet für rund 170 griechische Flüchtlinge wurde, die von Odessa kommend über Polen, Deutschland, die Schweiz und Frankreich in ihre Heimat zurückkehrten.8Zum Flüchtlingszug vgl. Hauser, 1990, 89-92; Schott, 1825, 60-65. Die sächsische Regierung gestattete ihre Durchreise und verhielt sich damit so wie die anderen betroffenen deutschen Staaten.9Den Durchzug erlaubten auch die anderen betroffenen deutschen Staaten, vgl. Hauser, 1990, 284. Erst im Herbst 1823 änderte sich diese Haltung, aus Sorge vor neuen Flüchtlingskolonnen aus Odessa (Hauser, 1990, 91). Die sächsische Regierung ordnete, nachdem sie Informationen über entsprechende Einreiseverbote der Schweiz, Württembergs und Sachsen-Weimar-Eisenachs erhalten hatte, ebenfalls die Zurückweisung von Griechen an der Landesgrenze an, vgl. SächsStA-D, 10025, Loc. 6596/4. Zugleich duldete sie private Initiativen zur Versorgung der Flüchtlingsgruppen und nahm sogar das zeitweilige Entstehen philhellenischer Organisationsstrukturen hin. Dahinter steckte vielleicht das Kalkül, dass durch die Zulassung privater Hilfen die staatlichen Kassen von zusätzlichen Versorgungsausgaben verschont bleiben würden. In Leipzig rief der dortige griechische Kaufmann Georg Theochar am 14. Dezember 1822 zur Teilnahme an einer Subskription „zu Gunsten der unglücklichen nach Odessa geflüchteten Griechen“ auf und versprach eine gewissenhafte Abrechnung der Spenden.10Leipziger Zeitung, 19. Dezember 1822, S. 2989-2990, 2. Januar 1823, S. 18. Mitte Juni 1823 konnte er mitteilen, dass 1.220 Taler und 10 Groschen eingegangen waren, wovon 929 Taler und drei Groschen für 112 durchziehende Griechen aus Odessa verwendet worden seien.11Leipziger Zeitung, 14. Juni 1823, S. 1396-1397. Durch die Beteiligung vor allem des Leipziger Wirtschaftsbürgertums erreichte die Durchschnittsspende mit knapp acht Talern eine beachtliche Höhe. Der höchste Einzelbetrag, mit 100 Talern, stammte „von der griechischen hiesigen Kirche“, mithin vor allem von den auf den Leipziger Messen anwesenden griechischen Kaufleuten. In Dresden, wo es ebenfalls zur Sammlung von Spenden kam, konnten bis Anfang Juni 174 Durchzügler mit 1.235 Talern, neunzehn Groschen und sechs Pfennigen unterstützt werden.12Leipziger Zeitung, 30. Juni 1823, S. 1525. Zur praktischen Organisation der Hilfsaktionen entstand sogar ein Verein, über dessen Zusammensetzung und Tätigkeit wir leider nur wenig wissen. Möglicherweise zählten der griechische Fürst Alexander Kantakuzeno13Kantakuzeno stand in Verbindung mit dem Stuttgarter Griechenverein, informierte diesen über das Eintreffen der Flüchtlinge und spendete für sie Geld, vgl. Schott, 1825, 61-62., der sich seit circa 1822 in Dresden aufhielt, und der ehemalige sächsische Legationssekretär August Heinrich Meisel, der im April 1824 von Dresden nach Griechenland reiste und im Oktober in Messolongi an einer Krankheit starb,14Deutsches Literaturarchiv Marbach, Cotta-Archiv, Meisel an Cotta, 22. Mai 1823; Ludwig, 2013, S. 175-176. zum Kreis der Mitwirkenden. Auch in einigen kleineren Städten Sachsens gab es Hilfs- und Spendenaktionen für die Durchzügler. Dazu gehört das westlich von Chemnitz gelegene Hohenstein, wo der (vermutlich griechische) Kaufmann Athanasios M. Radon Spenden in Höhe von 192 Talern und 22 Groschen einwarb, über deren Verwendung er später Rechenschaft ablegte.15Leipziger Zeitung, 24. März 1824, S. 750. Nach dem „Leipziger Adreßkalender auf das Jahr 1823“, Zweite Abteilung, S. 48, handelte Athanasius M. Radon als Kaufmann mit türkischem rotem Garn und Kamelhaar und wohnte während der Leipziger Messen im Haus Katharinenstraße Nr. 389, in unmittelbarer Nachbarschaft des griechischen Bethauses. Die Spenden- und Hilfsaktionen von 1823 können als auffälligste Erscheinungsform des sächsischen Philhellenismus in seiner zweiten Phase (von 1822 bis 1825) gelten. Öffentlich wahrgenommen wurden auch Publikationen wie ein Gedichtband, den Heinrich Stieglitz und Ernst Große im selben Jahr „als Scherflein“ zur Unterstützung des griechischen Befreiungskampfes herausgaben (Stieglitz/Große, 1823). Weitere Aktivitäten, wie die Reise von Freiwilligen nach Griechenland, die Kommunikation mit den Griechenvereinen in Süd-, Südwestdeutschland und der Schweiz oder auch progriechische bzw. griechenlandbezogene Veranstaltungen16So lud der Gastwirt J. C. Starke aus Thonberg (bei Leipzig) für den 12. August „zu einem Figur-Schießen […] die Erstürmung der Festung Patras in Griechenland vorstellend, […] alle seine und der Griechen Freunde ganz ergebenst ein“, vgl. Leipziger Zeitung, 8. August 1822, S. 1800. Eine ähnliche Schießveranstaltung, an der man in sicherem Abstand zum Kriegsschauplatz in Griechenland und „bei gutem Essen und Getränk“ teilnehmen konnte, fand am 8. August 1825 statt; wobei die zum Motto „Zerstörung eines türkischen Kriegsschiffes durch eine griechische Fregatte“ gegebene Erläuterung, dass „auf beiden Schiffen Türken und Griechen genug vorhanden sind, um durch das Geschoß der respectiven Theilnehmer zu fallen“ politische Indifferenz und Zynismus des einladenden Gastwirts J. G. Pötzsch erkennen lässt (Leipziger Zeitung, 5. August 1825, S. 2024)., spielten sich meist innerhalb privater oder halböffentlicher Zirkel ab und sind nur noch ansatzweise nachzuvollziehen.
Aufschlussreich ist daher die Korrespondenz zwischen den sächsischen Philhellenen Bernhard Moßdorf in Dresden und Theodor Kind in Leipzig (SächsStA-D, 10034, 32),17Vorhanden sind allerdings nur die Briefe Kinds an Moßdorf vom März 1824 bis November 1829. Die Korrespondenz davor und danach sowie die Briefe Moßdorfs an Kind sind offenbar verloren gegangen. da sie zeigt, wie diese progriechischen Netzwerke funktionierten.18Zu Moßdorf vgl. Ruhland, 1992; zu Kind vgl. Grimm, 1977. Etwa gleichaltrig und Familien des Bildungs- bzw. Beamtenbürgertums entstammend, haben sich Kind und Moßdorf wohl um 1818 während ihres Jurastudiums in Leipzig kennengelernt. Im Spätsommer oder Herbst 1821 zog Moßdorf nach Griechenland, um am dortigen Unabhängigkeitskampf mitzuwirken, und kehrte im Juni 1822 nach Sachsen zurück. Dabei wird zunächst die bekannte Tatsache deutlich, dass der sächsische Philhellenismus Teil einer nationalen bzw. internationalen Solidaritätsbewegung war. Kind korrespondierte nicht nur mit Moßdorf in Dresden, sondern auch mit Gesinnungsgenossen in Bremen, Darmstadt, München und Stuttgart sowie Paris und London. Die Kontakte erschöpften sich außerdem nicht im Briefverkehr, sie wurden auch durch mündliche Mitteilungen von Dritten sowie durch Reisen und persönliche Begegnungen hergestellt. Ein großer Teil der Korrespondenz ist philhellenischen oder griechenlandbezogenen Publikationen gewidmet, die in dieser Zeit erschienen, darunter auch Zeitschriftenbeiträgen und Übersetzungen von Kind und Moßdorf selbst. Ferner geht es um Moßdorfs Plan, nochmals als Kämpfer nach Griechenland zu ziehen – ein Vorhaben, das er 1825 (schon in der Schweiz befindlich) aus unbekannten Gründen aufgeben musste. Während Moßdorf mithin zu jenen wenigen Griechenfreunden gehörte, die die raue Wirklichkeit vor Ort nicht vor einem weiteren Kampfeinsatz abschreckte, pflegte Kind einen mehr ästhetisch-literarischen Philhellenismus, der sich eher auf geistigen Austausch, Informationssammlung und literarische Tätigkeit richtete. Griechenland war für ihn weniger Ort oder Ziel konkreter Hilfe und Aktivität (wobei sich Kind auch skeptisch über den Nutzen progriechischer Spendensammlungen äußerte), sondern mehr ein Gegenstand schwärmerischer Träumerei, die sich gar nicht in spröde Wirklichkeit verwandeln sollte. Dies schließt jedoch nicht aus, dass Kind mit Moßdorf brieflich die politische Entwicklung Griechenlands sowie die Haltung der europäischen Großmächte diskutierte und analysierte. Einig waren sich beide in ihren liberalen Grundüberzeugungen sowie in der Ablehnung der repressiven Politik der Heiligen Allianz, und beide sahen im griechischen Unabhängigkeitskampf eine wichtige Triebfeder einer südeuropäischen Freiheitsbewegung, die in Portugal, Spanien und Italien sowie schließlich auch in Österreich und Deutschland Licht und Freiheit bringen müsse (SächsStA-D, 10034, 32).
Spendenbewegung und Griechenvereine, 1826-1828
Ende Mai 1826 endete die Zeit des stillen Philhellenismus in Sachsen. Nach dem Fall der Festung Messolongi erlebte die Griechenbegeisterung, wie in Deutschland und Europa, einen neuen Aufschwung, erlangte offizielle Anerkennung und ging in Intensität und Breitenwirkung deutlich über das Jahr 1821 hinaus. Zum Ausgangspunkt wurde die am 29. Mai in der Dresdner „Abend-Zeitung“ veröffentlichte „Bitte und Aufforderung zur Unterstützung der hülfsbedürftigen Christen in der Levante“19Abend-Zeitung, 29. Mai 1826, S. 508. In der halbamtlichen Leipziger Zeitung erschien der Aufruf am 31. Mai 1826 (S. 1415)., wie die Griechen anfangs übervorsichtig genannt wurden. Offensichtlich stellte die Anzeige eine Reaktion auf ähnliche Aufrufe in anderen deutschen Ländern dar, wie zunächst in Preußen (25. April), dann auch in Bayern (26. April), Württemberg (9. Mai) und Baden (21. Mai) (Irmscher, 1966, 35; Spaenle, 1990, 95; Hauser, 1990, 103, 106). Offensichtlich ist auch, dass die Veröffentlichung in der Presse und die dabei mitgeteilte Gründung eines Vereins nicht ohne Wissen und Zustimmung der staatlichen Behörden möglich gewesen waren. Schriftliche Spuren über eine entsprechende Genehmigung konnten in den Archivbeständen der Dresdner Zentralbehörden20Dies betrifft vor allem die Aktenüberlieferung des Geheimen Kabinetts, das als oberste Regierungsbehörde in alle politisch wichtigen Angelegenheiten einbezogen war. bislang nicht ermittelt werden, sodass Vorgeschichte und Ablauf der Vereinsgründung noch unklar sind. Nicht auszuschließen ist, dass die Genehmigung informell bzw. mündlich erteilt wurde und es insofern keine Aktennotizen gibt.
Die Dresdner Vereinsgründung richtete den sächsischen Philhellenismus in verschiedener Hinsicht neu aus. Die Verlagerung des Organisationsmittelpunkts nach Dresden führte dazu, dass an die Stelle der dem akademischen Milieu Leipzigs entstammenden Aktivisten der Frühzeit Personen mit anderer sozialer und politischer Ausrichtung traten. Zwar können die Dresdner Vereinsgründer nicht wirklich „den Kreisen der Dresdner Hofgesellschaft“ (Hauser, 1990, 100) zugeordnet werden, denn die acht Gründungsmitglieder – ein Arzt, zwei Dichter, ein ehemaliger Offizier, zwei Privatiers und zwei Bankiers21Heinrich Wilhelm Bassenge und Comp., Peter W. Julius von Classen, Graf Friedrich Kalckreuth, Joachim Christoph Kayser, Gustav Ludwig Preußer, Heinrich Schütze, Christoph August Tiedge und Carl Christian Lebrecht Weigel. – wiesen keine besonders enge Beziehung zum sächsischen Königshof auf. Allerdings nahmen der aus Preußen stammende Literat Graf Friedrich von Kalckreuth und der ihm nahestehende russische Rittmeister Peter Wilhelm Julius (von) Classen im Verein offenbar eine Führungsrolle ein, womit das konservativ-adlige Element gestärkt und der Verein akzeptabler für die sächsische Regierungsspitze wurde. Diese Tendenz verstärkte sich durch die Aufnahme des Oberhofpredigers Christoph Friedrich von Ammon kurz nach Vereinsgründung. Ein zweiter Richtungswechsel bestand in der politischen Enthaltsamkeit des Vereins, der sich auf karitative Aufgaben beschränkte und das politische Geschehen in Europa, Deutschland sowie Sachsen nicht kommentieren oder gar beeinflussen wollte. Jene Philhellenen, die 1821/22 dezidiert liberale Positionen vertreten und den Unabhängigkeitskrieg in Griechenland vor allem als freiheitliche und nationale politische Bewegung angesehen hatten, spielten in der Bewegung des Jahres 1826/27 keine Rolle mehr. Die Leipziger Aktivisten der ersten Stunde wie Wilhelm Traugott Krug und Heinrich Gottlob Tzschirner zogen die Konsequenz und gründeten am 10. Juni 1826 einen eigenen Leipziger Verein, der sich die Einrichtung eines Unterstützungsfonds für griechische Studenten in Leipzig zum Ziel setzte und damit einen räumlich und inhaltlich anderen Weg einschlug.22Leipziger Zeitung, 14. Juni 1826, S. 1542.
In enger Zusammenarbeit mit Behörden, Amtsträgern und Privatpersonen brachte der Dresdner „Verein zur Unterstützung hülfsbedürftiger Griechen“ rasch eine landesweite Spendenbewegung in Gang und warb beachtliche Geldsummen ein. Die bis Anfang Mai 1827 in Dresden eingegangenen Spenden beliefen sich auf 13.157 Taler, 19 Groschen und drei Pfennige (Beiträge, 1827, 174), und erhöhten sich bis Ende Januar 1828 auf insgesamt 15.535 Taler, acht Groschen und sechs Pfennige.23Leipziger Tageblatt, 23. Februar 1828, S. 287. Pro Einwohner wurde in Sachsen von 1826 bis 1828 deutlich mehr gespendet als in Baden, Hannover, Hessen oder Württemberg, dagegen jedoch etwas weniger als in Bayern und nur ungefähr halb so viel wie in Preußen (Hauser, 1990, 101).
Eine tiefergehende Analyse der sächsischen Spenden ist in diesem Beitrag nicht möglich und soll später an anderer Stelle erfolgen. Gleichwohl können einige erste Beobachtungen aus dem gesichteten Material mitgeteilt werden. Dazu gehört zunächst, dass sich die Mitglieder des sächsischen Königshauses im Unterschied zu anderen regierenden Häusern Deutschlands24Für das preußische Königshaus vgl. Erler, 1906, 51. nicht erkennbar an den Spenden beteiligten. Auch die Inhaber der obersten Regierungsämter hielten sich zurück: Graf Detlev von Einsiedelverpflichtete sich als Regierungschef zu einer Jahresspende von zwei Talern, was angesichts seiner zentralen politischen Stellung und privaten Einkünfte wohl als peinlich wenig empfunden wurde. Von den sonstigen Ministern bzw. den Mitgliedern des Geheimen Rates fehlt mehr als die Hälfte in den Spendenlisten, die übrigen gaben drei oder vier Taler jährlich. Die Masse der Spenden stammte, wie in anderen deutschen Ländern auch, aus dem Bildungs-, Beamten- und Wirtschaftsbürgertum; aber auch Adlige, Bauern sowie Frauen und mitunter sogar Kinder beteiligten sich. Auffällig sind korporative Spenden von Handwerkerinnungen, Fabrikbelegschaften und Dorfbewohnern, wobei zu vermuten ist, dass durch Obermeister, Fabrikbesitzer und Pfarrer Sozialkontrolle und Konformitätsdruck ausgeübt wurden. In regionaler Hinsicht stammten die meisten Spenden aus den beiden größten Städten Sachsens, Dresden und Leipzig. Auch deren Umland sowie der mittelsächsische Raum waren gut repräsentiert. Deutlich geringere Beiträge dagegen gingen aus Chemnitz und dem westsächsischen Textilrevier ein. Hier scheinen Auswirkungen der Wirtschaftskrise von 1826 deutlich zu werden, aber auch eine ökonomisch begründete Distanz zum griechischen Unabhängigkeitskampf, der ja die wichtigen Absatzbeziehungen nach Südosteuropa und in die Türkei seit 1821 auf eine harte Probe stellte.25Allgemeine Zeitung, 26. November 1822, Beilage, S. 785, 6. Juni 1823, Beilage, S. 361-362, 22. November 1823, Beilage, S. 785, 30. November 1826, Beilage, S. 1333.
Ebenfalls nur kurz eingegangen werden kann auf die sächsischen Griechenvereine: Außer in Dresden (mit zentraler Funktion) und Leipzig (als separate Gründung) entstanden sie in Borna, Geringswalde, Großhartmannsdorf, Meißen, Waldenburg und Wurzen, mithin in einigen kleineren Städten und Orten (Beiträge, 1827, 18).26Erler, 1906, 60, hat Griechenvereine in anderen sächsischen Orten genannt, dabei jedoch die im Bericht, 1826, 14-17, aufgeführten örtlichen Spendenaktivitäten missverstanden und jeweils als Vereinsgründungen angesehen. Der Aufruf des Dresdner Vereins zur „Bildung kleiner Special-Vereine, in allen Städten und Orten […], wo religiöses und gemeinnütziges Interesse fruchtbar ist“, löste insofern eine nur bescheidene Resonanz aus, so dass der nach dem Vorbild anderer Länder beabsichtigte Aufbau einer landesweiten Organisation mit Bezirks- und Ortsvereinen ein Wunschtraum blieb. Die offenbar politisch motivierte Absonderung der Leipziger Philhellenen wurde bereits erwähnt, und auch in anderen Städten und Regionen Sachsens mag es so gewesen sein, dass die Zusammensetzung des Dresdner Vereins im liberalen Bürgertum kein rechtes Vertrauen einflößte, da die beiden Sekretäre des Vereins, Kalckreuth und Classen, von außerhalb Sachsens stammende Adlige waren und man dem kurz nach der Vereinsgründung kooptierten Oberhofprediger Christoph Friedrich von Ammon zu viele Konzessionen an den restaurativen Kurs von Kabinettsminister von Einsiedel vorwerfen konnte (Lau, 1953).27Wilhelm Traugott Krug hielt Ammon als „Oberhirte der sächsischen Protestanten für ein zweideutiges, charakterloses Ding“ und sah sich als dessen entschiedener Widersacher, vgl. Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Nachlass C. A. Böttiger, Mscr.Dresd.h.37,4°, Bd.112, Brief vom 5. Juli 1826, Mscr.Dresd.h.37,4°, Bd.113, Brief vom 28. Januar 1827. Auch die Exklusivität des Dresdner Vereins, der den freien Eintritt neuer Mitglieder offenbar nicht zuließ und außer den Vereinsgründern lediglich drei weitere Personen kooptierte,28Den Oberhofprediger Christoph Friedrich von Ammon, den Advokaten Friedrich Adolph Kuhn und den Schweizer Bankier Jean-Gabriel Eynard, vgl. Erster Bericht, 1826, 11; Beiträge, 1827, 3-4. wirkte sicher nicht förderlich. Mit der sich abzeichnenden politischen Lösung der griechischen Frage nach der Seeschlacht von Navarino (20. Oktober 1827) kam es auch in Sachsen zu einem allmählichen Abflauen der Spendenbewegung. Die derzeit letzte bekannte Anzeige des Dresdner Griechenvereins in der Presse erschien im September 1828.29Leipziger Tageblatt, 25. September 1828, S. 458-459. Wann er und die Vereine der kleineren Städte sich formell aufgelöst haben, ist noch offen. Der Leipziger Griechenverein jedenfalls bestand bis 1832 und übergab im August dieses Jahres der Universität 845 Taler und acht Groschen zur ferneren Verwaltung als „Griechischer Stipendienfonds“, um jungen Griechen das Studium in Leipzig zu ermöglichen (Löschburg, 1959, 220-221).
Philhellenismus und bürgerlich-liberale Bewegung in Sachsen bis 1831
Diese Übergabe erfolgte in einer Zeit, in der sich in Sachsen grundlegende gesellschaftspolitische Wandlungen vollzogen. Im Ergebnis der kleinstaatlichen Revolution von 1830/31 war im Land die konstitutionelle Monarchie eingeführt worden, und es kam zur Modernisierung des Parlaments und der Verwaltung sowie zu liberalen Reformen im Bereich von Agrarwesen, Kommunalverwaltung, Justiz, Militär und Schuldbildung. Am Beispiel anderer deutscher Staaten ist betont worden, wie wichtig die philhellenische Bewegung für die organisatorische Sammlung der bürgerlich-liberalen Opposition nach den Karlsbader Beschlüssen gewesen war (Tischler, 1981, 393-408; Hauser, 1990, 235-237). Unter diesem Aspekt lässt sich fragen, ob das auch für Sachsen gilt und inwiefern bei den Umgestaltungen von 1830/31 Spuren des Philhellenismus erkennbar sind.
Betrachtet man zunächst den Entwicklungsstand sowie die Organisations- und Artikulationsmöglichkeiten der bürgerlich-liberalen Bewegung in den 1820er-Jahren, so müssen diese in Sachsen als vergleichsweise defizitär bezeichnet werden. Vertreter liberaler Auffassungen gab es in akademischen Kreisen, der Beamtenschaft, dem Wirtschaftsbürgertum und Teilen des Adels zwar durchaus, aber ohne programmatische bzw. organisatorische Verbindung untereinander. Außerdem konnte das liberale Bürgertum Sachsens, im Unterschied zu Süd- und Südwestdeutschland, seine politische Meinung weder im Landtag (von dem es weitestgehend ausgeschlossen war) noch über das Vereinswesen oder die Presse äußern, da beide Bereiche von der Obrigkeit strikt kontrolliert wurden, besonders nach den Karlsbader Beschlüssen (Muhs, 1983, 204). Die große Resonanz auf Krugs progriechische Aufrufe zeigt das Mobilisierungspotenzial in diesen Schichten auch in Sachsen, die quasi nur auf ein Stichwort warteten, um ihre politische Unzufriedenheit und ihre freiheitlich-konstitutionellen Wünsche öffentlich zu artikulieren. Sie erklärt zugleich das scharfe Eingreifen der sächsischen Regierung, welche in der aufkeimenden philhellenischen Bewegung die Gefahr eines Sammelbeckens politisch Unzufriedener sah. Ihre Gegenmaßnahmen und das rasche Einlenken von Krug und anderen Aktivisten hatten 1821 den Aufbau einer philhellenischen Organisationsstruktur verhindert und damit zugleich deren Nutzungsmöglichkeiten für den Frühliberalismus. In der Zwischenphase zwischen 1821 und 1826 konnte der Philhellenismus ebenfalls nicht als Organisationsvehikel für Sachsens Liberale dienen. Zwar duldeten die Behörden im Jahr 1823 den zur Unterstützung durchziehender griechischer Flüchtlinge gegründeten Griechenverein in Dresden sowie Sammel- und Spendenaktionen in verschiedenen Orten des Landes, doch blieben diese Aktivitäten örtlich und zeitlich beschränkt und konnten sich nicht weiter institutionalisieren. Dazu kam es dann zwar landesweit 1826/27, doch beschränkten die sächsischen Griechenvereine ihre Arbeit auf karitative Zwecke und kooperierten dabei eng mit den Behörden. Auch die personelle Zusammensetzung der sächsischen Griechenvereine deutet, soweit sie bekannt ist, nicht darauf hin, dass in ihnen Vertreter liberaler Auffassungen Führungspositionen eingenommen hätten. Insofern entwickelten sie sich nicht wie in Südwestdeutschland oder im Rheinland zu Funktionsvorgängern bürgerlich-liberaler Interessenvertretung, sondern sorgten eher für eine systemkonforme Kohäsion zwischen gemäßigt-konservativen Teilen des Adels, der Beamtenschaft, des Wirtschaftsbürgertums und der Geistlichkeit.
Dementsprechend sind Mitglieder der Griechenvereine während der sächsischen Revolution von 1830/31 denn auch nicht weiter hervorgetreten, hielten sich vermutlich im Hintergrund oder sorgten bei Bedarf mit dafür, dass die spontane Volksbewegung und gelegentlich erhobene radikale Forderungen rasch auf das Feld gemäßigter Erörterung und von oben gesteuerter Veränderung umgeleitet wurden.30Zum politischen Wirken des Dresdner Vereinsmitglieds Heinrich Schütze während der Revolution vgl. Georgi, 1861, 98-99, 106-110. Über den Verlauf der Protestbewegung vom September 1830 in den verschiedenen Landesteilen informiert Hammer, 1997, 121-386. Zum Teil gilt das auch für die philhellenischen Aktivisten der Frühzeit, besonders für Wilhelm Traugott Krug, der als Rektor der Universität die Studenten nach den Leipziger Septemberunruhen zusammenrief, um die neu aufgestellte Kommunalgarde bei der Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung zu unterstützen (Krug, 1831, 32-33). Nicht auf Seiten der Anhänger von Ruhe und Ordnung standen offenbar nur wenige Philhellenen, darunter vor allem Bernhard Moßdorf, der 1821/22 in Griechenland gewesen war und 1825 sogar ein zweites Mal dorthin aufbrach. Er und der 1831 eng mit ihm verbundene Dresdner Bürgerverein machen Kontinuität und Diskontinuität zwischen progriechischer Aktivität und liberalem Engagement besonders deutlich. Anfang der 1820er-Jahre gehörte Moßdorf offenbar zu den radikalliberalen Philhellenen und hat seine politischen Überzeugungen bis zur sächsischen Revolution von 1830/31 nicht aufgegeben, sondern eher noch gefestigt. Das Engagement für Griechenland verstand er wohl vor allem als Kampf für Freiheit und Volksherrschaft und versuchte mit dieser Haltung, die politische Entwicklung Sachsens im Frühjahr 1831 in eine revolutionär-demokratische Richtung zu drängen. Von Erfolg war das freilich nicht gekrönt, denn die Regierung ließ Moßdorf und seine wichtigsten Anhänger verhaften und ihn nach der Verurteilung zu einer langjährigen Gefängnisstrafe auf der Festung Königstein inhaftieren, wo er 1833 aus dem Leben schied (Ruhland, 1992, 181-182).
Im Unterschied zu der bei Moßdorf erkennbaren Verbindungslinie vom frühen sächsischen Philhellenismus zur Revolution von 1830/31 gab es zwischen den Griechenvereinen von 1826 und dem Dresdner Bürgerverein von 1831 keine personellen oder inhaltlichen Kontinuitäten. Moßdorf selbst hat sich offenbar vom Dresdner Griechenverein ferngehalten und ist nicht einmal in deren Spendenlisten genannt (anders als sein Brieffreund Theodor Kind, der in Leipzig einige Spenden akquirierte). Der Bürgerverein von 1831 hatte mit den honoratiorengeführten Griechenvereinen von 1826 nichts zu tun, unterschied sich von ihnen durch seine kleinbürgerliche Zusammensetzung, seine demokratischen Ziele und die versuchte Einflussnahme auf die Landespolitik; wobei er freilich scheiterte, weil er nicht genügend Resonanz in der Bevölkerung fand und die Regierung entschlossen gegen ihn vorging.