Einleitung: Westliche Reisende auf den Spuren von Byzanz
In Griechenland-Reiseberichten seit dem 19. Jahrhundert finden sich oftmals neben den Beschreibungen antiker Orte Schilderungen von zeitgenössischen Siedlungen, Menschen und deren Brauchtümern. Zum Bild des gegenwärtigen Landes gehören auch Erwähnungen byzantinischer Kirchen und Klöster sowie die Beschreibung des Eindrucks, den das orthodoxe Ritual auf die Reisenden macht. Auf diese Weise entsteht im Laufe des 19. Jahrhunderts neben dem Griechenlanddiskurs, der die Antike idealisiert, ein Diskurs der (auch) die byzantinisch-orthodoxe Tradition berücksichtigt. Obwohl man annehmen könnte, dass das byzantinische Erbe im Verhältnis zur fernen Antike sowohl zeitlich als auch aus theologischem Gesichtspunkt dem westlichen Reisenden näherstünde, stellt sich heraus, dass die Fremdheitserfahrung hier zunimmt. Die Psalmen und das orthodoxe Ritual wirken auf den Betrachter befremdend und die schwarzgekleideten Priester werden mit Magiern verglichen.1Etwa in den Berichten ihrer Griechenlandreisen von Hauptmann, 1996 (1908), 19 und Hofmannsthal, 1917, 11.
Es ist interessant, wie in mehreren dieser Texte der Versuch unternommen wird, ein Gefühl von Vertrautheit herzustellen, indem die Welt der Orthodoxie an den Antike-Diskurs und an das Paradigma der „geistigen Heimat“ der Europäer gekoppelt wird. So wird etwa bei Hofmannsthal das griechische Kloster als Zeitfenster beschworen, in dem die Antike präsent ist:„Man blickt ihre Jahrhunderte hinab wie in eine Zisterne, und in Traumtiefen unten liegt das Unerreichliche. Aber hier ist es nah. […] Der gleiche Boden, die gleichen Lüfte, das gleiche Tun, das gleiche Ruhn.“ (Hofmannsthal, 1917, 11) Die Hellas-Sehnsucht deutscher Reisender bestimmt also oftmals die Begegnung mit der byzantinischen Seite Griechenlands, was in dem späteren Ausruf Däublers mehr als deutlich wird: „Verweile nicht bei den Hellenen, mein Herz, vernimm dich zu Byzanz.“ (Däubler, 1922, 14)2Zu Däublers Athos-Faszination siehe auch Werner, 2010.
Die Besonderheit von Athos als Reiseziel
Einen besonderen Stellenwert hat hierbei der „Heilige Berg“ Athos,3Athos wird als heilig bezeichnet, nicht weil er in der Bibel erwähnt wird, sondern als Wohnstätte charismatischer Mönche und Einsiedler. Seine Ausstrahlung allerdings übersteigt bei weitem jene biblischer Berge und er wird zu dem heiligen Berg der Orthodoxie (della Dora, 2011, 25).auf dem seit dem 9. Jahrhundert beide Grundtypen des christlichen Mönchtums, das Anachoreten- bzw. Eremitentum und das Koinobium, die Klostergemeinschaft, praktiziert werden.4Eine bündige und informative Übersicht über die Klösterrepublik liefert Müller, 2005. Von byzantinischen Kaisern und orthodoxen Königen aus Russland und dem Balkan unterstützt, florieren im Laufe der Jahrhunderte teilweise prunkvolle Klöster neben zahlreichen Höhlen und kleineren Bauten für Einsiedler und Asketen. Im Falle von Athos konvergieren die zwei Topoi der Heiligkeit, der Gipfel (die Leiter, welche in den Himmel führt) und der Garten (die wilde Natur, welche es mit Hilfe Gottes zu zähmen gilt) (della Dora, 2016.2, 148). Eine imposante Bergspitze von 2033 m Höhe findet sich inmitten einer berauschenden Natur, die für die Erbauung der Klöster sowie für die Bedürfnisse der Mönche und Einsiedler „domestiziert“ wurde.5So wird in dem Zeugnis des Heiligen Athanasius, des Gründers des Klosters von Hagia Lavra, an einer besonders schwer zugänglichen Stelle der Peninsula, die Zähmung der Natur, mit dem Kampf um die Bekämpfung der inneren Dämonen parallelisiert (vgl. della Dora, 2016.2, 170).
Obwohl sie für die weibliche Bevölkerung verboten ist, und auch sonst bis zum 19. Jahrhundert eher schwer zugänglich war, ist die Klostergemeinschaft von Athos nunmehr seit über einem Jahrtausend einer der am häufigsten beschrieben Orte des Mittelmeeres. (della Dora, 2011, 9) Der östlichen aber auch westlichen Welt ist der Heilige Berg der Orthodoxie indirekt durch die Schilderungen und Zeichnungen von Reisenden und Pilgern bekannt. Das Interesse des Westens für den Athos ist bereits im 14. Jahrhundert belegt (Reichert/Schenk, 2001 sowie Llewellyn Smith 2003), wobei die Motivationen der Reisenden stark variieren: Neben den Gelehrten, welche auf dem Heiligen Berg das Erbe des Altertums suchen,6Etwa der italienische Humanist Cristoforo Buendelmonti (ca. 1385-1430) und der italienische Kaufmann und Sammler Ciriaco de Ancona (1391-1452). finden sich Naturkundler, die sich in erster Linie für die Erdformationen, Fauna und Flora interessieren.7Etwa der französische Diplomat und Naturkundler Pierre Belon (1517–1564), der 1553 sein Voyage au Levant publiziert, oder der britische Botanologe John Sibthorb (1758–1796), dessen Beschreibung von der Flora von Athos Eingang findet in seinem Werk Flora Graeca (1806).
Im Kontext des Zeitalters der Konfessionalisierung haben außerdem westliche Reisende oftmals die klare Aufgabe, mit ihren Berichten dem Adel und dem Klerus in Westeuropa Informationen über die orthodoxe Tradition zu liefern.8Etwa der Franzose Francois Braconnier (1656-1716) oder der Brite John Covel (1638-1722). Vgl. Reichert/Schenk, 2001, 56. Diese Besucher fokussieren sich auf die Klosterwelt an sich, wobei aus ihren Texten deutlich wird, dass, auch wenn die Abgesandten der westlichen Kirchen den religiösen Eifer der Mönche würdigen, sie der orthodoxen Tradition jedoch mit Ablehnung und Überheblichkeit entgegentreten: Sie lehnen die Lehren als irreführend ab, verhöhnen die Legenden und tragen zur Verbreitung der Vorurteile der Verstocktheit, Falschheit und Hinterlist der Griechen bei. (Reichert/Schenk, 2001, 57) Im 19. Jahrhundert nimmt die Jagd nach seltenen Manuskripten auf dem Athos zu, wobei das Interesse hauptsächlich antiken und hellenistischen Texten gilt. Dies betrifft etwa den britischen adligen Robert Curzon, der seine „Jagdzüge“ in seinem Bericht Visits to Monasteries in the Levant von 1849 dokumentiert, und der hiermit das Bild vom ignoranten Mönch, der die Schätze in seinem Besitz nicht zu würdigen weiß, etabliert. (Reichert/Schenk, 2001, 61)
Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts finden sich auch deutschsprachige Reiseberichte über den Athos, wobei deutlich wird, dass der Heilige Berg („Hagion Oros“ lautet die griechische Bezeichnung) als Reiseziel eine Abweichung von der gängigen Ruinenverklärung darstellt: Es ist eine andere Art von Sehnsucht, welche die westlichen Besucher zur Mönchsrepublik führt. Hier wird nicht die Antike beschworen, sondern ein Einblick in das jahrhundertealte orthodoxe Ritual gesucht (Llewellyn Smith, 2003, 42), wobei die gelebte Weltflucht und die betörende Landschaft (es handelt sich um einen besonders „dramatischen“ Berg (della Dora, 2016.2,12), der abrupt aus dem Meer hervorragt) zur besonderen Anziehungskraft des Athos beitragen. Bei Reiseberichten deutschsprachiger Athosgänger zwischen den Weltkriegen wie jenen von Däubler und Spunda,9Bei den literarischen Athos-Reiseberichten von Theodor Däubler Der heilige Berg Athos: eine Symphonie (1922) und von Franz Spunda Der heilige Berg Athos (1928) handelt es sich in erster Linie um mystizistisch angehauchte Suchen nach einer Alternative zur westlichen Zivilisation.lässt sich eine Faszination beobachten, die der Zivilisationskritik und den spirituellen Sinnsuchen der 1920er Jahre10Dem Zusammenhang von Mystik und Moderne widmet sich der Sammelband von Baßler/ Chatellier 1998. entspricht. (Meid, 2012, 202) Einer der frühesten deutschsprachigen Athos-Berichte stammt aus der Feder von Jacob Fallmerayer. Es handelt sich dabei um den besonders elaborierten Reisebericht Hagion Oros oder der Heilige Berg Athos.
Jacob Fallmerayer als Athosgänger
Jacob Fallmerayer (1790 -1861), der in Südtirol geborene Gelehrte, der sich auf die Geschichte von Byzanz und die Beziehung zwischen Orient und Okzident spezialisierte und bereits in den 30er Jahren mit seiner These von der slawischen Herkunft der modernen Griechen Aufsehen erregte (Dascalov, 2013, 227), bereist 1841 den Athos im Kontext seiner zweiten Orientreise (1840-42). In seinem Reisebericht liefert er einen kurzen Abriss der Geschichte der Mönchsrepublik, erklärt die unterschiedlichen Organisationsstrukturen der Klostergemeinschaften, befasst sich jedoch kaum mit den religiösen Praktiken, so wie er sich auch nicht für Fragen der orthodoxen Kunst interessiert. Im Gegensatz zu den orthodoxen Pilgern, in deren Berichten Ikonen, Fresken und Mosaike minutiös beschrieben, die Symbolik der kirchlichen Architektur erläutert und die zahlreichen Legenden und Heiligengeschichten wiedergegeben werden, wird aus Fallmerayers Text deutlich, dass es sich bei ihm in erster Linie um einen (europäischen) Gelehrten handelt: Auf der Suche nach seltenen Manuskripten erbittet er sich Zugang zu den Bibliotheken und, seine Sprachkenntnisse nutzend, führt er Gespräche mit den Mönchen, um so Informationen über die Geschichte der Mönchsrepublik zusammenzutragen.
Er rechtfertigt sein Interesse mit der Einmaligkeit des Athos, den er als den „Vatikan des Orients […] das einzige von Barbarentritt nie entweihte Fragment der orthodoxen Monarchie“ apostrophiert. (Fallmerayer, 1949, 15) Während das Ziel seiner Reise die Auffindung seltener historischer Dokumente ist, nennt er als Ziel seines Reiseberichtes „Eindrücke, Bilder und Szenen, Gegenden, Menschen und Leidenschaften“ zu schildern, und somit keinen minutiösen Bericht seiner Reise, sondern ein „Sittengemälde“ (Fallmerayer, 1949, 122) zu liefern.
Fallmerayer gehört zu jenen Autoren, der seine Leserschaft niemals aus dem Blick lässt: Sein Reisebericht wird in der erfolgreichen Reihe seiner „Fragmente“11„Fragmente“ nennt er die erfolgreichen Reiseberichte, die er kontinuierlich seit 1839 in der Allgemeinen Augsburger Zeitung abdrucken lässt. Der Athos-Bericht wird 1845 in den zweiten Band seiner Fragmente aus dem Orient des Cotta Verlages aufgenommen.in der Allgemeinen Augsburger Zeitung zwischen Oktober 1842 und März 1843 erscheinen. Er wendet sich daher immer wieder ausdrücklich an seine Leser, die er „an die Hand nimmt“ und dazu einlädt, sich nicht nur über den Heiligen Berg zu informieren, sondern an den sinnlichen Empfindungen des Autors teilzunehmen:
Vergessen Sie ja nicht, was ich früher von der Riesenfülle des Pflanzenwuchses dieser Gegend schrieb. Denken Sie noch den sonnigwarmen Mittag […] und das schwärzlichblaue Wasserpanorama […] und sie werden begreifen, was man auf dreistündigem Ritt über eine solche Szene empfunden hat. (Fallmerayer, 1949, 83)
Die Beschreibung der Landschaft gibt dem Autor die Gelegenheit, seine Empfindungen, Gefühle und Gedanken in Anbetracht der besonderen Natur des Athos zu äußern. (Weber, 2010, 164) Zugleich werden nach der gewohnten Art westlicher Reiseberichte sowohl die antiken als auch die zeitgenössischen Quellen aufgeführt, die ihm als Wegweiser und Reiseführer dienen, und genaue Angaben über Höhen, Entfernungen und Reisemöglichkeiten gemacht. Fallmerayer besingt und kartographiert den Athos gleichermaßen, und die Spannung zwischen diesen beiden Einstellungen macht die Faszination dieses Textes aus.
Lob der Natur
Naturbeschreibungen spielen eine zentrale Rolle im Griechenland-Diskurs, da Landschaft oftmals als Garant von Kontinuität aufgeführt wird: Naturbetrachtung, wenn nicht gar Naturversenkung ermöglicht die Überwindung des zeitlichen Abstandes und das Gefühl der Verbundenheit mit vergangenen Epochen. (Polykandrioti, 2019, 203) Zugleich handelt es sich bei dem Athos um einen der heiligen Berge des Mittelmeerraumes, einer Landschaft, die seit der Antike mit Mythen und Legenden assoziiert wird12Die antiken Mythen bzw. die Legenden von Xerxis und von Alexander in Bezug auf den Athos und deren Tradierungen durch die Jahrhunderte behandelt ausführlich della Dora in dem den Bergen gewidmeten Kapitel des Sammelbandes über symbolische Landschaften (della Dora, 2008, 109-131). und deren physische Präsenz Ehrfurcht und Staunen hervorruft. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn die Naturbeschreibungen numinose Überhöhung kennzeichnet (Weber 2010,164). Fallmerayer spricht vom Athos als „dem Wald-Dom der anatolischen Christenheit“ (Fallmerayer, 1949, 8) und bezieht sich dabei durchaus auch auf die Natur an sich: „[…] des Athosberges, dieses kolossalen, von der Natur selbst aufgetürmten und mit unverwelklichem Festgewande umzogenen Münsters von Byzanz“ (Fallmerayer, 1949, 8). Naturbeschreibungen machen den umfangreichsten und eindrucksvollsten Teil seines Textes aus: Natur wird als Landschaft wahrgenommen (Weber 2010, 4) und in eleganter Prosa besungen. Zugleich kommt immer wieder der Topos der Ohnmacht der Sprache angesichts des Heiligen Berges13della Dora kommentiert den Topos der Sprachlosigkeit in Anbetracht der heiligen Berge. Sie untersucht die Etymologie der Begriffe von Heilig und Aghios und erklärt, dass die Geschichte heiliger Berge durch die Spannung zwischen beiden Aspekten der Heiligkeit, die durch diese unterschiedlichen Begriffe ausgedrückt werden, gekennzeichnet ist: die Abgrenzung von dem Alltäglichen und der furchterregenden Nähe des Göttlichen. (della Dora, 2016, Mountain, 19) Auf den Topos des Unaussprechlichen als Merkmal der Reiseberichte über Athos geht Daskaroli ein (Daskaroli 2019, 183). vor:
[…] tut sich eine Szene auf, deren Schönheit man wohl empfinden, aber nicht beschreiben kann. […] Nur ist alles Reden und Malen umsonst, weil die Sprache zu arm und mit einem Schlage das Panorama in seiner Farbenpracht der Seele vorzuzaubern unvermögend ist. (Fallmerayer, 1949, 10; 14)
An anderen Stellen fühlt sich der Südtiroler an seine Heimat erinnert (Fallmerayer, 1949, 67) – man mag hier das für den Griechenland-Diskurs typische Moment der Vertrautheit erkennen. Das Sich-Heimisch-Fühlen hindert jedoch Fallmerayer nicht daran, die Einmaligkeit der Natur des Heiligen Berges hervorzuheben: „[…] nirgends aber ein so schlankes Maß angelegt, die Wände so romantisch ausgeführt und den Wuchs in so liebliche Formen gegossen wie hier.“ (Fallmerayer, 1949, 9) Eine Besonderheit des Textes stellt Fallmerayers Reflexion über seinen Naturenthusiasmus dar: Er thematisiert den – nach seiner eigenen Bezeichnung typisch deutschen – schwärmerischen Charakter seiner Naturbeschreibungen:
Freilich hat man wegen Empfindsamkeit und romantischen Schwärmens für prachtvolle Naturszenen und Waldeinsamkeit die Deutschen von jeher ausgelacht. Aber was soll man sagen, wenn der Bergabhang von Karyäs mit seinen luftigen Pinien […] sogar frostigen Seelen aus den britischen Inseln als ein zweites Eden erscheint […] selbst von abgestumpften Klausnern und Weltüberwindern des Athos wie ein irdisches Paradies gepriesen wird? Nur ist alles Reden und Malen umsonst, weil die Sprache zu arm und mit einem Schlage das Panorama in seiner Farbenpracht der Seele vorzuzaubern unvermögend ist. (Fallmerayer, 1949, 14)
Athos als alternatives Lebensmodel
Bei Fallmerayer findet sich bereits der Aspekt der Weltflucht bzw. der Zivilisationskritik, die zum zentralen Merkmal der sich häufenden14Meid erklärt das zunehmende Interesse einerseits durch die politischen Umstände, welche einen Besuch erleichtern (die Mönchsrepublik ist seit 1878 autonom und seit 1912 Teil des griechischen Staates), andererseits als symptomatisch für die Zeit, da es der Zivilisationskritik und der spirituellen Sinnsuchen der 1920er Jahre entspricht. (Meid, 2012, 202). Reiseberichte über den Heiligen Berg in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts entwickeln wird. Das ruhige, zurückgezogene Leben auf dem Athos wird dem Stadtleben in Zentraleuropa gegenübergestellt, wobei der Autor die Gelegenheit ergreift, die störenden Facetten seines Alltags aufzuzählen:
[…] die Eitelkeit, die Ignoranz, der Hochmut, der Schmutz und die Langweile […]“ (Fallmerayer, 1949, 6). „Wen aber Ideengang und Wirbelwind des Okzidents erschreckt, der sehe um Trost und um Gegengift auf den Athos-Berg, auf das versteinerte Gedankenkapital […] und seliger Ignoranz der Mönche. (Fallmerayer, 1949, 43)
Es handelt sich um mehr als das Lamento eines enttäuschten, sich verfolgt fühlenden Gelehrten.15Für eine ausführliche Darstellung von Fallmerayers Thesen und deren Rezeption siehe Velοudis, 1982; Dascalov, 2013. Der kontroversen Figur Fallmerayers widmet sich Skopetea, 1997. Im Gegensatz zu anderen Athos-Reisenden ist Fallmerayer bemüht, die Einstellung der Mönche gegenüber der Welt und dem Wissen als ein überzeugendes, in sich geschlossenes System zu präsentieren und warnt bei jeder Gelegenheit davor, mit westlichen Vorstellungen und Kriterien sich dieser Welt nähern zu wollen (Fallmerayer, 1949, 90). Fallmerayer präsentiert seinen Lesern zwei gleichwertige Paradigmen: Er stellt den Wissensdrang des Abendlandes der bewusst gewählten Unwissenheit (αμαθία) der Athos-Mönche gegenüber, wobei seine Darstellung von Einfühlsamkeit und Akzeptanz zeugt:
Der Orient hat ein Problem gelöst, an welchem die Europäer mit all ihrer Weisheit und Kunst gescheitert sind. […] Wir überlassen es anderen, vom stereotypen, toten Buchstaben der Athos-Konstitution zu reden und mitunter zu berechnen, wie viel eine Gesellschaft an Kraft und Wert verliere, sobald sie sich außer Bereich des Fortschrittes, der stetigen Verbesserung und des abendländischen Wandelprinzips gestellt. […] Leute die den Kampf mit der Materie wagen, sind noch keine Toren, und wenn Freiheit und innerer Friede um geringeren Preis als um Hingabe der Wissenschaft, der Kunst und der Lebenseleganz nicht zu erringen sind, so darf selbst der Philosoph den Kauf nicht tadeln. (Fallmerayer, 1949, 93). Wie verschieden ist alles bei uns! Wir haben die Tyrannei der Bildung, des Progresses, der Doktrin, des feinen Tones […]. (Fallmerayer, 1949, 102)
Schluss
Fallmerayers Athos-Bericht setzt in medias res ein, mit der Aufforderung der Mönche, bei ihnen zu bleiben:„Verlass die Welt und komm zu uns‘, sagten die Mönche, bei uns findest du dein Glück.“ (Fallmerayer, 1949, 5) Der Reisebericht schließt einige 130 Seiten später mit der Feststellung, er habe wohl kaum bei den Mönchen einen Eindruck hinterlassen, in seiner Seele aber habe „die Melancholie der Weltüberwinder und das Zaubervolle Bild des immergrünen Paradieses einen tiefen und bleibenden Eindruck zurückgelassen.“ (Fallmerayer, 1949, 124). Die Seiten dazwischen, der Athos-Essay an sich, verdeutlichen einerseits die Anziehungskraft des monastischen Daseins auf die „weltmüde Seele“ (Fallmerayer, 1949, 5) und deren Empfänglichkeit für die Schönheit der Natur. Anderseits bezeugen sie den Wissensdrang des westlichen Gelehrten (der sich über das seltene, von ihm entdeckte Manuskript freut) sowie seine Tendenz, die Welt durch genaue Beobachtung und Beschreibung messbar und begreifbar zu machen, und liefern somit zugleich die Erklärung, weshalb der Autor dem „Frieden und ewigen Frühling“ (Fallmerayer, 1949, 81) letztlich den Rücken gekehrt hat.