Biographischer Hintergrund
Versucht man, die Verbreitung und Resonanz rechtsextremer Ideen in der Zeit des Aufstiegs des “historischen Faschismus“ vom Ende des Ersten bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs zu untersuchen, so stößt man in vielen europäischen Gesellschaften auf eine starke Selektivität des kollektiven Gedächtnisses. Oft herrschte die Tendenz, die Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg und die schlimmsten Auswüchse des Faschismus von sich zu weisen. Gleichzeitig wurden damit entsprechende nationale Mythen wie die des “guten Italieners“1«Italiani brava gente»; s. zum Beispiel Fogu, 2006. gefestigt oder Mauern des Schweigens – oder sogar der Leugnung – errichtet, beispielsweise die These von der (angeblich natürlichen und selbstverständlichen) Nichtexistenz des Faschismus im Vorkriegsfrankreich aufgrund der “Immunität“ der französischen Gesellschaft gegenüber solchen Phänomenen.2Diese vorherrschende Ansicht haben, trotz mancher Unterschiede untereinander, insbesondere nicht-französische Forscher wie Zeev Sternhell, Robert Soucy und Kevin Passmore allmählich widerlegt. Siehe Jenkins 2015, 6–8 für eine neuere eingehende Betrachtung der sogenannten Immunitätsthese im Zusammenhang mit dem Zeitpunkt der wichtigsten und gewalttätigsten politischen Mobilisierung im Frankreich der Zwischenkriegszeit, nämlich der Ereignisse im Februar 1934; die Analyse der Februarereignisse ist für das Verständnis des französischen Faschismus von zentraler Bedeutung. Siehe auch Überblick über die historiographische Debatte zu diesem Thema bis etwa 2010 in Angenot, 2011.
Im Fall Griechenlands wurden diese Tendenzen mit der Parteinahme [des Landes] für das alliierte Lager im zweiten Weltkrieg verflochten – und dadurch verkompliziert. Dazu gesellte sich die historiographische Tendenz, das Metaxas-Regime als ein autoritäres Regime mit nur äußerlichen Übereinstimmungen zum Faschismus zu betrachten. Diese Situation trug dazu bei, dass der Wissenstand über diejenigen, die bis 1945 eine griechische Version des Faschismus propagierten, besonders unzureichend ist. Der vorliegende Beitrag will dem fragmentarischen Bild des griechischen Zwischenkriegsfaschismus ein Mosaiksteinchen hinzufügen, indem er die Übersetzungsarbeit einer griechischen Intellektuellen behandelt, die als Mittlerin für den Transfer rechtsextremer und insbesondere nationalsozialistischer Ideologie von Deutschland nach Griechenland fungierte.
Sitsa Karaiskaki (1897-1987) wurde in Moschonissia, Kleinasien, geboren und suchte nach der sogenannten Kleinasiatischen Katastrophe Zuflucht in Mytilene, wo sie mit den lokalen Schriftstellern und Intellektuellen Beziehungen herstellte. Ein Jahr später ließ sie sich mit Unterstützung des Neogräzisten und als Sekretär beim griechischen Konsulat in München tätigen Alexander Steinmetz3Für Informationen zu Steinmetz‘ Vita und seinen Aktivitäten in Griechenland siehe Kriaras, 2001; Schellinger, 2010. in München nieder; parallel zu ihrem Studium arbeitete sie als Konsulatsangestellte (Metaxas-Archiv, Akte 43, Bl. 121). Nach Angaben ihres Lebenslaufs, den sie während des Regimes des 4. August an Ioannis Metaxas schickte, promovierte Karaiskaki 1928 an der Philosophischen Fakultät der Universität München. Ihre Ausbildung, die sich auf die Gebiete Pädagogik, Psychologie und Journalismus erstreckte, ergänzte sie an den Universitäten Zürich, Wien und Prag (Metaxas-Archiv, Akte 43, Bl. 121). 1938 kehrte sie nach Athen zurück (Metaxas-Archiv, Akte 43, Bl. 120), wo sie bis 1944 blieb; nach dem Einmarsch der Wehrmacht arbeitete sie mit den deutschen Besatzungsbehörden zusammen. Sie folgte dann der sogenannten Tsironikos-Regierung auf ihrer Flucht ins Reich, zunächst nach Wien und dann nach Ostdeutschland. Da sie in Griechenland wegen ihrer kollaborativen und propagandistischen Tätigkeit (Kousouris, 2014, 472) in Abwesenheit zweimal zum Tode verurteilt wurde, kam sie erst in den 1960er Jahren nach einer Amnestie nach Griechenland zurück (Posantzi, 2015, 489).
In den 1920er Jahren liebäugelte Karaiskaki eine Zeit lang mit dem Kommunismus (Petropoulos, 30.12.2015), um dann zu einer besessenen Nationalsozialistin zu werden; dieser Überzeugung schwor sie bis zum Ende ihres Lebens nicht ab. Während sie bis Mitte der 1920er Jahre häufig in Presseorganen wie O Noumas und I Kampana des renommierten griechischen Schriftstellers Stratis Myrivilis Essays, Artikel und Berichte veröffentlichte, scheint sie in den folgenden Jahren von den griechischen Verhältnissen etwas abgeschnitten gewesen zu sein – zumindest bis zu Hitlers Aufstieg zum Kanzler. Trotz der vor allem in Publikationen popjournalistischer Geschichtsschreibung über griechische faschistische Organisationen der Zwischenkriegszeit bzw. Besatzungszeit (z.B. Chondromatidis, 2013, Koukounas, 2015) wiedergekäuten Informationen, bleiben viele Aspekte von Karaiskakis Aktivitäten im Grunde genommen unerforscht. Zu klären wären z.B. ihr Status und die Dauer ihrer Tätigkeit für das deutsche Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP) sowie ihre genauen Beziehungen zur Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) und zu hochrangigen Parteifunktionären, insbesondere Joseph Goebbels und Alfred Rosenberg. Fest steht jedoch, dass sie einige Jahre in Berlin gewohnt hat;4Siehe bezeichnenderweise die Berliner Verzeichnisse mit Adressen von Einzelpersonen und Unternehmen zwischen 1935 und 1937 (Berliner Adreßbuch, 1935, 1166; Berliner Adreßbuch, 1936, 1199 und Berliner Adreßbuch, 1937, 1228).dort hatte sie u.a. die Aufgabe übernommen, die griechische Delegation bei den Olympischen Spielen 1936 zu unterstützen.5Für relevante Informationen und eine Fotoaufnahme, die Karaiskaki mit Mitgliedern der griechischen Sportdelegation zeigt, siehe Chondromatidis, 2013; Koukounas, 2015; Petropoulos, 30.12.2015.
Organisation des Nationalen Souveränen Staates (O.E.K.K. / Οργάνωση Εθνικού Κυρίαρχου Κράτους)
Karaiskaki begann Anfang 1933 (Karaiskaki, 27.01.1933) mindestens bis zum Sommer desselben Jahres (Karaiskaki, 8.8.1933) gelegentlich im Feuilleton der Zeitung Proia zu schreiben. Parallel dazu betrieb sie energisch Lobbyarbeit, indem sie korrespondierend versuchte, sich Jorgos Theotokas und dem Kreis der Zeitschrift Idea anzuschließen (Ladogianni, 2007, 315), und, in Abstimmung mit Vertretern der orthodoxen Kirche, eine “gesamteuropäische christliche antikommunistische Zusammenarbeit“ zu gründen (Chondromatidis, 2013, 223). Besonders aktiv war sie im Jahr 1934, als sie als Gründungsmitglied der O.E.K.K. auftrat und mehrere Initiativen propagandistischer Natur unternahm. Mit dieser Organisation assoziiert war nicht nur die Zeitung Kratos, die sich als “Organ der O.E.K.K.“ vorstellte und der Karaiskaki Artikel und Berichte aus Deutschland lieferte, sondern auch der Verlag Nea Jenea, den sie zusammen mit Evangelos Kyriakis und Kyriakos Karamanos gegründet hatte. Beim Verlag Nea Jenea veröffentlichte Karaiskaki 1934 vier Bücher, von denen zwei im Folgenden besprochen werden.
Wie Dimosthenis Koukounas (2015, 29–30) bemerkt, waren diese Bücher Adaptionen ausländischer Texte. Dies könnte ihre angebliche schriftstellerische Zusammenarbeit mit Iwan Iljin im Jahr 1934 erklären, aber auch das spätere Plagiat von Rosenbergs Buch in der Zeit des Metaxas-Regimes. Anders ausgedrückt, war Karaiskaki mit der Taktik des Übersetzens, Umarbeitens, Adaptierens und Kompilierens von Texten, die an schriftstellerische Gepflogenheiten früherer Zeiten erinnern, hinreichend vertraut. Dieses Vorgehen wurde dann im 20. Jahrhundert zunehmend in Frage gestellt, nachdem das Konzept des geistigen Eigentums sich etablierte und gesetzlich geregelt wurde. Zwei der Bücher, die Karaiskaki 1934 veröffentlichte, scheinen Ergebnis der Zusammenarbeit mit deutschsprachigen rechtsextremen Intellektuellen zu sein. Tatsächlich handelt es sich lediglich um Übersetzungen/Adaptionen von Karaiskaki, die eine spätere Aneignung der Rosenberg-Texte vorwegnahmen. Ihre Titel: Seelisches und geistiges Gift: Das Wesen und der Geist des Bolschewismus, und Juden und Kommunismus: Ursachen und Ziele dieser Zusammenarbeit. Auf dem Deckblatt des ersten steht der Name von Sitsa Karaiskaki mit dem Zusatz “Doktor der Philosophie“, darunter folgt der von Iwan Iljin als “Universitätsprofessor“. Auf dem Deckblatt des zweiten Buchs werden die Namen der zwei angeblichen Mitverfasser gleichwertig in eine Zeile gesetzt, Herman Fehst zuerst, Sitsa Karaiskaki folgt.
Das erste Buch ist eine Übersetzung von Iwan Iljins schmalem Band Gift: Geist und Wesen des Bolschewismus, erschienen 1932 beim Verlag Eckart.6Informationen zum Eckart-Verlag und insbesondere zur gleichnamigen, christlich-protestantisch orientierten Zeitschrift Eckart, die von 1906 bis 1960 erschien, finden Sie unter Bühler, 1973. Die Schrift von Iljin trägt den Titel: „Heft 9“ und „Notreihe – Fortlaufende Abhandlungen über Wesen und Wirken des Bolschewismus“, d.h. es ist der 9. Teil einer 1932 begonnenen Schriftenreihe (Bühler, 1973, 346).
Iljin gehörte zu den 160 missliebigen Intellektuellen, die im Herbst 1922 mit den sogenannten Philosophenschiffen aus dem revolutionären Russland zwangsexiliert wurden (Chamberlain, 2006). Der Historiker Timothy Snyder (2018, 18) hält ihn für den wichtigsten faschistischen Intellektuellen unter denen, die mit dem Wiedererstarken der extremen Rechten im 21. Jahrhundert weltweit eine Art Renaissance erleben. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Buches und bis 1934 war Iljin Professor am Russischen Wissenschaftlichen Institut in Berlin unter der Leitung von Otto Hoetzsch.7Ein Überblick zu Iljins Vita und Ideen sowie sein Auftauchen aus der Anonymität im Russland von Wladimir Putin findet sich in Barbashin & Thoburn, 2015; Snyder, 2018, und ders., 16.03.2018. Zu Otto Hoetzsch und dem Russischen Wissenschaftlichen Institut siehe Voigt, 1995; Schlögel, 2005. Karaiskakis Herangehensweise an den deutschen Text besteht größtenteils aus einer wörtlichen Übersetzung; allerdings sind oft Änderungen auszumachen, die mit der griechischen Leserzielgruppe zusammenhängen sowie Ergänzungen in einem populäreren und bissigeren Stil, die analytischen Charakter haben, oder die Beobachtungen des Originals einen Schritt weitertreiben. Schon Passagen aus der Übersetzung der ersten Seite von Iljins Text geben einen Eindruck von Karaiskakis Vorgehen bei der Übersetzung:
Karaiskaki:
Η ανθρωπότης του παρόντος αντιμετωπίζει σήμερον μίαν νέαν κίνησιν –η οποία πότε τρικυμιώδης και πότε ύπουλος– κυριαρχεί τους ψυχής των μαζών. Είναι ο ονομαζόμενος μπολσεβικισμός δια την ουσίαν του οποίου ο Ελληνικός λαός καθώς και άλλοι λαοί δεν έχουν καμμίαν απολύτως σαφή και καθαράν ιδέαν. Δεν εννοεί ούτε την πηγήν τους γενέσεώς του, ούτε την εσωτερικήν του σύνθεσιν. Δεν γνωρίζει ούτε την κοσμοθεωρίαν του, ούτε τους σκοπούς και μεθόδους του. Μία ασάφεια κυριαρχεί εις τας λαϊκάς τάξεις αι οποίαι ως εκ τούτου πιστεύουν εις όλα όσα τους λέγονται και σχηματίζουν ελπίδας που ποτέ δεν εκπληρούνται και δεν είναι δυνατόν κατ’ αυτόν τον τρόπον να εκπληρωθούν (Karaiskaki und Iljin, 1934, 3; Hervorhebung im Original).
Original:
Die Menschheit der Gegenwart hat mit einer neuen Bewegung zu rechnen und zu tun, die sich – bald stürmisch, bald schleichend – der Massenseele bemächtigt. Es ist der sogenannte B o l s c h e w i s m u s, von dessen Wesen das deutsche Volk, sowie auch andere Völker, sich bis jetzt noch keinen Begriff gemacht haben. Man begreift weder sein Entstehen, noch sein Wesen; man kennt weder seine Weltanschauung, noch seine Ziele und Methoden; man schwebt im Unklaren und ist schon deswegen allein bereit, an a l l e s zu glauben und das B e s t e zu hoffen (Iljin, 1932, 7; Hervorhebung im Original).
Karaiskaki:
Από τοιούτους επισκέπτας της Σοβιετικής Ρωσσίας μαθαίνει ο κοσμάκης τα νέα του ρωσσικού παραδείσου, από τον οποίον θα μεταδοθή κατά την αγγελίαν των, η σωτηρία εις όλον τον κόσμον. Ανίδεοι και απλοί άνθρωποι διαβάζουν κάθε ημέρα τας περιφήμους ανταποκρίσεις των τοιούτου είδους ανταποκριτών και αναλόγως του βαθμού της ευκολοπιστίας των ή της δυνάμεως της κρίσεώς των σχηματίζουν εικόνας που εδημιουργήθησαν δι’ αυτόν τον σκοπόν και που πραγματικά υπάρχουν μόνο στα παραμύθια των συγγραφέων και των δημιουργών του είδους που αναφέραμε παραπάνω. Κατ’ αυτόν τον τρόπον εξελίσσονται από τους απατηθέντας, εις ακουσίους και αθώους απατεώνας που ζητούν να πείσουν και άλλους (Karaiskaki und Iljin 1934, 4).
Original:
Die Daheimgebliebenen lauschen ihren Erzählungen und lesen ihre Zeitungsberichte, um sich dann dieses minderwertige Material nach der jeweiligen subjektiven Leichtgläubigkeit zuzurechnen. Und so werden die Betrogenen zu unabsichtlichen Betrügern (im besten Fall) (Iljin, 1932, 7).
Das zweite Buch ist eine Übersetzung der Studie von Herman Fehst Bolschewismus und Judentum: Das jüdische Element in der Führerschaft des Bolschewismus. Es erschien 1934 ebenfalls beim Verlag Eckart, der nun seinem Namen das Wort “Kampf“ hinzugefügt hatte (Eckart-Kampf-Verlag), wahrscheinlich im Zusammenhang mit Hitlers Machtergreifung ein Jahr zuvor. Fehst war Dozent an der Auslandswissenschaftlichen Fakultät der Deutschen Hochschule für Politik in Berlin, die sich nach dem Krieg zur wichtigsten politikwissenschaftlichen Einrichtung Deutschlands, dem Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft, entwickelte.8Zu den Ursprüngen der Deutschen Hochschule für Politik und den stark nationalistischen oder sogar autoritären Positionen, die ein erheblicher Teil des Lehrkörpers vor dem Krieg, sogar vor 1933, vertrat, siehe Lehnert, 1989 und Korenblat, 2006.
Da Fehst seinem Werk eine Vorbemerkung mit vor allem methodischen Erläuterungen vorangestellt hatte, ist Karaiskakis Versuch umso deutlicher zu erkennen, sich als Fehsts Mitarbeiterin und nicht nur als Übersetzerin zu präsentieren. So findet man in dieser Einleitung den Satz “Der Verfasser der vorliegenden Untersuchung“ (Fehst, 1934, 9), der mit “Die Verfasser der vorliegenden Untersuchung“ übersetzt wurde (Fehst und Karaiskaki, 1934, 3). Andererseits begann der letzte Absatz dieses Abschnitts mit der Aussage “Art und Umfang der Arbeit brachten es mit sich, daß ich die Unterstützung von einigen Mitarbeitern in Anspruch nehmen mußte“ (Fehst, 1934, 10). Es folgten Danksagungen an diese Personen, jedoch ohne Namen zu nennen. Dabei scheint es sich nicht um feste Mitarbeiter zu handeln, sondern eher um solche, die gelegentlich Hilfestellung und Informationen lieferten, es ist aber höchst unwahrscheinlich, dass Karaiskaki zu diesen gehörte. Größtenteils hat Karaiskaki also hauptsächlich übersetzt; ihre Eingriffe dienten dazu, volkstümlicher, verallgemeinernder und viel direkter antisemitisch zu sein – im Gegensatz zu den wissenschaftlichen Ansprüchen des Originals, das sowohl in Wortwahl als auch in Methodik und Argumentation nicht nur das Ziel verfolgte, den Mythos des “jüdischen Bolschewismus“9Siehe Gerrits, 2009, wo sogar das zur Disposition stehende „vielzitierte Lehrbuch“ von Fehst besprochen wird (Gerrits, 2009, 83). zu reproduzieren, sondern bestrebt war, sich in die Rubrik “wissenschaftlicher Antisemitismus“ einzureihen.10Über den Begriff des wissenschaftlichen Antisemitismus s. z.B. Guski-Leinwand 2016.
Bezeichnend für diesen Unterschied in der Herangehensweise ist Karaiskakis einziger umfangreicher Zusatz in der “Einleitung“ (wie sie die erwähnte “Vorbemerkung“ des Originals wiedergibt), mit dem sie diesen kurzen Text abschloss:
Der Jude war und ist das “enfant gâte“ [verzogene Kind] des Bolschewismus. Der Antisemitismus weilt in der Seele des Volkes, nur ist dieses zur Zeit nicht in der Lage, diesem ihn beherrschenden Juden zu schaden und sich an ihm zu rächen, dem, der seine materialistischen Theorien diesem metaphysisch fühlenden und denkenden Volk aufgezwungen hat. Die große Frage, die sich nun nach so vielen Jahren nutzloser Experimente und erschöpfender Bemühungen dem russischen Volk stellt, lautet: „Warum regieren die Juden dieses immense Land, das uns Russen gehört?“ (Fehst und Karaiskaki, 1934, 4).
Die Metaxas-Diktatur
Obwohl ein hybrides Regime, das nicht eindeutig als faschistisch bezeichnet werden kann (siehe Kallis, 2014), machte das Regime des 4. August auf dem Gebiet der Propaganda umfangreiche Anleihen bei den beiden großen europäischen faschistischen Regimen (vgl. Aggelis, 2006, 37). Eines der charakteristischsten Beispiele ist die Rolle, die Sitsa Karaiskaki innerhalb der Jugendorganisation Ethniki Organossis Neoleas (Εθνική Οργάνωσις Νεολαίας / Nationale Organisation der Jugend; ΕΟΝ) zugewiesen wurde. Zunächst hatte der Regierungskommissar für Jugend, Alexandros Kanellopoulos, Karaiskaki engagiert, um “einige grundlegende Bücher für die EON“ zu schreiben (Metaxas-Archiv, Akte 43, Bl. 118). Einige der zahlreichen Publikationen der EON, von denen die meisten nicht den Namen des Verfassers tragen, müssten demnach aus Karaiskakis Feder stammen. Als nächstes begann Karaiskaki, bezahlte Artikel für die offizielle Zeitschrift der EON, Ι Neolea (Η Νεολαία / Die Jugend; 1938-1941), zu schreiben, und wurde schließlich unter denen, die sich u.a. mit Kunst- und Kulturthemen befassten, zur wichtigsten und regelmäßigsten Mitarbeiterin des Magazins. Außerdem war sie die Hauptredakteurin der festen Kolumne I selides ton koritsion (Οι σελίδες των κοριτσιών / Die Mädchenseiten).
Jorgos Andriomenos (2012, 75) behauptet, “obwohl sie für ihre rassistischen und pro-nationalsozialistischen Positionen bekannt war, die sie dazu brachten, während der Besatzungszeit mit den Deutschen zu kollaborieren, ist es ihr nicht wirklich gelungen, diese Zeitschrift damit zu infiltrieren; ihre Schriften waren durchdrungen von hauptsächlich indirekten, himmelhohen Lobpreisungen von Metaxas und einigen rassistischen Ansichten, die an Hitlers Messianismus und seine eugenischen Betrachtungen erinnerten“. Diese Behauptung trifft sicher auf eine ganze Reihe von Karaiskakis Dutzenden Artikeln für I Neolea zu, gibt aber ihre allgemeine Rolle und Zielsetzung nicht genau wieder. Während sie also offiziell für das griechische Regime arbeitete, widmete sich Sitsa Karaiskaki einem Projekt kultureller/ideologischer “Übersetzung“ aus deutschen – hauptsächlich nationalsozialistischen – Quellen; manchmal war das lediglich ein umfangreiches Replizieren von Nazi-Ideologen, wie z.B. Alfred Rosenberg, ein andermal nahm sie Modifikationen vor, die den Inhalt in einen griechischen Rahmen stellten. Das Replizieren wird im Folgenden näher erläutert. Die Modifizierung findet sich z.B. in Karaiskakis Umkehrung der Wertung, die zwischen den Gegenpolen Norden und Osten (Karaiskaki, 1938) in der nationalsozialistischen imaginären Geographie vorherrschte; zuvor hatte sie sich auch ausdrücklich gegen Rosenbergs Übernahme von Fallmerayers These zur Ethnogenese der modernen Griechen gestellt. (Karaiskaki, 20.11.1934)
Koukounas (2015, 36) und andere nicht wissenschaftlich ausgebildete Historiker, (Chondromatidis, 2013, 164; Vallianatos, 2014, 164) die sich mit den griechischen rechtsextremen, faschistischen und kollaborativen Organisationen der Zwischenkriegs- und Besatzungszeit beschäftigt haben, wiederholen die Behauptung, dass Karaiskaki mit einer anderen bedeutenden prodiktatorischen Zeitschrift, Nea Politiki (Νέα Πολιτική / Neue Politik; 1937-1940) zusammengearbeitet habe, die von Ioannis Tournakis, einem Professor der A.S.O.E.E. (Hochschule für Wirtschaft und Handelswissenschaften Athen) herausgegeben wurde.11Mangelnde Dokumentation und äußerst seltene Verwendung konkreter Verweise, die diesem popjournalistischen Teil der griechischen Geschichtsschreibung eigen sind, machen es oft unmöglich, Quellen zu überprüfen. In diesem Fall ist es nicht auszuschließen, dass alle Hinweise auf die Mitarbeit von Karaiskaki bei der Nea Politiki einfach eine Behauptung reproduzieren, die in früheren Arbeiten von Koukounas zu finden ist, der sich mindestens seit den frühen 1980er Jahren mit der Geschichte dieses Bereichs beschäftigt.
Ohne explizit darauf hinzuweisen, lassen die Angaben zu den dort von Karaiskaki veröffentlichten Artikeln und Übersetzungen vermuten, dass sie Texte meinen, die üblicherweise auf den letzten Seiten der meisten Ausgaben von 1937 unsigniert oder mit S.I.K. gekennzeichnet erschienen.12Das Kürzel SIK entspräche, ohne Punkte gesetzt, den ersten beiden Buchstaben ihres Vornamens und dem Anfangsbuchstaben ihres Nachnamens; so bleibt die Signatur S.I.K. rätselhaft. Würde sie beim Kürzel, wie im Griechischen üblich, das Patronym ihres Vaters Panagiotis benutzen, müsste das Kürzel S.P.K. lauten. In der Vergangenheit hatte Karaiskaki verschiedene Signaturen verwendet, wie z.B. Dr. Sigma Kappa in der Zeitung Kratos, oder das Pseudonym Anna Tolys in der weiter unten erwähnten deutschen Ausgabe ihres Romans über den Helden des Griechischen Unabhängigkeitskrieges und Namensvetters Georgios Karaiskakis. In I Neolea unterzeichnete sie als Sitsa Karaiskaki-Nikolaou, Sitsa Karaiskaki, S.Kar. und S.K.; auch einige Texte, die nur mit einem K. unterzeichnet sind, scheinen ihrer Feder zu entstammen. In Ermangelung einer überzeugenden Dokumentation bleiben die Informationen über die Zusammenarbeit mit der Nea Politiki ungeklärt.
Wenn dies der Fall war, muss Karaiskaki über ausgezeichnete Kenntnisse anderer Sprachen verfügt haben, da einige Übersetzungen, die diese Signatur tragen, nachweislich aus anderen Sprachen (Englisch, Französisch und Italienisch) übertragen wurden.13Koukounas (2015, 36) beschreibt sie als „polyglott“. Im Lebenslauf, den sie 1940 an Metaxas geschickt hatte, steht nichts zu Fremdsprachenkenntnissen.
In den Jahren der Diktatur lassen sich einige gelegentliche Kooperationen mit anderen Publikationen nachweisen, wie z. B. die prodiktatorische Literaturzeitschrift Pnevmatiki Zoi (Πνευματική Ζωή / Geistiges Leben; 1936-1941) des zyprischen Schriftstellers und Herausgebers Melis Nicolaides, von denen einige im Folgenden untersucht werden. Im gleichen Zeitraum kehrte Karaiskaki auch zur rein literarischen Produktion zurück und veröffentlichte eine fiktive Biographie oder, in ihren eigenen Worten, eine “historische Romanze“ über Jeorjios Karaiskakis. Aber auch hier haben wir es mit dem vielschichtigen Phänomen des Übersetzens zu tun. Der Roman wurde zunächst unter Pseudonym in der Übersetzung von Karl Walter Rudolph (Tolys, 1936) auf Deutsch veröffentlicht und danach als Fortsetzungsroman in der Zeitung Ethnos (Έθνος / Nation; 1936-1937). Später wurde die griechische Version auch in Buchform veröffentlicht, ein Exemplar davon überreichte Karaiskaki Metaxas bei ihrem persönlichen Treffen in seinem Büro 1940; kurz vor dieser Veröffentlichung erschien ein Kapitel daraus, ebenfalls in Folgen, in I Neolea. Das Buch war ein beachtlicher Erfolg und wurde im Allgemeinen mit positiven Kritiken bedacht. Dieser literarische Versuch stand allerdings in einem streng politisch-ideologischen Kontext, den Karaiskaki aus dem deutschen Sprachraum übertragen hatte. Bezeichnend ist die Wahl als Motto der griechischen Ausgabe einer ins Griechische übersetzten Passage des österreichischen nationalsozialistischen Schriftstellers Mirko Jelusich – der vor allem für seine fiktiven Biografien großer Anführer bekannt war – in der die nationalpädagogische Zielsetzung der Verfassung historischer Lektüren betont wird.
Der Mythus des 20. Jahrhunderts
Das Werk Der Mythus des 20. Jahrhunderts wurde 1930 veröffentlicht und, obwohl es “nie als offizielles Parteidokument anerkannt wurde […], bleibt es dennoch die am vollständigsten artikulierte Erklärung der nationalsozialistischen Ideologie.“ (Gregor, 2012, 202).14Im Original: “Never identified as an official party document […], the Mythus nonetheless remains the most fully articulate statement of National Socialist ideology.“ Zu Rosenbergs weltanschaulichem Hintergrund und seinem Aufstieg zum Chefideologen der NSDAP siehe z.B. Gregor, 2012, 200-207. Andererseits deutet die Tatsache, dass die Aneignung Karaiskakis trotz der relativ weiten Verbreitung ihrer Artikel praktisch unbemerkt geblieben zu sein scheint, auf die äußerst geringe Zahl der Leser von Rosenbergs Werk hin. Sein Inhalt blieb in Griechenland fast gänzlich unbekannt, aber vielleicht ist das gar nicht so überraschend. Vom Werk Der Mythus des 20. Jahrhunderts wurden in Deutschland bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs zwar über eine Million Exemplare verkauft, aber die meisten hochrangigen Mitglieder der NSDAP – einschließlich Hitler – scheinen es nie gelesen zu haben. Rosenbergs Buch ist in der Zwischenkriegszeit in keiner einzigen offiziellen griechischen Übersetzung erschienen. Ironischerweise kamen die ersten Übersetzungen ins Griechische von Der Mythus des 20. Jahrhunderts auf den Markt, als das zwanzigste Jahrhundert bereits vorbei war. Auch hier handelte es sich jedoch nicht um eine Übersetzung der gesamten, ausführlichen Abhandlung des nationalsozialistischen Theoretikers, sondern nur um Teile davon, und zwar lediglich aus dem ersten Buch, während die von Karaiskaki kopierten Passagen aus dem zweiten Buch stammen. Konkret wurde 2003 nur das erste Kapitel des ersten Buches (Rasse und Rassenseele, 21-144 im Original) als “Band 1“ vom Verlag der Zeitschrift Apollonio Fos (Απολλώνειο Φως / Apollonisches Licht)15Die Zeitschrift Apollonio Fos (Απολλώνειο Φως / Apollonisches Licht) war eine ultranationalistische, pronazistische Publikation, die ab Januar 1996 von Ioannis Charalampopoulos herausgegeben wurde. Seit 2013 erscheint sie wohl nicht mehr, obwohl es gelegentlich Pamphlete gibt, die den Titel Apollonio Fos tragen, z.B. ein Blatt mit der Bezeichnung Εfimeris tichou (Εφημερίς τοίχου / Wandzeitung) im August 2019 (siehe Foto und Kommentar im Blog des Shades Magazine, 16.09.2019).herausgegeben in der Übersetzung von Stefanos Gekas; dieser war ein ehemaliger führender Funktionär der Goldenen Morgenröte und ist heute Präsident der rechtsextremen Organisation ARMA16Siehe auch die Website der Organisation, auf deren Homepage, wie auch an verschiedenen anderen Stellen, als Einleitung oder Frontispiz Auszüge aus Rosenbergs Buch erscheinen: ARMA Hellas.(Rosenberg, 2003).
Das zweite Kapitel des ersten Buches, mit dem Haupttitel Liebe und Ehre (145-216 im Original) wurde im Verlag Rissos (Ρήσος) veröffentlicht, in der Übersetzung von Christos Nikas (Rosenberg, 2014).17Der Verlag Risos steht unter der Leitung von Ioannis Chr. Jannakena. Dieser gründete 1985 auch den recht bekannten rechtsextremen Verlag Pelasgos. Dort kam auch das Buch von Chondromatidis heraus, auf das sich dieses Essay bezieht. Grundlegende biografische Informationen über diesen Verleger und Politiker finden Sie auf der Website von Greek History Repository.
Selbst Adolf Hitlers Mein Kampf war zwar in Fragmenten in der Presse erschienen, etwa 1938 in der Zeitschrift To Fos (Το Φως / Das Licht) von Aristidis Andronikos (Psarras, 2013, 162), aber in griechischer Sprache war das Gesamtwerk damals nicht in Buchform erhältlich. Tatsächlich wurde während der deutschen Besatzungszeit immer wieder die Absicht geäußert, dieses Buch in griechischer Übersetzung zu veröffentlichen, was aber nicht realisiert wurde. Das Fehlen offizieller Übersetzungen begünstigte also unautorisiertes Kopieren und Adaptieren, da die Möglichkeit, Plagiate aufzuspüren, extrem begrenzt war. Karaiskaki gliederte ihre Rosenberg-Plagiate in einen Versuch ein, die “rassische Ästhetik“ in Griechenland voranzutreiben. In Anlehnung an das Mythus-Kapitel (“Das rassische Schönheitsideal“, 277-322) vertrat sie in einem im Oktober 1939 bzw. Januar 1940 in den Zeitschriften Pnevmatiki Zoi und I Neolea veröffentlichten Artikel die These, dass Kunst und Schönheitsideal rassisch determiniert seien (Karaiskaki 15.10.1939; Karaiskaki, 13.01.1940). Nur wenn die Reinheit der Rasse und das Band zwischen Rasse und Kunst aufrechterhalten werden, bliebe die Kunst authentisch und könne unvergänglich werden. Bezeichnend für die fast wortwörtliche Übersetzung der unveröffentlichten deutschen Quelle ist der folgende Auszug aus der in der EON-Zeitschrift veröffentlichten Version:
Karaiskaki:
Σχεδόν όλοι οι φιλόσοφοι, που έγραψαν για «αισθητική» ή για την αξιολογία της τέχνης, πέρασαν χωρίς ν’ αγγίξουν το γεγονός ενός φυλετικού ιδεώδους ωραιότητος φυσικής και μιας φυλετικά δεμένης ανωτάτης αξίας ψυχικού είδους. Και όμως είναι τόσο φανερή η διαφορετική επίδρασι, που κάνει πάνω μας η καθαρά ψυχική παράστασι, π.χ. ενός Έλληνος εφήβου από την εικόνα ενός Κινέζου αυτοκράτορος. Κάθε γραμμή στην Κίνα παίρνει μιαν άλλη λειτουργία παρά στην Ελλάδα. Έτσι χωρίς τη γνώσι και την κατανόησι της μορφοποιούσης και φυλετικά ωρισμένης θελήσεως δεν μπορεί η ελληνική τέχνη – και κάθε τέχνη – να ερμηνευθή και να παράσχη αισθητική απόλαυσι (Karaiskaki, 13.1.1940, 450).
Original:
Fast alle Philosophen, welche über den „aesthetischen Zustand“ oder über die Wertfestlegungen in der Kunst geschrieben haben, sind an der Tatsache eines rassischen Schönheitsideals in physischer Hinsicht und eines rassisch gebundenen Höchstwertes seelischer Art vorübergegangen. Dabei liegt es auf der Hand, daß, wenn überhaupt über das Wesen der Kunst und ihre Wirkung gesprochen werden soll, die rein physische Darstellung z.B. eines Griechen auf uns anders einwirken muß, als etwa das Bildnis eines chinesischen Kaisers. Jede Umrißlinie erhält in China eine andere Funktion als in Hellas, die ohne die Kenntnis des formenden, rassisch bedingten Willens weder zu deuten noch „aesthetisch zu genießen“ ist (Rosenberg, 1930, 279).
Wie Andreiomenos (2012, 367) bei der Aufnahme dieses Textes richtig erkannt hat, handelt es sich um einen “Essay propagandistischen Inhalts über den ‚rassischen‘ Charakter der (vor allem antiken) griechischen Kunst, der an die Rhetorik anderer totalitärer Regime zu ähnlichen Themen erinnert“. Und das ist natürlich so, weil der Text, wie wir gesehen haben, im Wesentlichen die Übersetzung einer nationalsozialistischen theoretischen Arbeit ist. Wenige Tage nach der zweiten Veröffentlichung des Textes im Januar 1940 tauchte Karaiskaki mit einem Plagiat von Rosenbergs Buch auf den Seiten der Zeitschrift Pnevmatiki Zoi wieder auf. Im Mittelpunkt dieses neuen Textes stehen der Kontakt des Volkes zur Natur und die mit ihr verwobene Schönheit als Voraussetzung für die Zivilisation. Karaiskaki zögerte nicht einmal, Teile der Darstellung zu kopieren, die Sokrates als fremd der griechischen rassischen Seele schilderten, dessen Predigten den Weg zum Niedergang der antiken griechischen Zivilisation geebnet hätten:
Karaiskaki:
Η αριστοκρατική των Αθηναίων, η αληθινή ευγενής δημοκρατία γλυστρούσε. […] Και τότε παρουσιάστηκε ο νέος του ανθρώπου τύπος. […] Ο Σωκράτης με τη διδασκαλία του αγαθού –το ωραίο παραμερίστηκε– μάζεψε γύρω του μια νέα αγωνιώσα γενεά (Karaiskaki, 25.1.1940, 9).
Original:
Mit Sokrates begann nicht eine neue Epoche g r i e c h i s c h e r Geschichte, sondern mit ihm trat ein ganz a n d e r e r M e n s c h ins hellenische Leben ein. […] Er lebte in einer Zeit, als Athen irrlichterte und seine einst aristokratische Demokratie (die nur Griechen, keine Fremden umfaßte) in Abgründe des Chaos hinabglitt. […] Darüber hinaus sucht er „das Gute“ an sich, predigt die „Gemeinschaft der Guten“ und versammelt um sich ein neues ringendes griechisches Geschlecht (Rosenberg, 1930, 284–85; Hervorhebungen im Original).
Übersetzungen und Faschismus
Erwähnenswert ist, dass Karaiskaki ihre Übersetzungen von Rosenbergs Texten nicht als solche präsentierte, sondern als eigene Schriften. Das Europa der Zwischenkriegszeit wurde von Übersetzungen überschwemmt. Insbesondere literarische Übersetzungen, die bisher am besten untersucht sind, scheinen in vielen europäischen Ländern dominiert zu haben. Das ging so weit, dass z.B. Antonio Gramsci (1981, 131) behauptete, dass die Populärliteratur, oder zumindest die, die die breite Masse in Italien liest, ausländische Literatur sei. In Griechenland war die Situation ähnlich, während in Spanien die Übersetzungen eine solche Ausstrahlung erreicht hatten, dass es eine Welle erfolgreicher “Pseudoübersetzungen“ gab, d.h. spanische Originale, die als Übersetzungen aus anderen Sprachen ausgegeben wurden, um Leserschaft zu gewinnen (Rundle, 2018, 35). Übersetzungen wurden jedoch mit der Vorstellung kultureller Invasion und Dominanz gleichgesetzt und so gab es folglich Versuche der neuen nationalistischen Regime der Zwischenkriegszeit, Übersetzungen aus der Landessprache in andere Sprachen zu fördern – parallel dazu aber den Zustrom ausländischer Übersetzungen zu begrenzen (siehe z.B. Rundle und Sturge, 2010, 8). Dies fiel mit breiteren Tendenzen in der einheimischen Intelligenzschicht zusammen, die die Nationalliteratur oder das Schrifttum im Allgemeinen stärken und sie in direkteren Kontakt mit einem breiteren Publikum bringen wollte. Dieses Gemisch wurde noch verstärkt durch die Obsession der Abstammung, die zu allen Zeiten ein Merkmal des Nationalismus ist. Besonders unter Metaxas wurde von Regimefunktionären und regimefreundlichen Intellektuellen immer wieder öffentlich erklärt, dass die griechische Staatsform keine andere kopiere.
In diesem Zusammenhang ist wohl auch der verdeckte Versuch Karaiskakis zu beurteilen, allogenes Gedankengut zu verbreiten. Ihre Übersetzungen von Rosenbergs Schriften könnten als “Pseudoprototypen“ bezeichnet werden und drücken vielleicht stärker als eine bloße Adaption den Prozess aus, der als Reterritorialisierung des Originaltextes bezeichnet worden ist (Bastin, 2009, 4). Nur als Bestandteil bodenständigen Denkens und als Produkt einheimischer Intelligenz konnten die Texte durchschlagend vermittelt werden. Bezeichnend ist, dass Karaiskaki Passagen aussuchte, die sich auf das antike Griechenland bezogen, während sie zu Beginn der Essays den Hauptteil mit eigenen, originellen Bezügen zum neuzeitigen Griechenland, zum Metaxas-Regime und zur griechischen Jugend angereichert hatte. Wir haben es hier also mit Übertragungsstrategien zu tun, die einen Kontext schaffen sollten, um Rosenbergs Ideen offen auszusprechen und die in Griechenland herrschende Denkweise damit unverfroren infiltrieren zu können. Die Nichtangabe des Quelltextes bzw. die Tatsache, dass es sich bei dem griechischen Text lediglich um eine weit gefasste Übertragung handelte, ließe sich sowohl in Bezug auf Rosenbergs Status als auch Karaiskakis persönliche Ambitionen erklären. So fällt z.B. auf, dass in den eher “wissenschaftlichen“ regimefreundlichen Zeitschriften wie To Neon Kratos und Nea Politiki nicht selten Texte (im Original oder in Übersetzung) veröffentlicht wurden, die explizit für die Positionen und “Errungenschaften“ ausländischer politischer Personen und Mächte warben; das galt aber nicht für die Zeitschriften I Neolea und Pnevmatiki Zoi. So betrieb Karaiskaki deutsche Propaganda für die griechische Öffentlichkeit und insbesondere für die Jugend, ohne auch nur den Anschein zu erwecken, die Ansichten eines ausländischen politischen Akteurs zu reproduzieren.
Indem sie also Abschnitte aus Rosenbergs Beiträgen auswählte, die sich hauptsächlich mit der antiken griechischen Kultur befassten und deren Übersetzung ins Neugriechische als eigene Essays präsentierte, scheint Karaiskaki den Weg der geistigen Aneignung und des verdeckten Transfers der NS-Ideologie nach Griechenland beschritten zu haben. Diese Praxis des ideologischen Transfers erleichterte automatisch die Einbindung der in den Artikeln enthaltenen Ideologeme in den Metaxismus, den selbst die inneren Kreise des Regimes des 4. August als ein noch im Entstehen begriffenes ideologisches System definierten, während sie zugleich den lokalen Ursprung der neuen ideologischen Elemente betonten, die keine fremden Vorbilder kopierten. Gleichzeitig bediente dieses Prinzip Karaiskakis offensichtliche Ambitionen der Selbstdarstellung, indem sie sich als einflussreiche Intellektuelle und prominentes Mitglied der neuen Eliten des Metaxas-Regimes stilisierte. Obwohl es sich lohnen würde, Karaiskaki im Vergleich mit anderen Fällen von griechischen – und nicht nur – politisch engagierten Intellektuellen zu studieren, um die Dialektik zwischen nicht deklarierter Übersetzung und Propaganda detaillierter darzustellen, scheint ihr Fall in Bezug auf mindestens zwei Parameter eine Besonderheit zu bewahren: Zum einen war die wichtigste Publikation von Nea Jenea eine deklarierte Übersetzung von Evangelos Kyriakis (Goebbels, 1935), während andere rechtsextreme Intellektuelle, auch im Kontext der Metaxas-Diktatur nicht zögerten, das symbolische Kapital der nationalsozialistischen Anführer zur Untermauerung ihrer eigenen Positionierungen zu nutzen, z.B. der oben erwähnte Aristidis Andronikos, der übersetzte Auszüge aus Hitlers Buch veröffentlichte, um seine eigenen antisemitischen Argumente zu bekräftigen. Zum anderen hatte sich Rosenberg selbst wiederholt gegen Übersetzungen seines Werkes in andere Sprachen gestellt, weil es lediglich für die Deutschen bestimmt sei (Cecil, 1972, 104).
Statt eines Epilogs
Es ist bezeichnend, dass Karaiskakis Schriften während der Diktatur vor allem im Rahmen der Nationalen Organisation der Jugend (ΕΟΝ) erschienen. Sie ergriff damit eine Initiative auf der mittleren Ebene, indem sie die schrittweise Ausformulierung des Metaxismus mit nationalsozialistischen Elementen versah. Karaiskaki war ein ehrgeiziges und eigenwilliges Mitglied einer neuen intermediären Elite, die sich unter Metaxas herauskristallisierte.18Der Begriff „intermediäre Elite“ stammt von Alexander de Grand (2000, 3 und 7-9) und bezeichnet die Gruppe, die zwischen der politischen, wirtschaftlichen usw. Führung und den Massen vermittelt und eine Schlüsselrolle bei der Streuung der Ideologie spielt. Ihr Handeln demonstrierte eine mindestens zweigleisige Vermittlung: offen zwischen dem Metaxas-Regime und der meist jugendlichen Leserschaft, verdeckt aber häufig zwischen Griechenland und Deutschland, zwischen Nationalsozialismus und Metaxismus. Diese beiden Aspekte der Vermittlung, die ihre Tätigkeit kennzeichneten, vereinten sich in gewisser Weise während der Besatzungszeit, als sie die Position der Presse- und Aufklärungsreferentin an der deutschen Botschaft in Athen übernahm und Leiterin der deutschen Propagandaabteilung beim Athener Rundfunk wurde (Chondromatidis, 2013, 224; Kousouris, 2014, 472). Ihre zentrale Rolle in der regimefreundlichen, pronazistischen Propaganda des Regimes während der deutschen Besatzungszeit wird auch durch die besondere Erwähnung ihres Namens in verschiedenen Schriften, die diese Zeit untersuchen, unterstrichen, wenn es um Propaganda geht (z.B. Fleischer, 1990, 361; Chondromatidis, 2013, 221–28; Kousouris, 2014, 60; Koukounas, 2015).
Mehrere zeitgenössische rechtsextreme Gruppen Griechenlands huldigen nun Karaiskaki, die bis vor kurzem im Pantheon der griechischen Ultranationalisten fehlte. Dazu gehören die Laiki Kinissis Politon Attikis (Λαϊκή Κίνησις Πολιτών Αττικής / Volksbewegung der Bürger Attikas), die Goldene Morgenröte und insbesondere ihre Frauenabteilung, das Projekt Ethnikon Kratos (Εθνικόν Κράτος / Nationaler Staat), das mit dem heutigen Verlag Nea Jenea in Verbindung steht sowie die griechische Metapedia, die gelegentlich für Veröffentlichungen von Karaiskaki im Verlag Nea Jenea wirbt.19Siehe z.B. den Blog der Frauenfront der Goldenen Morgenröte White Women Front, auf dessen Rand unten rechts Karaiskaki im Pantheon der weiblichen Vorbilder abgebildet ist, zwischen der Fotografin Nelly und Savitri Devi, der Leitfigur der nationalsozialistischen Nachkriegsmystik. Siehe ein ähnliches Pantheon im Neonazi-Blog The Stormtrooper, wo sich Karaiskaki in der Gesellschaft von Alfred Rosenberg, Leon Degrelle und Robert Brasillach, aber auch Johannes Sykutris, befindet. Zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Textes im Herbst 2020 wurde auf der Homepage dieses Blogs die Neuauflage eines Buches von Karaiskaki beworben.
Nea Jenea soll hier ausdrücklich erwähnt werden, denn der Leiter des Verlags, Alexandros Karras, erklärte in einem Interview kurz nach dessen Gründung 2017: “Die Benennung lässt den Verlag der 1930er Jahre aufleben, der von Sitsa Karaiskaki, Evangelos Kyriakis und Kyriakos Karamanos gegründet wurde. Mein Ziel ist es, deren Arbeit fortzusetzen und ihre Ära mit unserer Zeit zu verbinden“ (Mavros Krinos, 2017). Zu den ersten Veröffentlichungen des neuen Verlags gehörten Neuauflagen von Karaiskaki-Büchern sowie Zusammenstellungen ihrer Presseartikel; innerhalb weniger Jahre wurden fast zehn ihrer Bücher von diesem Verlag abgesetzt. Im Allgemeinen bemüht sich Nea Genea um eine aus vielen Elementen zusammengesetzte nationalistische Erziehung, wobei nicht nur das Werk Karaiskakis und anderer griechischer Intellektueller beworben wird, die zur ideologischen Tradition dieses Hauses gehören (z.B. Neoklis Kazazis, Ion Dragoumis, Evangelos Kyriakis), sondern auch Ausländer, hauptsächlich mit faschistischer Identität (Mussolini, Goebbels, Codreanu, Brasillach usw.).20Siehe die Website des Verlags Nea Jenea.
Mit anderen Worten, der Verlag geht ein ideologisches Transferprojekt an; hierbei reaktiviert er auf vielfältige Weise Karaiskaki als Vorbild und unterstreicht ihre Bedeutung für das Verständnis des griechischen faschistischen Phänomens bis 1945 und darüber hinaus bis heute.