Franz Emanuel August Geibel (1815–1882) war ein deutscher Lyriker und Übersetzer, dessen poetisches Frühwerk entscheidend durch einen Aufenthalt in der griechischen Hauptstadt Athen während der Jahre 1838–1840 geprägt wurde.
Zuvor hatte Geibel zwischen 1835 und 1837 in Bonn und Berlin Theologie, vor allem aber Klassische Philologie studiert. Sein Aufenthalt in Athen, wo er als Hauslehrer bei der Familie des russischen Gesandten tätig war, wurde ihm 1837 durch Bettina von Arnim unter Mithilfe Friedrich Carl von Savignys vermittelt. Die Zeit in Griechenland wird in biographischen Darstellungen üblicherweise als entscheidender Lebensabschnitt auf dem Weg zu Geibels späterer Dichterlaufbahn charakterisiert (vgl. die Dokumentensammlung im Deutschen Biographischen Archiv).
In Athen wurde Geibel von dem in München und Heidelberg ausgebildeten Juristen Emmanouil Kokkinos (1812–1879) im Neugriechischen unterrichtet. Während seiner Athener Zeit machte er u. a. die Bekanntschaft des Übersetzers Wolf Heinrich Graf von Baudissin (1789–1878), des Architekten Eduard von Schaubert (1804–1860), des Philologen Heinrich Nikolaus Ulrichs (1807–1843), des Archäologen Karl Otfried Müller (1797–1840) und des Malers Hermann Kretzschmer (1811–1890). Er traf aber auch mit seinem Jugendfreund Ernst Curtius (1814–1896) und seinem Bonner Professor Christian August Brandis (1790–1867) zusammen, die zu dieser Zeit ebenfalls eine Anstellung in Athen gefunden hatten. Gemeinsam mit Curtius unternahm Geibel ausgedehnte Reisen über das Festland und auf die Kykladen und machte sich tiefer mit der Geschichte und Kultur des Landes vertraut. Es war aber auch die Phase, in der er sich endgültig für seinen Dichterberuf entschied. Einen anschaulichen Einblick in die Gedanken- und Gefühlslage dieser Jahre geben Geibels 1909 von E. F. Fehling herausgegebene Jugendbriefe.
Nach der Rückkehr aus Griechenland erschienen 1840 die Klassischen Studien, in denen Geibel und sein Freund Ernst Curtius eine Auswahl altgriechischer Lyrik in eigenen Übersetzungen vorlegten. Der Gegenwartsbezug dieses Buches ergibt sich nicht nur aus der Widmung an die griechische Königin Amalie, sondern auch aus einem einleitenden Gedicht, in dem Geibel den Zusammenhang zwischen dem alten und dem neuen Griechenland hervorhebt.
Noch wichtiger ist der Band Gedichte, den Geibel im selben Jahr herausgab und der seinen Ruhm als Lyriker begründete. Auch dieser Band enthält deutliche Spuren seines Athener Aufenthalts: Die Gedichte des zweiten und dritten Buches, die zu einem Großteil in Griechenland entstanden sind, behandeln u. a. das Leben im Süden, die Athener Freunde, Reiseeindrücke und Reflexionen über die Stätten des klassischen Altertums, aber auch Geibels Vorstellungen über die Dichtung und das Dichterleben. Mit diesen Inhalten und ihrer klassizistischen Formgebung weisen die Athener Gedichte auf Geibels spätere Lyrik voraus. Daneben enthält der dritte Band der Gedichte auch einige Übersetzungen neugriechischer Volkslieder, die Geibel offenbar zu seiner eigenen Lyrik zu passen schienen (vgl. Buk, 1920 u. 1923).
Geibels Aufenthalt in Griechenland schlug sich auch in seiner späteren Dichtung nieder, so etwa in den „Erinnerungen aus Griechenland“ des Bandes Gedichte und Gedenkblätter (1864), die auch ins Griechische übersetzt wurden (1867). Weitere Übersetzungen Geibels ins Griechische erschienen erst in den 1920er und 1930er Jahren, in denen der Ruhm des einstmaligen Erfolgsdichters in seiner deutschen Heimat bereits verblasste.