Hedwig Lüdeke (1879–1961), geb. Richter, war eine österreichische Volkskundlerin, Sammlerin und Übersetzerin neugriechischer Volksliteratur.
Aufgewachsen in Wien als zweites Kind eines Universitätsprofessors und der Tochter eines Leipziger Verlagsbuchhändlers, erfuhr Lüdeke in ihrem Elternhaus eine umfassende Erziehung, die es ihr schon früh erlaubte, ihr sprachliches und musisches Talent zu entwickeln. Bereits in ihrer Jugendzeit soll sie sich neben dem Englischen und Französischen auch die italienische und ungarische Sprache angeeignet haben.
Nach der Heirat mit dem deutschen Verwaltungsjuristen Max Lüdeke (1858–1934) zog sie zunächst mit diesem nach Hannover, später nach Berlin, wo sie sich in den folgenden Jahren vor allem der Erziehung ihrer drei Kinder zu widmen hatte. Daneben lernte sie Altgriechisch, war literarisch tätig und veröffentlichte erste Übersetzungen englisch-schottischer und ungarischer Volksdichtung.
Ab Mitte der 1920er Jahre wandte sich Lüdeke der neugriechischen Sprache und Volksdichtung zu, die in den folgenden Jahren ins Zentrum ihrer Tätigkeiten rückte. Neben den Sprachkursen von Ioannis Kalitsounakis (1878–1966) am Seminar für Orientalische Sprachen, die sie für zwei Semester besuchte, arbeitete sie sich systematisch in die griechischen Dialekte ein. Dabei behilflich waren ihr u. a. zwei damals in Berlin immatrikulierte griechische Studenten, die später zu bekannten Wissenschaftlern wurden: der Volkskundler Jeorjios Megas (1893–1976) und der Klassische Philologe Ioannis Sykoutris (1901–1937). Außerdem studierte und erschloss sich Lüdeke bereits zu jener Zeit annähernd 200 Sammlungen neugriechischer Volkslieder, die sie sich teils aus der Berliner Universitätsbibliothek, teils aus dem Ausland beschaffte.
Nach dem Tod ihres Mannes unternahm Lüdeke zwischen 1935 und 1939 mehrere Reisen nach Griechenland, Zypern und auf den (damals italienischen) Dodekanes. Auf diesen Reisen trug sie eine beachtliche Sammlung griechischer Volkslieder zusammen, die zum Teil aus entlegenen Regionen des griechischen Sprachgebiets stammten und der Fachwelt bis dahin gänzlich unbekannt geblieben waren. Der Plan, diese Lieder in Zusammenarbeit mit der Athener Akademie herauszugeben, wurde zunächst durch den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs vereitelt. Der erste Band dieser Sammlung mit den griechischen Liedern erschien zwar schon 1943, kam aber erst 1947 in Umlauf. Der zweite Band mit Lüdekes deutschen Übertragungen erschien 1964 in einer von Jeorjios Megas besorgten Edition, der dritte, eine zweisprachige, aus der Zusammenarbeit mit Lüdekes Freund Fritz Boehm (1880–1943) hervorgegangene Ausgabe von Akritenliedern, abermals 30 Jahre später bei der Athener Akademie.
Lüdeke selbst, die das Editionsprojekt der griechischen Volkslieder bis in die Nachkriegszeit unermüdlich vorantrieb, war es nicht vergönnt, noch einmal in das „Paradies der Volksdichtung“ (so der Titel ihrer 1948 erschienenen Reiseerinnerungen) zurückzukehren. Nach einem Zusammenbruch während des Besuches eines Byzantinisten-Kongresses in Belgien (1948) verbrachte die körperlich und psychisch angeschlagene Volksliedsammlerin ihre letzten Lebensjahre in verschiedenen Berliner Pflegeeinrichtungen.