Philhellenismus im Zeichen der Finanzkrise 2008

  • Veröffentlicht 13.12.22

Kann man eine Lyrik von Günter Grass über das Griechenland der Finanzkrise oder eine von Durs Grünbein über die Akropolis „philhellenisch“ nennen? Oder sollen Begriffe wie „philhellenische Literatur“ oder etwa „philhellenischer Diskurs“ nur Werken und Praktiken der ersten Mitte des 19. Jhs. vorbehalten bleiben? Und anhand welcher relevanten Merkmale ließen sich diese Gedichte als philhellenisch einstufen? Bei dem Versuch, diese Fragen zu beantworten, werde ich zunächst in einer theoretischen Prämisse die literatur- und kulturwissenschaftliche transepochale Verwendbarkeit des Begriffes „Philhellenismus“ herausarbeiten, um daran anschließend einige Textbeispiele zu analysieren. Ein komparativer Blick auf Italien und sein Verhältnis zu Griechenland in den Jahren der ökonomischen Krise sowie ein Exkurs über Christa Wolfs Kassandra werden dann helfen, die Kontinuität des (nicht nur deutschen) philhellenischen Diskurses auch noch bis in unsere Tage aufzuspüren. Als Gegenstück dazu werde ich kurz auf Wolfgang Schorlaus Der große Plan (2019), einen interessanten und sehr gelungenen Krimi, eingehen.

Inhalt

    Einleitung: eine theoretische Bemerkung zum Begriff „Philhellenismus“

    In jüngeren Arbeiten zum Philhellenismus häufen sich die Versuche, dieses komplexe Phänomen auf theoretischer Ebene systematisch zu behandeln,1Die kritische Literatur zum Philhellenismus ist imposant. Zu einer ersten Einordnung und Periodisierung des Phänomens siehe Tolias, 2016, der verschiedene kritische Ansätze synthetisch wiedergibt und die terminologische Problematik diskutiert (und vor allem in den ersten Anmerkungen eine umfangreiche Bibliographie liefert). wobei folgende für die Fixierung des zeitlichen Rahmens methodologisch und terminologisch relevante Frage im Fokus steht: Inwiefern kann man von Philhellenismus auch jenseits der kulturellen, religiösen, militärischen und ökonomischen Solidarität sprechen, die in den 1820er Jahren in ganz Europa (wie auch in Amerika)2Über die Unterschiede zwischen dem europäischen und dem weniger politisch als eher generell philanthropisch angelegten US-amerikanischen Philhellenismus vgl. Maras, 2012, 118-123. den Aufständischen eine substantielle Hilfe sicherte? Inwiefern können also auch frühere und spätere Modalitäten der Begeisterung für die griechische Kultur als philhellenisch kategorisiert werden? Es würde den Rahmen des vorliegenden Beitrags sicherlich sprengen, die Debatte über die Tragfähigkeit des Begriffs Philhellenismus wiedergeben zu wollen. Es sei jedoch in aller Kürze gesagt: Die interessantesten Positionierungen scheinen mir diejenigen, die einen transepochalen Ansatz aufweisen, indem sie die Kontinuität des Philhellenismus von der Antike bis heute hervorheben.3So z.B. Tolias, der eine überzeugende Formel verwendet: „Philhellenism […] had deep roots and cast a long shadow“ (Tolias, 2016, 53). Was die Verwendbarkeit des Terminus für die Antike betrifft, ist die Position von Vöhler, Alekou und Pechlivanos radikal: „The long and complex history of philhellenism spans the period from antiquity to the present“ (Vöhler u.a., 2021, 1). Der Antike fällt eine noch größere Bedeutung in Güthenkes terminologischem Schema zu, indem sie Verschiedenes unter dem Terminus Hellenism subsumiert: „the positive investment of ancient Greece as a cultural system, the political Philhellenism of the eighteenth and nineteenth centuries, and the imagination of modern Greece, or neo-Hellenism, both outside and within Greece“ (Güthenke, 2008, 11). Eine ähnliche Position vertritt Zacharia, die einem Band von Aufsätzen über Themen, die von der Antike bis zu unseren Tagen reichen, den Titel Hellenisms gibt (Zacharia 2008).

    Den Philhellenismus als ein tragendes Element der europäischen Kultur zu betrachten, dessen Wurzeln in der klassischen Antike stecken, hat zur Folge, dass man seinen zeitlichen Horizont auch nach vorne erweitern kann, was dazu führt, dass im Philhellenismus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. nur eine der Varianten eines durch die Jahrtausende kontinuierlich sich entwickelnden Phänomens zu sehen ist.

    Wenn auch sehr schematisch, sind diese einleitenden Bemerkungen die notwendige Prämisse, um Texte wie diejenigen, die ich hier behandeln werde, als philhellenisch einzustufen. Denn auch in ihnen wirkt das, was – jenseits der zeitlich bedingten, typologischen Unterschiede von der Antike bis heute – das sozusagen strukturelle Gesetz, ja das Fundament des philhellenischen Diskurses jeder Epoche darstellt: die Idealisierung Griechenlands. Diese Idealisierung tritt vom 18. Jahrhundert bis heute vornehmlich in vier Formen auf: das klassische Hellas als Ideal einer kulturellen und ästhetischen Vollkommenheit (Winckelmann); der im Kampf gegen die Osmanen entstehende moderne griechische Staat als Verkörperung revolutionärer Potenzialitäten und christliches Bollwerk; der exotische, „periphere“ Raum für isolierungssuchende alternative Aussteiger*innen zwischen den 1960er und 1980er Jahren;4Dazu siehe Corrado, 2021, 99-100. der Ort der antagonistischen Einstellung gegen die Globalisierung und die Macht der Banken während der ökonomischen Krise der letzten Jahre.5Die Bewunderung des Widerstandspotenzials, das in der alternativen Kultur und im politischen Engagement Griechenlands gegen die harten Sparmaßnahmen in den Jahren der letzten ökonomischen Krise ans Licht trat, hat nach Panagiotopoulos und Sotiropoulos ihre Wurzeln in jenem Exotismus (hier in einer aktualisierten Form), der seit jeher eine Begleiterscheinung des Philhellenismus sei. Erhellend sind die Seiten, die sie dem exotisierenden Blick der Westeuropäer*innen auf das Griechenland unserer Tage widmen (vgl. Panagiotopoulos/Sotiropoulos, 2020, 3-5); vor allem überzeugt ihr Verständnis des Philhellenismus als eines ganzheitlichen Phänomens (trotz seiner unterschiedlichen Phasen im Laufe der Jahrhunderte) – des Philhellenismus, der „has never been about the real Greeks, not then and not now“ (ebd., 3).

    Allen diesen Formen gemein ist im Grunde genommen die bis zur Negation reichende Diskreditierung des realen Landes – des „real existierenden“ Griechenland, könnte man sagen, um eine im deutschsprachigen Kontext wohlbekannte Formulierung zu verwenden, die das natürliche Korollar jeder Idealisierung ist.6Nach Panagiotopoulos und Sotiropoulos zeigt sich noch in der Verliebtheit des nichtgriechischen Publikums in die prämoderne Figur des Zorbas – im Film Cacoyannis’ mit Anthony Quinn (1964) nach dem Roman von Kazantzakis (1946) – das Fehlen an Kenntnis (und an Empathie mit) der griechischen Gesellschaft der 1960er Jahre, die nach dem verheerenden Bürgerkrieg gerade eine Phase des Wiederaufbaus und der Modernisierung erlebte (vgl. ebd., 4), sodass Zorbas „could […] be declared the most authentic Greek of modern philhellenism„ (ebd.). Zur Enttäuschung der gelehrten Philhellenen des 19. Jahrhunderts, die in loco nicht das antike Hellas fanden, vgl. Eideneier, 2010, 41. Auch der religiöse Diskurs macht darin nach Ullrich keine Ausnahme, da die empathischen Gefühle und die Solidarität für die unter der osmanischen Herrschaft leidende christliche Bevölkerung „eines direkten Bezuges zur konkreten Situation der Griechen“ (Ullrich, 2012, 93) ermangeln würden. Nach Maras, der das Problem der „Differenz zwischen geschichtlichem Wissen und gegenwärtigem Erlebnis“ (Maras, 2012, 58) für die Reisenden am Anfang des 19. Jahrhunderts thematisiert, habe die „Hellenisierung von Landschaft und Volk“ (ebd.) in der Ikonographie offensichtliche Spuren hinterlassen. Zur Diskrepanz zwischen Ideal und dem realen Stand der Dinge in Griechenland vgl. auch Rassidakis, 2019, 110.

    Ein Blick auf Italien: der Mythos SYRIZA

    Die anfangs gestellte Frage kann man auch anders formulieren: Ist der Philhellenismus noch heute lebendig, wenn auch in anderen Formen als im 18. und 19. Jahrhundert? Ich werde zunächst versuchen, eine Antwort darauf nicht in einem deutschen, sondern in einem anderen kulturellen Kontext zu suchen, indem ich einen kurzen Blick auf Italien werfe, das sich seit jeher als direkter Erbe der griechischen Kultur betrachtet hat, zumal sein südlicher Teil (Magna Grecia) von den Griechen kolonisiert wurde. Italien ist eine philhellenische Nation. Wohl in keinem anderen Schulsystem Europas spielt das Althumanistische Gymnasium bis heute eine so zentrale Rolle und hat eine so manifeste soziale Konnotation wie in Italien. Ungeachtet der zunehmenden Technologisierung der Kultur und des Prestigeverlusts des humanistischen Erbes der Klassik, umgibt das Liceo Classico mit seinen vier (früher waren es sogar fünf) Stunden Altgriechisch pro Woche eine Aura von „Vornehmheit“. Das Problem besteht darin, dass das Altgriechische zum Paradigma erhoben und damit zur Leblosigkeit verurteilt wird; was bleibt, ist ein auf die Grammatik zentriertes, rhetorisch aufgeblähtes und deswegen absolut unzeitgemäßes Modell, das selbstredend keinerlei Bezug zu dem gegenwärtigen Griechenland hat, obwohl Klassenreisen nach Delphi und Athen obligatorischer Bestandteil des Lehrplans sind.

    Allerdings kann die Idealisierung, wie oben bemerkt, auch das moderne Griechenland betreffen, wie sich anhand einer politischen Episode zeigen lässt, die in der Zeit der akuten ökonomischen Krise der letzten Jahre stattgefunden hat. Kurz vor den politischen Wahlen 2015 in Griechenland und dem Sieg von SYRIZA, gegen Ende der Wahlkampagne, flogen circa 200 Linke aus Italien nach Athen, um die letzten Tage des Wahlkampfes zusammen mit den griechischen „Genoss*innen“ zu erleben. Sie haben sich mit einer gewissen Selbstironie Brigade Kalimera genannt – es handelte sich um eine Gruppe von Politiker*innen und Journalist*innen, aber auch von Mitgliedern verschiedener nichtparteilicher Organisationen, also um eine Gruppe (sagen wir pauschal) alternativer Linker.7Dazu siehe Saviano, 22.01.2015. Was haben sie in Athen gesucht? Natürlich setzte in jenen Tagen die gesamte europäische Linke, nicht nur die italienische, große Hoffnungen auf eine politische Wende. Und doch lässt sich diese Episode auch anders lesen als ein bloßer Ausdruck politischer Solidarität: Ich glaube vielmehr, dass in der griechischen Linken, besonders in SYRIZA, die bekannterweise weder eine traditionelle sozialdemokratische noch eine kommunistische Partei ist, ein neues politisches Subjekt gesehen wurde – jenes Subjekt, für das in Italien (und auch in Europa) in dieser Phase kein Platz war. Gesucht wurde also etwas, dessen sie (wir) in Italien verlustig gegangen sind: die Fähigkeit zur enthusiastischen politischen Teilnahme, die Gemeinschaft der Mitfühlenden, die Authentizität und Spontaneität des Engagements, die Begeisterung für die politische Arbeit. SYRIZA schien alle diese Formen und Modalitäten des Politischen vergegenwärtigen, reaktivieren zu können.

    Auch dieser Reise nach Athen ist – so scheint mir – ein philhellenischer Aspekt eigen. Für die Teilnehmer*innen barg das moderne Griechenland zwar keine Enttäuschung in sich, denn nicht aus der klassischen Antike als Garantin für eine „Wiedergeburt“ speisten sich ihre Hoffnungen; doch auch sie haben sich – nicht anders als die Mitkämpfer vor genau 200 Jahren, allerdings ohne philologische oder klassizistische Schwärmereien – mit einem idealisierten Griechenland identifiziert, und zwar idealisiert aufgrund derselben Merkmale, die seit jeher als das Wesen der griechischen Klassik angesehen werden: das Authentische der zwischenmenschlichen Beziehungen, des gemeinschaftlichen Lebens, der menschlichen Kommunikation. Griechenland als das verlorene Italien der 1970er Jahre – hier tritt der Mechanismus der Selbstprojektion und der (Re-)Mythologisierung der griechischen Kultur wieder zutage. Die Griechen als Lehrer: „Wir sind hergekommen, um zu lernen“ – haben einige Mitglieder der Gruppe auf die Frage nach ihrer Motivation geantwortet. Und: „Um den Enthusiasmus einer siegreichen Linken zu atmen“, denn auch dionysische, ekstatische Momente prägten das gemeinsame Erleben: „Wir sind hergekommen, um einen Joint, einen politischen Joint zu rauchen, um uns zu berauschen und zu begeistern“, hat Luciana Castellina geantwortet, eine der interessantesten und bekanntesten Politiker*innen der radikalen Linken Italiens. Rausch und Pädagogie, Ekstase und authentische Politik in Griechenland, der Quelle, aus der man Verlorengegangenes erneut schöpfen kann – also: Philhellenismus pur.

    Günter Grass’„Europas Schande“

    Ich komme nun auf die deutsch-griechischen Beziehungen im Rahmen der Finanzkrise 2008 zu sprechen, die wenige Jahre später in Griechenland verheerende Folgen hatte. Wir wissen, dass die intransigente Position der deutschen Regierung hinsichtlich der wirtschaftlichen Schwierigkeiten Griechenlands eine neue, sehr problematische Phase einleitete. So hat man in dieser unerbittlichen Einstellung das endgültige Ende des deutschen Philhellenismus sehen wollen, was insofern falsch ist, weil sich in Deutschland auch eine Welle von Solidarität mit Griechenland formierte. Zu den bekanntesten Solidaritätskundgebungen kann man sicherlich das Gedicht Europas Schande von Günter Grass zählen (Grass, 25.05.2012), das gegensätzliche Reaktionen hervorgerufen hat: Einige, unter ihnen Markaris, haben die Bedeutung der Geste unterstrichen, mit der ein weltbekannter deutscher Schriftsteller und Nobelpreisträger die Verantwortung Europas am griechischen Drama auf den Punkt brachte; andere haben dagegen eine vereinfachende, populistische Positionierung darin gesehen oder gar ein schlechtes Gedicht.

    Über die ästhetische Qualität des Gedichts kann man natürlich verschiedener Meinung sein; ich finde es ausgesprochen schlecht, wobei die Gründe dieser ästhetischen Unzulänglichkeit mit dem Diskurs des Philhellenismus zu tun haben:

    Europas Schande

    Dem Chaos nah, weil dem Markt nicht gerecht,
    bist fern Du dem Land, das die Wiege Dir lieh.
    Was mit der Seele gesucht, gefunden Dir galt,
    wird abgetan nun, unter Schrottwert taxiert.
    Als Schuldner nackt an den Pranger gestellt, leidet ein Land,
    dem Dank zu schulden Dir Redensart war.
    Zur Armut verurteiltes Land, dessen Reichtum
    gepflegt Museen schmückt: von Dir gehütete Beute.
    Die mit der Waffen Gewalt das inselgesegnete Land
    heimgesucht, trugen zur Uniform Hölderlin im Tornister.
    Kaum noch geduldetes Land, dessen Obristen von Dir
    einst als Bündnispartner geduldet wurden.
    Rechtloses Land, dem der Rechthaber Macht
    den Gürtel enger und enger schnallt.
    Dir trotzend trägt Antigone Schwarz und landesweit
    kleidet Trauer das Volk, dessen Gast Du gewesen.
    Außer Landes jedoch hat dem Krösus verwandtes Gefolge
    alles, was gülden glänzt gehortet in Deinen Tresoren.
    Sauf endlich, sauf! schreien der Kommissare Claqueure,
    doch zornig gibt Sokrates Dir den Becher randvoll zurück.
    Verfluchen im Chor, was eigen Dir ist, werden die Götter,
    deren Olymp zu enteignen Dein Wille verlangt.
    Geistlos verkümmern wirst Du ohne das Land,
    dessen Geist Dich, Europa, erdachte.

    Grass berührt hier einige der Hauptthemen der Debatte über Griechenland und die deutsch-griechischen Beziehungen in den Jahren der Krise: die Schulden, die deutsche Besatzung, die Troika, die Politik der Austerität, die aus Griechenland herausgeschmuggelten archäologischen Funde – alles Themen, die Grund sind für ein starkes antieuropäisches und ausgesprochen antideutsches Ressentiment. Ist das Gedicht von Grass ein Zeugnis philhellenischer Leidenschaft? Ja, aber mit der üblichen Ausblendung des modernen Griechenlands, der griechischen Realität – so paradox das bei einem Autor wie Grass klingen mag. Denn vor allem der Schluss ist mit seiner dramatischen Götterbeschwörung ganz klar: Es werden die olympischen Götter sein, die Griechenland rächen werden. Griechenland gilt hier immer noch als „Wiege“, als Geist Europas; was dem Autor am Herzen liegt, was auf dem Spiel zu stehen scheint, ist nicht so sehr das Schicksal dieses Landes an sich, sondern der Ursprung der europäischen Kultur. Das Bild des Sokrates, der in seinem Zorn Europa den Schierlingsbecher zurückreicht, womit die Verurteilung seines Landes zum Verhängnis ganz Europas wird, und der Mord an den Griechen und Griechinnen zum Selbstmord Europas mutiert – dieses Bild ist mit seinem kitschigen Pathos schwer zu überbieten. Da bricht sich die alte Fixierung auf die Antike wieder Bahn: Das moderne Griechenland wird zwar verteidigt, aber eher wegen seines repräsentativen Wertes, seiner Ersatzfunktion: Leidenschaftlich wird darum gerungen, jener antiken Kultur einen Ort und einen Körper zu verleihen, einer Kultur, die doch stets ein Bildungsprodukt bleibt.

    Ein Exkurs: das Kassandra-Projekt Christa Wolfs

    An dieser Stelle finde ich es angebracht, einen Text Christa Wolfs heranzuziehen, dessen politische Bedeutung darin besteht, dass die Autorin eine radikal kritische Einstellung zum modernen Griechenland vertritt; es wird sich zeigen, dass Grass’ Positionierung im Grunde kein Einzelfall ist, sondern sich in eine für die deutsche Literatur eminente Tradition einfügt. Vor ungefähr 40 Jahren realisierte Wolf das literarische Kassandra-Projekt, indem sie 1983 einen Band beim Aufbau-Verlag publizierte, in dem sich die berühmte Erzählung zusammen mit vier einführenden Vorlesungen findet. Die Vorlesungen, die von Wolfs Recherche zum Thema Kassandra Rechenschaft geben, sind nicht weniger interessant als der Haupttext. Darin beschreibt Wolf u.a. ihre Reise nach Athen und im Anschluss nach Kreta, auf der Suche nach der mythologischen Kassandrafigur;8Zur Griechenlandreise Wolfs siehe Albrecht, 2021. für die Autorin gehörte diese Suche zum Thema selbst, denn sie war sich der komplexen Operationen bewusst, die notwendig sind, um einen fruchtbaren Kontakt mit der altgriechischen Kultur herzustellen. Und dennoch: Wolf hegt in sich das Vertrauen, dass es durch philologische Forschung, aber auch durch die persönliche Reiseerfahrung möglich ist, der altgriechischen Kultur neues Leben einzuhauchen, ja sie darüber hinaus für heutige politische Kämpfe zu funktionalisieren. In diesem Sinne ist die Struktur des Aufbau-Bandes bedeutend: Die Vorlesungen sind weder gelehrte Studien, noch handelt es sich um einen autobiographischen Reisebericht; sie finden sich also nicht im Anhang, sondern sind der Erzählung vorangestellt; sie sollten eben vor-gelesen werden, denn sie bereiten Autorin und Leser*innen auf die Begegnung mit Kassandra vor, sie schaffen die Vorbedingungen der Epiphanie.

    Mich interessiert hier gerade dieses Vertrauen Wolfs, durch das literarische Wort die antike Welt zu neuem Leben zu erwecken. Ein alter Traum, natürlich. Eine Operation, die allerdings heikle Folgen hat, was das Verhältnis zum modernen Griechenland betrifft. Das in den Vorlesungen rekurrierende, sehr harte, ja stellenweise abschätzige Urteil der Autorin hinsichtlich der griechischen Verhältnisse und Athens im Besonderen ist verstörend. Athen sei schmutzig, eine Zementlawine voller Abgase, wobei die Autorin aus ihrem Desinteresse kein Hehl macht: „Die Stadt […] blieb mir eine Verlegenheit, weil ich in ihr nichts zu suchen hatte“ (Wolf, 1983, 25). Vor allem sei Athen eine Stadt der kapitalistischen Gier, wo die Menschen immer nur von der Suche nach Gewinn und Besitz getrieben seien; eine „Stadt, die sich selber frißt“ (ebd., 30), von der „Jagd nach der Drachme“ besessen (ebd., 32). Wenn man heute Wolfs Vorlesungen noch einmal liest, wundert man sich über die fehlende Neugier für die gegenwärtigen Verhältnisse, über das Manko an dialektischer Fähigkeit, die in einer an realistischen Poetiken orientierten Autorin wie Wolf sonst immer präsent sind. Vor allem wundert man sich über die Naivität dieses Urteils. Desto dringender wird die Frage: Warum diese so distanzierte Einstellung zum modernen Griechenland? Die Antwort liegt meiner Meinung nach zum guten Teil in der gesamten Konstruktion des Kassandra-Komplexes bei Wolf: Erst indem sie das gegenwärtige Griechenland zum kapitalistischen System mit seiner moralischen Dekadenz und seinen Entfremdungserscheinungen zählt, kann sie den Raum für die Suche nach einem „anderen“, alternativen Griechenland freilegen, das sie nicht in der klassischen, sondern in einer archaischen Kultur mit matriarchaler Struktur zu finden meint.

    Auch hier trifft man auf eine typisch philhellenische Denkweise, obwohl in einer besonderen Diskursivierung: Die Entwertung des modernen Griechenland als Produkt des Verfalls einer antiken Kultur. Diese Perspektive hat einen hohen Preis: die Banalisierung der Beobachtung, die Verarmung der Wahrnehmung des Athener Lebens, das an und für sich nicht interessiert. Das einzig Interessante an den Straßenbegegnungen liegt im Ersatzmechanismus, dank dessen Menschen und Dinge zu Trägern altgriechischer Äquivalente avancieren: So ist die Frau vor dem Laden, wo Honig und Gewürze verkauft werden, eine Nachfahrin der Gattinnen der Achaier, die auf den Nostos der Krieger gewartet haben und „für die Koren Modell gestanden haben mögen“ (ebd., 30); während die Fischverkäufer in der Markthalle “Ur-Urenkel der seefahrenden frühen Griechen” (ebd., 31) sind. Es ist vielsagend, dass diese Agnition erst auf der Basis einer Identifikation mit den Karyatiden gelingt: Die Autorin schlüpft in diese Figuren und beobachtet dann, wenn sie von der Akropolis hinuntersteigt, die Stadt und die Athener*innen mit den Augen der Koren: „Sind die blicklosen Augen jener Koren mir geöffnet worden? Mit diesen uralten [wegen des sauren Regens] brennenden Augen trieb ich nun durch die Stadt und sah die heutigen Menschen, meine Zeitgenossen, als Nachfahren“ (ebd., 30). Erst diese Identifikation mit der Klassik bietet einen Schlüssel zur Gegenwart; doch die Erfahrung, die Kenntnisnahme der Gegenwart ist mehr als enttäuschend: „Ich verstehe diesen Stein- und Knochenberg. Ich verstehe die überfüllte, hastige, mordlüsterne, Rauch und Abgase zustoßende, dem Geld nachstürzende Stadt, die in Jahren einholen will, was einige ihrer westlichen Schwestern mehr als ein Jahrhundert gekostet hat“ (ebd.). Das moderne Athen als Stadt der kapitalistischen Sünden, paradoxerweise noch sündhafter als der Rest des Westens, gerade weil nicht auf demselben Entwicklungsstand, und somit von Neid und Ressentiment bewegt. Die griechische Antike bietet ein Paradigma an, das diese kritische, politisch motivierte, doch ethnographisch nicht versierte Reisende als Filter zur Wahrnehmung des gegenwärtigen Griechenland nutzt, um dieses als besonders dramatisches Beispiel der sinnlosen „Barbarei der Neuzeit“ (ebd.) zu stigmatisieren. Nur mit den Augen der Karyatiden können die gierigen Griech*innen von heute als Nachfahren der antiken Griech*innen gesehen werden – doch das Spektakel sei erschreckend.

    Eine andere Perspektive auf Griechenland: Wolfgang Schorlaus Krimi „Der große Plan“

    Als Gegenstück zu den Texten von Wolf und Grass möchte ich nun kurz auf Wolfgang Schorlaus Krimi eingehen, in dem es um einen Fall des Ermittlers Dengler geht, einer der vielen Kommissare, die in den letzten Jahren die literarische Landschaft Europas bevölkert haben: Charitos, Montalbano, Brunetti und andere mehr. Doch Der große Plan ist ein besonderer Krimi mit komplexem Plot. Psychologische Beweggründe (Ehrgeiz, Neid, Geldgier) und makroökonomische Fragen (Griechenlandschulden) verknüpfen sich in diesem langen und spannenden Text, der die griechische Krise der letzten Jahre und die deutsch-griechischen Beziehungen in einen weiteren Kontext einbettet, bei dem die deutsche Besatzung während des Zweiten Weltkrieges eine wesentliche Rolle spielt. Was an diesem Krimi besonders überzeugt, ist, dass er nicht plakativ wirkt, und dass Rollen und Bewertungen nicht eindimensional verteilt werden; die Griech*innen sind nicht unbedingt unschuldig, in dieser Krisengeschichte, die bekannterweise 2008 begonnen hat. Überzeugend ist es vor allem, wie Schorlau das Netz der unterschwelligen Diskriminierungen rekonstruiert, die auf privater wie öffentlicher Ebene das negative Bild der Deutschen in den Augen der Griech*innen bedingen. Was klar hervortritt, ist, dass die herablassende Betrachtung Griechenlands als eines Landes der Verschwender, die in den Medien (natürlich und zum Glück: in nur einem Teil der Medien) in den akuten Phasen der Krise dominierte, eine lange Vorgeschichte hat. Schorlau gelingt es, die Problematik der jüngsten Finanzkrise so zu perspektivieren, dass die konservative, stigmatisierende Position gegenüber Griechenland, am krassesten repräsentiert von der intransigenten Einstellung des Bundesministers für Finanzen Schäuble, als ein Echo des kolonisatorischen und rassistischen Blickes der Besatzer erscheint.

    Worin besteht der Unterschied zwischen der kritischen Einstellung Schorlaus zur vexatorischen deutschen Griechenlandpolitik und dem ebenso kritischen, doch hochpathetischen Appell von Grass? Die Antwort liegt meiner Meinung nach auf der Hand: In Schorlaus Text spielt der Antikediskurs keine Rolle. Doch diese Antwort wird erst dann plausibel, wenn sie in einer gattungspoetischen Perspektive erweitert wird: Ist die Literatur nämlich keine Soziologie, keine Politikwissenschaft, sondern vor allem eine besondere Codierungsart, die je nach Gattung anders funktioniert, so sind einige Narrative gattungsbedingt, denn sie tragen in sich das Echo einer Bildungs- und kulturellen Tradition. In diesem Sinne formuliere ich die Hypothese, dass die lyrische Gattung, die in Sachen Griechenland mit Echos des Philhellenismus der vorigen Jahrhunderte beladen ist, Grass zu diesem plakativen Ton verleitet hat. Er hat versucht, die verschiedenen Elemente der Geschichte deutsch-griechischer Beziehungen in wenigen Versen so zu komprimieren, dass das denunziatorische Pathos die Leser*innen berühren sollte. Es ist offensichtlich nicht einfach, in einem knappen Text so viele Aspekte zu berücksichtigen und miteinander zu vernetzen, und zwar so, dass man nicht nur pathetisch oder evokativ, sondern auch kritisch-aufklärerisch argumentieren kann. Nicht einfach, doch durchaus möglich.

    Durs Grünbeins „Auf der Akropolis“

    Ich schließe hier mit einem Gedicht Durs Grünbeins aus einer Lyriksammlung des Jahres 2007, also kurz vor der Finanzkrise (Grünbein, 2008, Bd. III, 173):

    Auf der Akropolis

    Er war nie hier. Auch diese nicht, und der und jener –
    Die Kleinstaatdeutschen mit dem Herz in Griechenland.
    Bis nach Sizilien kamen sie, Bordeaux. In Jena
    Durchdachte einer, was er seit der Schulzeit kannte,
    Und blieb doch fern. Wie Diener tuschelnd vor der Tür,
    Berieten sie, die Kenner, sich in Philosophensprache.
    Die Steine, von Touristen, Kodakjägern heut berührt,
    Sie sind noch da, streng nummeriert, gefallne Pracht,
    Und schweigen doch, die Säulen, abgewetzt, die Stufen.
    Nur einer hat ihn noch gespürt im Leib, Apollons Schlag.
    Ein Andres immer suchend, darbte er, an fernen Ufern.
    Ein Tempelberg, und ringsum Reisebusse, Tag für Tag.
    Die Väter schwärmten, heimatlos, und der verlorne Sohn,
    Vom Zufall hergeweht, kommt eines Tags dort oben an.
    Was er da sieht, verstört, ist das von alters her Gewohnte:
    Den Müll, ein blaues Kleid, die Biene überm Thymian.

    Hier bietet Grünbein eine Abbreviatur des deutschen Klassizismus und dessen philhellenischer Tendenzen: Ohne deren Namen zu nennen, weist Grünbein auf Schiller, Hölderlin, Winckelmann hin – die „Kleinstaatdeutschen mit dem Herz in Griechenland“, die griechischen Boden nie betreten haben. Der Text weist eine alternierende Struktur auf, die dem Autor ermöglicht, vom 18. Jahrhundert zur Gegenwart dieses melancholischen Akropolisbesuchs überzugehen: Von den sentimentalischen Phantasien hin zu den „Kodakjägern“, die die „gefallne Pracht“ der Steine fotografieren, und dann noch einmal von Winckelmann zu den touristischen Reisebussen unter der Akropolis. Zwischen Klassizismus und Massentourismus scheint sich der Kreis der deutschen Beziehung zu Griechenland zu schließen. Und doch: Was auf den ersten Blick als eine Alternative oder eine Gegenüberstellung scheint, erweist sich in den letzten vier Versen als eine Kontinuität in der deutschen Kultur – zwischen dem deutschen Klassizismus und dem Massentourismus besteht im Grunde keine große Zäsur. Die Heimatlosigkeit der Väter, weshalb sie sich diese ideale Heimat erdachten, projiziert ihren Schatten auf den „verstört[en]“, „verlorne[n]“ Sohn, der auf der Akropolis nicht zuhause ist, der in der globalen Welt umherirrt und nur aus Zufall, unter den unzähligen möglichen Reisezielen, Athen auswählt. Und doch ist dieser Akropolisbesuch identitätsstiftend: der Sohn kann sich somit in die großartige Tradition der Väter stellen – da kann er endlich seine Heimat finden. Im Grunde hat er dieselbe Weltanschauung der Väter angenommen: Auch er ist in Athen nur mit der Seele, denn was er sucht, ist nicht das heutige Athen, und auch nicht das alte Athen, die er gerne den Touristen und Touristinnen überlässt. Er sucht seine Heimat, sucht die Väter: Winckelmann, Hölderlin, Schiller und Goethe, die er endlich mal nach Athen bringt. Wahrscheinlich hat auch er sie, wie Grass schreibt, im Tornister mitgebracht, oder wohl in einem leichten Nike-Rucksack. Was er auf der Akropolis sieht, ist etwas Banales, das immer existiert hat und immer existieren wird: ein Kleid, eine Biene, Müll. Es hat sich nichts verändert, die ob des Massentourismus verlorengegangene Sakralität kann der verlorene Sohn mit seiner kulturellen Identifikation wieder erwecken. Ein trauriges Gedicht, nicht wegen der Bilder, nicht wegen des Mülls, sondern wegen der Ausblendung Griechenlands, das von einem solchen Text noch immer dazu verurteilt scheint, das eigene Phantasma zu bleiben.9Zu diesem Gedicht siehe Kocziszky, 2013; zum Thema Antike in der zeitgenössischen deutschsprachigen Lyrik siehe Knoblich, 2014.

    Zusammenfassung

    Der Philhellenismus stricto sensu, als Bewegung zur Unterstützung des griechischen Befreiungskampfes gegen die Osmanen, ist nur als eine Variante eines transepochalen Phänomens zu betrachten, das von der Antike bis zur Gegenwart reicht, und dessen wesentliches Merkmal die Idealisierung Griechenlands (hauptsächlich, doch nicht unbedingt, des antiken) ist. Insofern können auch Grass’ Gedicht Europas Schande oder Grünbeins Gedicht Auf der Akropolis als philhellenisch gelten, so wie der bewunderungsvolle Blick der italienischen alternativen Linken auf SYRIZA, in der sie die anderswo verlorengegangene Authentizität des politischen Engagements gesehen hat. Allen diesen Texten bzw. Positionierungen ist die Unfähigkeit oder gar das Desinteresse gemein, sich mit dem realen Griechenland auseinanderzusetzen, das in einer mehr oder weniger expliziten Weise als Produkt des Verfalls eines antiken oder klassischen, auf jeden Fall mythologisierten Perfektionsideals verurteilt wird – wie es selbst bei einer so realistisch versierten Autorin wie Wolf in ihrem literarischen Kassandra-Projekt überraschenderweise der Fall ist.

    Einzelnachweise

    • 1
      Die kritische Literatur zum Philhellenismus ist imposant. Zu einer ersten Einordnung und Periodisierung des Phänomens siehe Tolias, 2016, der verschiedene kritische Ansätze synthetisch wiedergibt und die terminologische Problematik diskutiert (und vor allem in den ersten Anmerkungen eine umfangreiche Bibliographie liefert).
    • 2
      Über die Unterschiede zwischen dem europäischen und dem weniger politisch als eher generell philanthropisch angelegten US-amerikanischen Philhellenismus vgl. Maras, 2012, 118-123.
    • 3
      So z.B. Tolias, der eine überzeugende Formel verwendet: „Philhellenism […] had deep roots and cast a long shadow“ (Tolias, 2016, 53). Was die Verwendbarkeit des Terminus für die Antike betrifft, ist die Position von Vöhler, Alekou und Pechlivanos radikal: „The long and complex history of philhellenism spans the period from antiquity to the present“ (Vöhler u.a., 2021, 1). Der Antike fällt eine noch größere Bedeutung in Güthenkes terminologischem Schema zu, indem sie Verschiedenes unter dem Terminus Hellenism subsumiert: „the positive investment of ancient Greece as a cultural system, the political Philhellenism of the eighteenth and nineteenth centuries, and the imagination of modern Greece, or neo-Hellenism, both outside and within Greece“ (Güthenke, 2008, 11). Eine ähnliche Position vertritt Zacharia, die einem Band von Aufsätzen über Themen, die von der Antike bis zu unseren Tagen reichen, den Titel Hellenisms gibt (Zacharia 2008).
    • 4
      Dazu siehe Corrado, 2021, 99-100.
    • 5
      Die Bewunderung des Widerstandspotenzials, das in der alternativen Kultur und im politischen Engagement Griechenlands gegen die harten Sparmaßnahmen in den Jahren der letzten ökonomischen Krise ans Licht trat, hat nach Panagiotopoulos und Sotiropoulos ihre Wurzeln in jenem Exotismus (hier in einer aktualisierten Form), der seit jeher eine Begleiterscheinung des Philhellenismus sei. Erhellend sind die Seiten, die sie dem exotisierenden Blick der Westeuropäer*innen auf das Griechenland unserer Tage widmen (vgl. Panagiotopoulos/Sotiropoulos, 2020, 3-5); vor allem überzeugt ihr Verständnis des Philhellenismus als eines ganzheitlichen Phänomens (trotz seiner unterschiedlichen Phasen im Laufe der Jahrhunderte) – des Philhellenismus, der „has never been about the real Greeks, not then and not now“ (ebd., 3).
    • 6
      Nach Panagiotopoulos und Sotiropoulos zeigt sich noch in der Verliebtheit des nichtgriechischen Publikums in die prämoderne Figur des Zorbas – im Film Cacoyannis’ mit Anthony Quinn (1964) nach dem Roman von Kazantzakis (1946) – das Fehlen an Kenntnis (und an Empathie mit) der griechischen Gesellschaft der 1960er Jahre, die nach dem verheerenden Bürgerkrieg gerade eine Phase des Wiederaufbaus und der Modernisierung erlebte (vgl. ebd., 4), sodass Zorbas „could […] be declared the most authentic Greek of modern philhellenism„ (ebd.). Zur Enttäuschung der gelehrten Philhellenen des 19. Jahrhunderts, die in loco nicht das antike Hellas fanden, vgl. Eideneier, 2010, 41. Auch der religiöse Diskurs macht darin nach Ullrich keine Ausnahme, da die empathischen Gefühle und die Solidarität für die unter der osmanischen Herrschaft leidende christliche Bevölkerung „eines direkten Bezuges zur konkreten Situation der Griechen“ (Ullrich, 2012, 93) ermangeln würden. Nach Maras, der das Problem der „Differenz zwischen geschichtlichem Wissen und gegenwärtigem Erlebnis“ (Maras, 2012, 58) für die Reisenden am Anfang des 19. Jahrhunderts thematisiert, habe die „Hellenisierung von Landschaft und Volk“ (ebd.) in der Ikonographie offensichtliche Spuren hinterlassen. Zur Diskrepanz zwischen Ideal und dem realen Stand der Dinge in Griechenland vgl. auch Rassidakis, 2019, 110.
    • 7
      Dazu siehe Saviano, 22.01.2015.
    • 8
      Zur Griechenlandreise Wolfs siehe Albrecht, 2021.
    • 9
      Zu diesem Gedicht siehe Kocziszky, 2013; zum Thema Antike in der zeitgenössischen deutschsprachigen Lyrik siehe Knoblich, 2014.

    Verwendete Literatur