Fragestellung
„Ein absehbares Ziel der deutschen Außenpolitik war, ihre wirtschaftliche Vormachtstellung in Griechenland in eine politische umzuwandeln. Auch dazu galt die Kulturpolitik als ein geeignetes Instrument“ (Koutsoukou, 2008, 89), „Einen lebendigeren Zugang zur deutschen Kultur ermöglichte zweifellos ein Studium in Deutschland“ (Koutsoukou, 2008, 96) und „Schon vor dem Ausbruch des Krieges leisteten die zahlreichen in Deutschland ausgebildeten Akademiker einen ausschlaggebenden Beitrag bei der Entfaltung der bilateralen wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen“ (Koutsoukou, 2008, 97), heißt es in der Monografie von Fedra Koutsoukou zur deutschen Kulturpolitik in Griechenland während der NS-Zeit. (siehe auch Koutsoukou, 2010) An der Universität Hamburg, die 2019 ihren einhundertsten Geburtstag feierte, gab es in den Zwischenkriegsjahren eine gewisse Anzahl griechischer Doktorand*innen. Das Jubiläum hat Anlass und Recherchetools für universitätshistorische Forschungen geschaffen, so dass es zumutbar möglich ist, die Namen der griechischen Doktorand*innen vor 1941, ihren biografischen Hintergrund, die Titel ihrer Dissertationen, die Promotionsfächer und die Namen der Betreuer und Prüfer zu ermitteln und ggf. Exemplare ihrer Dissertationen und Unterlagen, die ihr Promotionsverfahren betreffen, einzusehen.1Mein ausdrücklicher Dank gilt den Mitarbeiter*innen des Universitätsarchivs der Universität Hamburg und insbesondere Herrn Jens Geinitz, der nicht nur Archivalien beigebracht, sondern mich sehr kompetent bei der Suche nach ihnen beraten hat, den Mitarbeiter*innen im Hamburger Staatsarchiv sowie den Mitarbeiter*innen in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, wo ich die Dissertationsexemplare eingesehen habe.
Neben dem bloßen Erfassen der Daten – z.B. zu Zwecken weiterer Forschung – stellen sich diverse Fragen: Ob die Attraktivität der neugegründeten Universität für Griech*innen sich auf bestimmte Fakultäten, Promotionsfächer oder sogar bestimmte Betreuer bezog? Oder ob es auch Studierende bzw. Doktorand*innen anderer Länder nach Hamburg zog? Ob Hamburg primär für Auslandsgriechen interessant war, die sich ohnehin in Deutschland oder sogar Hamburg aufhielten oder sonst einen engen Bezug zur Hansestadt hatten (das würde die Aussagekraft der Zahlen modifizieren)? Ob die Universität für Griechen aus den älteren oder aus den erst im 20. Jh. hinzugewonnenen Staatsgebieten von besonderem Interesse war (oder ob es diesbezüglich keinen Zusammenhang gab)? Und natürlich stellt sich – und verstärkt in den Jahren ab 1933 – die zusätzliche Frage, ob ihre Promotion in Hamburg eine Affinität zu in Deutschland verbreiteten Ideologien implizierte – soweit wir das heute überhaupt belastbar erkennen können. Diese letztgenannte Frage erhält eine zusätzliche Berechtigung, wenn die Betreuer der Dissertationen bekennende Nationalsozialisten waren. Und zudem wäre es von Interesse zu erfahren, welche Beziehungen der Personen untereinander erkennbar werden, ob es Hinweise für Netzwerke gibt und ob wir, und sei es nur punktuell, Hinweise finden für die Haltung der betreffenden Personen spätestens ab April 1941.
Die griechischen Interessen der Hansestadt und ihrer jungen Universität
Die Hansische Universität, wie sie in ihren frühen Jahren hieß, hatte sich von Anfang an bezogen auf griechische Interessen positioniert, wobei die Motive mit den Strukturen des Hamburgischen Außenhandels im Zusammenhang standen. Die Deutsche Levante-Linie inszenierte zur Zeit der Universitätsgründung ihren Griechenlandbezug mit großer öffentlicher Sichtbarkeit, und in den Jahren zwischen 1919 und 1941 wurde Hamburg mit der Firma Reemtsma zu einem Zentrum der Tabakverarbeitung und der Zigarettenproduktion. Es stellt sich so dar, dass auf Seiten der Universität und bezogen auf ihre griechischen Interessen dem Althistoriker Erich Ziebarth eine gewisse Rolle zukommt. Als die Universität gegründet wurde, wurde er zum Professor für Alte Geschichte berufen. Der Hamburger Bürgermeister von Melle, der mit der Gründung der Institution und ihrer Ausgestaltung mehr als jede andere Einzelperson kreditiert wird, legte Wert darauf, dass die auf Auslandskunde ausgerichtete Universität der gegenwartsorientierten Hansestadt neben dem antiken auch das moderne Griechenland in den Blick nahm. Der an einem Hamburger Gymnasium tätige (nicht habilitierte) Ziebarth bot sich als der geeignete Kandidat an: Als Stipendiat hatte er sich zu Studien sowohl im Königreich Griechenland als auch in griechischsprachigen Kontexten im Osmanischen Reich aufgehalten; als Wissenschaftler war er Spezialist für Epigraphik und auch heute noch gilt er als Pionier in der Alten Geschichte. (Rieß, 2019)
Ziebarth gab bereits am Kolonialinstitut, einer Vorläuferinstitution der Universität, Sprachkurse in Neugriechisch und bot Vorlesungen an zur griechischen Kultur. Zudem publizierte er bereits in den 1910er Jahren in der Deutschen Levante Zeitung, auch zu Themen mit touristischem Bezug. 1913/14 war er Gründungsmitglied der Deutsch-Griechischen Gesellschaft (DGG), und als die DGG sich ab 1918 als Dachverband von Ortsgruppen neu organisierte, war Hamburg der erste Standort einer solchen Ortsgruppe und Ziebarth war ihr Gründungsvorsitzender (DGGHH). 1921 wurde Erich Ziebarth zum Vorsitzenden der gesamtdeutschen DGG gewählt. (DDGG) (Moennig, 2016; Moennig, 2021) In dieser Eigenschaft gab er von 1921–1928 die Zeitschrift Hellas heraus und ab 1929 das Hellas-Jahrbuch. Das Hellas-Jahrbuch erschien unregelmäßig, nach dem zweiten Jahrbuch von 1930 gab es eine Pause von sechs Jahren.2Zarifi (2005: 105) erfasst die Geschichte und die Struktur der DGG unzutreffend, was zweifelsohne der Bruchstückhaftigkeit des Materials im Koblenzer Bundesarchiv (Provenienz: Deutsches Auslands-Institut) geschuldet ist. Die Motive, weshalb das Hellas-Jahrbuch 1936 wiederbelebt wurde, werden bereits im Vorwort deutlich; sie führen die Janusköpfigkeit der Tätigkeit Ziebarths vor Augen, der seine ehrenamtlichen Interessen für die Universität nutzbar machte und umgekehrt: In dem günstigen Augenblick, wo sich die Sportkämpfer aller Kulturnationen zur Olympiadefahrt nach Deutschland rüsten und aller Blicke sich nach Griechenland, der Heimat der olympischen Spiele, richten, erscheint auch das ‚Hellas-Jahrbuch‘ neu. Gefeiert werden in dem Band zudem die Metaxas-Diktatur und deutsch-griechische, insbesondere aber hamburgisch-griechische Beziehungen. Kennt man die Interna der Hansischen Universität des Jahres 1936, so erkennt man leicht, dass der frisch emeritierte Ziebarth von außeruniversitärer Seite – als Vorsitzender der DDGG – das Anliegen einer Einrichtung eines Lektorats für Neugriechisch in Hamburg zu flankieren bemüht ist.(Moennig, 2021)
Die Gründung der Akademischen Auslandsstelle und die Tätigkeit von Helene Fera
Die Auslandsstrategie der Universität nahm ab etwa 1936 eine andere, in nationalen Termini verschärfte Richtung. Davon abgesehen stellt sie sich als eine Fortsetzung einer bereits in der Weimarer Republik begründeten Politik dar, und diese Politik war wohl nicht hamburgspezifisch. Die folgenden Absätze basieren auf einer Auswertung der Akten zur 1928 gegründeten Akademischen Auslandsstelle.3StAHH 364-5 I, K 20.01.2/1 (Akademische Auslandsstelle, 31.12.1927–29.3.1934), Blätter ohne Nummerierung; StAHH 364-5 I, K 20.01.2/2 (Akademische Auslandsstelle, 4.6.1934–26.2.1945), Blätter ohne Nummerierung. Für die vorliegende Studie von Interesse ist die Tatsache, dass die Kauffrau Helene Fera Mitglied des Trägergremiums der Auslandsstelle war, 1933 sogar Mitglied des vierköpfigen Vorstands wurde4Die Wahl fand am 2. Mai 1933 statt (StAHH 364-5 I, K 20.01.2/1, o.N.). und 1934, nach erfolgter Umstrukturierung in Vereinsform, als „Vorsitzende des Frauenausschusses“ angeführt wird.5Es gibt eine Satzung ohne Datum, aber offenbar aus dem Jahr 1934, laut der das Trägergremium fortan „Rat“ genannt wird und nach der es keinen Vorstand mehr gibt, sondern in dessen Nachfolge drei Funktionen (StAHH 364-5 I, K 20.01.2/2, o.N.). Es gibt eine Liste mit Mitgliedern des Rates der Auslandsstelle ohne Datum, abgelegt zwischen Schriftstücken vom November 1935 und dem Februar 1936; auf dieser maschinenschriftlichen Liste erscheint ihr Name mit einem handschriftlichen Fragezeichen versehen – und das ist die letzte Spur, die sie in den Unterlagen der Auslandsstelle hinterlassen hat.6StAHH 364-5 I, K 20.01.2/2, o.N. Helene Fera ist als Gründungsmitglied der DGGHH und langjähriges Mitglied des Vereins wohl bekannt; ihre gleichzeitige Mitarbeit in den bilateralen Vereinen und der Auslandsstelle bestätigt die Symbiose zwischen Universität und Deutsch-Griechischer Gesellschaft.7Laut Protokoll nahm sie an der 1. Mitgliederversammlung der DGGHH am 4. Juli 1918 sowie an der konstituierenden Mitgliederversammlung am 18. September 1918 teil; am 18. September war sie Unterzeichnerin der Vereinssatzung, die beim Amtsgericht Hamburg zum Zweck der Eintragung ins Vereinsregister vorgelegt wurde. Am 20. November 1928 ernannte der Verein die „hochgeehrte gnädige Frau“ zu seinem Ehrenmitglied (Belege: Archiv DGGHH, Ordner 1918–1937, Blätter o.N.) Caesar Fera, der Ehemann von Helene Fera, war langjähriges Vorstandsmitglied der DGGHH; der damalige Vorsitzende der DGGHH Bruno Snell nennt ihn am 5. März 1946 in dieser Eigenschaft gegenüber der britischen Militärregierung. Zuletzt findet sich Helenes Name im Mitgliederverzeichnis der DGGHH von 1953, versehen mit dem handschriftlichen Vermerk „gestorben 1953“. (Belege: Archiv DGGHH, Ordner 1945–1955, Blätter o.N.). In den Akten ist überliefert, wer vom Rektor Blaschke Anfang 1928 eingeladen bzw. aufgefordert wurde, Mitglied des Trägergremiums zu werden. Aus dem Lehrkörper findet sich von dem im Verlauf dieses Beitrags interessierenden Personen lediglich der Mediziner Peter Mühlens sowie aus der Hochschulbehörde Dr. von Wrochem; zudem gibt es eine Anzahl von „Herren“, darunter bekannte Namen wie Darboven, Merck und Warburg, Vertreter bekannter Unternehmen wie die Hamburg-Amerika Linie und Riensch und Held, sowie Diplomaten wie der rumänische Generalkonsul Guttmann. Die Idee, die Auslandspolitik der Universität mit den wirtschaftlichen Interessen der Freien und Hansestadt zu verknüpfen, scheint also nicht etwa ein speziell auf Griechenland bezogenes Anliegen zu sein.8Alle Belege StAHH 364-5 I, K 20.01.2/1, o.N.
Helene Fera setzte sich sehr intensiv persönlich ein und stellte ihr Haus mit der noblen Adresse Bellevue 8 für diverse Anlässe zur Verfügung. Vom Syndikus der Hamburger Universität zur Mitarbeit eingeladen, antwortet sie am 20. Februar 1928: „Da ich seit 26 Jahren durch meines Mannes Import- und mein eigenes Export Geschäft in dauernder Verbindung mit Ausländern europäischer und ausser=europäischer Staaten stehe, glaube ich bestimmt in der Lage zu sein, die Ziele der Auslandsstelle durch meine Mitarbeit fördern zu können.“9StAHH 364-5 I, K 20.01.2/1, o.N. Bezüglich ihrer Tätigkeit gibt es ein bezeichnendes Schreiben vom 20. Mai 1934 (in dem es um indische Stipendienbewerber geht und darum, dass sie zahlreicher sind, als Stipendien zur Verfügung stehen): „Ich bin fest davon überzeugt, dass es mir gelingen wird, die nötigen Gelder für zwei bis drei Stipendien aufzutreiben“; möglicherweise bezieht sich dies auf eine positive Disposition in den Kreisen Hamburger Kaufleute, welche die Stiftung Pisanis (s.u.) etwas besser verständlich macht.10StAHH 364-5 I, K 20.01.2/1, o.N. Ohne Datum ist ein Bericht von ihr „über ihre persönliche Tätigkeit im Wintersemester 1933/34“, in der es neben anderen Dingen auch um ihr besonderes Interesse an griechischen Studenten geht:
Während des Wintersemesters spielten die griechischen Studenten die Hauptrolle bei mir im Hause. Dieses hatte zwei Gründe: erstens wohnte ein sehr schönes Mädchen von Dezember bis Ende März als mein Gast bei mir und übte eine grosse Anziehungskraft aus. Zweitens veranstaltete der griechische Studentenverein im Februar einen Gesellschaftsabend, zu dem viele Vorbereitungen nötig waren. Die Tanzproben fanden oft in meinem Hause statt. Zum Dank für meine Gastfreundschaft und andere Hilfe, die ich den Studenten zuteilwerden lassen konnte, machte mich der griechische Studentenverein zum Ehrenmitglied.11StAHH 364-5 I, K 20.01.2/1, o.N.
Auf der Liste des Rates vom Juli 1934 findet sich auch ein Name, den man bereits früher erwartet hätte, nämlich der Erich Ziebarths.12StAHH 364-5 I, K 20.01.2/2, o.N. Die Auslandsstelle gab nach ihrer Gründung eine Broschüre heraus mit dem Titel: Studien- und Lebensverhältnisse an der hamburgischen Universität. Ein Führer für ausländische Studenten. Für das Jahr 1928/29 herausgegeben von der Akademischen Auslandsstelle, Hamburg. Darin wird mit Handelsbeziehungen der Stadt und überhaupt ihrer Internationalität geworben. Es findet sich auch eine „Zahl der in Hamburg studierenden Ausländer“; im WS 1927/28 seien dies insgesamt 100 männliche (bei einem Gesamt von 1925) und 24 weibliche (bei einem Gesamt von 480) gewesen; es folgt eine Aufschlüsselung nach Herkunftsländern, aus Griechenland seien es sieben männliche (und null weibliche). Die meisten Ausländer*innen studierten gemäß der Schrift an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät (RSF; 47m/3w), gefolgt von der Medizinischen Fakultät (Med.-Fak.; 25m/7w), der Philosophischen Fakultät (Phil.-Fak.; 19/5); Schlusslicht war demnach die Mathematisch-Naturwissenschaftliche (Mat.-Nat.) mit 13 männlichen und 5 weiblichen ausländischen Studierenden.13StAHH 364-5 I, K 20.01.2/1, o.N.
Rivalität deutscher Universitäten um griechische Studierende in den 1930ern?
Im Hellas-Jahrbuch von 1936 gibt es einen anonymen, zweifelsohne aber von Ziebarth stammenden Artikel über die Vorzüge der (Studierenden-) Statistik („Για ένα κράτος, το οποίο θέλει να βαδίζει μ’ αυστηρά προμελετημένο σχέδιο, η σημασία που έχει η στατιστική των σπουδαστών της δεν είναι λιγότερο σημαντική από τις λοιπές“). Anwendungsbeispiel: „Griechische Studenten an deutschen Hochschulen 1931–35“ (Ziebarth, 1936/2). Im Kern geht es darum, dass die noch ganz junge Hamburger Universität im Begriff ist, der Universität Leipzig den dritten Platz in der Zulassung griechischer Studenten streitig zu machen, wobei der Begriff „Studenten“ auch Doktoranden umfasst: „Vor 1945 wurden ausländische Hochschulen vorwiegend nur für die postgraduierten Studien besucht“ (Koutsoukou, 2008, 98).
Im Artikel und insbesondere in Tafel 1 werden zunächst die Zahlen der Studierenden aus Balkanländern (Albanien, Bulgarien, Griechenland, Jugoslawien, Rumänien, Türkei) der Jahre 1930 bis 1934/35 nach Semestern aufgeschlüsselt angeführt; dabei fällt nebenbei die Information ab, dass besonders viele Bulgaren an deutschen (und auch französischen) Universitäten studieren. Tafel 2 zeigt die „Verteilung der griechischen Studenten in Deutschland nach Studienfächern“ (auch diese Tafel nach Semestern, 1930 bis 1934/35). Die größte Attraktivität für griechische Studierende haben demnach die Fächer Maschinenkunde, Medizin, Rechtswissenschaft, Philosophie, Pädagogik, Staatswissenschaften (wir würden sie heute Wirtschaftswissenschaften nennen) und Chemie. Tafel 3 zeigt die „Verteilung der griechischen Studenten“ auf die Institutionen in Deutschland (getrennt nach Universitäten und Hochschulen – letztere hatte Hamburg zur damaligen Zeit nicht), in der Reihenfolge Berlin, München, Leipzig, Hamburg und Dresden. Bezogen auf Hamburg (und nur auf die Universität; bezogen auf Hochschulen sind auch Karlsruhe und Darmstadt relevant) wird deutlich, dass die Hansestadt lediglich im SoSe 1930 und dann wieder im WS 1934/35 den vierten Platz, in den Semestern SoSe 1931, WS 1931/32, SoSe 1932, WS 1932/33, SoSe 1933, WS 1933/34, SoSe 1934 aber den dritten Platz vor Leipzig einnimmt, und zwar teilweise mit deutlichem Vorsprung (für das WS 1930/31 werden keine Angaben gemacht). Was den ersten Platz angeht, liegt die Berliner Universität bis zum SoSe 1933 unangefochten vor München, mit dem WS 1933/34 kehrt sich das Verhältnis um. Bei den Hochschulen ist Berlin bis zum SoSe 1931 führend, im WS 1931/32 zieht Dresden gleich, um ab dem SoSe 1932 die Führungsposition zu übernehmen.14Ich zitiere Ziebarth, 1936/1 hier als eine für ihre Zeit bezeichnende Quelle; die von Phädra Koutsoukou in Zusammenarbeit mit Maria Zarifi ermittelten, sich auf einen etwas späteren Zeitraum beziehenden Zahlen („Die Zahl der insgesamt in Deutschland studierenden Griechen erhöhte sich von 107 im SS 1936 auf 172 im Sommersemester 1938 […] An deutschen Universitäten und Technischen Hochschulen promovierten zwischen 1933 und 1939 einhundertacht Griechen“ [Koutsoukou, 2010, 145]) scheinen mir zuverlässiger. Unabhängig davon wird erst eine namentliche Erfassung wirklichen Aufschluss bringen, zumal viele Studierende „wanderten“ und ihre Namen möglicherweise in den Matrikelverzeichnissen mehrerer Universitäten nachgewiesen sind. Die Zahlen für Hamburg im Einzelnen: 1930: 14, 1931: 9, 1931/32: 10, 1932: 8, 1932/33: 8, 1933: 8, 1933/34: 10, 1934: 10, 1934/35: 6.
Wer sind die griechischen Studierenden und Doktorand*innen?
Die Recherchemöglichkeiten der Universität erlauben, Namen von Immatrikulierten mit griechischer Staatsangehörigkeit zu ermitteln. Natürlich sind nicht alle Immatrikulierten Doktorand*innen. Es lässt sich auch nicht ermitteln, wer sich mit dem Ziel der Promotion immatrikulieren ließ. Wohl aber gibt es Wege zu ermitteln, wer sich zur Doktorprüfung anmeldete, wer die Prüfer waren und welches das Ergebnis der Prüfung war, denn dieses wurde in Promotions-Meldebüchern erfasst, die jede Fakultät führte. Die Möglichkeiten sind nicht für alle Fakultäten gleich gut: Die Promotions-Meldebücher der Phil.-Fak. und der Mat.-Nat. sind erhalten,15Das Promotionsmeldebuch Mat.-Nat. enthält keine griechischen Namen. vom Promotionsbuch der RSF gibt es eine Transkription, in das nicht alle Daten übernommen wurden; das Promotionsbuch der Med.-Fak. für die Jahre bis 1945 ist leider verschollen. Die Promotionsbücher stellen ein erstes Material dar, sich ein Bild davon zu machen, bei welchen Professoren griechische Doktorand*innen promovierten und welche Themen bearbeitet wurden. Die Promotionsbücher führen zu den Pflichtexemplaren – und darin findet sich relevantes Material wie Lebensläufe, Widmungen an Gönner, Namen der Gutachter usw. – und ggf. auch zu den Promotionsakten, in denen zusätzlich die Gutachten erhalten sind und eventuelle sonstige Korrespondenzen. Die Einsichtnahme in Promotionsakten ist aufwändig, weshalb ich von dieser Möglichkeit nicht in allen Fällen Gebrauch gemacht habe, vor allem dann, wenn die Dissertation in einer fachwissenschaftlichen Reihe und das ohne die Namen der Prüfer und ohne Lebenslauf veröffentlicht wurde, oder wenn die Suche nach Dissertationsexemplaren erfolglos blieb oder sonstige offene Fragen nach einer Antwort suchten. Die Promotionsakten der Med.-Fak. sind leider ebenfalls verschollen; zu den betreffenden Personen gibt es Material vornehmlich dann, wenn sie später Angestellte an der Universität waren und/oder sich habilitierten. Das Fehlen der Promotionsbücher und -akten der Med.-Fak. heißt aber nicht, dass wir bezüglich der griechischen Doctores med. vollkommen im Trüben fischen müssen: Ein weiteres Hilfsmittel sind die bereits angesprochenen Matrikelbücher, die im Vorfeld des Universitätsjubiläums in eine Datenbank eingespeist wurden (HMP). Viele (aber nicht alle) Studierende und Promovierende, die nicht deutsche Staatsbürger waren, sind in der Auslandsmatrikel nachgewiesen, dies allerdings erst ab dem Sommersemester 1928 (das hängt mit der Gründung der Auslandsstelle zusammen) und zudem ohne Nennung ihrer Fakultät. Der Vorteil der Auslandsmatrikel besteht darin, dass man nach den Herkunftsländern suchen kann, es somit ein Suchkriterium gibt. Die Eingabe des Suchwortes »Griechenland« führte zu einem Ergebnis mit 77 Einträgen. Die Eingabe des Suchwortes »Grieche« führte zu weiteren zehn Treffern. Manche Namen erscheinen doppelt, d.h. die Anzahl der über die Auslandsmatrikel ermittelten Namen ist tatsächlich niedriger. Viele (aber nicht alle) in der Auslandsmatrikel Verzeichneten sind ein zweites Mal verzeichnet, nämlich in der Großen Matrikel, aus der auch die Fakultät hervorgeht. Die Suchmenge lässt sich also deutlich eingrenzen.16Nachdem Ziebarth 1936/1 Bulgarien als Herkunftsland von Doktorand*innen an deutschen Universitäten erwähnt: Im Hamburger Matrikelportal führt die Eingabe „Bulgarien“ zu 36 (darunter auch Doppelnennungen und Frauennamen), die Eingabe „Bulgare“ zu weiteren sechs und die Eingabe „Bulgarin“ zu null Suchergebnissen.
In einem weiteren Schritt habe ich die ermittelten Namen in den Campuskatalog der UHH eingegeben. Zusätzlich habe ich die Jahresverzeichnisse der deutschen Hochschulschriften (1926–1936 und 1937–1978) gesichtet. Immerhin habe ich auf diesem Wege eine Anzahl auch von medizinischen Dissertationen ermittelt und konnte so den Verlust des Promotionsbuchs zumindest teilweise kompensieren. In einem Fall kam es aus nicht dokumentierten Gründen trotz publizierter Dissertation nicht zu einer Doktorprüfung an der Hamburger Universität (Charalambos Fragistas, RSF). In einem anderen Fall kam es trotz bestandener Doktorprüfung nicht zur Publikation und entsprechend wurde auch niemals eine Urkunde ausgegeben und ein Doktortitel verliehen (Vasilios Exarchos, Phil.-Fak.).
Erwähnt werden muss auch ein weiteres Recherchemittel: Das Archiv der DGGHH. Es war nämlich so, dass ein Mitglied der DGGHH, der Kaufmann Homère Pisani, ein Studentenheim gestiftet hat:
[N]euerdings [ist] für die griechischen Studenten ein fester Stützpunkt an der Universität geschaffen […] durch die hochherzige Stiftung des Studentenwohnheims „Minerva“ durch Herrn Homer Pisani, eins der ältesten Mitglieder der Deutsch-Griechischen Gesellschaft in Hamburg. In diesem Hause, Brahmsallee 7, finden gleichzeitig je sechs Studenten der Universitäten Athen und Saloniki, ausgewählt von ihren Professoren, Aufnahme und vollen Unterhalt zu dem Zwecke, sich an der Universität in ihren Studienfächern weiter auszubilden. (Ziebarth, 1936/2, 78)
Einige der von Pisani Geförderten – ob alle lässt sich nicht überprüfen – erscheinen mindestens einmal auf einer Mitgliederversammlung der DGGHH. Einige erkennt man an der Adresse Brahmsallee 7, die sie auf der Teilnehmerliste oder anderswo angeben. Viele der Geförderten erwähnen, sofern sie ihre Promotionen abschlossen und ein Prüfungs- bzw. ein Pflichtexemplar der Dissertation erhalten ist, Pisani dankbar im Vorwort, in der Widmung oder im Lebenslauf; Stylianos Karakantas und Aemilios Bendermacher sind die einzigen, die anscheinend zu den Geförderten gehörten, Pisani aber nicht erwähnen; ein Dissertationsexemplar von Panagiotis Nassuphis habe ich nicht einsehen können, in seinem Fall ist mir nicht bekannt, ob er Pisani erwähnt. Zu diesem Beitrag gibt es einen Anhang 1 mit Daten zu Promotionsverfahren, zu denen mindestens a) ein Eintrag in einem Promotionsbuch vorliegt oder b) eine maschinenschriftliche oder publizierte Dissertation erhalten bzw. belegt ist. Diese Promotionsverfahren sind 36 an der Zahl. Weiterhin sind in diesen Anhang auch die vorhandenen Daten aus den Matrikelbüchern eingeflossen und ggf. aus der Sichtung von Promotionsakten, in Einzelfällen auch von Personalakten (Sergios Serefis und Panagiotis Nassuphis) hervorgegangen. Zudem gibt es einen Anhang 2, in dem nur solche Griechinnen und Griechen erfasst sind, zu denen es zwar einen Eintrag im Matrikelbuch, aber keinen Hinweis auf eine jemals erfolgte Anmeldung zu einer Doktorprüfung gibt. Der Anhang erfolgt nach Fakultäten, die Reihung erfolgt nach dem Datum des ersten Eintrags im Matrikelbuch; naturgemäß fehlt die Mathematisch-Naturwissenschaftliche. Doch zuvor erfolgte eine summarische Auswertung dieser Daten.
Maria Zarifi hat in ihrer Dissertation von 2005 zu einigen der hier behandelten Personen Material an anderen Orten gefunden; das Material in Hamburg ist vollständiger und bezogen auf seinen genauen Informationsgehalt sowie dessen Anlassbezogenheit eindeutiger. Beim Studium der Hamburger Akten bestätigt sich etwas, was auch bei der Lektüre von Zarifi (2005) und Koutsoukou (2008) deutlich wird, dass nämlich der Begriff „Kulturpolitik“ in den 1930er Jahren auch das umfasste, was wir heute „Wissenschaftstransfer“ nennen würden.
Konsequenz im Umgang mit den griechischen Namen bedeutet im vorliegenden Fall, dass man sie mit einer gewissen Varianz anführt. Dies liegt zum einen daran, dass die Namen in den Quellen selbst mit variierenden Formen (mal in stärker phonetischer, mal in stärker graphematischer Umschrift; mal in der offiziellen Schreibung der Vornamen, mal in einer gebräuchlichen Form) angeführt werden und dass sich bestimmte Konventionen seit den Zwischenkriegsjahren geändert haben. Damals schrieb man für griechisches Kappa fast regelhaft ein C, während wir heute üblicherweise K schreiben. In den Anhängen schreibe ich die Namen, wie sie in den Quellen Vorkommen, im übrigen Essay nach heutigen Konventionen.
Auswertung 1: Die Attraktivität der jungen Hamburger Universität
Von grundlegender Relevanz bezüglich der Wahl der Hamburger Universität scheint die Frage zu sein, ob die griechischen Doktorand*innen familiäre oder ggf. auch berufliche bzw. geschäftliche Beziehungen in die Hansestadt hatten, ob also sekundäre Kriterien die Wahl begünstigten. Konstantinos Konstantopoulos (1925/26)17Zahlen in Klammern: Semester der ersten Immatrikulation. war selbst zum Studium nach Hamburg gekommen und seit 1928 als Mitarbeiter am Griechischen Generalkonsulat tätig; die Tatsache, dass seine Geschwister Evripidis (1929/30), Matoula (1931/32), Dimitrios (1933/34) und Georgios (1938) zur Promotion nach Hamburg kamen, ist sicherlich nicht unabhängig davon zu sehen. Der Hintergrund der Familie war griechenland-griechisch. Leon Pisani (1926/27) war offenbar ein Neffe des in Hamburg ansässigen erfolgreichen Kaufmanns Homère Pisani, dessen Nachfolger in der Firma er später wurde. Dimitrios Dimitriou (1927/28) ist in Dresden als Sohn eines griechischen Kaufmanns geboren; er hatte aber in Hamburg das Gymnasium absolviert, weil die Familie dorthin gezogen war. Die Brüder Stamatis Woiwodas (1929) und Nikolaos Woiwodas (1936) wurden beide in Konstantinopel geboren, den Beruf ihres Vaters geben sie als Privatbankier an; beide waren leitend in der Macedonian Trading Co.m.b.h., Hamburg, tätig, wobei nicht gesagt wird, ob etwa ihr Vater Gesellschafter war, oder ob sonst ein familiärer Bezug zur Firma bestand. Die Brüder Vasileios Malamos (1925/26) und Spyros Malamos (1932/33)18Der im Hamburger Fremdenblatt vom 18. Dezember 1934 (Nr. 349), S. 6 zitierte Student Malamos muss Spyros Malamos sein: „Für die ausländischen Studenten betonte der griechische Student Malamos, dass sie nicht nach Deutschland gekommen seien, nur um zu studieren, sondern auch, um mit ihren deutschen studentischen Kameraden eine enge persönliche Fühlung aufzunehmen. Als ein erfreuliches Zeichen der gegenseitigen Verständigung habe der nationale griechische Studentenbund und die deutsche Studentenschaft mit Unterstützung des Reichspropagandaministeriums einen deutsch-griechischen Studentenaustausch für das kommende Jahr eingerichtet“ (StAHH 364-5 I, K 20.01.2/2, o.N.) Ziebarth, 1936/3 handelt offenbar von diesem Besuch in Griechenland.waren Söhne eines ehemaligen Admirals der griechischen Kriegsmarine; die Familie lebte seit 1924 in Hamburg, wo ihr Vater Konstantinos Malamos als Kaufmann tätig war.19Offenbar in der von Ilias Pantasopoulos (†1925) gegründeten Firma; es gibt ein handschriftliches Schreiben von ihm an den Vorsitzenden der DGGHH RA David Wolfhagen vom 22. November 1928 auf Papier der Firma Pantasopoulos (Archiv DGGHH, Ordner 1918–1937, Blätter o.N.) In den Quellen wird er überall als Admiral a.D. geführt, auch im Mitgliederverzeichnis der DGGHH vom Januar 1937 (Archiv DGGHH, Ordner 1918–1937, Blätter o.N.) Auf der MV der DGGHH vom 15. September 1937 wird er als Vorstandsmitglied bestätigt, im Protokoll der Versammlung wird sein Vorname Konstantin angeführt (Archiv DGGHH, Ordner 1937–1945, Blätter o.N.) Auf der MV vom 23. September 1939 wird Konstantinos Malamos als Vorstandsmitglied bestätigt. Im Protokoll der MV vom 18. November 1941 heißt es: „Der bisherige Vorstand wurde durch Zuruf wiedergewählt, obschon die griechischen Herren zurzeit nicht in Hamburg weilen; der Vorsitzende bemerkt, dass man später, wenn die Frage der Abwesenheit endgültig geklärt ist, aus der griechischen Kolonie neue Vorstandsmitglieder wird ernennen können“ (Archiv DGGHH, Ordner 1937–1945, Blätter o.N.). Athanasios Domenikos (1927) schreibt in seinem Lebenslauf, dass er als Mitarbeiter in der Firma seines Onkels nach Deutschland, zuerst nach Leipzig, gekommen sei. Peter Coulmas (nicht immatrikuliert), war Sohn eines in Dresden ansässigen griechischen Kaufmanns; er hatte an unterschiedlichen Universitäten Deutschlands studiert und kam schließlich 1939 zur Promotion nach Hamburg. Bei insgesamt also mindestens 14 der in Anhang 1 aufgelisteten Verfahren gibt es Anlass zu denken, dass nicht (oder nicht ausschließlich) promotionsfachspezifische Gründe die Menschen nach Hamburg gebracht haben; einige der Doktoranden waren ohnehin in der Hansestadt oder anderswo in Deutschland ansässig und hatten nicht die erkennbare Absicht, nach dem Studium nach Griechenland zu gehen; in diesen Fällen stellt ihre Promotion in Hamburg nur bedingt ein Beispiel für deutsch-griechischen Wissenschaftstransfer dar.
Der Gedanke liegt nahe, dass die Förderung durch Homère Pisani die Attraktivität der Universität Hamburg erhöhte. Der damalige Vorsitzende der DGGHH David Wolfhagen berichtet auf der Mitgliederversammlung des Vereins am 24. Juni 1935 über die vollzogene Stiftung, drei Stipendiaten (s. Fußnote 23) waren anwesend.20Archiv DGGHH, Ordner 1918–1937, Blätter o.N. Ich führe hier die Namen der mir bekannten bzw. mutmaßlichen Stipendiaten an, unabhängig davon, ob sie ihr Promotionsvorhaben zum Abschluss brachten, was nicht alle taten; die Zahlen in Klammern beziehen sich auf den ersten Eintrag in einem Matrikelbuch; soweit bekannt führe ich auch die Fakultät an sowie die Herkunft bzw. den Geburtsort: 1) Ioannis Ioannidis (1934, aus dem Pontosgebiet, Phil.-Fak), 2) Stylianos Karakandas21s. Fußnote 10. (1935, aus Trikkala, RSF), 3) Georgios Dimitrakos (1935/36, aus Prusa, Phil.-Fak.),22Dimitrakos war Stand Januar 1937 Mitglied der DGGHH und wurde unter der Adresse Brahmsallee 7 geführt (Archiv DGGHH, Ordner 1918–1937, Blätter o.N.). 4) Grigorios Lambadaridis23s. die folgende Fußnote. (1935/36), 5) Angelos Pistofidis (1935/36, aus Batum/Russland, Med.-Fak.), 6) Kyriakos/Takis Mouzenidis (1936, Trapezunt, wahrscheinlich Phil.-Fak.)24Karakandas, Lambadaridis und Mouzenidis nahmen lt. Teilnehmerliste an der MV der DGGHH am 24. Juni 1935 teil (Archiv DGGHH, Ordner 1918–1937, Blätter o.N.); sie alle geben als Adresse Brahmsallee 7 an, d.h. sie waren Stipendiaten von Homère Pisani., 7) Antonios Sourmelis25Lt. Teilnehmerliste nahm Sourmelis an der MV der DGGHH am 15. September 1937 teil (Archiv DGGHH, Ordner 1918–1937, Blätter o.N.) Sourmelis besuchte Sarris’ Griechischkurse, was wohl als Freundschaftsbekundung zu werten ist. Die Teilnehmerlisten befinden sich in einer Personalakte, die Sarris betrifft (StAHH, 364-5 I, A 130.02. Heft 10, Bl. 32–35). Der Geschäftsführer der Auslandsstelle Roland Adolphi nimmt mit Schreiben dem 20. Mai 1939, adressiert offenbar an Adolf Rein in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Akademischen Auslandsstelle, Stellung zu einer Klage von deutschen Bewohnern des Deutsch-Ausländischen Studentenwohnheimes und erwähnt darin Sourmelis als ehemaligen Studenten der Hansischen Universität, ihm 1937 oder/und 1938 zu Weihnachten einen Gruß geschickt habe (StAHH 364-5 I, K 20.01.2/1, o.N.). (1936/37, möglicherweise aus Kerasus), 8) Panagiotis Nassuphis (1937, aus Athen, Med.-Fak.) 9) Panagiotis Grigoriadis (1937/38, Noworossisk/ Russland, Med.-Fak.), 10) Konstantinos Nicolaidis (1937/38, Geburtsort nicht angegeben, Med.-Fak.), 11) Aemilios Bendermacher (1938, aus Patras, RSF), 12) Efthymios Papageorgiou (1938/39, aus Doris, RSF). Mindestens neun der in Anhang 1 aufgelisteten Verfahren wurden also durch die Stiftung Pisanis begünstigt. Die hohe Rate an griechischen Staatsbürgern, die außerhalb des Königreichs Griechenland geboren waren und deren Familien ihre Heimat vermutlich aus Gründen der dort stattfindenden politischen Veränderungen verlassen mussten, fällt auf. Man könnte also denken, dass Pisani, dessen Familie aus der Pontosregion stammte, bevorzugt Griechen förderte, deren Familien ihre Heimat im Osmanischen Reich verloren hatten.
Von denjenigen, die weder Familie bzw. geschäftliche Interessen in Hamburg oder Deutschland hatten noch von Pisani gefördert wurden, sind Folgende ebenfalls außerhalb des Königreichs Griechenland geboren worden (nach Geburtsjahr): Sergios Serefis (*1895 in Smyrna), Nikolas Kerestetzopoulos-Koursis (*1896 in Smyrna), Emmanuil Sarris (*1899 auf Samos), Theodor Deligeorgis (*1907 in Kerasus), Phaedon Sachsamanoglou (*1912 in Smyrna). Alle scheinen aus fachlichen Gründen nach Hamburg gekommen zu sein, auch wenn ich diese nicht immer so konkret benennen kann, wie dies bei Phaedon Sachsamanoglou möglich ist; er war m.W. nach seiner Promotion mit Sitz in Thessaloniki und Kavala im Tabakhandel tätig und unterhielt fortgesetzte Handelsbeziehungen nach Deutschland und Hamburg.
Neben Pisani gibt es einen zweiten griechischen Gönner, ebenfalls Mitglied der DGGHH und ebenfalls (Tabak-) Händler, Konstantinos Kyriazis. Dimitrios Dimitriou (1927/28) bedankt sich 1935 für »gütige Hilfe« und »die Drucklegung«. Karakandas (1935) (von dem, wie gesagt, anzunehmen ist, dass er Stipendiat Pisanis war) widmet 1937 seine Dissertation „verehrungsvoll“ Kyriazis. Auch Athanasios Karajannis (1931/32) widmet 1937 seine Dissertation Kyriazis „in Dankbarkeit“.
Holger Impekoven schreibt, die Humboldt-Stiftung der Jahre 1925–1945 sei ein vom Auswärtigen Amt finanziertes Stipendienprogramm gewesen; „[d]ie Geschichte der Alexander von Humboldt-Stiftung ist damit weitgehend ein Teilaspekt der Geschichte der deutschen auswärtigen Kulturpolitik“. (Impekoven, 2013, 20) Koutsoukou schreibt, die Liste der AvH-Stipendiaten sei heute schwer rekonstruierbar (2010, 148). Das hängt sicherlich damit zusammen, dass die Aktenbestände als „nahezu vollständig vernichtet gelten“; sie seien bei einem Fliegerangriff im November zerstört worden (Impekoven, 2013, 30). Impekoven arbeitet deshalb mit dem, was er „Gegenüberlieferung“ nennt, also den Schriftstücken, welche Empfänger von der AvH-Stiftung erhalten haben – nach der Hamburgischen Gegenüberlieferung habe ich vergeblich gesucht. Bezogen auf die vorliegende Studie trägt zur Ungewissheit bezüglich der AvH-Stipendiaten der Umstand bei, dass es offenbar nicht im gleichen Maße selbstverständlich war wie heute, dass man die Förderung in den Paratexten einer veröffentlichten Dissertation erwähnte. Ich halte es für durchaus denkbar, dass unter den griechischen Doktoranden, die unten im Anhang 1 namentlich genannt sind, weitere AvH-Stipendiaten sind, über deren Stipendium ich keine Kenntnis erlangt habe. Hinweise auf Stipendiaten der Deutschland-Stiftung des Mitteleuropäischen Wirtschaftstages (MEWT; vgl. Koutsoukou, 2010, 147) an der Hamburger Universität habe ich überhaupt keine. Die Anzahl der Alexander von Humboldt-Stipendiaten ist mit sieben (1927–1931, 1928–1930, 1929-32, 1938–40, ±1940, 1943)26Die Daten sind den Lebensläufen der Stipendiaten sowie diversen Korrespondenzen in den Promotionsakten entnommen; im Archiv der DGGHH (Ordner 1937–1945, Blätter o.N.) ist ein Schreiben des Generalsekretärs der vom nationalsozialistischen Regime aufoktroyierten Dachorganisation DGG vom 5. Juni 1943 an den Vorsitzenden der DGGHH, Bruno Snell, erhalten: „Das Deutsche Studienwerk für Ausländer teilt uns heute mit, dass folgende Herren das Stipendium der Humboldt-Stiftung erhalten und in Hamburg studieren: 1.) Constantopoulos, Georgios, Rechtswissensch. Hamburg 13, Rothenbaumchaussee 44. 2.) Georgakopoulos, Ludwig, Medizin, Hamburg 33, Allg. Krankenhaus Barmbek, Hartzloh 26. 3.) Joannides, Johannes, Leibesübungen, Archäologie, Hamburg 30, Wrangelstr. 61. Wir geben Ihnen davon Kenntnis mit der Bitte, die betreffenden Herren auch Ihrerseits zu betreuen und zu Veranstaltungen heranzuziehen“. wohl nicht auffällig anzusehen.
Drei dieser Stipendien wurden vor 1933 vergeben, was eher hoch ist;27Lt. Impekoven gingen „soweit ermittelbar“ in den Jahren 1925–1932/33 insgesamt nur dreizehn Stipendien an griechische Kandidaten (Impekoven, 2013, 226). es stellt sich aber so dar, als habe die junge Hamburger Universität nicht von der Ausweitung der Förderung für griechische Doktorand*innen nach 1933 profitiert.28Zu dieser Ausweitung s. Koutsoukou, 2010, 145–148. Impekoven nennt für die Jahre 1933/34–1938/39 die Zahl von 127 Stipendien, diejenigen des MEWT eingeschlossen. (Impekoven 2013: 226) Ebenfalls lt. Impekoven hatte Hamburg am „Kuchen“ aller AvH-Stipendien der Jahre 1925–1936/37 einen Anteil von 3,47%. Zum Vergleich: Alle Berliner Einrichtungen kamen auf einen Anteil von insgesamt 39,89%, alle Münchener auf 20,41% (Impekoven, 2013, 142). Ebenso fällt auf, dass die beiden wegen ihrer Affinität zum Nationalsozialismus aktenkundig gewordenen Humboldtstipendiaten – Basileios Exarchos und Evripidis Konstantopoulos – ihre Doktorprüfung bereits vor bzw. kurz nach der Machtergreifung hatten. Bezogen auf Ioannidis könnte man sich fragen, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen seiner Teilnahme an der Turnlehrerausbildung-Führerschule in Neustrelitz im Jahre 1936 und seinem AvH-Stipendium 1938–40, und dies umso mehr, als er durch Pisani ja bereits „versorgt“ war;291940/41 habe es 60 griechische Stipendiaten in Deutschland gegeben (Impekoven, 2013, 317). das erneute Stipendium im Jahr 1943 erfolgte unmittelbar nach der Ausstellung der Promotionsurkunde, seine Bindung an Deutschland sollte also intensiviert werden.30„Erst mit dem akademischen Jahr 1942/43 kam die Stipendienvergabe nach Griechenland langsam wieder in Gang […] Die ersten Stipendien wurden wieder zur Verfügung gestellt, ‚um geeignete Fachkräfte für bestimmte, im Zuge der Umstellung der griechischen Wirtschaft sofort und dringend zu organisierende Spezialgebiete in Deutschland auszubilden‘“ (Impekoven, 2013, 318). Georgios Konstantopoulos verbrachte, ebenso wie sein Bruder Dimitrios, die Jahre der Besatzung Griechenlands in Deutschland. Ludwig Georgakopoulos, der 1943 ein Stipendium erhielt und der nicht in den „Berichtszeitraum“ der vorliegenden Studie fällt, promovierte 1948 an der Med.-Fak. mit einer Promotion zum Thema Malaria und Malariabekämpfung in Griechenland. Sarris begab sich im Januar 1941 nach Griechenland und verblieb dort während der gesamten deutschen Besatzung. 1948 kehrte er aus Ägypten zurück, wo er an einer Schule gelehrt hatte, um seine Stelle in Hamburg, von der er beurlaubt war (und von D. Konstantopoulos vertreten wurde), wieder anzutreten. Nach Ägypten wird er als Kriegsgefangener gelangt sein. Das indiziert, dass er nach der Befreiung Griechenlands dort suspekt war.
Nur schwer in Relation zueinander zu bringen sind auch die Signale, die von den Paratexten der Dissertation von Georgakopoulos ausgehen (es gibt übrigens auch eine bemerkenswerte Varianz seines Namens, im Lebenslauf der Dissertation nennt er sich „Konstantin Loudovicus Georgakopoulos (Louis Georgis)“, auf dem Titelblatt „George Louis Georgis (Georgakopoulos)“), der 1912 in New York geboren war und 1932 „erstmalig nach Deutschland“ kam. Er schreibt, am 11. Dezember 1941 sei er wegen des Kriegseintritts der USA von der Gestapo verhaftet und interniert worden. Im Mai 1942 sei er der Spionage verdächtigt worden. Er habe 9 Monate im Gefängnis und im KZ Buchenwald verbracht und sei dann nach Griechenland ausgeliefert worden. „Ich konnte in 1943 als Stipendiat der Alexander v. Humboldt Stiftung nach Deutschland zurückkehren […] Nach Kriegsende diente ich als Lagerarzt bei der U.N.R.R.A., und habe 1947 meine Staatsprüfung in Medizin beendet“.31Georgis 1944: 74–75.
In seinem Vorwort, das auf die Widmung mit Datum dem 25. November 1944 an seine Mutter folgt, dankt er dem griechischen Malaria-Spezialisten Grigorios Livadas, „der mir in selbstloser Weise nicht nur das gesamte Material der Athener Hygiene Schule sowie des Gesundheitsministeriums zur Verfügung stellte“. Und weiter heißt es: „Die wertvollen Angaben über die Malariabekämpfungsmassnahmen der deutschen Wehrmacht in Griechenland stammen von dem leitenden Sanitätsoffizier beim Befehlshaber Griechenland, Herrn Oberstarzt Dr. Kroll.“ Wahrscheinlich wurden die verschiedenen Paratexte zu unterschiedlichen Zeitpunkten geschrieben, möglicherweise wurde auch ein älterer Lebenslauf vor dem Binden ersetzt.
Von den Hauptfächern der Doktorand*innen an der Phil.-Fak. sind drei doppelt vertreten: die Erziehungswissenschaft (1928, 1931/32), die Alte Geschichte (1929/30, 1935/36) und die Soziologie (1938/39, 1939). Je einmal vertreten sind Psychologie (1929) und Sportwissenschaft (1934) – beide, Sarris und Ioannidis, setzten ihre erworbenen Kompetenzen in ihrem beruflichen Leben erziehungswissenschaftlich um. Sarris warb bei verschiedenen Vorgängen, die ihn betrafen, mit seinen pädagogischen Erfolgen (Moennig, 2021) und gab in den 1950er Jahren seine Lektorenstelle in Hamburg für einen Ruf an die Pädagogische Akademie in Florina auf (Eliadu-Tachu/Orphanu, 2017, 18–21). Es verwundert nicht, dass die altertumskundlichen Fächer als Nebenfächer der acht Personen, die sich an der Phil.-Fak. zur Doktorprüfung anmelden, häufiger vertreten sind: Alte Geschichte viermal; Archäologie dreimal; Klassische Philologie zweimal. Ebenfalls viermal vertreten ist aber auch die Erziehungswissenschaft und dreimal vertreten das Fach Philosophie (nur einmal vertretene Fächer habe ich hier nicht aufgeführt). An der RSF sollte man zwischen Juristen (elf) und Wirtschaftswissenschaftlern (sieben) unterscheiden.
Wenn man so etwas wie ein Cluster ausfindig machen kann, dann bei den wirtschaftswissenschaftlichen Promotionen: Hier fällt auf, dass Paul Schulz-Kiesow fünf der sieben Dissertationen betreut hat. Mit Ausnahme der Dissertation von Nikolas Woiwodas (1936) geht es um griechische Wirtschaft und Agrarwirtschaft, zugleich aber um solche Aspekte, die für den deutschen Handel, wie er in Hamburg gepflegt wurde, von unmittelbarem Interesse waren – man könnte sich fragen, ob das kaufmännische Hamburg sich über diese Dissertationen mit Informationen über das Zielland Griechenland versorgte. Mit Ausnahme von Phaedon Sachsamanoglou (1933) waren alle (Konstantinos Konstantopoulos, 1925/26; Stamatis Woiwodas, 1929; Theodoros Deligeorgis, 1936) zwischen ihrer Immatrikulation und dem Bestehen der Doktorprüfung berufstätig, und das in Branchen, die zu ihren Dissertationsthemen in Bezug standen. Das Promotionsvorhaben von Leon Pisani (1926/27), in dem es um den deutschen Markt geht (auf dem Pisani tätig war), wurde von Theodor Plaut betreut; die Dissertation von Efthymios Papageorgiou zur Agrarökonomie betreute Waldemar Zimmermann. Schulz-Kiesow ist somit der „Leading Scorer“ der Betreuer von Dissertationen von Griechen, und in diesen Dissertationen geht es bevorzugt um griechenlandbezogene Themen. Von den elf juristischen Dissertationen werden jeweils zwei von Wüstendörfer (Handels- und Schifffahrtsrecht), Laun (u.a. Völkerrecht) und Raape (Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht) betreut. Kyriakos Spiliopoulos nennt in seinem Lebenslauf ausdrücklich den Grund, warum er nach Hamburg gekommen ist: „[d]a ich mich besonders für das Studium des Seerechts interessierte“. In der Summe, und auch die Prüfer in den Nebenfächern berücksichtigend, muss man konstatieren, dass offenbar das gesamte Spektrum der juristischen Teilfächer für die griechischen Doktoranden von Interesse war.
An der Med.-Fak. sind so gut wie keine Muster erkennbar: So gibt es beispielsweise kein zweifaches Vorkommen eines Faches oder eines Betreuers. Die Parallelen in ihren Lebensläufen indizieren, dass Sergios Serefis (1922/23) und Nikolas Kerestetzopoulos-Koursis (1922/23) nicht unabhängig voneinander nach Hamburg gekommen sind. Einige hatten zuvor in Athen Medizin studiert (Athanasios Domenikos, 1927; Angelos Pistofidis, 1935/36; Panagiotis Grigoriadis, 1937/38; Konstantinos Nikolaidis, 1937/38); direkt von der griechischen Schule an eine deutsche Universität (München) kam nur Athanasios Karajannis (1931/32).
Ziebarth (1936/2, 79) erwähnt als griechische Wissenschaftler an der Med.-Fak. Sergios Serefis, Basilios Malamos und Nikolas Kerestetzopoulos-Koursis32Nach einer Personalakte habe ich vergeblich gesucht. – zu Serefis und Malamos s. das folgende Unterkapitel; zudem führt er die Namen des Gynäkologen Zakyroglou und Pharmakidis an (die beide nicht im Matrikelverzeichnis nachgewiesen sind); bei Letzterem handelt sich vielleicht um Sotirios Pharmakidis, der 1937 das im Duktus der Zeit verfasste Büchlein Hamburg. Antlitz und Seele. Betrachtungen eines Griechen (in dem er über sich selbst schreibt: „Ein Stück meines Lebens, meines Herzens blieb zurück, als ich Bayern verließ, um in Hamburg als Äskulapjünger die weitere Reife zu empfangen“, S. 10) veröffentlichte und 1939 in Erlangen promovierte.
In mehreren Lebensläufen lesen wir, dass die betreffenden Personen zuvor auch an anderen deutschen oder ausländischen Universitäten studiert haben (Sarris, Coulmas, Spiliopoulos, Pisani, Dimitriou, Tsirintanis, Emmanuel, Nikolas Woiwodas, Deloukas, Serefis, Kerestetzopoulos-Koursis, Karajannis); es ist also denkbar, dass einige der in Anhang 2 Genannten später an einer anderen (deutschen) Universität promovierten. Die meisten, die keinen Hintergrund in Deutschland hatten, kamen natürlich mit einem ersten Abschluss aus Athen oder ggf. auch Thessaloniki.
Alle, die ihren Titel erworben haben und die mir bekannt geworden sind, sind Männer. Im gesamten Quellenmaterial sind mir neun Namen von Frauen bekannt geworden, bei zweien nur der Anfangsbuchstabe des Vornamens, d.h. es könnte sich auch hier um Männer handeln, deren Familienname eine Genitivendung aufweist: A. Christodoulou (WiSe 1930/31 – Vorname nicht ausgeschrieben), A. Chryssoverghi (WiSe 1932/33 – Vorname nicht ausgeschrieben), Sophie Gedeon (SoSe 1932), Hero Karipi (SoSe 1937), Matoula Konstantopoulos (SoSe 1938) = Matoula Konstantopoulou (WiSe 1931/32), Stavroula Konstantopoulos (SoSe 1939), Konstantina Kyriazopoulos (WiSe 1929/30), Elly Nantzu (SoSe 1934) und Helene Skura (SoSe 1931). Von keiner einzigen dieser Personen konnte ich eine publizierte Dissertation nachweisen. Lediglich der Name von Matoula S. Konstantopoulos fand sich im Promotionsbuch der Phil.-Fak. Sie wurde am 12. April 1912 in Andritsaina geboren und bestand am 5. September 1939 bei der Promotions-Notprüfung (d.h. vorgezogenen mündlichen Prüfung) in den Fächern Erziehungswissenschaft, Archäologie und Alte Geschichte – Prüfer waren die Professores Flitner, von Mercklin und Rudolph; der Grund für das Scheitern des Verfahrens ist wohl der, dass sie ihre Dissertation niemals nachgereicht hat.
Auswertung 2: Verquickung „kulturpolitischer“ und akademisch-wissenschaftlicher Anliegen
„Die ‚Machtergreifung‘ 1933 bedeutete zunächst keine Zäsur für die öffentlichen Träger der deutschen Kulturpolitik, die Deutschen Schulen in Athen und Saloniki und das Deutsche Archäologische Institut, die stillschweigend die Tradition der Weimarer Republik weiterführten“. (Koutsoukou, 2010, 140) Die Sichtung der Unterlagen zu den griechischen Doktorand*innen, Stipendiaten und teilweise auch zu den Angestellten an der Hamburger Universität, insbesondere aber die Argumente, mit denen sie gefördert wurden oder mit denen ihnen ggf. Vorteile eingeräumt wurden, legen die Frage nahe, ob nicht eventuell die gesamte sogenannte Kulturpolitik der NS-Zeit ein Kontinuum und eine Fortentwicklung aus der Weimarer Republik war; eine Weiterentwicklung bestand z.B. wohl darin, dass sich insbesondere die Implikationen des Ausländerseins bis zum September 1939 und erst recht nach Kriegsbeginn deutlich verschärften.
Das Argument, dass man griechische Doktoranden fördert, um den Einfluss der deutschen Wissenschaft in Griechenland zu erhöhen, findet man bereits vor 1933 und eine Förderung durch ein staatliches Stipendium konnte schon vor 1932 eine Verquickung politischer und akademisch-wissenschaftlicher Anliegen bedeuten. Über die politischen Motive Pisanis, der Mitte der 1930er Jahre zum ersten Mal als privater Stipendiengeber auftritt, wissen wir leider so gut wie nichts. Empfänger deutscher Stipendien waren – nach Ausweis der von mir gesichteten Akten – die oben bereits genannten Humboldt-Stipendiaten. Das, was Vasileios Malamos erhielt, war kein Stipendium, es handelt sich um die Kofinanzierung (50%) einer in Hamburg wahrgenommenen Stelle durch das Auswärtige Amt, weil dessen „kulturpolitische“ Interessen tangiert waren.
Von der Motivation eines Wissenschaftstransfers im Sinne der einseitigen Einflussnahme finden sich in den untersuchten Unterlagen nur wenige Spuren – ich habe, wie gesagt, nicht alle Promotionsakten eingesehen, aber aus den Unterlagen, die in diesen Akten abgelegt wurden, geht schon von ihrer Art her nicht unbedingt hervor, mit welcher Motivation man Personen förderte. Interessante Unterlagen finden sich insbesondere in den Akten derer, deren Verhältnis zur Hamburger Universität mit dem Bestehen der Promotionsprüfung nicht beendet war. Das sind einerseits Basil Exarchos und andererseits diejenigen, die später Angestellte der Universität sein und/oder sich für ein Habilitationsverfahren anmelden werden (Emmanuil Sarris, Sergios Serefis, Vasileios Malamos, Dimitrios Konstantopoulos, Panagiotis Nassuphis). Bei Peter Coulmas verhalten sich die Dinge anders. Bezogen auf sein Angestelltenverhältnis und sein Habilitationsverfahren war seine griechische Staatsbürgerschaft weiterhin relevant; im Ergebnis gereichte diese Staatsbürgerschaft nicht zu seinem Nachteil, diskutiert wurde eine solche Benachteiligung aber sehr wohl. Zwischen Promotion und Habilitation spielte Coulmas eine Rolle in Griechenland, dies offenbar unabhängig von der Griechenlandpolitik der Hamburger Universität.33Dazu Coulmas, 2010.
Manche der genannten Personen verdienten eine mikrohistorische Einzelstudie, dann natürlich unter Hinzunahme weiterer Quellen, die ihre spätere Entwicklung betreffen; dazu müsste man Material miteinbeziehen, das möglicherweise an den Orten ihres späteren Wirkens und wahrscheinlich nicht in Hamburg liegt. Auf die beiden Personen, die später Lektoren für Neugriechisch an der Hamburger Universität waren, Sarris und D. Konstantopoulos, gehe ich an anderer Stelle ausführlicher, wenn auch wiederum auf das Hamburger Material beschränkt, ein. An diese Stelle gehören diejenigen Vorgänge, in denen die Versuche der Einflussnahme in Griechenland in den Archivalien der Hamburger Universität einen Niederschlag gefunden haben. Und was hier von Interesse ist, sind weniger die betreffenden Griechen als die Personen, die sie gefördert haben, die Argumente, mit denen sie sich für die Förderung der Griechen einsetzten sowie natürlich auch die Förderinstrumente selbst. In dieser Hinsicht sind mir drei relevante Vorgänge bekannt geworden, auf die ich hier kurz und in der Chronologie ihrer ersten „Symptome“ eingehe.
1) Vasileios Malamos
Auf Vasileios Malamos ist bereits Maria Zarifi (2005, 2010) eingegangen; hier geht es genau genommen um zwei Vorgänge, zum einen aus dem Jahr 1932, zu dem Zarifi mehr oder weniger inhaltsidentisches Material im Bundesarchiv gefunden hat, und einen weiteren, der in die Jahre 1936–1937 datiert. Beide verdeutlichen, dass man einen vielversprechenden Wissenschaftler förderte, weil man in ihm ein Mittel der Einflussnahme in Griechenland sah. In den Unterlagen zu Vasileios Malamos wird ständig wiederholt, er stamme aus einer Familie, die im 1. Weltkrieg deutschenfreundlich war: Seine Mutter war eine Tochter von Spyridon Lambros und eine Schwägerin von Panagiotis Tsaldaris.34Spyridon Lambros und sein Schwiegersohn hatten beide einen deutschen Studienhintergrund. Lambros promovierte 1873 in Leipzig, Tsaldaris hielt sich nach seiner Athener Promotion 1890 zu Studien in Göttingen und Berlin auf. Als es 1915 zum Bruch zwischen Venizelos und dem deutschfreundlichen König Konstantin I. kam, positionierten sich beide als Königstreue. Lambros war Ministerpräsident für ca. sechs Monate vom Oktober 1916 bis April 1917, Tsaldaris war Minister in der königstreuen Regierung unter Dimitris Gounaris. Nach 1917 wurden beide vom Venizelos-Regime (ähnlich wie Malamos senior) verfolgt. Tsaldaris war zwei Mal, vom 4.11.1932 bis zum 16.1.1933 und vom 10.3.1933 bis zum 10.10.1935, griechischer Ministerpräsident und direkter Kontrahent Venizelos’. Zu Tsaldaris s. Fleischer 2020: 224–228. Bemerkenswert eindeutig ist bezüglich der politischen Kriterien in der Einschätzung der gesamten Familie ein Bericht in der Personalakte von Vasileios Malamos.35Hagen Fleischer zeichnet das deutsche Venizelos-Bild zwischen dem 1. und dem 2. Weltkrieg nach und schreibt zu Venizelos’ Amtszeit als Ministerpräsident 1928–1932, sowohl der griechische Politiker als auch Österreich und Deutschland hätten in diesen Jahren ihre Positionen „revidiert“; mit dem Rücktritt Venizelos’ im Mai 1932 (also wenige Wochen vor dem hier zitierten Briefwechsel zwischen Hamburg und Berlin) habe der deutsche Gesandte Eisenlohr ein Portrait des Kreters geliefert, mit dem er „in überwunden geglaubte Klischees zurückfällt“. (Fleischer, 2020, 223–225) Das Bild der Familie Malamos, das in den Unterlagen gezeichnet wird, scheint mir genau dieses von Fleischer angesprochene Klischee zu bedienen. Das Dokument ist nicht unterzeichnet und trägt kein Datum, spiegelt aber eine Situation kurz nach 1930 wider (Panagis Tsaldaris wird als Oppositionsführer [d.h. gegen Venizelos] bezeichnet, Vasileios’ Bruder Spyros Malamos als Schüler einer Schule in Eppendorf [er machte sein Abitur 1932]).36StAHH, IV 1954, Bl. 3–4. Wahrscheinlich handelt es sich hierbei um das Ergebnis der in Hamburg eingeholten Erkundigungen, die der Hintergrund sind zu den Schreiben der Hochschulbehörde (d.h. von Wrochem) an den Ministerialdirigenten Terdenge vom 16. Juni 1932 und des Auswärtigen Amts (gezeichnet „i.V. Freudenberg“ [ein Mitarbeiter Terdenges]) an von Wrochem vom 22. Juni 1932 (Zarifi, 2005, 126-127; Zarifi, 2010, 160–161).37Dieselben Schreiben liegen auch in Hamburg: StAHH, 361-6, IV 1954, Bl. 5 (Schreiben von Wrochems an Ministerialdirektor Terdenge vom 16. Juni 1932, handschriftliches Konzept); StAHH, 361-6, IV 1954, Bl. 7 (i.V. Terdenges an von Wrochem). In dem Schreiben von Wrochems vom 16. Juni 1932 werden Mittel beantragt, einen Aufenthalt Malamos’ als Assistenzarzt zur Hälfte zu finanzieren (zu dem Zeitpunkt ist der Internist Hugo Schottmüller [†1936] Malamos’ Mentor bzw. Doktorvater)38vgl. das Schreiben von Wrochems an Schottmüller, 12. Juli 1932 (handschriftlich), StAHH, 361-6, IV 1954, Bl. 8., dies in Hinblick auf dessen Habilitationsabsicht sowie die Perspektive eines späteren Wechsels nach Griechenland. Die andere Hälfte der Mittel stellt Hamburg zur Verfügung. Im Schreiben des Auswärtigen Amts vom 22. Juni 1932, adressiert an von Wrochem, heißt es zur Begründung für die Bereitstellung der Mittel:
Die Beihilfe des Auswärtigen Amts ist unter anderem durch den Bericht von Professor Poll über seine in Griechenland gewonnenen Eindrücke veranlasst. Auch auf Ihre Besprechung mit Herrn Dr. Morsbach darf ich in diesem Zusammenhang Bezug nehmen. Es ist die Absicht des Auswärtigen Amts in Zusammenarbeit mit der Hochschulbehörde und dem Deutschen Akademischen Austauschdienst, nach Möglichkeit eine feste Tradition der Ausbildung griechischer Mediziner in Hamburg zu schaffen. (StAHH, 361-6, IV 1954, Bl. 7)39Vgl. Zarifi, 2005, 126 (Abweichend davon schreibt Zarifi, 2010, 160: „Bereits 1932 hatte das griechische Kultusministerium der Hamburger Universität Interesse signalisiert, ‚eine feste Tradition der Ausbildung griechischer Ärzte in Hamburg schaffen zu wollen‘“).
Die Bereitstellung (und spätere Verwendung) dient der Kofinanzierung der Assistentur Malamos’. Auf diese Kooperationsabsicht geht Zarifi ausführlich ein. (2005, 126) Wahrscheinlich ist auch der Umgang mit Sergios Serefis (s.u.) vor diesem Hintergrund zu werten. Die absoluten Zahlen der griechischen Doctores med. in den 1930er Jahren lassen mich denken, dass diese Absichtserklärung von 1932 vielleicht in Hamburg motivationsfördernd wirkte, es im Wesentlichen aber bei der Absicht geblieben ist. Es würde sich aber sicherlich lohnen, den späteren Karrieren der Betreffenden nachzugehen.
Doch weiter zu Malamos und dem zweiten Vorgang bezüglich seiner Person: 1936, im Anschluss an seine Promotion und Habilitation,40Siehe das Schreiben des Dekans Med.-Fak. Keeser an die Hochschulbehörde vom 23. September 1936 (Gesuch, die Habilitation aussprechen zu dürfen) (StAHH, 361-6, IV 1954, Bl. 17) und den Entwurf der Habilitationsurkunde vom 14. Oktober 1936 (StAHH, 361-6, IV 652, Bl. 3). scheint der Rektor Rein erneute Erkundigungen über die Familie eingeholt und teils dieselben, teils aktualisierte Informationen erhalten zu haben:
Der Vater des Dr. med. Malamos ist der griechische Admiral a.D. Constantin Malamos. Dieser wohnt seit Jahren als Inhaber einer angesehenen Firma in Hamburg und ist seit 1933 Handelsbeirat bei der Griechischen Gesandtschaft in Berlin […] Im Hause bei Herrn und Frau Malamos verkehren außer der Griechischen Kolonie viele angesehene Deutsche. Alle Familienmitglieder sprechen fließend deutsch. Der dienstliche und persönliche Verkehr mit Admiral Malamos hat sich stets in angenehmen Formen abgespielt.41Hamburgisches Staatsamt/Konsularabteilung an Rektor Rein, 23. Oktober 1936, StAHH, 361-6, IV 652, Bl. 4.
Das sind die positiven Aspekte (die Rein später auch aufgreifen wird), es gibt auch einen negativen, Malamos senior stelle die griechischen Interessen in den Vordergrund:
So geriet er ziemlich erheblich mit dem Athener Oberbürgermeister Kotzias in Streit, als dieser vor einigen Monaten zur Taufe des Levantedampfers ‚Athen‘ in Hamburg weilte. […] Malamos hatte ihm bedeutet, daß er sich lieber für die griechischen Reedereien interessieren möchte, anstatt nach Hamburg zu kommen und Propaganda für die Deutsche Levante-Linie zu machen.42Hamburgisches Staatsamt/Konsularabteilung an Rektor Rein, 23. Oktober 1936, StAHH, 361-6, IV 652, Bl. 4.
Einerseits entsprach die Familie also dem Klischee, wie das politische Deutschland der 1930er sich Angehörige seiner Fünften Kolonne in Griechenland vorstellte, andererseits war der ältere Malamos durch etwas aufgefallen, was nicht in dieses Muster passte. Rein macht vom ersten Aspekt Gebrauch, den zweiten lässt er auf sich beruhen. Der Vorgang, um den es geht, ist die Verleihung des Titels eines Privatdozenten („Dozentur“): Im November 1936 leitet der Rektor ein entsprechendes Gesuch Malamos’ befürwortend weiter, unter (klischeehaft gewordener) Bezugnahme auf die „deutschfreundliche“ Familie sowie auf Stellungnahmen des Dekans der Med.-Fak. Keeser und der Mentoren, des Internisten Schottmüller und des Leiters des Tropeninstituts Peter Mühlens: [Es] ergibt sich [d.h. aus den genannten Stellungnahmen], dass die Verleihung der Dozentur an Dr. Malamos mit Rücksicht auf die Auslandsarbeit der Universität und aus allgemeinen politischen Gründen ausserordentlich erwünscht wäre.43Schreiben des Rektors Rein an den Reichs- und Preussischen Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, 3. November 1936, StAHH, 361-6, IV 652, Bl. 5. Die Stellungnahme des Dekans ist erhalten:
Er (d.i. Malamos) beabsichtigt nicht, in Deutschland zu bleiben, sondern will als Dozent seine wissenschaftliche und ärztliche Tätigkeit an der Universität Athen fortsetzen. Der Umstand, dass auf diese Weise ein Vertreter deutscher Wissenschaft und ein Freund Deutschlands in seiner Heimat für die Pflege enger kultureller Beziehungen zwischen Deutschland und Griechenland wirken würde, läßt die Erteilung der erbeteten Dozentur an Dr. Malamos auch als aussenpolitisch wichtig erscheinen.44Dekan Keeser an Rektor Rein, 18. Oktober 1936, StAHH, 361-6, IV 652, Bl. 6. Ausdrücklicher geht es nicht.
Am 15. April 1937 wiederholt Malamos sein Gesuch, adressiert an Mühlens, argumentierend, ihm sei zum Frühjahr an der Universitätsklinik in Athen eine „Sekundärarztstelle angeboten worden“, und um ausreichend vorbereitet zu sein, wolle er sich für die Dauer ab Juli 1937 für 9–10 Monate an einer deutschen Universitätsklinik „klinisch betätigen“;45StAHH, 361-6, IV 1954, Bl. 27–28. in seiner Befürwortung gegenüber der Med.-Fak. schreibt Mühlens: „Im Interesse der deutsch-griechischen kulturellen Beziehungen ist es dringend erwünscht, den Schüler Deutschlands, Herrn Malamos, bei seinem Bestreben, griechischer akademischer Lehrer zu werden, zu unterstützen“.46StAHH, 361-6, IV 1954, Bl. 26. Das Ministerium lehnt mit Schreiben vom 24. Mai 1937, gezeichnet Fricke, den Antrag ab: „Nach der zurzeit geltenden R[eichs]Habil[itations]O[rdnung] ist die Erwerbung der Dozentur nur von deutschen Staatsangehörigen möglich […]“.47StAHH, 361-1, IV 1954, Bl. 30. Mit Schreiben vom 19. Oktober 1937 an den Reichsstatthalter in Hamburg, „In Vertretung gez. Zschintzsch“, ändert das Reichsministerium den Bescheid vom 24. Mai 1937 ab und dies mit folgender Begründung:
Nachdem nachträglich von beachtlicher Seite die Verleihung der Dozentur an Dr. med. habil. Basile Malamos, hier, befürwortet und auch als im kulturpolitischen Interesse Deutschlands liegend bezeichnet worden ist, genehmige ich in Abänderung des Erlasses vom 24. Mai d. Js. […] Voraussetzung ist, dass Malamos sich verpflichtet, nach Verleihung der Dozentur diese noch 1–2 Jahre in Deutschland auszuüben. Die Betätigung als Dozent in Deutschland liegt im eigenen Interesse Malamos, da es dadurch ihm viel leichter sein wird, in Griechenland eine Professur zu erhalten […].48StAHH, 361-6, IV 1954, Bl. 38.
Eine Lehrprobe erfolgte am 22. November 193749s. Einladung, StAHH, 361-6, IV 652, Bl. 20. und wurde durch die Med.-Fak. positiv evaluiert;50StAHH, 361-6, IV 1954, Bl. 40. die Verleihung der Dozentur und Zuweisung zur Medizinischen Akademie in Düsseldorf durch den Reichsminister erfolgt am 23. Dezember 1937 „[a]uf Grund von § 14 der Reichshabilitationsordnung vom 13. Dezember 1934“.51StAHH, 361-6, IV 1954, Bl. 42. Es fand also zweimal eine Sonderbehandlung Malamos’ statt mit dem Argument, dass man ihn als Mittel betrachtete, auf die griechische Wissenschaft Einfluss auszuüben. Die Not, aus der man ihm heraushalf, war – zumindest was den Vorgang von 1936/1937 angeht – Produkt einer Gesetzgebung, die Malamos als Ausländer diskriminierte. In demokratischen Zeiten hätte es gar keinen Anlass gegeben für eine solche Ausnahme ad personam.
2) Sergios Serefis
Das „Motiv“ der Verleihung gegen die geltende Rechtslage eines deutschen akademischen Titels, diesmal einer außerordentlichen Professur, an einen griechischen Arzt, um dessen Chancen bei einer Bewerbung um eine Position an der Athener Universität zu verbessern, wiederholt sich im Falle des Sergios Serefis. Diesmal lautet das Argument, dass aus dem Innehaben einer Professur im Ausland geradezu ein Rechtsanspruch auf eine Berufung in Griechenland erwachse („weil er nach den in Griechenland herrschenden Bestimmungen alsdann auch in Athen eine ordentliche Professur erhalten wird“);52StAHH, 361-6, IV 893, Bl. 2. Die Einschätzung erfolgt vom Landesvertrauensmann der NSDAP für Griechenland, Engelmann, und erging an die Hamburger Hochschulbehörde in einem Schreiben vom 3. November 1934. eine solche Berufung sei aus Hamburger Sicht unbedingt erwünscht, weil man so den Einfluss der deutschen medizinischen Wissenschaft in Griechenland erhöhen könne, und dies zudem noch auf Kosten der französischen, die im Übrigen die Dermatologie an der Athener Universität dominiere.
In den beiden Personalakten aus den 1930er/40er Jahren sind Schreiben erhalten, in denen es um Versuche geht (bei denen der Dermatologe Paul Mulzer ein wichtiger Akteur ist), Serefis in Hamburg durch eine außerordentliche Professur zu fördern, und das in der Absicht, ihn der Medizinischen Fakultät in Athen geradezu aufzuzwingen. So schreibt der Dekan der Med.-Fak. Keeser an Oberregierungsrat Clausen, Landesunterrichtsbehörde/ Hochschulwesen, in einem Schreiben vom 28. September 1934:
In Athen bestehe die Bestimmung, dass ein auswärts Habilitierter von der Universität übernommen wird. Ausserhalb zum Professor ernannte Dozenten seien bei der Besetzung leitender Stellen bevorzugt zu behandeln. Wenn somit Dr. Serefis zum Professor ernannt werde, könne er nicht nur damit rechnen, dass er eine leitende Krankenhausstellung in Athen erhalte, sondern auch in erster Linie für ein Ordinariat in Griechenland in Frage komme. Dies sei insofern von großer Bedeutung für die deutsche Wissenschaft, als bisher im Gegensatz zu den anderen Disziplinen in der Dermatologie der französische Einfluß massgebend sei. Dr. Serefis soll diesen Einfluß kompensieren.53StAHH, 361-6, I 381, Bl. 6.
Die Bemühungen werden zwar über Jahre fortgesetzt, fruchten aber nicht. Hier sind also eher die Akteure und ihre Handlungsmuster von Interesse. Bezeichnend für die Art zu argumentieren und zu agieren ist ein Schreiben Mulzers an den Dekan der Med.-Fak. Keeser vom 28. Oktober 1937:
Für die Übernahme des Herrn Prof. Serefis in den Lehrkörper der Universität in Athen besteht von Seiten des Auslandsdeutschtums in Griechenland allergrösstes Interesse. So schreibt mir heute Prof. Dr. F. Merkel, Athen, […], dass Herr Prof. Serefis das Unglück gehabt hat, in einem Zeitpunkt nach Athen zu kommen, in welchem insbesondere die griechischen Unterrichtsminister von Monat zu Monat gewechselt haben, so dass Prof. Serefis gegebene Zusagen wegen der kurzen Arbeitstätigkeit der einzelnen Minister nicht zur Ausführung gelangten. […] Andererseits sind in Athen in der medizinischen Fakultät Bestrebungen bestimmter Persönlichkeiten noch wirksam, welche dahinzielen, der französischen Schule zum Nachteil der deutschen erhöhte Geltung zu verschaffen. […] Demgegenüber setzen sich die deutschen und deutschfreundlichen Kreise in Athen auf das Lebhafteste dafür ein, gerade den deutschen Einfluss in der medizinischen Fakultät in Athen zu fördern. Aus diesem Grunde hat man mich nicht nur gebeten, unter allen Umständen dafür zu sorgen, dass Prof. Serefis von der Hansischen Universität so lange gehalten wird, bis die Bemühungen für seine Übernahme nach Athen zum Erfolge geführt haben, sondern mir auch ausdrücklich zugesichert, dass in Athen von den dort vorhandenen deutschen und deutschfreundlichen Kreisen unter Mitwirkung des dortigen Botschafters alles unternommen wird, um die Übernahme von Herrn Prof. Serefis an die dortige Universität durchzusetzen.54StAHH, 361-6, I 381, Bl. 35.
In einem ausführlichen Bericht Mulzers an Dekan Keeser vom 23. Februar 1938 sind auch die Namen der Konkurrenten „der französischen Schule“ genannt, Prof. [Georgios] Photinos und sein Neffe [Panagiotis Photinos].55StAHH, 361-6, I 381, Bl. 38.
Auch bezogen auf die Einmischung der Deutschen Botschaft in Athen gibt es aussagekräftiges Material; mit Datum dem 18. Mai 1938 schreibt Botschafter Prinz zu Erbach an den Reichsminister:
Die Übernahme des Professors Serefis seitens der Universität Athen ist mit dem griechischen Kultusminister besprochen worden. Der Kultusminister teilte mit, daß die Übernahme bisher auf den fast einmütigen Widerstand des Lehrkörpers der Universität gestoßen sei, der es Professor Serefis verdenke, vor seiner Habilitierung in Griechenland eine Professur in Deutschland angestrebt zu haben.56StAHH, 361-6, I 381, Bl. 41b.
In einem Schreiben der Botschaft ans Auswärtige Amt vom 2. Juni 1939 wird über eine für Serefis ungünstige Gesetzesänderung berichtet; das erleichterte Verfahren einer Berufung von Personen, die bereits im Ausland eine Professur innehaben, „ist seit der Mitte vorigen Jahres in Fortfall gekommen“; zugleich wird davon berichtet, dass es zwei Assistentenstellen in der Dermatologie geben solle.57StAHH, 361-6, I 381, Bl. 43.
Während die Med.-Fak. nicht locker lässt, geht Prinz zu Erbach auf Distanz: Serefis habe sich auf die beiden inzwischen besetzten Assistenturen ja nicht einmal beworben, „eine amtliche Einwirkung von meiner Seite sehe ich daher als so gut wie völlig aussichtslos an“, schreibt er am 5. Januar 1940.58StAHH, 361-6, I 381, Bl. 62. Mulzer und Keeser, letzterer inzwischen Rektor der Universität, unternehmen am 10. Juni 1941 einen erneuten, letzten Versuch: „Da Prof. Serefis von jeher deutsch gesinnt war und auch mit einer deutschen Professorentochter und Ärztin verheiratet ist, die früher Assistenzärztin meiner Klinik war und deren strenge und zuverlässige nationalsozialistische Gesinnung mir gut bekannt ist […]“, argumentiert Mulzer in einem über die Med.-Fak. und den Rektor an das Auswärtige Amt adressierten Bericht, da seine „Übernahme […] in eine würdige Stelle an der Athener Universität bis heute auf Grund feindlicher politischer Einflüsse hintertrieben worden [sei]“ und „[d]a nach der Niederwerfung des englisch-französischen Einflusses in Griechenland durch die deutsche Wehrmacht es darauf ankommen dürfte, gerade deutschfreundliche Griechen an die wirtschaftliche und kulturelle Mitarbeit mit Deutschland heranzuziehen und durch sie Sicherungen zu schaffen“, sei doch der Augenblick günstig, dass Serefis „unterstützt durch den Einfluss deutscher amtlicher Stellen“ nun endlich seine Professur für Dermatologie erhalte.59StAHH, 361-6, I 381, Bl. 72–74. Eine Reaktion, die vom Reichserziehungsminister erfolgt, trägt das Datum 18. März 1942: Das Auswärtige Amt beziehe sich auf eine „Äußerung des Bevollmächtigten des Reiches für Griechenland. Danach hat sich Professor Serefis eine gutgehende Praxis aufgebaut“.60StAHH, 361-6, I 381, Bl. 75. Auf dieses Schreiben bezugnehmend erfolgt ein zweites mit Datum dem 29. Oktober 1942:
Vor einigen Tagen hatte der Kulturreferent mit Professor Serefis eine längere Unterredung, in deren Verlauf sich klar herausstellte, daß sich Serefis bewußt zurückhält und weder von der jetzigen Regierung noch von der Reichsvertretung eine Unterstützung wünscht […] Wie ich sonst höre, hat Serefis eine ausgezeichnete Privatpraxis, die ihn zur Zeit gut erhält. Mitgliedern meiner Dienststelle gegenüber verhält er sich freundschaftlich und hilfsbereit.61StAHH, 361-6, I 381, Bl. 76.
Und damit fand das Thema im Herbst 1942 sein Ende.
3) Vasileios Exarchos
Der dritte Vorgang betrifft Basil Exarchos, der notabene bereits in den Jahren der Weimarer Republik als Humboldt-Stipendiat nach Hamburg gekommen war. Er reichte 1932 seine Dissertation ein und bestand auch die mündliche Prüfung. Die Gutachter, insbesondere Deuchler, hatten für die Drucklegung erhebliche Auflagen gemacht. Ob nun diese Auflagen oder andere die Gründe waren, warum die Arbeit nie gedruckt wurde, ist offen. Entscheidend ist, dass es nie eine Publikation und nie eine Doktorurkunde gab. Im September 1940 wendet sich der Leiter der Auslandslektorate der Deutschen Akademie in München, Dr. Heinz Nitzschke, an die Phil.-Fak. mit der Bitte zu erwägen, ob man Herrn Exarchos nicht trotz nicht erfolgter Publikation die Urkunde aushändigen wolle; Exarchos gelte „als einer der besten und zuverlässigsten Deutschlandfreunde“.62StAHH, 364-13, Phil Fak Prom 339, Blätter o.N. Zu Nitzschke s. Koutsoukou, 2008, passim (z.B. 134, 144).
Die Fakultät stellte eine solche Urkunde nicht aus, wohl aber eine Bescheinigung über die bestandene Doktorprüfung. Exarchos wurde also 1941 an der Aristoteles Universität Thessaloniki zum Professor ernannt, ohne Inhaber einer Doktorurkunde zu sein. Nach dem damals geltenden Promotionsrecht – über das ihn die Fakultät in einem Schreiben vom 6. September ausdrücklich informiert – hatte er alle Rechte an seiner erfolgreich bestandenen Doktorprüfung wieder verloren, weil er seiner Publikationspflicht bis zum 27. Februar 1933 nicht nachgekommen war und auch keinen Antrag auf Verlängerung dieser Frist gestellt hatte; aber auch ein solcher Antrag hätte ihm eine Frist bis maximal dem 27. Februar 1934 eingeräumt; die Bescheinigung, die ihm die Hamburger Fakultät im September 1940 ausgestellte, war möglicherweise überhaupt erst die Voraussetzung für seine Berufung im Jahr 1941 an die neugegründete Theologische Fakultät in Thessaloniki. Die Bescheinigung mit Datum dem 6. September 1940 widersprach offenbar der damals geltenden Promotionsordnung.
Bezeichnend für die Verquickung „kulturpolitischer“ und akademisch-wissenschaftlicher Anliegen, die Gegenstand dieses Unterkapitels ist, ist wohl auch, dass der Humboldtstipendiat Dimitrios Konstantopoulos am 20. Dezember 1940 in seinem Antrag auf Erlass oder Ermäßigung der Prüfungsgebühren argumentiert: „Ich erwähne hierbei, dass ich in Deutschland im besonderen Auftrage der Alexander von Humboldt-Stiftung studiere, um meinen Beitrag zur Foerderung der Wissenschaft meiner Heimat mit Hilfe der deutschen wissenschaftlichen Methoden zu leisten“;63StAHH, 364-13, Prom. Phil. Fak 858, Blätter o.N. das liest sich so, als zitiere er seine Geldgeber.
Erkenntnisse/Fazit
Meines Wissens ist die vorliegende Studie in ihrer Art und zumindest bezogen auf griechische Doktorand*innen bislang einzigartig; ob an anderen Universitäten wie München, Leipzig oder der Humboldt-Universität in Berlin vergleichbare Materialien erhalten sind – ob man dort also entsprechende Studien anstellen könnte –, entzieht sich meiner Kenntnis. Sollten dort entsprechende Untersuchungen angestellt werden, würde man vielleicht erfahren, ob die Verknüpfung von universitärer Außenpolitik und privatwirtschaftlichen internationalen Interessen ein hamburgisches Spezifikum ist, oder ob diese Formen von Synergien in den Zwischenkriegsjahren auch sonst üblich waren. Auf die im Raum stehende Frage, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen Promotionen von Griechen an deutschen Universitäten und der Kollaboration während der Deutschen Besatzung Griechenlands 1941–1944/45, gibt diese Studie allein noch keine Antwort. Sie lädt aber zu der komplementären Studie ein, die spätere Entwicklung der betreffenden Personen nach ihrer Rückkehr nach Griechenland zu verfolgen. Bei Griechen, die in Deutschland studierten, weil sie hier lebten, ist sicherlich eine solche Fragestellung gar nicht erst angebracht. Über die Griechen, die nach ihrer Promotion in Hamburg Lektoren für Neugriechisch waren (Sarris und Dimitrios Konstantopoulos), habe ich an anderer Stelle ausführlicher geschrieben; Sarris hat sich während der deutschen Besatzung in Griechenland aufgehalten und sich angeblich antideutsch betätigt – aber warum kehrte er dann 1948 aus Ägypten kommend nach Hamburg zurück? Dimitrios Konstantopoulos tut vor 1945 alles, um als guter Nazi dazustehen und kann Belege beibringen; und bei der Entnazifizierung 1946 kann er mit Fug und Recht behaupten, er sei als Ausländer von den Nationalsozialisten diskriminiert und verfolgt worden. Die Frage, ob sie schon vor dem Scheitern des Faschismus Antifaschisten waren oder ob sie ihre Biographie im Nachhinein umerzählt haben, stellt sich bezogen auf mehrere Personen. Bezogen auf die Ärzte Malamos und Serefis muss man gerechterweise feststellen, dass sie offenbar in eine kompromittierende Position hineingenötigt wurden und dass die sie belastenden Dinge ja gar nicht von ihnen stammen und sie möglicherweise auch gar nicht repräsentieren. Dass der berüchtigte Kollaborateur Exarchos nach Aktenlage niemals einen Doktortitel erworben hat, ist vielleicht eines der wichtigeren unmittelbaren Ergebnisse dieser Studie.
Ohnehin bringt diese Studie in erster Linie Aufschluss über die Professoren oder die Beamten in anderen relevanten Behörden, mit denen die griechischen Doktorand*innen zu tun hatten. Zu Beginn dieser Studie fokussiere ich stark auf Erich Ziebarth, und das deshalb, weil er in publiziertem sichtbarem Material bezogen auf die griechischen Interessen der Hamburger Universität an erster Stelle steht und die Suche im Archivmaterial von ihm ihren Ausgang nimmt. Die Akteneinsicht führt eher zu dem Ergebnis, dass er im akademischen Betrieb der 1930er Jahre, auch vor seiner Pensionierung, gar nicht die entsprechende Wichtigkeit hatte. Wichtig war dagegen die Stiftung Pisanis – ob Ziebarth diese nun mit einem gewissen Recht für sich und die DGGHH beansprucht, weil die DGGHH die Brücke zwischen Universität und Griechen in Hamburg darstellte und weil es die Stiftung ohne DGGHH womöglich nicht gegeben hätte, muss mangels Belegen offen bleiben. Ziebarth war bekennender Nazi und ist als solcher in die Geschichte eingegangen. Doch wenn man am Ende fragt, ob sich sein Bekenntnis zum Nationalsozialismus zu jemandes Schaden ausgewirkt hätte – zumindest nicht, dass es für mich ersichtlich wäre. Er urteilt über seinen Doktoranden Dimitrakos, der sich später im linken Widerstand organisieren sollte, sehr viel positiver als über seinen Doktoranden Evripidis Konstantopoulos, der nach seiner Rückkehr nach Griechenland in einem nationalsozialistischen Ortsverband tätig gewesen sei. Mit seinem Zypernbuch von 1940 bedient Ziebarth die antibritische Rhetorik der Nationalsozialisten (Pechlivanos, 2018), die feindliche Übernahme der DDGG durch das kulturpolitische Auswärtige Amt verhindert er damit aber nicht. Bruno Snell genießt den Ruf, bekennender Anti-Nazi gewesen zu sein – doch im Habilitationsverfahren von Peter Coulmas enthält er sich der Stimme, nachdem er sich zuvor mit einem ausländische Wissenschaftler diskriminierenden Argument gegen die Annahme der Arbeit ausgesprochen hatte.