Die Thronbesteigung als literarisches Ereignis: Nepomuk von Poißls dramatisches Gedicht Vergangenheit und Zukunft und die Reaktion Ludwig Börnes

  • Veröffentlicht 22.09.20

Mit welchen Mitteln wird Bayern in Poißls Stück als Retter Griechenlands gefeiert und welches Bild von Griechenland wird hier inszeniert? Weshalb äußert sich Börne derart zynisch über die Bayernherrschaft in Griechenland? Was wirft er den Philhellenen vor und weshalb empfindet er die Thronbesteigung als Niederlage des Volkes? Welches sind die tatsächlichen Adressaten seiner Kritik?

Inhalt

    Man ist dermaßen griechisch in München,
    dass man in Athen notgedrungen bayrisch sein muss
    Gérard de Nerval

    Nepomuk von Poißls Vergangenheit und Zukunft

    Die Thronbesteigung des Königs Otto von Griechenland wird auch in München feierlich begangen. Zu den Festivitäten gehört die Aufführung des Festspiels von Poißl Vergangenheit und Zukunft1Poißl, Johann Nepomuk von: Vergangenheit und Zukunft, dramatisches Gedicht in sechs Szenen und zwei Bildern, Libretto, [München], 1832. https://bildsuche.digitale-sammlungen.de/index.html?c=viewer&bandnummer=bsb00054838&pimage=00001&einzelsegment=&v=5p&l=de.am 30. November 1832 im königlichen Hoftheater in München. Der Hofmusik-Intendant Johann Nepomuk von Poißl (1783-1865), bekannt für seine Opern Antigonus, Athalia und der Wettkampf zu Olympia, verfasst für den feierlichen Anlass ein allegorisches Schauspiel in sechs Szenen und zwei Bildern in dem Hellas, Bavaria, der Glaube, die Hoffnung und die Liebe auftreten, flankiert von Genien und dem griechischen Volk „älterer und neuerer Zeit“.

    Das Stück beginnt mit Hellas, die in einem Lorbeerhain sitzend, in Schwarz gehüllt, ihre Lage beklagt. Poißl gebraucht den bewährten antithetischen Aufbau barocker Vanitas-Dichtung und stellt die Gegenwart der glorreichen Vergangenheit gegenüber (es werden antike Helden aufgezählt, die Preisverleihung der olympischen Spiele evoziert), so dass jene besonders erbärmlich erscheint: „Wo Glanz und Fülle war, nun Jammer waltet“ (Poißl, 1832, 6). Die verzweifelte Hellas wird von dem herabschwebenden Glauben getröstet, der es an die göttliche Vorsehung erinnert und „vom Ewigen gesandte“ Rettung verspricht (Poißl, 1832, 9). Hellas soll für die erwiesene Treue zum Christentum belohnt werden und „wie der Phönix auferstehen“ (Poißl, 1832, 9). Bemerkenswert ist der doppelte Verweis auf Antike und Christentum: hierbei handelt es sich um einen wesentlichen Aspekt des Philhellenismus-Diskurses, in dem das griechische Volk, bedrängt und gemartert von Ungläubigen, als Repräsentant der Christenheit stilisiert und zugleich als Nachfolger der Antike gefeiert wird (vgl. Conter, 2004, 440). Die nicht selbstverständliche2Polaschegg betont, dass die Doppelkodierung des griechischen Volkes als Repräsentanten der Christenheit und der Antike oftmals eine künstlerische Herausforderung für die philhellenische Dichtung darstellt. Polaschegg, 2005, 266ff. Verknüpfung beider Aspekte der Griechenlandimagination bewerkstelligt Poißl einerseits durch die personifizierte (diachrone) Hellas, die offenbar gleichermaßen in der Antike wie auch in der Gegenwart heimisch ist, andererseits durch die Einsetzung der Landschaft als Garant von Kontinuität: das Schlachtfeld auf dem die antike Helden ihren Mut bewiesen, ist derselbe Ort, an dem Paulus predigte.

    Als nächstes tritt die Hoffnung auf und führt die „gottgesandte“ Bavaria zur still betenden Hellas: Bavaria stellt sich vor („ein Volk kühnen Muthes, voller Fleiß, Kraft, Mäßigkeit und unerschütterlicher Treue“ (Poißl, 1832, 15)) und erinnert an ihre tatkräftige Anteilnahme an dem Befreiungskrieg der Griechen. Es werden die Verse Ludwigs I von 1822 rezitiert, mit denen er zum Kampf aufrief („Hellenen kämpft den Kampf des Todes…“ (Poißl, 1832, 16)). Hellas stimmt mit ein, drückt Ludwig gegenüber Dankbarkeit aus („ein Freund, ein Vater“ (Poißl, 1832, 18) und versichert Bavaria, dass der hohe Mut der Antike in den heutigen Griechen fortlebe.

    Daraufhin kündigt Bavaria an, Hellas eine „Perle aus dem Diadem des Palladiums“ (Poißl, 1832, 23) zu überreichen, da dies Gottes Wille sei. Hellas gelobt den zukünftigen Herren „mit Treue und Vertrauen und heißer Liebe“ (Poißl, 1832, 24) zu empfangen. Bavaria verspricht Wunder durch seine Hand für Hellas.

    Poißl betont hier, wie zu erwarten, die unterstützende Rolle von Bayern bzw. von König Ludwig bereits während des Befreiungskrieges3Vgl. hierzu die Ausführungen von Grimm, 1999, 31f. – die Wahl des bayrischen Prinzen für die Krone Griechenlands kann so als eine weitere Etappe, wenn nicht gar der Höhepunkt dieser Zuwendung und Hilfeleistung präsentiert werden. Es ist daher konsequent, dass in keiner Weise auf die Rolle der Großmächte sowie deren politische Beweggründe bei der Wahl Ottos4Zu dem politischen Kräftemessen innerhalb der Heiligen Allianz in Bezug auf die griechische Sache siehe Heydenreuter, 1993, 59 ff. sowie Hering, 1994, 24.hingewiesen wird: in Poißls Darstellung obliegt es allein Bayern, Hellas ihren Retter zu senden. Den Höhepunkt des Stückes bildet der Moment, als das Portrait Ottos, getragen von der Liebe und flankiert von Glaube und Hoffnung, langsam hinabsinkt. Die versprochene Regeneration findet bereits auf der Bühne statt: der düstere Himmel wird ersetzt durch weiße Wolken auf strahlend blauem Hintergrund, die verdorrte, verbrannte Pflanzenwelt ergrünt, die zerstörten Tempel richten sich in neuer Pracht auf.

    Ludwig Börne: Kommentare eines Zeitschriftstellers

    Man muss nicht aufhören sie zu ärgern, das allein kann helfen.
    Man soll sie nicht einzeln ärgern man muss sie in Masse ärgern.
    Ludwig Börne

    Auf Poißls allegorisches Schauspiel reagiert Ludwig Börne. Sein sarkastischer Kommentar findet sich in dem 89. seiner Briefe aus Paris, die in drei Bänden (1832,1833 und 1834) erschienen. Es handelt sich hierbei um öffentliche Briefe die der seit 1830 in Paris lebende Börne an seine Heimat richtet: er meldet Neuigkeiten aus dem revolutionären Paris, äußert seine anfängliche Begeisterung und rasche Enttäuschung, aber vor allem kommentiert und reflektiert er das Geschehen in den deutschen Landen der Restauration.

    Diese Schreibtätigkeit entspricht Börnes Vorstellung eines Zeitschriftstellers, der sich schreibend in das politische Geschehen einbringt.5Mit dieser Methode aus privaten Briefen öffentliche Texte zu machen wird Börne zum Mitbegründer einer neuen Tradition, der Bekenntnis und Reportageliteratur. vgl. Jasper, 1989, 186. Siehe hierzu auch Walz, 2001, 128. So verfolgt er die Geschehnisse in Europa, etwa die Aufstände in Italien, Frankreich, Polen und Griechenland und bezieht Stellung, immer im Sinne des Kampfes gegen Feudalismus und Repression und für Demokratie und Liberalismus.6Markuse fasst zusammen: „Seine Briefe wurden die gesammelten Barometer-Bericht von drei Revolutionsjahren: abgelesen vom Barometer Börne, einer Quecksilbersäule, die in den Himmel der Freiheit wollte.“ Marcuse, 1977, 183. Die Ernennung Ottos zum König Griechenlands empfindet er daher als „eine schreckliche Geschichte“, für die Griechen und die Deutschen gleichermaßen:

    Es ist merkwürdig, was die deutschen Regierungen für ein Talent besitzen, in die schrecklichsten Geschichten Lächerliches zu bringen. Wenn ich höre, was sie thun und sprechen, weine ich mit dem rechten Auge und lache mit dem linken. Der König von Baiern läßt sich von allen Städten, Dörfern und Flecken seines Reiches Deputationen schicken, die ihm, seinem Sohn, den Baiern, am meisten aber Griechenland selbst Glück wünschen, daß ein baierisches Kind den griechischen Thron besteigt (Börne, 1868.10/12, 106).

    Hierbei wird deutlich, dass die Griechenland-Thematik eine Stellvertreter-Funktion übernimmt7Conter erklärt: „Griechenland ist Anlass zur Auseinandersetzung mit der europäischen Politik und Medium der politischen Selbstreflexion oder der politischen Verhandlungen im eigenen Staat“ (Conter, 2004, 435). Vgl. auch Kilchmann die von Griechenland als „literarischen Schauplatz“ spricht, an dem die Autoren der politisierten Vormärzliteratur ihre neuen kunstphilosophischen Paradigmen verhandeln. Kilchmann, 2013, 286.: es geht in erster Linie um das Kräftemessen zwischen Revolution und Reaktion, weshalb Börne die Kunde von der Thronbesteigung als eine Niederlage wahrnimmt. Heine überliefert uns seine bittere Enttäuschung:

    „Kaum wird ein Volk frei, so wird ihm ein deutscher Prügel auf den Rücken gebunden […] und auf der Akropolis von Athen fließt beyersches Bier und herrscht der bayersche Stock. […] Ich kann nicht daran denken, ohne dass mir das Gehirn zittert“ (Heine, 1977, 57).

    In den Briefen aus Paris präsentiert Börne Ludwig als den Spielball der Heiligen Allianz:

    Um den Preis dieser Krone hat er die Ehre, das Glück, die Freiheit seines Volkes und seine eigene Unabhängigkeit verkauft. Um diesen schnöden Tagelohn (denn nach Tagen, nicht nach Jahren wird man die Regierung Ottos zählen) ist er ein Helfershelfer der heiligen Allianz, ein Knutenmeister Rußlands, ein Polizeischerge Österreichs geworden (Börne, 1868.10/12, 116).

    Geschmacklose patriotische Dichter und geduldige Untertanen

    Mit bissiger Ironie gibt Börne den Inhalt des Stücks von Poißl wieder und kommentiert die Kombination aus Geschmacklosigkeit und Naivität:

    „O Herr von Poißl! ich weiß nicht, ob Sie Verstand haben, aber Geschmack haben Sie nicht den geringsten. […] Den Himmel selbst möchten Sie gern zum Lakaien machen, und sein heiliges Blau soll die Livreefarbe eines deutschen Fürsten sein!“(Börne, 1868.10/12, 147).

    Börne hält auch König Ludwig für einen schlechten Dichter8„[…] dieser kleine Tyrannos und schlechte Poet“ zitiert in Heine, 1977, 58. und drückt sich äußerst kritisch über dessen Griechenlandbegeisterung aus. In einem früheren Pariser Brief stellt er klar, dass der Philhellenismus Ludwigs I. und dessen Bereitschaft, die aufständischen Griechen zu unterstützen keineswegs mit einer liberalen Gesinnung einhergehen muss:

    „Dem Könige ist Hellas in den Kopf gestiegen, und er sieht alle Liberalen für antike Statuen und die Gefängnisse seines Landes für Museen an, in welchen er sie aufstellt“ (Börne, 1868.10/12, 115).

    Am Beispiel Ludwigs macht Börne hier deutlich, dass die national-patriotische Gesinnung, (die durchaus in Ludwigs Unterstützung der Griechen präsent ist (Vgl. Maillet, 2009, 284), sich radikal von einer liberalen Sichtweise unterscheidet. Wie Heine,9Heine wird nach der gescheiterten Märzrevolution 1848 auf diesen Punkt zurückkommen: in seinem Michel nach dem März bezeichnet er „die schwarz-roth-goldne Fahn“ als „alt germanischen Plunder“, die dem Dichter „von deutscher Freiheit die schlimmste Hiobszeitung“ bringt (Heine, 1973, 239-240).so beobachtet auch Börne mit wachsender Unruhe die Zunahme patriotischen Eifers bei seinen Landsleuten (er spricht von der „Petersilie deutsch-vaterländischen Ruhms“ (Börne, 1868.7, 26), die zu Verdrängung der Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit und Freiheit führen. (Wirtz, 2006, 150) Er kommt in späteren Schriften darauf zurück:

    „Vom Ausrotten des Patriotismus ist garnicht die Rede, sondern nur von der Vertilgung aller Schändlichkeiten, die der Egoismus der Fürsten und der Völker mit dem Namen Patriotismus umschleierte“ (Börne, 1868.5/6, 206).

    An anderer Stelle mokiert sich Börne über die Prioritäten des kunstliebenden Königs, des „Zöglings des alten freien Griechenlands“:

    Ist es nicht ein herzzerreißender Jammer, daß der arme Häusler im Spessart, der sich glücklich schätzt, wenn ihm nur drei Tage in der Woche die Kartoffeln mangeln, den Schweiß seiner Hände versilbern muß, damit in einer sechszig Stunden entfernten Stadt, die er nie gesehen, wohin er nie kommen wird, eine Glypthothek, eine Pinakothek, ein Odeon – Dinge, deren Namen er nicht einmal kennt – die eitle Ruhmsucht eines Königs befriedige? (Börne, 1968. 7/9, 131).

    Das Festspiel von Poißl dient Börne als willkommener Anlass, über die politischen Verhältnisse in Deutschland, über Zensur und Unterdrückung zu meditieren:

    Sooft ein deutscher Hofdichter etwas Politisches singt, umgibt er sich mit Glaube, Liebe und Hoffnung. […] Mit Ihnen versüßt er die Tyrannei, mit ihnen spinnt er die Freiheit zu Tode. Übrigens ist es eine nützliche Bedeckung; denn ohne Glaube, Liebe und Hoffnung ertrüge man keinen Tag, ein deutscher Untertan zu sein (Börne, 1868.10/12, 148).

    Insbesondere ergreift Börne die Gelegenheit, sich über die unmündigen Bürger, das begeisterte Publikum Poißls lustig zu machen:

    „Vergangenheit und Zukunft hieß das Schauspiel, welches alle das dicke Bocksbier, das seit dem vorigen Sommer in den bayrischen Adern stockte, in die freudigste Wallung brachte“ (Börne, 1868.10/12, 146).

    Es handelt sich hierbei um einen zentralen Punkt im Denken Börnes, der bei jeder Gelegenheit betont, dass für ihn die geduldigen Untertanen ebenso schuldig sind wie deren Monarchen: „Ein Volk, das so geduldig auf sich herumtrampeln läßt, verdient getreten und zertreten zu werden“ (Börne, 1868. 7/9, 145) – übrigens eine weitere Gemeinsamkeit mit dem geliebt-gehassten Heine, der das deutsche Volk als „schlafenden Michel“ apostrophiert. Börne wirft dem deutschen Volk seine Trägheit und Geduld vor („die Geduld, Beherrscherin der Deutschen und der Schildkröten“ (Börne, 1865, 11) und ist bei jeder Gelegenheit darum bemüht, die Falschheit der Argumentation der Obrigkeit zu entlarven:

    „Wir sollen die reifen Früchte nicht brechen, sondern warten, bis sie verfault von den Bäumen fallen. Die Zeit macht das Korn reif, aber sie pflügt nicht; die Zeit hat uns immer betrogen, wir borgen nichts mehr auf ihre Wechselbriefe“ (Börne, 1968. 7/9, 101).

    Börne sieht auch hier seine Aufgabe darin, den Leser aufzustacheln und zum Nachdenken zu bewegen:

    „Das lange Stubenleben hat die Deutschen dem öffentlichen entwöhnt, und das beständige Tragen von Schafs- und Wolfspelzen hat Niedere und Vornehme, gegen den Eindruck jedes Lüftchens empfindlich gemacht“ (Börne, 1968.1/2, 86).

    Börne stellt klar, dass er nicht sehr viel von der „Errettung“ Griechenlands hält, und zwar nicht nur was deren Inszenierung durch Poißl betrifft, über dessen Naivität er sich immer wieder lustig macht. Er kommentiert das symbolische Wiederaufblühen der griechischen Landschaft („Wie freue ich mich, dass die verbrannten Olivenfelder wieder grün werden; jetzt können doch die armen Griechen wieder Salat essen.“ (Börne, 1968. 10/12, 74) und weist auf die Machenschaften hinter den bunten Kulissen hin:

    „Ich fürchte sehr, dass wenn der griechische Himmel das wahre Verhältnis der Sache erfährt, er sein Beyrisch-Blau wieder ausziehen und seinen grauen Schlafrock wieder anziehen wird“ (Börne, 1968. 10/12, 75).

    Zentraluntersuchungskommision in Athen: Börnes Vision

    Börne geht in seiner Kritik über die Geschmacklosigkeit des Dichters und die Stumpfheit des Publikums hinaus, indem er sich das zukünftige Zusammenleben in Griechenland vorstellt. Er nutzt den im Diskurs des Philhellenismus allgemein und bei Ludwig I. insbesondere verbreiteten Topos der Wiederentdeckung von Hellas im zeitgenössischen Griechenland 10So parallelisierte Ludwig I den Befreiungskampf mit den Perserkriegen, Botzaris mit Leonidas und äußerte den Wunsch, dass der griechische Befreiungskrieg „das alte Hellas aus langem schweren Schlaf verjüngt erweckt“. Vgl. Wünsche, 1993, 44. und entwirft, als Fortsetzung und zugleich Parodie des Festspieles von Poißl, seine Vision des „bayrisch-russisch-englisch-französisch-hellenischen Reiches“ (Börne, 1868. 10/12, 146). Er beschreibt den Einzug Ottos und seiner Bayern in das (antike!) Athen: Plato „bekommt Angst und versteckt die Republik“, Perikles „reicht seiner Freundin Aspasia den Arm“ und König Otto erklärt, dass Griechenland „in den ältesten Zeiten“ zu Bayern gehörte und zeigt zum Beweis auf den Himmel, der „die bayrische Nationalfarbe“ trägt. Börne schildert die Maßnahmen mit denen die bayrische Obrigkeit versucht, in Griechenland für Ordnung zu sorgen: die Verleihung königlicher Orden (Aristoteles etwa erhält „das Diplom als geheimer Hofrat“, Alkibiades „den Kammerherrnschlüssel“) und vor allem die Einführung einer zentral-Untersuchungskommission vor Ort. Die berühmten Athener (der Antike): Staatsmänner, Künstler, Strategen, Dichter und Philosophen –Börne führt all jene Namen auf, welche einem jeden europäischen Bildungsbürger ein Begriff sind – finden sich plötzlich den Methoden Metternichs ausgeliefert: Hippokrates wird nach Augsburg versetzt, die geistreiche Aspasia nach Ägypten verbannt, Diogenes zum Zuchthause verurteilt. Börne ergreift die Gelegenheit, die bewährten Strafmaßnahmen der Heiligen Allianz gegen „demagogische Untriebe“ anzuprangern:

    „Die Schuldigsten waren schon vor der Untersuchung erschossen worden“ (Börne, 1968. 10/12, 76).

    Das griechische Volk jedoch (zumindest die Hellenen, im Gegensatz zu den Neugriechen, scheint Börne zu suggerieren), setze sich, (wie zu erwarten heroisch) zur Wehr. Dies aber ist die Haltung eines Volkes, wie sie sich Börne von den Deutschen erhofft, da er der Überzeugung ist:

    „jede Tyrannei die ein Volk duldet, übt es selbst und es hat sie zu verantworten“ (Börne, 1968. 3/4, 209).

    Im Gegensatz zu Poißls gänzlich allegorischem Festspiel finden sich in Börnes Vision von der Bayernherrschaft in Griechenland durchaus konkrete Wirklichkeitsbezüge. So rekurriert das Ende der Vision auf Ludwigs systematische Sammlertätigkeit; Es ist bekannt, dass der König über Jahre hinweg Altertümer erwarb, um seinen Traum von München als „Isar-Athen“ zu verwirklichen (Wünsche 1993, 21ff.). Börne schildert, wie die Athener, als sie mitbekommen, dass der junge König mit seinem Vater den Abtransport sämtlicher Tempel und Statuen in einem „geheimen Vertrag“ vereinbart hat, „den armen Herrn von Klenze“ mit einigen „der schönsten antiken Steine mit Basreliefs“ bewerfen und den jungen König mit dem nächsten Schiff nachhause schicken (Börne, 1868.10/12, 147).

    Man könnte meinen, Börne nehme hier das Ende der Bayernherrschaft in Griechenland vorweg, doch was Leo von Klenze betrifft liegt er nicht richtig: König Ludwig distanziert sich nach dem Befreiungskrieg von seinem früheren Vorhaben, Antiken nach München zu bringen (Wünsche, 1993, 45). Tatsächlich wird Klenze 1834 von Ludwig nach Athen geschickt, um sich der Altertümer anzunehmen, doch im Gegensatz zu Börnes böser Vorahnung ist dieser bemüht, der Zerstörung (Ludwig war ob „der barbarischen Handlungsweise von Lord Elgin“ empört) Einhalt zu gebieten: er setzt ein verschärftes Denkmalgesetz durch und lässt die Ruinen bewachen (Wünsche, 1999, 16).

    Fazit

    Die besondere Popularität der Griechenlandthematik im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts erklärt sich durch die Koexistenz unterschiedlicher ideologischer Besetzungen von Griechenland und dem griechischen Befreiungskampf im Kontext des deutschen Philhellenismus (Polaschegg, 2005, 265, Meyer, 2013, 17). In den Worten eines Zeitgenossen:

    Alle Parteien vereinigen sich in dem Interesse für die Griechen. Die Frommen werden von der Religion, die Gebildeten von den klassischen Erinnerungen, die Liberalen von der Hoffnung auf altgriechische Republiken als Vorläufer und Pflanzschule der künftigen allgemeinen Demokratisierung, Republikanisierung Europas […] bewegt.11So Jacob Sendtner, 1822. Zitiert bei Meyer, 2013, 18.

    Von dieser Mehrfachkodierung kommt bei Poißl, wie zu erwarten, der Aspekt des Christentums und der Antike zum Tragen: in den aufständischen Griechen wird das christliche Volk, das den islamischen Unterdrücker abwerfen konnte und zugleich die Nachfahren der bewunderten Antike portraitiert. Börne hingegen vertritt die liberale Position, welche im Befreiungskampf der Griechen ein Beispiel für den Freiheitskampf eines Volkes gegen eine absolutistische Herrschaft sieht, und ihn somit als eine weitere Etappe in der europäischen Welle von Unruhen gegen den Despotismus begreift. Aus seiner Sicht ist die Thronbesteigung eine Niederlage, weshalb er sich überhaupt mit dem Festspiel von Poißl abgibt. An der Reaktion Ludwig Börnes wird nicht nur die Skepsis gegenüber dem exaltierten Hellas-Enthusiasmus („dem Könige ist Hellas in den Kopf gestiegen“) deutlich, sondern vor allem die Enttäuschung der liberalen Intellektuellen über die Einrichtung eines Bayrischen Königtums in Griechenland und über die Durchsetzung – auch auf diesem Terrain- der Interessen der europäischen Großmächte. Das allegorische Festspiel von Poißl dient Börne demnach vor allem als Anlass, um über Selbstbestimmung und Fremdherrschaft zu reflektieren – in Bezug auf den neuen griechischen Staat, aber vor allem seine deutsche Heimat.

    Zusammenfassung

    Die Thronbesteigung Ottos wird im Spiegel zweier Zeittexte besprochen, dem verklärenden allegorischen Festspiel Nepomuk von Poißls Vergangenheit und Zukunft und der sarkastischen Reaktion Ludwig Börnes in seinen Briefen aus Paris. Bei Poißl wird die Thronbesteigung als Höhepunkt der philhellenischen Bestrebungen des Bayrischen Königs dargestellt, als Hilfestellung an ein Volk, das, dank seiner glorreichen Vergangenheit sowie der Beständigkeit seines christlichen Glaubens, sich dessen würdig erwiesen hat. Otto wird als Retter stilisiert und die Wiederherstellung von Volk und Landschaft inszeniert. Börne kommentiert mit beißendem Sarkasmus die lyrischen Ergüsse Poißls und prophezeit in einer grotesken Vision das Ende des „bayrisch-russisch-englisch-französisch-hellenischen Reiches“. Die Einbindung der Börneschen Kritik in den breiteren Kontext seines Schreibens beleuchtet die ideologische Position und die durchaus ernst gemeinten Kritikpunkte hinter den sarkastischen Kommentaren. Hierbei wird deutlich, dass Börne bei dieser Gelegenheit nicht nur seine Skepsis gegenüber dem Hellas-Enthusiasmus des bayrischen Königs zum Ausdruck bringt, sondern auch die Enttäuschung des liberalen Intellektuellen über die Einrichtung eines Bayrischen Königtums in Griechenland, die er als die Durchsetzung der Interessen der europäischen Großmächte und deren restaurative Agenda betrachtet.

    Einzelnachweise

    • 1
      Poißl, Johann Nepomuk von: Vergangenheit und Zukunft, dramatisches Gedicht in sechs Szenen und zwei Bildern, Libretto, [München], 1832. https://bildsuche.digitale-sammlungen.de/index.html?c=viewer&bandnummer=bsb00054838&pimage=00001&einzelsegment=&v=5p&l=de.
    • 2
      Polaschegg betont, dass die Doppelkodierung des griechischen Volkes als Repräsentanten der Christenheit und der Antike oftmals eine künstlerische Herausforderung für die philhellenische Dichtung darstellt. Polaschegg, 2005, 266ff.
    • 3
      Vgl. hierzu die Ausführungen von Grimm, 1999, 31f.
    • 4
      Zu dem politischen Kräftemessen innerhalb der Heiligen Allianz in Bezug auf die griechische Sache siehe Heydenreuter, 1993, 59 ff. sowie Hering, 1994, 24.
    • 5
      Mit dieser Methode aus privaten Briefen öffentliche Texte zu machen wird Börne zum Mitbegründer einer neuen Tradition, der Bekenntnis und Reportageliteratur. vgl. Jasper, 1989, 186. Siehe hierzu auch Walz, 2001, 128.
    • 6
      Markuse fasst zusammen: „Seine Briefe wurden die gesammelten Barometer-Bericht von drei Revolutionsjahren: abgelesen vom Barometer Börne, einer Quecksilbersäule, die in den Himmel der Freiheit wollte.“ Marcuse, 1977, 183.
    • 7
      Conter erklärt: „Griechenland ist Anlass zur Auseinandersetzung mit der europäischen Politik und Medium der politischen Selbstreflexion oder der politischen Verhandlungen im eigenen Staat“ (Conter, 2004, 435). Vgl. auch Kilchmann die von Griechenland als „literarischen Schauplatz“ spricht, an dem die Autoren der politisierten Vormärzliteratur ihre neuen kunstphilosophischen Paradigmen verhandeln. Kilchmann, 2013, 286.
    • 8
      „[…] dieser kleine Tyrannos und schlechte Poet“ zitiert in Heine, 1977, 58.
    • 9
      Heine wird nach der gescheiterten Märzrevolution 1848 auf diesen Punkt zurückkommen: in seinem Michel nach dem März bezeichnet er „die schwarz-roth-goldne Fahn“ als „alt germanischen Plunder“, die dem Dichter „von deutscher Freiheit die schlimmste Hiobszeitung“ bringt (Heine, 1973, 239-240).
    • 10
      So parallelisierte Ludwig I den Befreiungskampf mit den Perserkriegen, Botzaris mit Leonidas und äußerte den Wunsch, dass der griechische Befreiungskrieg „das alte Hellas aus langem schweren Schlaf verjüngt erweckt“. Vgl. Wünsche, 1993, 44.
    • 11
      So Jacob Sendtner, 1822. Zitiert bei Meyer, 2013, 18.

    Verwendete Literatur

    Galerie