Die Arbeitsmigration der 1960er und -70er Jahre im Spiegel griechischer Künstler in der Bundesrepublik Deutschland

  • Veröffentlicht 08.07.21

Wie fügen sich Bedeutung und Realität der Arbeitsmigranten in der BRD, bekannt als „Gastarbeiter“, in das Werk griechischer bildender Künstler und Filmemacher ein und wie werden sie dort dargestellt? Inwieweit sind diese Künstler mit den Arbeitsmigranten verbunden und in welchem Verhältnis stehen ihre persönlichen Erfahrungen zu dem breiteren Phänomen der Migration? Welches Bild der Arbeitsmigranten versuchen sie durch ihr Werk zu vermitteln und auf welche Art und mit welchen Mitteln gelingt ihnen dies? Auf welche Art und Weise bringen die „migrierten“ Künstler ihre Fragestellungen in Bezug auf Themen der Migration zum Ausdruck, wie etwa die Lebensbedingungen, und wie spiegelt sich dies in ihrem Werk wider?

Inhalt

    Die Darstellung der Arbeitsmigranten in der BRD durch griechische Künstler

    Die Migrationspolitik des deutschen Staates und der multidimensionale Charakter des Migrationsprozesses infolge der Abkommen zwischen der Bundesregierung und Regierungen von südeuropäischen Staaten, darunter 1960 auch die griechische, hat griechische Künstler, die zu jener Zeit in der BRD lebten, veranlasst, verschiedene Aspekte des Phänomens zu untersuchen und darzustellen (Mousourou, 1991; Mantzouranis,1974, 50; Herbert, 2001; Cooper, 2012). Diese Künstler haben nicht einfach die Migrationsströme in die BRD und die Schwierigkeiten beobachtet, auf die die Arbeitsmigranten stießen, sondern haben auch selbst die typischen Begleiterscheinungen dieses Umzugs ins Ausland erlebt, da sie in den -60er und -70er Jahren auch in die BRD gingen, häufig mit deutscher Unterstützung durch Stipendien des DAAD (Schulte, 05.10.2008). Vor allem in der Zeit der Militärdiktatur haben eine Reihe griechischer Künstler, darunter Alexis Akrithakis, Konstantinos Xenakis, Vlassis Kaniaris, Stathis Logothetis, Kostas Tsoklis und Jannis Psychopedis, die Gelegenheit genutzt, um sich „selbst ins Exil zu schicken“ und gingen mit einem DAAD-Stipendium, vermittelt durch das Athener Goethe-Institut, nach West-Berlin, da das Berliner Künstlerprogramm des DAAD zu jener Zeit ausgebaut wurde. Dies geschah aus zweierlei Gründen, zum einen war da die internationale Politik des DAAD zur kulturellen Öffnung der BRD, zum anderen die partielle Verurteilung des diktatorischen Regimes durch die Bundesregierung (Botsiou, 2010, 301-317).

    Der DAAD unterstützte die kritische Haltung gegenüber dem autoritären Regime, die Johannes Weissert, der damalige Programmdirektor des Athener Goethe-Instituts, zum Ausdruck brachte, und gewährte griechischen Künstlern die Möglichkeit, nach West-Berlin zu ziehen und mit den künstlerischen Tendenzen jener Zeit in Kontakt zu treten. Eine entscheidende Rolle spielte dabei Christos Ioakimidis, Mitglied der Auswahlkommission des DAAD für das Künstlerprogramm, der einen fruchtbaren Dialog zwischen griechischen und westeuropäischen Künstlerkollegen förderte, was man an einer Reihe von Ausstellungen ablesen kann, deren bezeichnendes Beispiel die Ausstellung „Avantgarde Griechenland und Szene Berlin Mai ‘72“ war.

    Diese Künstler, allen voran Alexis Akrithakis, suchten während der Diktatur nach Freiheit des künstlerischen Ausdrucks und schafften es, sich auf diese Weise „selbst ins Exil zu schicken“. Resultat dieser Erfahrung war, dass das Problem der Migration Eingang in die Thematik ihrer Werke fand, da sie nicht nur die Notwendigkeit verspürten, ihre Gedanken auszudrücken, sondern auch die Erfahrungen zu teilen. Selbst konfrontiert mit den Bedingungen der Migration, näherten sie sich den Aspekten der Migration an, beschrieben soziologische Charakteristika der Lebensbedingungen und integrierten sie in ihre Werke, wobei sie Ausdrucksmittel benutzten, die sich von den überkommenen Kunststrukturen entfernten. Gleichzeitig traten sie in Kontakt mit der internationalen Kunstszene. Ein charakteristisches Beispiel ist Vlassis Kaniaris, der während seines Aufenthalts in West-Berlin feststellt:

    Schon seit 1970-71 wandten sich meine Aufmerksamkeit und meine Gefühle dem Problem einer zahlreichen und oft verarmten Gruppe zu, die wir allgemein als Migranten bezeichnen. Mein Ziel ist es, soweit möglich mit Hilfe wissenschaftlicher Daten, die Probleme, Bedingungen, Gründe, Perspektiven eines Kosmos zu bestimmen, der wegen seiner Anzahl fast wie ein europäisches Land ist. Mit allem, was dieses Problem an Realitäten, Träumen, Bedingungen und möglicherweise Perspektiven enthält (Kaniaris, 1992, 21-22).

    Der Künstler nimmt zugleich Bezug auf seine eigene Migration, wenn er sagt, als er selbst mit Koffern, Frau und Kindern und Erfahrungen, die noch nicht Erinnerungen waren, ins Ausland ging, spürte er den Drang und die Problematik, über dieselben Dinge zu sprechen. Und er fand, man müsse einen neuen Weg der Kommunikation finden.1Kaniaris hatte bereits seit 1956 Migration erlebt, da er in Rom und Paris gelebt hatte, bevor er das Stipendium des DAAD erhielt. Vgl. Kontelexidou, 2011, 47. So beginnt Kaniaris Anfang der 70er Jahre während seines zweijährigen Aufenthalts in West-Berlin, Aspekte des privaten Lebens der griechischen Migranten in der BRD durch fotografische Aufnahmen festzuhalten. Auf diesen Fotos werden Szenen aus dem Alltag der Arbeitsmigranten abgebildet, wobei der Schwerpunkt wie auf fast allen seinen Aufnahmen bei deren Kindern liegt. Kaniaris selbst hat erklärt, dass ihn besonders das Leben in der Emigration aus Sicht der Kinder der Migranten interessierte, und deshalb trifft man in seinen Werken häufig auf Figuren von Kindern und auf Kinderspielzeug.

    Sein Interesse für das Kinderalter erscheint auch in den Installationen der Ensembles „Migranten oder Gastarbeiter“, „Ohne Worte“, „Inland“, „Kinderzimmer“, „Kleine Wiege“ und „Spiel“, in denen die Kinder der Migranten die Hauptrolle spielen. Vermutlich versucht der Künstler durch die künstlerische Verarbeitung des Migrantenlebens aus Sicht der Kinder ein Thema zu bearbeiten, das auch seine Kinder betrifft.2Diese Ausstellung reiste 1975-76 durch viele europäische Städte. Vgl. Kaniaris, 1975; Marinos, 2016, 50-62; Kounenaki, 07.10.1992. In dem Werk „Spiel“ zum Beispiel wird ein kleiner Junge in Form einer Drahtpuppe vorgestellt, die einen Wagen zieht. In dieser Installation benutzte der Künstler Kleider seines Sohns, um die Figur anzuziehen, wie er es auch in anderen Installationen macht, in die er auch Spielzeug seiner Kinder inkorporiert. Sein Sohn Alexis erwähnt bezeichnenderweise, dass er sich daran gewöhnt hatte, sich selbst in den Werken seines Vaters zu sehen (Ioannidis, 2016). Folglich sieht man, dass der Künstler die intensiven Situationen, die er selbst als Migrant erlebte, von Zeit zu Zeit in seine Werke integriert und so sein eigenes Erleben preisgibt. Es zeigt also, dass der Künstler dem Thema der Migration nicht fremd gegenübersteht, sondern sich als Teil davon empfindet.

    Dementsprechend sind auch seine weithin bekannten Werke „Perspektive“ und „Kästchen hüpfen“ aus der Reihe „Arrivederci – Willkommen“, mit denen er sich auf die Arbeitsmigranten fokussiert. Er skizziert ihr tägliches Leben und die Schwierigkeiten, auf die sie stoßen, während er gleichzeitig versucht, ihre Gefühle wiederzugeben, die ihm wegen seiner persönlichen Migration vertraut waren. In „Kästchen hüpfen“ z. B. stellt er seine existentielle Besorgnis über die Migration dar. In dieser Installation stehen sechs kopflose aus Draht gebogene und mit abgenutzten Kleidern angezogene Puppen von normaler Größe um das Spiel herum, das mit Kreide auf den Boden gemalt ist. Aber anstelle von Zahlen stehen in den Kästchen Worte, die mit dem Migrantenleben zusammenhängen, wie etwa „schulische Verelendung“, „Fremdenpolizei“, „Wohnungsprobleme“, Gastarbeitergesetzgebung“, Desorientierung“ usw. Dadurch wird das Gefühl der Angst, der Verzweiflung über die Schwierigkeiten bei der Übersiedelung, Neueinrichtung und Anpassung an die neue Umgebung verstärkt. In dieser Installation wird ferner jede Figur von einem Koffer mit dem absolut Notwendigen begleitet, was auf die Bronzeskulptur des deutschen Künstlers Guido Messer verweist, die in Stuttgart gegenüber dem Hauptbahnhof steht. Kopien davon gibt es im Haus der Geschichte in Bonn und am Bahnhof von Nonnenhorn am Bodensee (Burcu Dogramaci, 2019, 328).

    Auch diese Skulptur stellt einen Gastarbeiter in der BRD jener Zeit dar, und ist das Werk eines deutschen Künstlers, der ebenfalls die Migration erlebt hat, da er in Buenos Aires geboren wurde und später nach Deutschland ging, zunächst nach Pforzheim und anschließend nach Stuttgart, wo er Bildhauerei an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste studierte (Beucker/Krüger, 2010). Im Gegensatz zu dem deutschen Künstler wendet sich Kaniaris den Installationen und den Environments zu, indem er alltägliche Objekte in sie aufnimmt, was man auch an dem autobiografischen Werk des Künstlers kroatischer Herkunft Drago Trumbetaš beobachten kann. Mit deutlichen Bezügen auf die Reihe „Migranten“ von Kaniaris hat Trumbetaš seine eigene Einheit von „Migranten“ geschaffen, indem er durch Zeichnungen und Installationen die Lebensbedingungen der ausländischen Arbeiter in seiner Einzelausstellung mit dem Titel „Gastarbeiter in Frankfurt“ im Frankfurter Historischen Museum vorstellte. Trumbetaš, der selbst die Migration erlebt hat, da er 1966 als kroatischer Gastarbeiter nach Frankfurt kam, bemühte sich Werke zu schaffen, durch die er dem Betrachter seine Gefühle mitteilen konnte. Während seines Aufenthalts in der BRD sammelte er archivalisches, fotografisches Material, indem er das tägliche Leben der Gastarbeiter beobachtete und aufzeichnete, wie es anfangs auch Kaniaris getan hatte. Danach jedoch führten ihn die Notwendigkeit, seine Erlebnisse und Gefühle nicht nur darzustellen, sondern auch den Betrachter zu einer direkten Kommunikation und psychologischen Involvierung in dieses gesellschaftliche Problem zu führen, von der fotografischen und zeichnerischen Abbildung zu Installationen und Environments überzugehen. Ein bezeichnendes Beispiel ist die Installation-Environment „Archipel Gastarbeiter“, die im Wesentlichen in der Rekonstruktion seines Mansardenzimmers am Frankfurter Sandweg bestand, wo er als Gastarbeiter gewohnt hatte.3Das Environment bestand aus einem Raum von zwölf qm, ebenso groß wie das Mansardenzimmer des Künstlers, und für den Aufbau benutzte er, wie Kaniaris, Alltagsgegenstände, die er zusammenfügte und in den Raum stellte und so dem Publikum seine persönlichen Lebensumstände und die Lebensbedingungen der Gastarbeiter präsentierte.

    Im Fall von Kaniaris lässt sich beobachten, dass sich der Künstler nicht mit der einfachen Aufzeichnung der Bilder aus der Realität begnügt, sondern auf ihre Rekonstruktion in einem neuen Zusammenhang abzielt. Seine bildnerischen Mittel treten in einen Dialog mit vielen verschiedenen Strömungen der Nachkriegskunst ein wie Neuer Realismus und Arte Povera. Die Alltagsgegenstände, die er benutzt und in den Raum stellt – so wie entsprechend auch der Raum in sein Werk aufgenommen wird – erfahren einen neo-dadaistischen Ansatz. Er greift wie ein Regisseur in diese Gegenstände ein, so dass sie neu definiert werden. Er bewegt sich in Richtung auf eine politische Kunst mit neorealistischen Elementen, die der Kunsthistoriker Michael Fehr als „konkrete Kunst“ bezeichnet hat (Fehr, 1991). Fehr präzisiert, dass die „konkrete Kunst“ nicht die Realität ergänze, sondern ein Teil von ihr sei und beim Betrachter eine reale Erfahrung mit der Nutzung realer Materialien in einem realen Raum hervorrufen wolle (ebd.). Im Rahmen der Verdeutlichung des realistischen Elements/Objekts fügt sich so die Nutzung dieser Materialien ein, die als Mittel zur Komposition und Montage benutzt werden.

    Auch Jannis Psychopedis, der in München und Berlin lebte, befasst sich mit den Arbeitsmigranten in der BRD und zeichnet mittels dokumentarischer Fotos im Verein mit gemalten Skizzen Szenen ihrer Realität auf. Er betätigt sich mit anderen Worten als Augenzeuge der Ereignisse und der Migration. Diese Werke von Psychopedis werden zu Zeugnissen, da sie Belege und Informationen über die Arbeitsmigration in der BRD festhalten und so, wie das Foto eines Dokuments, das Foto als Beweis der Realität oder eines geschichtlichen Ereignisses liefern (Ohff, 1995). Auf einigen davon spielen menschliche Gestalten die Hauptrolle wie z. B. in dem Werk „Der Vater ist weg in Deutschland“ und in der Serie „Heimatkunde“ (Psychopedis, 2005). Das erste stellt eine vierköpfige Familie in Form eines schwarzweißen Familienfotos dar, ein Paar mit zwei Kindern, auf dem das Gesicht des Vaters fehlt. Im unteren Teil des Bildes sind eine Reihe von Fahnen verschiedener Länder ausgebreitet, die zu jener Zeit mit dem Phänomen der Arbeitsmigration zu tun haben, sei es als Empfangs-, sei es als Herkunftsländer von Migranten. Darunter befinden sich die Fahnen von Deutschland, Schweden, der Türkei, Dänemark, Holland, Belgien, Polen und Portugal. Im Fall der Familie begreift man, dass der Vater gegangen ist, nicht nur aus dem Titel der Zeichnung, sondern auch durch zwei Linien, die die Zeichnung durchziehen und dabei die deutsche Fahne und die männliche Figur durchschneiden. In der Serie „Heimatkunde“ trifft man auf zwei Werke mit entsprechenden Bildern griechischer Migranten. Auf dem einen bildet eine schwarzweiße Fotografie eine sechsköpfige Migrantenfamilie ab, die vor bunte Bilder mit Elementen der griechischen Kultur, aber auch verschiedener griechischer Orte gestellt ist, von der Akropolis und dem Erechtheion bis zu Insellandschaften. Im zweiten Werk der Serie gibt es zwei Zeichnungen mit Titel „Vater arbeitet in Deutschland“, die von Fotos mit Szenen aus dem Leben der Migranten stammen. Auf der ersten ist ein Arbeitsmigrant abgebildet, auf der zweiten eine Frau mit zwei Kindern und ihrem Gepäck auf dem Münchner Hauptbahnhof, wo die meisten Migranten ankamen, was man an der Einkaufstüte eines Münchner Geschäfts inmitten des Gepäcks sieht (Neckermann München). Dieselbe Fotografie ist auch in ein Werk der Serie „Anmerkungen zu Renoir“ inkorporiert. Auf dem Foto sind vier Arbeiter bei der Reparatur von Bahngleisen abgebildet. Psychopedis bringt die Migration auf den Punkt mit dem Werk „Gastarbeiter“. Auf dieser Zeichnung ist eine Familie mit Kindern abgebildet, die Gepäck in der Hand hält und sich als Anbieter von Arbeitskraft nach Deutschland aufmacht. Bilder von Arbeitsmigranten sieht man auch auf der Zeichnung „Migranten“, auf der gut gekleidete Männer in einer Schlange darauf warten, die gemäß Gastarbeitergesetzgebung notwenigen Unterlagen vorzulegen, um in die BRD migrieren zu können.

    Das Thema der Migration wird auch in anderen Werken von Psychopedis angesprochen, in denen die menschliche Gestalt abwesend ist. In diesen stellt der griechische Künstler persönliche Gegenstände der Gastarbeiter dar. In dem Werk „Mahnmal des unbekannten Arbeiters“ zum Beispiel sind ein Paar schwarzer Schuhe auf einer Schachtel dargestellt, Fahnen verschiedener Länder, darunter die griechische, sowie ein geöffneter Umschlag mit einer Farbfotografie. Sie zeigt eine griechische Landschaft, in der das Meer und ein intensiv oranger Sonnenuntergang vorherrschen. Die Abwesenheit der menschlichen Gestalt lädt dieses Werk noch mehr auf und intensiviert das Gefühl des Heimwehs der Migranten. Auch Alexis Akrithakis, seit 1967 in Berlin etabliert, schafft unter anderem Werke, die sich auf die Migration beziehen und in denen die menschliche Gestalt abwesend ist. Im Gegensatz zu Psychopedis stellt er in seinen Werken nicht Gegenstände von Migranten dar, sondern fokussiert auf das Arbeitsumfeld der Gastarbeiter, das er auf seine sehr persönliche Art beschreibt. So hat er die Werkeinheit „Fabriken“ geschaffen, die aus Arbeiten besteht, in denen seine charakteristische spiralförmige Schrift mit Symbolen wie Rädern, Kaminen, Flammen kombiniert ist, die von schwarzen Umrissen und intensiven Fliesenfarben begrenzt werden. In den meisten Werken dieser Reihe herrscht die symbolische intensiv rote Fliesenfarbe vor, die auf Flammen und Gefahr verweist. In einem anderen Werk inkorporiert Akrithakis auch Gegenstände, eine Technik, die von der zweidimensionalen Fläche wegführt. Auf diese Weise findet man in seinem Werk eine Kombination charakteristischer Elemente der Pop Art, von Symbolismen und seiner neo-dadaistischen Disposition, indem er sein Werk allmählich von der Leinwand löst und es in den Raum stellt. Sein Werk weist also Bezüge zur sozialen Wirklichkeit auf, gleichzeitig verleugnet es nicht seine Autonomie und seinen Freiheitsdrang. Gleichwohl gehört sein Werk nicht eindeutig zum Kern der Pop Art, sondern teilt gewisse gemeinsame Charakteristika mit ihr wie die Kombination aus Kunst und Leben und die Benutzung von Gegenständen. Im Gegensatz zu den übrigen Pop-Art-Künstlern der amerikanischen und britischen Szene stellt Akrithakis keine spezifischen Bezüge zu Waren, zur Massenproduktion und zu Konsumsymbolen her, nimmt auch keine ironische oder kritische Haltung gegenüber Phänomenen der Popkultur ein. Sein Werk ist mit der deutschen Version der Pop Art und dem starken Element der Kritik und der Politik verbunden, mit der der griechische Künstler wegen seines Aufenthalts in West-Berlin mehr in Kontakt kommt. Man kann ferner feststellen, dass der Einfluss der Pop Art auf Akrithakis‘ Werk eher allgemeiner Natur ist und sich vor allem in Stilelementen wie dem Gebrauch von Fliesenfarbe, ihren Abstufungen und den starken Umrissen zeigt.

    Man kann also die kritische Disposition der Kunst durch den Einsatz von Materialien zusätzlich zur malerischen Fläche und gleichzeitig von Elementen der Dokumentarfotografie beobachten, wie es sich insbesondere in Psychopedis‘ Werk zeigt. Diese Elemente werden kombiniert durch eine Art Fotomontage, eine Technik des Dada, die Künstler des kritischen Realismus in West-Berlin wie Peter Sorge benutzten, um Kritik an gesellschaftlichen Fragen zu üben und gleichzeitig die komplexe Form der Realität aufzuzeigen. Die Fotografie und konkret die Dokumentarfotografie funktioniert also in ziemlich vielen Werken als Rohstoff, den die Künstler bearbeiten, um den Betrachtern die Bilder des Alltags der Gastarbeiter nahezubringen, den sie selbst betrachten, aber auch selbst als Migranten erleben.

    Die Schilderung der Migration in der BRD durch griechische Regisseure

    Die Bilder der Gastarbeiter in der BRD werden durch die „künstlerische Reproduktion der Realität“, wie John Grierson den Dokumentarfilm Anfang des 20. Jahrhunderts definiert hat, zugleich aufgezeichnet und vermittelt. Besonders interessant ist die Tatsache, dass die meisten Dokumentarfilme über die Frage der Migration von Regisseuren gedreht wurden, die die Migration von innen erlebt haben, so wie man es bei den bildenden Künstlern beobachten kann (Aufderheide, 2007). Der griechische Dokumentarfilm über die Migration entwickelte sich zur Avantgarde seines Genres und folgte der Entwicklung der progressiven Bewegungen. Im Gegensatz zum griechischen kommerziellen Kino richteten diese Dokumentarfilme ihr Interesse auf aktuelle politische Themen und folgten dabei künstlerischen Vorbildern der Moderne oder auch der Bewegung des Neuen Deutschen Films, die von 1960 bis in die 1980er Jahre andauerte und die Analyse gesellschaftlicher und politischer Themen in den Mittelpunkt stellte, darunter auch den Alltag der Migranten.

    Touliatos zum Beispiel, selbst ein Gastarbeiter in München und später in West-Berlin, schuf die imaginäre Geschichte eines jungen Tabakarbeiters, der von Kavala nach West-Berlin migriert, mit Titel „Die Emigranten“.4Auszug aus einem persönlichen Interview mit Takis Touliatos, Athen 2018. Auch wenn es sich um einen fiktiven Doku-Kurzfilm handelt, erzählt Touliatos gleichwohl Szenen aus der Realität der Migranten und verrät damit seine Vertrautheit mit dem Thema der Migration. Er enthält nämlich autobiografische Elemente, die identisch sind mit der Geschichte des jungen Migranten, die sich zwischen Griechenland und Deutschland entwickelt. Nikos Golias, der Held des Films, arbeitet im Tabaklagerhaus „Patrikios & Sohn“ in Kavala von der Zwischenkriegszeit bis Anfang der 60er Jahre. Wegen der fortschreitenden Tabakkrise findet sich der Held des Films unter den Migranten wieder, die ihre Heimat verlassen und sich in West-Berlin niederlassen. Um die Atmosphäre der von ihm selbst erlebten Migration und des Alltags des jungen Mannes zu vermitteln, baute Touliatos in einem nordwestlichen Vorort Berlins eine Szenerie auf, die den Tabaklagerhallen von Kavala ähnelte, indem er einen Hühnerstall in eine Werkstatt zur Herstellung von Exporttabak umwandelte. Dort beendete er die Dreharbeiten des Films.5Ebd.

    Auf dieselbe Weise erforscht Lefteris Xanthopoulos das Migrationsproblem aus der Sicht einer tatsächlichen Person in seinem Dokumentarfilm „Jorgos aus Sotirianika“. Es handelt sich um die persönliche Geschichte eines jungen Griechen, der sein gleichnamiges Dorf auf der Mani verließ und sich in Heidelberg wiederfand. In diesem Dokumentarfilm beschreibt Jorgos die ersten Jahre seiner Migration und die Anpassungsschwierigkeiten in einem fremden Land. Auch von deutscher Seite skizziert Fassbinder in der Geschichte seines Jorgos, den er in dem Film „Katzelmacher“ selbst spielt, die Lebensumstände der griechischen Migranten in der BRD und deren Behandlung seitens der deutschen Gesellschaft. Insbesondere bildet Fassbinder, indem er dem Leben eines griechischen Gastarbeiters in München nachgeht, das Drama der Menschen ab, die an den gesellschaftlichen Vorurteilen und der emotionalen und materiellen Ausbeutung ersticken und durch sie eingeengt werden. Hauptthema in diesem Film ist die Fremdenfeindlichkeit der deutschen Gesellschaft und die Dokumentation ihres rassistischen Verhaltens gegenüber den ausländischen Arbeitern als gesellschaftliches Phänomen. Zugleich werden auch Konsequenzen der bestehenden Gastarbeitergesetzgebung beschrieben, nämlich die Abhängigkeit der Wirtschaft von ausländischen Arbeitskräften, die Vorläufigkeit ihres Aufenthalts und die Reaktion der deutschen Bürger auf die Ausländer. Schließlich wird die Präsenz der griechischen Migranten aber wegen ihres Beitrags zur deutschen Wirtschaft toleriert.

    In einem weiteren Film von Xanthopoulos mit dem Titel „Griechische Gemeinde in Heidelberg“ stößt man wieder auf die Beschreibung des Phänomens der Migration. Im Gegensatz zu seinem früheren Film äußert er sich hier zu seiner persönlichen Erfahrung. Es handelt sich um einen auf eigenem Erleben beruhenden Film, in dem er, wie er selbst sagt, „sein eigenes Leben als Arbeiter in Deutschland mit der Realität konfrontiert.6Auszug aus einem Interview von Kyrikos Chatzimichailidis mit Lefteris Xanthopoulos. Chatzimichailidis: Kyriakos Chatzimichailidis, „Xanthopoulos, Lefteris: Interview zum Film Griechische Gemeinde in Heidelberg“, http://www.shortfromthepast.gr/play.asp?id=5&interviewID=1734&size=I&Iang= . Xanthopoulos hat Anfang der 70er Jahre Griechenland verlassen und ist zum Studium nach England gegangen. Um die Studiengebühren bezahlen zu können, fing er an zu arbeiten, mit dem Ergebnis, dass er sein Studium dreimal unterbrechen musste. In Zeiträumen von drei, vier Monaten reiste er von England nach Deutschland und arbeitete als Fabrikarbeiter. Nach Abschluss seines Studiums in England wollte er einen Film drehen, um seine Erfahrungen als Arbeitsmigrant in deutschen Fabriken und im Umgang mit anderen griechischen Gastarbeitern in der BRD mitzuteilen. Das Drehbuch zu diesem Film, das er während seiner häufigen Besuche in Heidelberg geschrieben hatte, war auch seine Diplomarbeit in England.

    Xanthopoulos gelang der Dreh dieses Films durch Unterstützung der Griechischen Gemeinde in Heidelberg und des deutschen Studentenvereins, der ihm die Filmausrüstung zur Verfügung stellte. Anschließend legte er ihn beim Filmfestival von Thessaloniki vor, wo er ausgezeichnet wurde. Wie er in dem Interview ausführt, wusste man zu jener Zeit in Griechenland sehr wenig über das Migrationsthema. Nur der Doku-Kurzfilm „Endstation Kreuzberg“ von Jorgos Karypidis, der sich ebenfalls in Deutschland niedergelassen hatte, war ihm vorausgegangen. Darin wird das Leben der Arbeitsmigranten im West-Berliner Viertel Kreuzberg beschrieben, das in den 60er und 70er Jahren eine Menge Gastarbeiter, vor allem Türken, Griechen, Italiener und Jugoslawen anzog. Durch die Annäherung an die Arbeiter werden dem Zuschauer deren wichtigste Probleme in Bezug auf das tägliche Leben, die Erziehung ihrer Kinder, den Rassismus seitens der Deutschen und die ständige Gefahr der Ausweisung nahe gebracht.

    In die Szenen werden auch Aussagen von Migranten aufgenommen, die in dieser Gegend wohnten, und die ihre Schwierigkeiten, aber auch die Behauptung ihrer nationalen Identität durch ihre Solidarität vortrugen. Auch Xanthopoulos stellt seinerseits die Arbeitsbedingungen und die schwierigen Lebensbedingungen der Migranten dar, allerdings aus der Sicht eines kollektiven Organs, nämlich der Gemeinde der griechischen Arbeiter in Heidelberg (Moudopoulos, 2020).

    Schlussfolgerungen

    Es lässt sich also feststellen, dass die Künstler den gesamten Rahmen der Arbeitsmigration, die Lebensbedingungen und die deutsche Gastarbeiterpolitik, die sich in den 60er Jahren herausbildete, auf den Prüfstand stellen. Der unmittelbare Kontakt dieser bildenden Künstler und Regisseure mit dem Phänomen der Arbeitsmigration in der BRD erlaubte es ihnen, durch ihre Kunst ihre persönlichen Geschichten und Gedanken zu teilen, während sie zugleich versuchten, das emotional aufgeladene Bild des Migranten zu vermitteln. Es gelang ihnen, näher an das Leben der Arbeitsmigranten heranzukommen, in gewisser Weise mit ihnen in Verbindung zu treten, da sie mit ihnen die nationale Identität, eine gemeinsame Vergangenheit und eine gemeinsame Gegenwart in Deutschland teilten. Mit dem Phänomen der Migration vertraut, konnten sie die Schwierigkeiten, mit denen die Arbeitsmigranten konfrontiert waren, besser verstehen. Aus diesem Grund versuchten sie durch Malerei, Fotografien, Installationen, Environments und Dokumentar-Kurzfilme ein intensives Umfeld des Erlebens zu schaffen, um den Betrachter auf gesellschaftlicher und persönlicher Ebene zu sensibilisieren. Auf diese Weise wird zum einen das emotional aufgeladene Bild des gesellschaftlich ausgeschlossenen Arbeitsmigranten übermittelt. Auf der anderen Seite lässt sich die Integration dieser Künstler in die deutsche Künstlerszene und ihre Hinwendung zu modernen künstlerischen Tendenzen feststellen, die die Idee der Kunst mit gesellschaftlichen Bezügen voranbringen.

    Zusammenfassung

    In diesem Essay wird das Bild der „Gastarbeiter“ seitens griechischer bildender Künstler und Regisseure präsentiert, die sich in den 60er und 70er Jahren in der BRD niederließen. Insbesondere wird die Haltung dieser Künstler gegenüber den sozialen Problemen, die sich infolge des griechisch-deutschen Anwerbeabkommens von 1960 im Rahmen der Migrationspolitik der BRD ergaben, überprüft, zumal sie selbst die Begleiterscheinungen dieser Migration erleben. Der Umzug dieser Künstler ist allerdings politischen und nicht wirtschaftlichen Gründen geschuldet, da sie den Weg der „Eigenverbannung“ in die BRD in Zeiten der Diktatur und der Zensur mit Unterstützung von Stipendien des DAAD wählten. Gleichwohl erlaubte ihnen der direkte Kontakt mit dem Phänomen der Migration in der BRD, durch ihre Kunst persönliche Geschichten zu teilen und den ganzen Rahmen und die Aspekte der Arbeitsmigration zu untersuchen. Sie versuchten konkret, durch ihre Werke ein intensives Umfeld des Erlebens zu schaffen, um den Betrachter auf gesellschaftlicher und persönlicher Ebene zu sensibilisieren. Auf diese Weise kann man letztlich feststellen, dass durch die Thematisierung des sozial ausgeschlossenen Migranten die Aufnahme dieser Künstler in die deutsche Kunstszene und ihre Hinwendung zu modernen künstlerischen Tendenzen erfolgt, die den Gedanken der Kulturpolitik mit gesellschaftlichen Bezügen vorantreiben.

    Übersetzung aus dem Griechischen: Ulf-Dieter Klemm

    Einzelnachweise

    • 1
      Kaniaris hatte bereits seit 1956 Migration erlebt, da er in Rom und Paris gelebt hatte, bevor er das Stipendium des DAAD erhielt. Vgl. Kontelexidou, 2011, 47.
    • 2
      Diese Ausstellung reiste 1975-76 durch viele europäische Städte. Vgl. Kaniaris, 1975; Marinos, 2016, 50-62; Kounenaki, 07.10.1992.
    • 3
      Das Environment bestand aus einem Raum von zwölf qm, ebenso groß wie das Mansardenzimmer des Künstlers, und für den Aufbau benutzte er, wie Kaniaris, Alltagsgegenstände, die er zusammenfügte und in den Raum stellte und so dem Publikum seine persönlichen Lebensumstände und die Lebensbedingungen der Gastarbeiter präsentierte.
    • 4
      Auszug aus einem persönlichen Interview mit Takis Touliatos, Athen 2018.
    • 5
      Ebd.
    • 6
      Auszug aus einem Interview von Kyrikos Chatzimichailidis mit Lefteris Xanthopoulos. Chatzimichailidis: Kyriakos Chatzimichailidis, „Xanthopoulos, Lefteris: Interview zum Film Griechische Gemeinde in Heidelberg“, http://www.shortfromthepast.gr/play.asp?id=5&interviewID=1734&size=I&Iang= .

    Verwendete Literatur