Einführung
Der Erste Weltkrieg hatte nicht nur auf politischer, diplomatischer und militärischer Ebene für die europäische und die globale Geschichte eine katalytische Wirkung, er war auch ein wichtiger Meilenstein in einer Reihe von Bereichen politischer Aktivität (Lemonidou, 2020, 141–153). Sowohl während der Kampfhandlungen als auch bei der späteren Bewertung der Ereignisse durch die historische Forschung standen die Entscheidungssysteme und ihr Umfeld mehr denn je im Mittelpunkt des Interesses. Dieser Krieg, der von Natur aus komplex und unübersichtlich, aber gleichzeitig auch entscheidend für die Umgestaltung des globalen Systems war, erforderte schwierige und heikle Entscheidungen, deren Annahme mit Blick auf die Koordination der verschiedenen Einfluss- und Machtpole oft keine leichte Aufgabe war.1Anlässlich des 100-jährigen Jubiläums seit dem Ende des Ersten Weltkriegs ist dieses Thema wieder stark in den Vordergrund gerückt, insbesondere in Bezug auf die viel diskutierte Frage nach den Ursachen und der Schuld an diesem Krieg. Aufschlussreich dazu sind die Schriften von Christopher Clark und Margaret McMillan, die einen Großteil ihrer Analyse den Entscheidungsmechanismen am Vorabend des Krieges widmen (Clark, 2013; MacMillan, 2013). Ungefähr zur gleichen Zeit kam auch ein bedeutender Sammelband zu diesem thematischen Schwerpunkt heraus (Levy/Vasquez, 2014). Differenzen und manchmal auch Konflikte zwischen den verschiedenen Machtzentren in vielen der kriegführenden Länder sind aus der vorhandenen Literatur hinlänglich bekannt. Ein paar Beispiele: In Griechenland führte die Kontroverse zwischen König Konstantin und Premierminister Eleftherios Venizelos über die Vorgehensweise im Krieg zu einer grundsätzlichen Spaltung des Landes, quasi einem Bürgerkrieg; in Großbritannien wurde viel über die unterschiedliche Auffassung zwischen politischer und militärischer Führung in Bezug auf kritische Entscheidungen über Truppenbewegungen an der Westfront berichtet; in Deutschland wurde das faktische Primat des Militärs vor der politischen Führung in der zweiten Kriegshälfte als einer der Gründe angeführt, der maßgeblich zur Schwächung der inneren Front beigetragen habe. Darüber hinaus mussten die Führenden im Gegensatz zu früheren Kriegen nun die immer größere Rolle der öffentlichen Meinung berücksichtigen, die sich in immer mehr Staaten zu einem „starken Arm“ im öffentlichen Leben entwickelte. Gründe dafür waren der Rückgang des Analphabetismus und das rasche Wachstum von Presseorganen und Bevölkerungsdichte in den urbanen Zentren.
Diese neue Realität forderte – zum ersten Mal in einem solchen Ausmaß – die Entwicklung und Umsetzung gezielter Maßnahmen seitens der Zentralbehörden zur Kontrolle von Informationen und zur Beeinflussung der eigenen Bürger – aber auch der Öffentlichkeit außerhalb der Staatsgrenzen.2Zur immer wichtiger werdenden Rolle der öffentlichen Meinung seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert s. den ausführlichen Verweis auf William Mulligans Buch über die Anfänge des Ersten Weltkriegs (Mulligan, 2017, 136–179). Das Informationsmanagement während des Krieges im Allgemeinen – unter anderem auch mittels organisierter Propaganda- und Zensursysteme – stand auch im Mittelpunkt zahlreicher Studien, die sich in der Regel auf bestimmte Beispiele von Staaten oder Aktionen konzentrieren – s. beispielsweise den relativ neuen Sammelband von Troy Paddock, der eine umfassende Herangehensweise an das Phänomen durch eine Reihe nationaler Fälle (Paddock, 2014) vereint, und die Monographie von Olivier Forcades zur Zensur am ikonischen Beispiel Frankreich (Forcade, 2016). Besonders wichtig ist dabei, den allgemeinen Rahmen der Entscheidungsmechanismen in Griechenland während des Ersten Weltkriegs zu untersuchen, einer, wie bereits betont, turbulenten Zeit mit besonders fragilem Gleichgewicht in Bezug auf die innenpolitische Konfrontation und die Positionierung des Landes zum Krieg.3Zu den politischen und diplomatischen Aspekten der griechischen Dimension im Ersten Weltkrieg bleiben weiterhin als Standardwerke die beiden Bücher von George Leontaritis (Leon, 1974; Leontaritis, 2000) sowie die entsprechende Monographie von Giannis Mourelos (1983). Siehe auch das Buch von George Mavrogordatos (2015) über die Nationale Spaltung. Zu einer aktuellen Übersicht zu diesem Thema s. Lemonidou, 2020, 163–194. Vor diesem Hintergrund und neben vielen anderen offenen Fragen sind die Rolle und die Einflüsse des deutschen Faktors in all seinen Erscheinungen und Formen in Bezug auf dieses Szenario von besonderem Interesse, nicht nur, weil Deutschland, als eigentlicher Anführer der Mittelmächte, ein zentraler Bezugspunkt für viele periphere Fragen des Krieges war, sondern auch, weil die deutsch-griechischen Beziehungen zu diesem Zeitpunkt besonders verwickelt waren. Betrachtet man das Ganze aus der Distanz der ersten Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts, erkennt man, dass der Zweite Weltkrieg mit der katalytischen Erfahrung der deutschen Besatzung Griechenlands das äußerst interessante Szenario des vorherigen Weltkrieges in Bezug auf die deutsch-griechischen Beziehungen definitiv überschattet hat.
Der durchschnittlich gebildete griechische Bürger verfügt meist nur über ein begrenztes, schemenhaftes Wissen über den Ersten Weltkrieg. Obwohl viele einzelne Aspekte dieser Beziehungen systematisch untersucht wurden – und weiterhin untersucht werden –,4Siehe dazu die relativ neuen Artikel von Kostas Loulos (2010) und Stratos Dordanas (2015). Die Autoren widmen sich zusätzlich der Vorgeschichte und den Folgen der bilateralen Beziehungen. Auch Elli Lemonidou (2017) gibt einen Überblick über die vielfältigen deutsch-griechischen Beziehungen während des Krieges, wobei ihr Schwerpunkt auf den Entwicklungen des Jahres 1917 liegt. kann man mit Sicherheit behaupten, dass es immer noch viel zu tun gibt, sowohl durch die Nutzung unbekannter oder ungenügend erforschter Primärquellen, als auch durch die Untersuchung neuer Fragen im Zuge der neuesten internationalen Forschungsströmungen bezüglich des Ersten Weltkriegs.5Das Thema kann sowohl mit der allgemeinen Verschiebung der historiografischen Forschung zum Ersten Weltkrieg in den letzten Jahrzehnten in Verbindung gebracht werden , bei der mittlerweile besondere thematische Studien (in der Regel von sozialem, wirtschaftlichem und kulturellem Interesse) im Vordergrund stehen, als auch mit der Forderung nach einer wesentlichen Ausweitung der Forschung auf die sogenannten Sekundärfronten, um die jahrzehntelange wesentliche Identifikation des Ersten Weltkriegs mit der Westfront zu überwinden und ein wirklich globales und umfassendes Bild der damit verbundenen Ereignisse und Phänomene zu vermitteln. Lücken im Wissen über die deutsch-griechischen Beziehungen in Verbindung mit der breiteren Verwicklung der Deutschen an der Salonikifront finden sich auch in der deutschen Geschichtsschreibung; darauf hat die Verfasserin bereits in Gesprächen mit deutschen Historikern, die sich mit dieser Zeit befassen, hingewiesen, worauf der renommierte Militärhistoriker Markus Pöhlmann für dieses partielle Forschungsgebiet den Ausdruck „notorisch unterforscht“ [notoriously underresearched] verwendet hat.
Um den Einfluss des deutschen Faktors zu untersuchen, müsste man sicherlich alle Besonderheiten des griechischen Aspekts im Ersten Weltkrieg berücksichtigen, wobei die wichtigsten die offizielle Entscheidung zugunsten der Neutralität vom Sommer 1914 bis Juni 1917 und die schmerzliche Spaltung der inneren Front rund um die Frage nach der Haltung, die Griechenland in Anbetracht der Kampfhandlungen einnehmen sollte, sein dürften. Ebenfalls sollte der Gesamtkontext der deutschen Politik im gleichen Zeitraum berücksichtigt werden und insbesondere die strategischen Entscheidungen und Aktivitäten in Bezug auf das erweiterte Gebiet des Balkans und des Nahen Ostens.
Kanäle deutschen Einflusses in Griechenland
Auf dieser Grundlage bietet die Untersuchung deutscher Einflüsse auf das öffentliche Leben Griechenlands – und insbesondere in den Entscheidungsebenen – eine bemerkenswerte Vielfalt, da diese dynamische Beziehung auf vielen recht unterschiedlichen Kanälen auf persönlicher, institutioneller und ideologischer Ebene Gestalt annahm.
Familienbande
An erster Stelle stehen – und das ist vielleicht der bekannteste Aspekt – die familiären Bindungen von König Konstantin mit dem deutschen Kaiser Wilhelm II., dem Bruder seiner Frau Sophie. Das, in Verbindung mit der Tatsache, dass er selbst an der Preußischen Kriegsakademie in Berlin studiert hatte, trug entscheidend zu einer prodeutschen Haltung bei und diente Konstantin als Leitfaden seiner Handlungen während des Krieges (Lemonidou, 2014). Obwohl er sich der negativen Zusammenhänge bewusst war, die diese Verwandtschaftsbeziehungen (Mavrogordatos, 2015) in der öffentlichen Meinung hervorriefen, blieb er faktisch der Neutralitätspolitik treu, die den deutschen Interessen entgegenkam; dabei erhielt er stets auf institutioneller und privater Ebene die Kommunikationswege zum Kaiser aufrecht. Konkret und obwohl er über die besonderen Bestrebungen der griechischen Außenpolitik und die Empfindlichkeiten der öffentlichen Meinung im Bilde war, wollte er sich auf keinen Fall strategische Entscheidungen zu eigen machen, die die deutsche Seite belasten könnten; zu bestimmten Phasen des Krieges – insbesondere im letzten Jahr seiner Regentschaft, aber auch nach seinem Exil in der Schweiz – schien er von deutscher Seite etwas mehr zu erwarten als das, was sie objektiv in der Lage war zu bieten (Lemonidou, 2017).
Der Einfluss der deutschen Bildung
Eng verbunden damit war auch die Tatsache, dass ein Teil von Konstantins engsten Mitarbeitern eine deutsche Bildung und Ausbildung genossen hatten, (wie beispielsweise Ioannis Metaxas und Viktor Dousmanis), oder, wie im Fall Jeorjios Streit, deutscher Herkunft waren. Gemeinsamer Nenner dieses Kreises war die Bewunderung der deutschen Kultur und der deutschen Denkweise, mit der alle letztendlich vertraut waren. Ebenfalls war dieser Kreis fest davon überzeugt, dass die von Deutschland in den letzten Jahrzehnten aufgebaute Macht, sowie die als vorbildlich empfundene Organisation und präzise Vorbereitung der deutschen Armee das Reich auf dem Feld praktisch unbesiegbar machten. Diese Tendenz wurde noch durch eine Eigenschaft Konstantins verstärkt: Seine engere Umgebung konnte ihn mit Leichtigkeit entscheidend beeinflussen (Mavrogordatos, 2015, 185). Infolgedessen führte der vereinte Einfluss seiner Familie und seiner Mitarbeiter (der in Konstantins äußerst konkurrierender Beziehung zu Venizelos kumulativ wirkte) zu einer beharrlichen Einhaltung der Neutralität – trotz gelegentlichen Zögerns oder zeitweiliger Rückzieher und trotz des übermächtigen Drucks auf Konstantins Regentschaft während des Krieges – speziell nach der Installation von Einheiten der Entente in Makedonien im Herbst 1915 und der Übergabe der Sperrfestung Roupel an die deutsch-bulgarischen Truppen Mitte des darauffolgenden Jahres (Lemonidou, 2007, 74–80, 218–251).
Propaganda durch die Presse
Das Bild eines allmächtigen und im Krieg unverwundbaren Deutschlands war nicht nur das Produkt der eingeschränkten Weltanschauung einer Führungsgruppe, die eine entscheidende Rolle für das Schicksal Griechenlands spielte. Im Gegenteil, durch die Presse und andere Publikationen fiel diese Wahrnehmung auch in der breiteren Öffentlichkeit auf fruchtbaren Boden. Anteil daran hatte sicherlich auch ein größerer Kreis von Intellektuellen, die entweder selbst in Deutschland studiert hatten oder von Bewunderung für die deutsche Kultur getragen waren, die ihrer Ansicht nach der griechischen eng verwandt war und sich eher an zeitlosen Werten und hohen Idealen orientierte als am vergänglichen Profit.6Dieses Motiv – die Überlegenheit der deutschen Kultur gegenüber dem britischen Merkantilismus – war eine der Schwerpunkte der deutschen Propaganda während des Krieges; Briten und Franzosen betonten dagegen den Glauben an die demokratischen Ideale, im Gegensatz zu den autoritären Merkmalen der deutschen und österreichisch-ungarischen Monarchie. Der entscheidende Faktor war jedoch nichts anderes als der viel diskutierte Propagandamechanismus, den das Reich wenige Monate nach Kriegsbeginn in Athen geschaffen hatte. Dieser Mechanismus unterstand Wilhelm von Mirbach-Harff, dem deutschen Botschafter in Griechenland; treibende Kraft war jedoch der berüchtigte Agent Baron Karl Freiherr von Schenck, der vor dem Krieg als Vertreter der Firma Krupp nach Griechenland gekommen war und ein extrem dichtes und effektives Netzwerk von Beziehungen aufgebaut hatte (Lemonidou, 2007, 41-45). Mit Hilfe erheblicher Geldsummen, die ihm zur Verfügung standen, und mit dem strikten Auftrag, mittels Propaganda eine klare Botschaft an die Griechen zu senden, gelang es Schenck, eine Reihe von Zeitungen in Athen und der Provinz zu beeinflussen und so maßgeblich zur Bildung und Verankerung der promonarchischen Front beizutragen; ihm kam natürlich das Prestige zugute, das Konstantin selbst und das Königtum als Institution im Allgemeinen in der damaligen Gesellschaft genoss. Diese Front sollte während der gesamten Dauer der Nationalen Spaltung und noch etliche Jahre nach Kriegsende aktiv und weitgehend intakt bleiben. Schencks Hauptziel war, bei seinen Kontakten ein Klima der Ehrfurcht und Angst vor der mächtigen deutschen Kriegsmaschinerie zu erzeugen; sich ihr zu widersetzen, so suggerierte er, wäre sinnlos bis verhängnisvoll. Erwartungsgemäß weckte die sorgfältig organisierte und wirksame deutsche Propagandakampagne das allgemeine Interesse und bald darauf die Reaktion der Vertreter der Entente in Griechenland, insbesondere die der Franzosen. Die französischen Archive sind prall gefüllt und aufschlussreich in Bezug auf die Resonanz dieser dynamischen deutschen Aktionen: Französische Beamte reagierten anfangs verlegen oder nur abwertend.7Es ist charakteristisch, dass der französische Botschafter Deville angesichts der enormen Summen, die die Deutschen für Propaganda ausgaben, stolz darauf war, französisches Geld zu sparen, indem er nicht die geringste finanzielle Unterstützung für Aktionen dieser Art verlangt habe (Lemonidou, 2007, 42). Bald darauf erkannten sie jedoch den Grad des Einflusses auf die griechische Gesellschaft und setzten – in Anbetracht der Entwicklungen und der Aufwertung der griechischen Frage auf der französischen diplomatischen Agenda – ab Herbst 1915 einen entsprechenden Plan für den Gewinn der griechischen öffentlichen Meinung um.8Zugegebenermaßen waren entsprechende französische Bemühungen weder so gut organisiert noch so effektiv wie die der deutschen Propagandamaschinerie. An dieser Stelle sollte festgestellt werden: Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs führte ein Teil der Deutschen die erfolgreiche frankobritische Propaganda als einen der Gründe für das Scheitern ihres Landes im Krieg an, was später zur Maximierung der Anstrengungen des NS-Regimes auf diesem Gebiet führte. In Griechenland herrschte aufgrund der Dominanz der deutschen Propaganda der Eindruck der militärischen Übermacht, was jedoch die endgültige Dominanz der Entente-Politik in Bezug auf die griechische Frage nicht verhindern konnte.
Die Rolle von Publikationen
Die Presse war jedoch nicht das einzige Mittel zur Verbreitung prodeutscher Ideen in der griechischen Gesellschaft. Von besonderem Interesse sind auch die Verlagspublikationen der Zeit. Eine Studie über Bücher und Broschüren, die von 1914 bis 1918 veröffentlicht wurden, zeigt eine allmähliche Zunahme des Interesses an Fragen zum „europäischen Krieg“, wie der Erste Weltkrieg zu dieser Zeit noch allgemein genannt wurde. In diesem Zusammenhang sind Veröffentlichungen von Interesse, die entweder von Griechen verfasst wurden, oder, noch häufiger, Übersetzungen ausländischer Werke, die zum damals aktuellen Konflikt zwischen den beiden konträren Koalitionen aktiv Stellung nahmen, indem sie die Tugenden der einen oder der anderen Seite anpriesen oder ihre Ideen und Handlungen einfach auseinandernahmen. Im Gegensatz zu dem, was gerade über die organisierte Propaganda in der Presse geschrieben wurde, scheinen die Veröffentlichungen im Verlagsbereich, die sich zugunsten des Entente-Bündnisses aussprachen, zahlenmäßig die Oberhand zu behalten, ohne dass die Zahl der Werke der Gegenseite unbedeutend war. Zu erwähnen ist beispielsweise, dass 1915 ein Band mit dem Titel Der Sieg Deutschlands übersetzt und veröffentlicht wurde, in dem der namentlich nicht genannte Autor die Aussicht auf eine deutsche Vorherrschaft verteidigte und sich unter anderem auf die jüngsten wirtschaftlichen Erfolge der deutschen Nation bezog, auf die besseren wirtschaftlichen Grundlagen im Vergleich zu konkurrierenden Staaten und auf das hervorragende Funktionieren des deutschen Staatsapparats (Unbekannt, 1915).
Ein Jahr später schrieb Athanasios Michas seine persönlichen Erfahrungen in Deutschland nieder, pries dabei die Tugenden des Gastlandes und verwies auch auf die Beziehungen zu Griechenland (Michas, 1916) (unter Berufung auf den Schlüsselsatz eines Deutschen: „Auch wenn die Politik Deutschlands nicht oft freundlich zu Ihrer Heimat war, so war sie auch niemals feindlich gesinnt.“), auf die Ursprünge des deutschen Philhellenismus sowie die ausgesprochen positive Haltung der Höfe von Bayern und Württemberg gegenüber Griechenland im frühen 19. Jahrhundert. Schließlich wurde der Beitrag des bekannten Historikers und Politikers Pavlos Karolidis gewürdigt, der in einem damals kurz zuvor erschienenen Artikel (Gounaris/Christopoulos, 2019, 239) unter anderem die Ansicht vertrat, dass sich Griechenland und Deutschland durch ihre gemeinsame ablehnende Einstellung gegenüber dem Panslawismus, dem zentralen Feindbild per se im öffentlichen Diskurs Griechenlands zu Beginn des 20. Jahrhunderts, auszeichneten (Karolidis, 1917).
Das 4. griechische Armeekorps in Görlitz
Es scheint angebracht, kurz auf das Thema des im Herbst 1916 nach Görlitz verbrachten 4. griechischen Armeekorpses hinzuweisen, auch wenn es den Kern des Themas nicht unbedingt tangiert (Alexatos, 2015). Die Anwesenheit einer beträchtlichen Zahl griechischer Staatsbürger auf deutschem Gebiet im Status eingeschränkter Freiheit wurde von Kontakten zu den einheimischen Deutschen begleitet und trug letztendlich zur Existenz eines informellen Personennetzwerks in der Zwischenkriegszeit bei, dessen Mitglieder teilweise in der Öffentlichkeit präsent waren und die über persönliche Erfahrung mit dem deutschen Alltag und der deutschen Kultur verfügten. Bis zum Kriegsende blieb das Korps von Görlitz bei den deutsch-griechischen Verhandlungen ein geheimes „Ass im Ärmel“, ein Faustpfand, das theoretisch auch bei einer Wende des Kriegsverlaufs sich hätte einsetzen lassen können; das ließ sich später sowohl aus den Äußerungen des nunmehr ins Schweizer Exil verbannten Konstantin aus dem Jahr 1917 (Lemonidou, 2017, 371) als auch aus einem Verweis des Kaisers zu diesem Thema im März 19189Bezug zu einem Schreiben von Werner von Grünau, Mitglied des Kanzleramtes, an Kanzler Hertling vom 10. März 1918 (Bihl, 1991, 400–402). ableiten.
Griechenland und die deutsche Strategie für den Balkan und den Nahen Osten
Ein kritischer Parameter für das Studium unseres Aufgabenbereichs, aber auch der deutsch-griechischen Beziehungen insgesamt während des Ersten Weltkriegs ist schließlich die umfassende Überprüfung der Ziele und Bestrebungen der deutschen Politik in Bezug auf Griechenland zu dieser Zeit. Auf einer ersten Ebene – das Umfeld scheint durch bereits bestehende Forschungsarbeiten klar umrissen zu sein – bestand das Hauptziel Deutschlands darin, seine Rolle im Nahen Osten auszuweiten und zu stärken, um den Einfluss anderer Mächte so weit wie möglich auszugleichen und an die üppigen Ressourcen der Region zu kommen. Zum Erreichen dieses Zieles fiel die Wahl zur Stärkung des deutschen Einflusses auf das in sich zusammenfallende Osmanische Reich; im Ersten Weltkrieg gipfelte diese Anstrengung im Bündnis der beiden Reiche. Darüber hinaus betrachtete Deutschland den Beitritt Bulgariens in dieses Bündnis als eine wichtige Komponente zur Festigung des deutschen Einflusses auf den Balkan. In diesem Rahmen schien Griechenland in der deutschen Strategie lediglich eine komplementäre, wenn nicht marginale Rolle zu spielen. Betrachtet man jedoch einige Monate vor Kriegsende noch einmal die oben erwähnte Aussage des deutschen Kaisers, so ergibt sich jetzt ein leicht verändertes Bild: Griechenland nahm in der vom Deutschen Reich ins Auge gefassten Vision einer Pax balcanica eine strategische Position ein, die auf dem zu Gunsten der Mittelmächte verlaufenden Kriegsabschluss-Szenario basierte.10Es gibt einen klaren Verweis auf die strategischen Vorteile, die Griechenland aufgrund seiner geografischen Lage und nationaler Traditionen mit sich bringe, und auf die Art und Weise, wie diese in den Dienst der deutschen Politik gestellt werden könnten. Es wird auch auf die territorialen Entschädigungen verwiesen, die Griechenland als Ausgleich für den Landverlust gegenüber Bulgarien gewährt werden sollten. In einer ersten Lesart kann dieser Text, sofern er die Gedanken Wilhelms II. genau widerspiegelt, als isoliert und losgelöst von den Aktionen der deutschen Diplomatie während des Krieges betrachtet werden, angesichts des allgemein instabilen und unvorhersehbaren Charakters des Kaisers jedoch nicht als völlig unerwartet. Auf rein strategischer Ebene hatte jedoch die Anerkennung der aufgewerteten Rolle Griechenlands in der Region schon lange vor dem Ersten Weltkrieg in die deutsche Politik Einzug gehalten, nachdem das Land in den beiden Balkankriegen bedeutende Erfolge erzielt hatte (Loulos, 2010, 154–163). Auf jeden Fall steckte hinter den Zeilen dieses Dokuments eine sehr interessante Nuance, die zu dem Gedanken führt, dass während des Krieges – obwohl der vollständige Beitritt Griechenlands zum deutsch-österreichischen Lager aus vielen Gründen de facto unmöglich war – Deutschland dennoch besonderen Wert auf die Wahrung eines Gleichgewichts der deutsch-griechischen Beziehungen legte. Vor diesem Hintergrund kann auch die Gesamtfinanzierung des Propagandamechanismus als Mittel zur Bestätigung des deutschen Einflusses in Griechenland und als Vorsichtsmaßnahme gegen ähnliche Maßnahmen der Entente eine weitaus überzeugendere Erklärung finden. Schlussendlich erinnert dieses anschauliche Beispiel an die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit einer umfassenden Überprüfung der Frage der deutschen Strategie und ihrer Ausrichtung in Bezug auf Griechenland im Laufe des Ersten Weltkriegs sowie aller Methoden zum Erreichen dieser politischen Ziele.
Schlussfolgerungen
Wenn man alle Faktoren, die gerade erwähnt wurden, in ihrer Gesamtheit betrachtet, erkennt man ein äußerst komplexes Umfeld, in dem deutsche Einflüsse auf vielfältige Weise und über verschiedene Kanäle in die griechischen Entscheidungsmechanismen Einzug hielten. Die bestehenden familiären und royalen Beziehungen des Königs von Griechenland und der starke Einfluss der deutschen Bildung auf ihn und einige seiner wichtigsten Mitarbeiter ergänzen in idealer Weise das Prestige, das Konstantin selbst und das Königreich als Institution im Allgemeinen auf einen Teil der griechischen öffentlichen Meinung ausstrahlten. Das positive Image Deutschlands beruhte auf den sichtbaren Ergebnissen des ersten Wirtschaftswunders, das das Land während der Gründerzeit erlebt hatte, auf dem unerschütterlichen Glauben an seine militärische Stärke, aber auch auf der Hervorhebung selektiver Verwandtschaften und Zusammenhänge zwischen griechischer und deutscher Kultur. Träger dieses positiven Bildes waren Personen des griechischen öffentlichen Lebens mit persönlichen Erfahrungen in Deutschland oder solche, die Bewunderung für das Land hegten; aber auch die deutsche Propagandamaschinerie selbst, die sich gleich zu Beginn des Krieges anschickte, dieses Bild in der öffentlichen Meinung zu befestigen und zu nähren, trug dazu bei, mit anderen Faktoren zum ideologischen Zusammenschluss verschiedener Kräfte beizutragen, die letztendlich den Kern des promonarchischen Lagers bildeten. Im Wesentlichen hatte die Berufung auf die deutsche Stärke entscheidenden Anteil daran, die Vorstellung von Konstantin als historischem Führer zu pflegen, der die direkte Unterstützung eines der wichtigsten Staaten Europas genoss. All dies geschah zu einer Zeit, als Deutschland daran arbeitete, seine Vision auf regionaler Ebene durch eine Politik von Allianzen und andere Aktionen mit vielen bekannten, aber auch einigen bisher weniger ausgewerteten Aspekten zu verwirklichen. Dieser Politik wurde in Griechenland aufgrund der Partnerschaft Deutschlands mit althergebrachten Gegnern des griechischen Staates mit vielen Vorbehalten begegnet, allerdings gab es auch einige positive Bewertungen. Es handelte sich um ein Raster mit vielen Akteuren und noch mehr Parametern; seine systematische Untersuchung offenbart den Umfang und die Dynamik der deutsch-griechischen Beziehungen an einem kritischen Wendepunkt europäischer und globaler Geschichte. Die Vertiefung dieses Themas verstärkt die Notwendigkeit einer organischen Einbettung dieser Zeit in das Gesamtbild der deutsch-griechischen Beziehungen im 20. Jahrhundert; zu erreichen wäre das insbesondere durch die Suche nach Verbindungsgliedern in der Politik und in der gegenseitigen Wahrnehmung der beiden Länder auf dem Weg vom einen Weltkrieg zum nächsten.