Ludwig Thiersch

  • Veröffentlicht 16.11.20
12.04.1825,
  • München
— 10.05.1909,
  • München
  • Maler

Ludwig Thiersch (1825–1909), ein Münchener Maler aus evangelischem, griechenland- und antikenbegeisterten Elternhaus, fand ab 1852 sowohl in seiner Eigenschaft als Lehrer der Malerei an der Athener Kunstschule als auch als Maler eine Vermittlerrolle zwischen der traditionellen griechisch-byzantinischen und der akademischen westeuropäischen Malerei und schuf Werke in einem neobyzantinischen Stil.

Ab 1845 studierte Ludwig Thiersch an der Akademie der Bildenden Künste in München Malerei und unternahm in den Jahren 1847 (gemeinsam mit seinem Studienfreund Carl Theodor von Piloty) und 1849 Studienreisen nach Italien, wobei er die Kunst der italienischen Meister und das Volksleben studierte. Thiersch pflegte während dieser Zeit regen Kontakt zu anderen deutschen Künstlern in Rom, darunter auch Vertreter der dort noch wirkenden Nazarener wie Friedrich Overbeck (Kaiser, 2017, 3). Im Herbst 1852 reiste Ludwig Thiersch auf Anregung seines Vaters, des Philologen, neuhumanistischen Pädagogen und Spezialisten für antike und moderne griechische Kultur Friedrich Thiersch (1784–1860), nach Griechenland. Sie trafen sich in Ancona und reisten nach Athen (Schade, 2017, 3 ff.). Dort wurde Ludwig Thiersch im Februar 1853 durch deren Direktor Lyssandros Kaftantzoglou zum Dozenten für Malerei an der Königlichen Schule der Schönen Künste berufen. Neben seinen eigenen Kenntnissen der griechischen Sprache und Kultur und seinem Philhellenismus dürften auch die Kontakte seines am Hof Ottos bestens vernetzten Vaters Friedrich Thiersch zu dieser Berufung beigetragen haben (Kaiser, 2017, 193). Durch seine Tätigkeit an der Athener Kunstschule spielte Thiersch eine wesentliche Rolle bei der Vermittlung des westeuropäischen Kunstverständnisses im neu gegründeten Königreich Griechenland. Zu Beginn vermittelte Thiersch den Studenten ausschließlich „grundlegende akademische Lehrinhalte“ (Kaiser, 2017, 195). Das Ziel war, die Studenten soweit auszubilden, dass sich eine zeitgemäße Kunst von innen heraus in Griechenland entwickeln konnte.

Im Dezember 1852, kurz vor seiner Berufung an die Kunstschule, erhielt Thiersch den Auftrag, die neurenovierte russisch-orthodoxe Nikodemuskirche in Athen auszumalen. Diese Arbeit gab dem Künstler die Chance, die moderne, „akademische Malweise der Münchener Schule“ (Kaiser, 2017, 197) mit traditioneller byzantinischer Ikonen- und Freskenmalerei zu kombinieren, wobei er u. a. die Heiligen körperlicher und weniger streng frontal malte, als es bisher üblich gewesen war (Stephan-Kaissis, 2002, 129, 130). Vorbilder für seine Werke fand er in den Fresken und Mosaiken der Klosterkirchen Hosios Lukas und Daphni (Kaiser, 2017, 205). Gleichzeitig schuf Thiersch mit den Fresken, bei denen er Unterstützung durch seine Schüler Spyridon Chatzijannopoulos und Nikiforos Lytras bekam, ein lange währendes Studienobjekt für die griechischen Kunststudenten. Einige von Ludwig Thierschs griechischen Schülern, wie Lytras und später Nikolaus Gysis, kamen nach ihrer Ausbildung in Athen nach München, wobei die meisten bei Thierschs Studienfreund Carl Theodor von Piloty studierten. Gysis wurde später selbst Professor an der Akademie der bildenden Künste München (Kaiser, 2017, 10, 195–197).

Nachdem Ludwig Thiersch 1855 eine vollständige Professur an der Königlichen Schule der Künste unter anderem wegen des Ausbruchs der Cholera in Athen abgelehnt hatte, verließ er die Stadt (Kaiser, 2017, 195). Jedoch scheint seine Wertschätzung der byzantinischen Malerei und seine zeitgenössische Interpretation des orthodoxen Kultbildes über die Grenzen Griechenlands bekannt geworden zu sein, sodass er in den folgenden Jahren europaweit als Spezialist angesehen wurde und Ausstattungen für orthodoxe Kapellen und Kirchen schuf (Kaiser, 2017, 197): 1856 in der griechisch-orthodoxen Dreifaltigkeitskirche in Wien das Deckengemälde, das halbrunde Fresko über der Ikonostasis und zwei Gemälde, 1860–1863 die Gesamtausstattung zweier russisch-orthodoxer Palastkapellen in St. Petersburg, 1880 die Ikonostasis und ein großes Gemälde in St. Sophia in London und zuletzt 1891–1892 Fresken und die Ikonostasis in einer neuen griechisch-orthodoxen Kirche in Paris (Kaiser, 2017, 246 – 255).

In St. Petersburg sollte Thiersch außerdem eine Professur am neu zu schaffendem Lehrstuhl für religiöse Malerei übernehmen, zu dessen Gründung es aber nie kam (Kaiser, 2017, 250).

Anhand seiner Berufung nach Athen und seiner diversen Aufträge zur Ausstattung orthodoxer Kirchen in ganz Europa manifestiert sich Thierschs Ruf als Spezialist für byzantinische Kunst, Erneuerer der traditionellen religiösen Malerei und Vermittler zwischen dem abendländischen und byzantinischen Kunstverständnis. Ludwig Thiersch rehabilitierte als evangelischer Bayer das mittelalterliche Byzanz, er schuf komplexe theologische Zusammenhänge in neobyzantinischem Stil und band Westeuropa stilistisch in die traditionelle Ikonenmalerei Griechenlands ein (Schade, 1979, 12f.). 1891 widmete ihm die Christliche Archäologische Gesellschaft (Χριστιανική Αρχαιολογική Εταιρεία) unter der Leitung von Jeorjios Lampakis eine Einzelausstellung im Zappion in Athen, in der 111 seiner Kartons mit neobyzantinischen Kunstwerken gezeigt wurden. Noch zu Lebzeiten vermachte Thiersch der Gesellschaft viele Kartons seines Frühwerkes (Kaiser, 2017, 5ff.). 2006 zeigte das Byzantinische und Christliche Museum in Athen die Kartons zum ersten Mal im Rahmen eines Forschungs- und Ausstellungsprojekts zur eigenen Sammlungsgeschichte (Kaiser, 2017, 10).

 

Notiz: Der vorliegende Artikel ist im Rahmen des von Prof. Dr. Eleonora Vratskidou geleiteten Forschungsseminars Athen-München-Berlin: künstlerische Verflechtungen entstanden, das im Wintersemester 2019/2020 am Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik der Technischen Universität Berlin durchgeführt wurde.

Verwendete Literatur

Zitierweise

Elisabeth Henne: «Ludwig Thiersch», in: Alexandros-Andreas Kyrtsis und Miltos Pechlivanos (Hg.), Compendium der deutsch-griechischen Verflechtungen, 16.11.20, URI : https://comdeg.eu/artikel/100217/.