Einleitung
Eine Reihe von Wissenschaftshistorikern und Historikern des städtischen Raums haben sich die Frage gestellt, auf welche Weise Gebäude, unter deren Dach wissenschaftliche Erkenntnis gewonnen wird, auf das städtische Umfeld, in das sie eingebettet sind, prägend einwirken bzw. von diesem selbst geprägt werden. Die Art der symbolischen Signale, die die Architektur wissenschaftlicher Zweckgebäude aussendet, ebenso aber auch die Art und Weise, auf die sich wissenschaftliches Handeln als rein praktische Tätigkeit mit dem städtischen Raum verflicht, sagen viel über die wissenschaftliche Erkenntnis aus, die innerhalb dieser Gebäude gewonnen wird. Wie der Historiker und Wissenschaftssoziologe Thomas Gieryn resümiert, etablieren sich Laboratorien, Sternwarten, Universitäten und allgemein der Wissenschaft dienende Gebäude als „Punkte der Wahrheit“ (truth spots), also als bestimmte Örtlichkeiten, die mit wissenschaftlichen Grundlagen und Zielsetzungen verbunden sind und Wissenschaftler in die Lage versetzen, die Gegenstände ihrer Forschung praktisch anzugehen (Gieryn 2006).1Gieryn 2006. Ausführliches zur Diskussion des Verhältnisses zwischen Architektur und Wissenschaft s. d. Einschlägige bei Kraeling/Adams 1960, Shapin 1998, Hannaway 1986, Inkster/Morell 1983, Cahan 1989, Pratt 1985, Rentetzi 2005, Galison und Thomson 1999. Der vorliegende Text befasst sich mit der Gründung der Athener Sternwarte und vertritt dabei die These, dass die 1842 getroffene Entscheidung des neuentstandenen griechischen Staates, ein solches wissenschaftliches Zweckgebäude zu errichten, in engem Zusammenhang mit seiner gedanklichen Ausrichtung auf Modernität steht, zugleich auf das Wesen der griechisch-deutschen Verflechtungen auf architektonischem Gebiet und darüber hinaus auf die materielle Kultur der zeitgenössischen Astronomie verweist.2Der vorliegende Text basiert auf den Untersuchungen über die historischen Instrumente der Sternwarte Athen von Efthymios Nikolaidis (Forschungsleiter am Institut für Geschichtsforschung der Nationalen Forschungsstiftung und Organisator der Ausstellung dieser Instrumente im Historischen Museum der Athener Sternwarte im Sina-Bau (www.hasi.gr/institutions/noa)) sowie auf der Forschungsarbeit von Maria Rentetzi (Professorin an der TU Berlin) über die Architektur wissenschaftlichen Zwecken gewidmeter Gebäude und spezifisch über die Sternwarte Athen. Die einschlägige Literatur dazu bietet die Bibliographie am Ende des Textes.
Sternwarten als Symbole städtischer Modernität im 19. Jahrhundert
Die ersten als staatliche Institution errichteten europäischen Sternwarten waren die 1667 gegründete Pariser Sternwarte und die Sternwarte von Greenwich (1675). Beide Einrichtungen – erstere mit der Französischen Akademie der Wissenschaften, die zweite mit dem Vereinigten Königreich als jeweiligen Trägern – betrachteten als ihr vorrangiges Ziel die Bestimmung geographischer Längen auf See und die Kartographie. Für eine ganze Reihe von Jahren sollten sie die einzigen derartigen Gründungen in Europa bleiben, doch besonders seit Ende des 18. Jahrhunderts wurden als Folge des von der industriellen Revolution ausgelösten Bedarfs an genauerer Zeitmessung eine große Zahl weiterer Sternwarten errichtet, die alsbald auf dem Feld astronomischer Entdeckungen miteinander konkurrierten. Grundsätzliche wissenschaftliche Anliegen waren die Ausmessung der Parallaxe der Gestirne (welche die Richtigkeit des heliozentrischen Weltbild bestätigte), Planetenbeobachtung, Entdeckung neuer Himmelskörper (z.B. von Asteroiden), Himmelskartographie, die Bewegungen der Sterne selbst und, seit Mitte des 19. Jahrhunderts, Spektralanalyse der Himmelskörper. Die Sternwarten und die hinter ihnen stehenden Staaten wetteiferten darin, zur Entdeckeravantgarde zu zählen. Die [Anm. d. Üb.: rechnerische] Entdeckung des Neptun im Jahre 1845 durch Le Verrier befeuerte das französisch-britische Duell, wer hier der erste gewesen sei – ein Zweikampf, der sich zum Gegenstand öffentlicher Auseinandersetzung auswuchs und ganz unerwartet die Stärke der deutschen Astronomie insofern sichtbar werden ließ, als die Pariser Sternwarte nicht mehr über ausreichend fortschrittliche Instrumente für die Beobachtung des Planeten verfügte. So war es Johann Gottfried Galle von der Sternwarte Berlin, der den Planeten 1846 [Anm. d. Üb.: auch optisch] lokalisierte. Es ist die Epoche, in der sich die Deutschen als befähigte Beobachter und als noch befähigter darin erwiesen, Präzisionsgeräte zu konstruieren.
Diese Entdeckungen und die ihnen von der zeitgenössischen Presse zugewiesene Bedeutung vermehrten das Prestige der Sternwarten, die nun in allen bedeutenden Städten des 19. Jahrhunderts gegründet wurden und überall markant ins Auge fielen: lange, schmale oder kreuzförmige Gebäude auf weithin sichtbaren Anhöhen, optisch dominiert von ihren das zentrale Teleskop überdachenden Kuppeln. Sie verfügten über eine Meridianinstallation, die in einem Raum untergebracht war, dessen Überdachung entlang der Nord-Süd-Achse geöffnet werden konnte. Ein von der Stadt oder vom Hafen aus sichtbarer Mast krönte das Bauwerk. Kurz vor Mittag wurde an diesem Mast eine Kugel hochgezogen, die man Punkt 12 Uhr wieder herabfallen ließ, um den Bürgern die genaue Zeit zum Stellen ihrer Uhren bzw. den Seeleuten zum Stellen ihrer Chronometer zu übermitteln. Sternwarten wurden zum unverzichtbaren Bestandteil einer modernen Stadt und des Alltags ihrer Bewohner und damit zum Symbol der fortschrittlichen Wissenschaft des 19. Jahrhunderts. In gleichem Rahmen und unter denselben Prämissen erfolgte 1842 die Gründung der Athener Sternwarte, bei der der Astronom Jeorjios Vouris die führende Rolle spielte.
Die Gründung der Athener Sternwarte
Jeorjios Vouris wurde 1802 in Wien geboren. Sein aus Ioannina stammender Vater war Kaufmann. Wie es sich damals für einen guten Epiroten gehörte, bewahrte er sich die Liebe zu seiner besonderen Heimat und gab sie an seine Familie weiter. Sein Sohn Jeorjios erhielt ersten Unterricht an der Schule der griechischen Gemeinde Wien; nach seiner Gymnasialzeit schrieb er sich an der dortigen Universität ein, wo er von 1820 bis 1824 Philosophie und Jura studierte. Aufgrund seiner hervorragenden Leistungen war er während seiner gesamten Studienzeit Stipendiat. Ganz und gar untypisch für einen Juristen, studierte er anschließend Mathematik bei Andreas Ettingshausen, Professor an der Wiener Universität und Astronomie bei Joseph Johann von Littrow, Direktor der Wiener Sternwarte.
Vouris’ innere Bindung an Griechenland und seine Erwartungen an den neuerrichteten Staat führten ihn 1836 nach Athen, wo er unter Nutzung seiner juristischen Ausbildung die Stellung eines Dolmetschers an der österreichischen Botschaft übernahm. Das damalige Ineinandergehen von Wissenschaft und diplomatischem Austausch erforderte die Modernisierung des griechischen Staates durch Mittel wie die Gründung einer Universität, einer Sternwarte und technischer Ausbildungsstätten. Deutlicher Beleg dafür ist die Gründung der Universität Athen im Jahr darauf und ebenso Vouris’ Berufung zum ordentlichen Professor für die Fächer Astronomie und Mathematik. Er war der erste Professor für diese Fächer an der neugegründeten Universität. Dem Geist der Epoche entsprechend, laut dem eine zeitgemäße Stadt über eine Sternwarte zu verfügen habe, gelang es Vouris mit Unterstützung des österreichischen Botschafters in Athen Prokesch von Osten, den schwerreichen, aus Nordepirus stammenden österreichischen Baron Georg von Sina dazu zu bewegen, 500.000 Drachmen für die Gründung der Athener Sternwarte zu stiften. Von Sina stand damals bereits im Ruf eines Förderers der Wissenschaften und Künste, der Institutionen in Österreich, aber auch in Moschopolis, dem Herkunftsort seiner Familie, finanziert hatte. Prokesch von Osten, der vor seiner diplomatischen Laufbahn beim Militär gewesen war, erkannte klar die Notwendigkeit für den griechischen Staat, insbesondere zur genauen Bestimmung der Uhrzeit und zur Kartographierung des neuen Königreichs über eine Sternwarte zu verfügen. Wie nicht anders zu erwarten, sollte Vouris angesichts der zentralen Rolle, die er bei Sinas Entscheidung gespielt hatte, die Leitung und wissenschaftliche Überwachung ihrer Errichtung übernehmen (Laios 1962).
Das Gebäude und sein gedankliches Konzept
König Otto, der mit Ende der Regentschaftszeit 1837 bereits Vorsitzender des Ministerrats geworden war, verlieh Georg von Sina das Großkreuz des Erlöserordens und sorgte persönlich für einen Architekten und ein geeignetes Areal für die Errichtung der Sternwarte; gleichzeitig stellte er eine Kommission zusammen, der auch Vouris angehörte (Rentetzi/Flevaris 2018).3Ausführliches zur Architektur der Sternwarte Athen s. Rentetzi/Flevaris 2018. Erste Wahl des Königs waren der Lykabettos-Hügel und als Architekt der Deutsche Eduard Schaubert. Dieser wies darauf hin, dass der Lykabettos wegen seines abschüssigen und unregelmäßig zusammengesetzten Geländes ungeeignet sei, und schlug statt dessen den Nymphen-Hügel vor, dessen Name auf das Heiligtum zurückging, das, wie eine in den Felsen rechts vom Eingang des Gebäudes gravierte Inschrift bezeugt, dort in der Antike bestanden hatte.
König Otto genehmigte den Vorschlag für den neuen Standort, der einen Bezug der Sternwarte zur antiken Astronomie insofern herstellte, als er sich in der Nähe der Sonnenwarte von Meton befand, der im 5. Jahrhundert v. Chr. den Mond-Sonne-Zyklus bestimmt hatte. Allerdings verwarf Otto den Bauentwurf Schauberts, weil er vom neugotischen Stil der deutschen Architektur der Romantik und nicht vom Neoklassizismus beeinflusst war. Erst der revidierte Plan, den Schaubert vorlegte und der diesmal von dem jungen dänischen Architekten Theophil Hansen ausgearbeitet worden war, stellte den König zufrieden, denn die neue Version richtete sich diesmal am neoklassischen Stilvorbild aus. Für die Anpassung des endgültigen Plans an die technischen Erfordernisse der Astronomie wurde die Meinung von Vouris’, vor allem aber diejenige des deutsch-dänischen Astronomen der Altonaer Sternwarte Heinrich Christian Schumacher eingeholt.
Theophil Hansen übernahm die Errichtung des Gebäudes. Trotz seiner Ausführlichkeit verdient sein eigener Bericht hier im Original eingerückt zu werden, denn er verweist ebenso auf die gedanklich-konzeptuellen Vorbilder, die dem Gebäude zugrunde gelegt worden waren, wie auf die technischen Vorgaben, die europäischen Vorbildern der Epoche folgten (Aubin et al. 2010):4Einen allgemeinen Überblick über Himmelsbeobachtung im 19. Jahrhundert s. Aubin et al. 2010. [Anm. d. Üb.: Soweit im griechischen Text zitiert, gibt der hier folgende kursive Text den Bericht Hansens im deutschen Original unter Beibehaltung der originalen Orthographie wieder (Quelle: Theophilos Hansen, Die freiherrlich von Sina’sche Sternwarte bei Athen, Wien 1846)].
Mit dem Eintritte Griechenlands in die Reihe der zivilisirten europäischen Staaten und mit der Erhebung Sr. Majestät des Königs Otto auf den griechischen Thron ging in diesem Lande von neuem die Sonne der Kunst und Wissenschaft auf, die einst so hell in demselben geleuchtet, eine lange Nacht hindurch aber ihre belebenden Strahlen diesem Schauplatze vorübergegangener großer Thaten entzogen hatte. Seit dem 25. Januar des Jahres 1833, an welchem Tage der von dem hellenischen Volke gewählte Monarch sein neues Vaterland betrat, kehrte Beruhigung in dem von Krieg und von Parteiungen zerrütteten und verwüsteten Hellas zurück und mit ihr das Beginnen der geistigen Entwickelung des dafür in hohem Grade empfänglichen Volkes. Schulen, Gymnasien und ein Schullehrerseminar wurden organisirt, die Landesuniversität in Athen trat am 27. Mai 1837 ins Leben, und in erfreulicher Weise gedeihet jetzt unter dem Schirme des nur für und in seinem Volke lebenden Königs das Schul- und Erziehungswesen als die Grundlage des künftigen Emporblühens Griechenlands. Reiche, von warmer Vaterlandsliebe beseelte Griechen, welche durch ihre Verhältnisse gebunden im Auslande wohnen, machten den schönsten Gebrauch von ihren Gütern, indem sie reichliche Spenden für die Anstalten zur Bildung des Volkes auf den Altar des Vaterlandes niederlegten.
Unter diesen großherzigen Männern erscheint auch der königl. Griechische General-Konsul in Wien, der Freiherr Georg v. Sina, welcher mit dem regsten Wunsche dem jungen Staate zu dienen, sich an den Gesandten des österreichischen Kaiserthums in Wien, den Herrn Freiherrn von Prokesch, wandte, um dessen Meinung zu erfahren, wie seiner Absicht die wirksamste Folge gegeben werden könnte. Dieser die Verhältnisse des Landes und seine Bedürfnisse kennende Staatsmann riet in Anbetracht daß Griechenland vermöge seiner Lage zum Handel und zur Schifffahrt bestimmt sei und durch diese hauptsächlich sein künftiger Wohlstand bedingt werde, dem Herrn Freiherrn von Sina zur Errichtung einer Sternwarte in Athen, welche der Lehrkanzel der Naturwissenschaften an der neuen Universität noch fehlte. Bereitwillig ging derselbe in den Vorschlag des Herrn von Prokesch ein, wies die zum Bau und zur Ausrüstung eines solchen Gebäudes erforderliche Summe an, und es wurde demnächst der damalige Oberarchitekt Griechenlands, der Herr Ministerialrath Schaubert, mit der Anfertigung der betreffenden Pläne beauftragt. Da man höheren Orts den Wunsch ausgesprochen hatte, die Sternwarte auf dem nordöstlich von Athen gelegenen, den Parthenon auf der Akropolis um 100 Meter Lykabettos zu legen (s. Situazionsplan), so wurden die Pläne für diesen Platz entworfen und ein Gebäude von Kreuzesform im mittelalterlichen Stile gedacht; doch machte Herr Schaubert bei Überreichung des Projekts Sr. Majestät dem König Otto den Vorschlag statt des Lykabettos einen anderen Platz für das zu errichtende Gebäude zu wählen, da der gewünschte wegen der zu hohen Lage auf einem steil emporstehenden Felsen nur mit Mühe zu ersteigen, auch in anderer Hinsicht für den Bau eines Observatoriums nicht geeignet sei.
Der König verfügte daher das Zusammentreten des Herrn Professors Bury, dem die Lehrkanzel der Physik und Astronomie an der Universität übertragen ist, mit dem Herrn Schaubert, und es wurde nun der Vorschlag des letztern, die Sternwarte auf den südwestlich von Athen gelegenen Nymphenhügel zu erbauen, gebilligt und von Sr. Majestät genehmigt. – Der Nymphenhügel liegt außerhalb des jetzigen Umfanges der Stadt in dem Theile des alten Athens welcher Melite genannt wurde. […] So wie sich in den Hügeln Philopappos und Pnyx künstliche Höhlen, in Felsen ausgehauene Treppen, mit dem Meißel abgearbeitete senkrechte und horizontale Flächen vorfinden […], so hat auch der Nymphenhügel auf seiner Nordseite […] ein pittoreskes Ansehen […]. Die Alten nannten sie Εὐμενίδες, die jetzigen Bewohner bezeichnen sie mit dem Namen Καλοκυράδες, benutzen sie aber leider gegen die Gesetze entweder als Schlächtereien oder als Nachtplätze für ihre Heerden. Außer diesen Grotten hatte die Kuppe des Felsens, wo die Sternwarte steht, […] Stellen, welche unberücksichtigt bleiben konnten. Dahingegen hatte die Inschrift
HIEPON ΝΥΜΦΩΝ ΔΕΜΟΣ
welche in den Felsen eingehauen ist, den man in der westlichen Ansicht auf Blatt III, rechts wahrnimmt und welche erhalten werden mußte den Einfluß daß der Raum rings um die Sternwarte nicht genau eben hergestellt werden konnte. In der perspektivischen Ansicht auf Bl. I sieht man rechts den Hügel des Museion – welcher durch die Pnyx von dem sie beherrschenden Nymphenhügel getrennt ist – mit den Resten von dem Denkmal des Syrers Philopappos. Links erhebt sich […], der Felsen des Areopags und hinter ihm die Akropolis mit den Propyläen, dem aus fränkischer Zeit herstammenden Thurm und dem in neuerer Zeit aus den vorgefundenen Trümmern wieder aufgesetzten Tempel der Nike Apteros; links von den Propyläen sieht man das sogenannte Piedestal des Agrippa und unter demselben die im Freiheitskampf errichtete Odysseus-Batterie. Auf der Krone der Akropolis erscheinen die ehrwürdigen Überreste des Parthenon, des Erechtheion u.s.w. […].
Die Aussicht von der Sternwarte ist weit umfassend, und nirgends ist ein Gegenstand der die Beobachtungen am Himmel stören könnte, welcher bis 15 Grad über dem Horizont ganz frei erscheint. […] Gegen Süden schweift das Auge, nachdem es auf der mit […] Gärten bedeckten ebenen Fläche zwischen Athen und dem Meerbusen verweilt, über das ägäische Meer nach Ägina, Poros, Hydra und gegen Südwesten über die Insel Salamis nach den hohen Gebirgen des Peloponnes hinüber. Das Zentrum der Sternwarte ist genau derselbe Punkt von welchem Herr Stademann, ehemals Sekretär der Regentschaft in Griechenland [Anm. d. Üb.: für den noch unmündigen König], sein vortreffliches Panorama von Athen aufgenommen hat. Für diesen Platz nun, welcher in jeder Hinsicht und besonders deshalb zweckmäßig erschien daß seine Lage gerade das passendste Verhältniß zwischen zu hoch und zu niedrig hält, welche beiden Eigenschaften einer Sternwarte nachtheilig sind, wurden die Pläne zu dem Gebäude von Hrn. Schaubert und mir gemeinschaftlich bearbeitet wie sie hier vor uns liegen, wobei jedoch die Bemerkung nicht zu unterlassen ist daß wir uns des Rates des berühmten Astronomen Herrn Schumacher […] zu erfreuen hatten, der auf unser Ansuchen so gütig war uns über die in neuester Zeit gemachten Erfahrungen hinsichtlich der zweckmäßigen Einrichtung der Sternwarten seine Bemerkungen mitzutheilen, wofür ich ihm hiermit öffentlich meine Dankbarkeit zu erkennen gebe. Der Grundriß des für den Lykabettos bearbeiteten Entwurfs wurde im Wesentlichen beibehalten, statt des mittelalterlichen Stils aber wurde aber auf den Wunsch Sr. Maj. des Königs der griechische Baustil angenommen.
Die Pläne wurden allerhöchsten Orts genehmigt, und es vertraute mir der Hr. Freiherr von Prokesch im Namen des Hrn. Freiherr von Sina die Ausführung des Baues an, welche im Okt. 1843 ihren Anfang nahm und im Frühjahr 1846 beendigt wurde. Auf einem bequemen Wege, der auch für Wägen passirbar gemacht ist, steigt man zur geebneten Oberfläche des Nymphenhügels hinauf, welchen die genau nach dem Meridian orientirte Sternwarte gegenwärtig krönt. Vor dem Gebäude wurde eine geräumige, mit Bruchsteinen eingefaßte Rampe angelegt, von welcher eine aus 5 Stufen bestehende, von weißem pentelischen Marmor erbaute Treppe zu dem Eingange des Gebäudes führt, welcher gegen Westen gerichtet ist und durch den man zu dem mit schwarzen und weißen Tinosmarmorplatten belegten Vestibul (Fig. 3, Blatt II) gelangt; dasselbe ist durch zwei Anten von dem Mittelbau getrennt, in welchem dem Eingange gegenüber an dem Hauptpfeiler, die Büste des Stifters der Sternwarte aufgestellt werden soll. Der Flügel rechts vom Mittelbau enthält die Wohnung des Professors der Astronomie, die aus den zwei Zimmern d besteht, von denen eine kleine gewundene Treppe zu den Räumen führt welche zum häuslichen Gebrauch desselben bestimmt sind. Die Tiefe des Fundaments an dieser Stelle war der Anlage eines noch unter jenen Räumen liegenden Kellers günstig.
In dem entgegengesetzten Flügel, dem nördlichen, liegt der Saal b (Fig. 3, Blatt II) der für Vorlesungen und für die Aufstellung des Passageinstruments bestimmt ist. Er hat einen vollständigen Durchschnitt von Ost nach West, welcher in den Fenstern angelegt wurde um die bei andern Sternwarten so unangenehm erscheinenden Einschnitte der vollen Mauern zu vermeiden. […]
Der Hauptpfeiler f (Fig. 3, Blatt II) bildet das Zentrum der ganzen Sternwarte; er steht unmittelbar auf dem vorher horizontal abgeglätteten Felsen, ist seiner ganzen Höhe nach von Hymettosmarmorquadern aufgeführt und mit zwei großen 0,40 Meter starken Platten pentelischen Marmors gedeckt, welche den großen Fußschrauben des Refraktors zur Grundlage dienen. Um diesen Hauptpfeiler windet sich die große aus Tinosmarmor erbaute Treppe, welche sich nach dem ausdrücklichen Rath des Hrn. Professors Schumacher gegen die bei andern Sternwarten beobachtete Weise an den Pfeiler anlegt, weil bei der gewählten Form des Gebäudes und der Anlage auf einem festen Felsen die Flügel gegen das Zentrum wie Strebepfeiler wirken und demselben einen desto festeren Stand verleihen. Die Treppe führt bis zur Höhe der Terrasse, welche für Beobachtungen im Freien dient […].
Der obere Rundbau der Sternwarte ist mit einer von Schmiedeeisen ausgeführten Drehkuppel bedeckt, deren Einrichtung Blatt VI im Detail zeigt, welchem nur wenige Worte hinzugefügt werden dürfen um den Mechanismus der Kuppel zu erklären. […] Vermittelst des 0,6 Meter breiten Einschnittes und der der Kuppel zu gebenden Bewegung ist man nun im Stande den ganzen Horizont zu beobachten, soweit es die die attische Ebene begrenzenden Berge zulassen, was jedoch für die zu machenden Beobachtungen von keiner Bedeutung ist, da der Berg, der der Sternwarte zunächst liegt, der Hymettos, sich nur bis über 15 Grad über den Horizont erhebt. Zum Oeffnen dieses Einschnittes wurde statt einer tangentalen Bewegung der Klappe, wie sie z.B. an der Sternwarte in Berlin ausgeführt ist, hier eine konzentrische angenommen. Auf bronzenen Rollen f bewegt sich die Einschnittsklappe und wird durch das Getriebe g, das durch zwei mit einem Universalgelenk i verbundene Stangen das Rad h in Umlauf setzt, geöffnet und geschlossen, je nachdem die Kurbel des Getriebes rechts oder links gedreht wird; eine Vorrichtung, welche den Vortheil mit sich führte daß dem Eindringen der Feuchtigkeit ganz vorgebaut wird, was ich in noch vollkommeneren Grade durch die kreisrunde Klappe k zu erreichen suchte, welche vermittels des Getriebes l, das durch eine eiserne Kette mit der Stange in Verbindung steht, geöffnet und geschlossen wird. Durch diese Einrichtung war man nun auch in den Stand gesetzt der Kuppel eine Bekrönung zu geben, zu welchem Behuf ich eine ähnliche wie auf dem Thurm der Winde in Athen, d.i. einen Triton wählte, der sich um seine Achse dreht und so als Windanzeiger sowohl von außen als von innen dienen kann. Er ist aus Kupfer getrieben – mit welchem Material auch die ganze Kuppel gedeckt ist – und so wie auch der auf Blatt I, III und IV ersichtliche Thierkreis und die Sterne echt vergoldet, um diese auf dem dunkeln Kupfergrund besser hervortreten zu lassen. […]
Sämmtliches Mauerwerk ist von den Kalksteinen aufgeführt, die auf dem Nymphenhügel selbst gebrochen sind; alle Ecken, Sockel, Pilaster und Architrave, sind von dem bläulichen Marmor des Berges Hymettos, Kapitäle aber, Gesimse, Akroterien, der ganze obere Rand worauf die Kuppel ruht, die auf den Ecken als Schornsteine aufgestellten Vasen, Gewänder der Thüren, die auf der Freitreppe vor dem Eingang aufgestellten, von dem Bildhauer Siegel aus Hamburg angefertigten, zwei Kandelaber, wovon Bl. VII eine detaillirte Zeichnung gibt, so wie endlich das im Fronton angebrachte Wappen des Stifters der Sternwarte sind von schönem weißen pentelischen Marmor hergestellt. Alles Bruchsteinmauerwerk des Gebäudes ist, mit Ausnahme der Sockel, sowohl im Aeußern als im Innern mit Marmorstuck überzogen, der aus einem Theil Kalk und drei Theilen Marmorstaub zusammengesetzt wurde.
Das ganze Gebäude der Sternwarte ist polychrom, jedoch in der Art gehalten daß der weiße Marmor als Hauptton zu betrachten ist. Die Vertiefungen zwischen den Anten sind mit Malereien im griechischen Vasenstil dekorirt, welche die ältesten Astronomen des Alterthums, Pythagoras, Meton u.s.w. darstellen. In den zwölf Feldern des obern Rundbaues sind die 12 olympischen Götter in ähnlicher Weise dargestellt. Die Ausführung dieser Malereien geschah in der Art daß auf gelbem Marmorstuck al fresco der schwarze Grund aufgetragen wurde; der untere Theil der Felder, worin sich diese Malereien befinden, ist mit rotem Marmorstuck überzogen.
Alle Glieder, Kapitäle und Gewänder der Hauptthür sind nach der auf dem Parthenon und an andern atheniensischen Monument noch vorhandenen Spuren polychrom behandelt.
Sämmtliche Arbeiten an der Sternwarte sind von griechischen Bauhandwerkern im Weg der Versteigerung ausgeführt, und nur die Kuppel ist von dem in Griechenland ansäßigen deutschen Schlossermeister Mosner angefertigt worden.“5Umschrift und Übersetzung ins Griechische von Christos Serefos (in: Serefos u.a. 2013, 153 -162). Der Erstausgabe sind auch die Pläne beigefügt, auf die sich Hansen bezieht.
Die Ausrüstung der Sternwarte
Für die Ausrüstung der Sternwarte reiste Vouris 1845 nach Wien, wo gerade eine Ausstellung wissenschaftlicher Instrumente stattfand; dort schaffte er mit Geldmitteln von Sina die ersten Geräte an, die dann 1847 in Athen eintrafen. Diese extrem teuren Instrumente, technisch auf der Höhe der Zeit, waren:
• ein von Starke gefertigtes Meridianteleskop, 94 mm Durchmesser
• ein parallaktisch/äquatorial montiertes dioptrisches Teleskop Typ Fraunhofer, hergestellt von Plössl, 158 mm Durchmesser, mit sechs 75- bis 350fach vergrößernden Okularen
• zwei Pendeluhren (eine von Kessels hergestellte Sternuhr (Nokturlabium), eine weitere für mittlere Zeitmessung, Hersteller Berthoud), ferner ein von Kessels gebautes Chronometer
• fünf kleine Fernrohre zur Aufspürung von Kometen
• ein vollständiger Satz meteorologischer Instrumente (Matsopoulos 2000)
Zum dioptrischen Meridianteleskop im Einzelnen: Es wurde 1845 von der Gesellschaft Starke in Wien gebaut und hatte einen Linsendurchmesser von 94 mm. Der Terminus „Meridianteleskop“ wird für Fernrohre verwendet, die der Koordinatenbestimmung eines Himmelkörpers dienen. Es handelt sich dabei um ein Gerät, das im Inneren für die präzise, mikrometrische Beobachtung mit Fadenkreuzen ausgestattet ist; es dreht sich um eine zum Meridian senkrechte Horizontalachse, wodurch es sich nur auf Meridianebene weiterbewegen lässt. Das Kuppeldach ist in der Weise mit einer Spaltöffnung versehen, dass sich alle Himmelskörper von Nord bis Süd beobachten lassen, die sich auf der Linie des betreffenden Meridians befinden. Unter gleichzeitiger Zuhilfenahme eines Chronometers ermittelt der Beobachter die exakte Zeit, zu der ein Himmelskörper den Meridian passiert. Neben dem Instrument befindet sich zur Bestimmung des Zenith- bzw. Polabstands des Körpers eine entsprechende Skala.
Dies Instrument wurde vor allem vom Uhrzeit-Dienst, also für eine genaue Bestimmung der Tageszeit genutzt, die der Sternwarte täglich oblag. In gleichem Maße wurde es zur Bestimmung der genauen geographischen Koordinaten der Sternwarte verwendet. Vouris’ offizieller Nachfolger, der deutsche Astronom Julius Schmidt, erwähnt in einem Aufsatz mit dem Titel „Die Sternwarte Athen“, dass er das betreffende Teleskop für mangelhaft hielt (Schmidt 1864). 1880 führte der nachmalige Direktor der Sternwarte Kokkidis Beobachtungen zum Höchststand des Mondes durch, um den geographischen Längengrad der Sternwarte zu bestimmen. In seinen Jahresberichten hebt Kokkidis öfters den sehr mäßigen Zustand des Teleskops und seine problematische Handhabung hervor.6J. Schmidt, „Die Sternwarte Athen“, übersetztes Schmidt-Manuskript (wahrscheinlich von I. Mitsopoulos, der auch Schmidts Jahresberichte für die Rechenschaftsberichte des Dekanats übersetzt hat), 1864, Archiv EAA.
Das parallaktisch-dioptrische Teleskop bzw. „Sina-Teleskop“ (Typ Fraunhofer) war zusätzlich mit sechs, 75- bis 350fach vergrößernden Okularen ausgestattet (Plakidis 1969, 476). Es wurde 1845 in Wien von der Firma Plössl angefertigt; die achromatische Linse hatte bei 162 mm Durchmesser eine Brennweite von 250 cm; es war nach deutschem System mit einer Stahlachse äquatorial abgestützt. Dies Teleskop ist vor allem deshalb bekannt geworden, weil es der deutsche Direktor der Sternwarte Julius Schmidt für seine Kartographierung des Mondes benutzt hat. Die topographische Mondkarte, die Schmidt seit 1840, d.h. schon bevor er nach Griechenland kam, und dann bis 1874 ausarbeitete, umfasst 32.856 Formationen wie u.a. Krater, Gebirge, Meere und stellt die vollständigste Karte des Monds vor seiner photographischen Erfassung dar. Sie basiert auf 15jähriger Beobachtung mit dem Plössl-Teleskop, das Schmidt auch für die Beobachtung von Kometen, veränderlichen Sternen und Sonnenflecken benutzte. Es blieb das Hauptinstrument der Sternwarte, bis Dimitrios Ejinitis 1901 das aus französischer Herstellung stammende Gautier-Teleskop anschaffte und installieren ließ. Es wurde im Dachgeschoss des Sternwartengebäudes auf einen speziellen Sockel montiert und war von der Kuppel überdacht, die Theophil Hansen in seinem weiter oben eingerückten Artikel beschrieben hat. In seinem Aufsatz „Die Sternwarte von Athen“ erwähnt Schmidt, dass er bei seiner Übernahme der Direktion der Sternwarte auch die Kuppel des Plössl-Teleskops mit vielen Funktionsstörungen vorgefunden hatte.7Schmidt (wie oben).
Um ein Bild der täglichen Arbeit mit dem Teleskop unter Schmidt zu vermitteln: 1869 wurden 53 Sonnen-, 11 Planeten- und 40 Mondbeobachtungen (samt 140 Zeichnungen) realisiert; dazu kamen ca. 500 Beobachtungen des Dämmerungs- und Zodiakallichts. Dazu kamen die Verfolgung der Mondfinsternis vom 27. Januar und des Winneke’schen Kometen vom 8. Mai bis 26. Juni.8D.K. Kokkidis, „Bericht über die Sternwarte Athen“, Dekanats-Rechenschaftsberichte der Universität Athen, Abt. 13. Der Bericht wurde von Kokkidis eingereicht, weil Schmidt abwesend war und sich in Wien aufhielt.
Vouris sorgte auch für eine Sternuhr (Nokturlabium). Als fähigster Uhrenbauer zu Beginn des 19. Jahrhunderts galt Louis Berthoud. Die Uhr wurde im August 1886 vom Uhrmacher der Sternwarte P. Pieronis justiert.9Inschrift auf der Armatur der Pendeluhr, s. Foto www.hasi.gr./instruments/ast43. Die nach Athen gelieferten Pendeluhren von Berthoud und Kessels sowie das Meridianfernrohr Starke (später Gautier) bildeten fast ein Jahrhundert lang das System, mit dem in Griechenland die Uhrzeit festgelegt wurde. Sie dienten auch für die Normierung weiterer Chronometer für den zivilen wie militärischen Gebrauch (wie z.B. der Schiffschronometer der Kriegsmarine).
Funktionen und Leistungen der Sternwarte unter Vouris
Eine der ersten Pflichten von Vouris direkt nach Gründung der Sternwarte Athen war, deren geographische Breite und Länge mit dem Starke-Meridian und den Uhren von Berthoud und Kessels zu bestimmen. Ein außerhalb des Gebäudes befindlicher Marmorwürfel diente anschließend als Ausgangspunkt für die trigonometrische Vermessung Griechenlands. Vom 20. Mai bis 21.September 1847 bestimmte Vouris auf der Grundlage einer Reihe von Beobachtungen der Zenithdurchgänge des Mondes die Längenposition des Starke-Meridians. Was die Genauigkeit seiner Beobachtungen betrifft, müssen wir berücksichtigen, dass der Starke-Meridian eine zu je drei Bogensekunden unterteilte Silberfelge, aber keine Mikrometerschraube, sondern eben nur eine einfache Scheibe mit eingekerbter Skala besaß. Das Gerät war fest auf zwei großen Marmorpfeilern installiert (Nicolaidis 2002 und Nikolaidis 2013).
Die von Vouris bestimmte geographische Länge betrug 21° 23‘ 33‘‘.45 = 1h 25min 34.23 sec Pariser Zeit, die Breite 37° 58‘ 20‘‘. Die erste Angabe weist eine Abweichung um etliche Bogensekunden, die zweite um eine halbe Bogensekunde auf. Diese Fehler gehen hauptsächlich auf die Unvollkommenheiten des Starke-Meridians zurück, der deswegen später von Schmidt zur Korrektur nach Wien geschickt worden war (Eginitis 1932 u. 1910). Trotzdem verbesserte Schmidt die Messungen von Vouris nicht. Eine Verbesserung erfolgte erst seitens der österreichischen Delegation, die im August 1889 in Griechenland eintraf, um die Vermessung des Landes abzuschließen, mit der die französischen Delegationen der Jahre 1828-1835 nicht zu Ende gekommen waren, und dabei auch eine „Topographische und Katasterkarte Griechenlands“ zu erstellen. Die französischen Teams hatten nur die Vermessung der Peloponnes, Attikas, Böotiens und Euböas zu Ende gebracht. Hinzukam, dass Griechenland gerade erst die Provinz Thessalien hinzugewonnen hatte. Die österreichische Delegation stand unter der Leitung von Oberst Heinrich Hartl (1840-1903). Zum ersten Mal waren an einer solchen Vermessungsdelegation auch griechische Techniker beteiligt, die dem neu ins Leben gerufenen Geographischen Dienst des Heeres angehörten (Nicolaidis 2002).
Vouris hinterließ ein bedeutendes, teils veröffentlichtes, teils unveröffentlicht gebliebenes Werk. Schon vor der Errichtung der Sternwarte und vor dem Ankauf der Instrumente aus Österreich 1843 publizierte er 1839-1841 eine Reihe von der Terrasse seines Hauses aus angestellter meteorologischer Beobachtungen. Er installierte und justierte die Teleskope und bestimmte die geographischen Koordinaten der Sternwarte, die zur Grundlage der Kartographierung des Landes wurden. Ferner führte er Beobachtungen zur Bewegung des Sirius und der Planeten Neptun und Mars aus und bereicherte die Sternenkataloge von Bode und Rumker mit Einträgen zu mehr als 1.000 Sternen. Seine Veröffentlichungen erfolgten in der deutschen Zeitschrift Astronomische Nachrichten, wo er Messungen zur Meridianabweichung und Beobachtungen an Sirius und Mars publizierte. Offenkundig sah Vouris seinen wissenschaftlichen Bezugsrahmen im deutschsprachigen Raum. Zugleich war es die deutsche und österreichische wissenschaftlich-materielle Kultur, vornehmlich mit ihren in Athen genutzten Instrumenten, die nicht nur Vouris’ wissenschaftliche Karriere bestimmte sondern auch seit Ende des 19., mehr noch seit Anfang des 20. Jahrhunderts, den neugegründeten griechischen Staat buchstäblich in die Weltkarte eingetragen haben.
Vouris’ Rückzug und das Ende der ersten Wirkungsperiode der Athener Sternwarte
Bereits kurz nach Indienststellung der Sternwarte kam es zwischen Vouris und der Universität und ebenso dem Erziehungsministerium zum Bruch. Der junge, ehrgeizige Mathematikprofessor der Athener Universität Ioannis Papadakis (1825-1876), Absolvent der französischen École polytechnique, versuchte, den Posten des Sternwartendirektors an sich zu ziehen. Eine auf den 13. August 1853 datierte Eingabe des damaligen Erziehungsministers S. Vlachos an den König belegt die massive Polemik, die sich das Ministerium gegenüber Vouris zu eigen gemacht hatte. Die sehr persönliche Sichtweise und der Hass seiner Kritiker waren oftmals bösartig. So wurde ihm vorgeworfen, die Ruinen auf der Akropolis einreißen lassen zu wollen, um den Horizont für die Sternwarte frei zu bekommen. Bei diesem in fremdsprachigen Vouris-Biographien erwähnten Anwurf handelt es sich um pure Verunglimpfung – einfach, weil die Akropolis nordöstlich der Sternwarte gelegen und der Südhorizont bis heute völlig offen ist. Vermutlich mitausgelöst von der kulturellen Kluft zwischen dem provinziellen Athen und dem kosmopolitischen Wien führten die Vorkommnisse dazu, dass sich Vouris 1855 entschloss, nach Wien zurückzukehren (Matsopoulos 2000, 57).
Trotz Georg von Sinas Bemühungen, Vouris zur Rückkehr an die Athener Sternwarte zu bewegen, blieb dieser nun bis zu seinem Tod in Wien. In dieser Zeit arbeitete er das Material aus, das er im Laufe seiner acht Jahre umfassenden Beobachtungen in Athen zusammengetragen hatte. Er publizierte einen Aufsatz über seine Aktivitäten als Direktor der Athener Sternwarte (Vouris 1857) und bereitete das Material auf, das er, von Sina finanziell gefördert, unter dem Titel Memorien der Athenienser Sternwarte zu veröffentlichen plante. Doch Vouris’ vorzeitiger Tod vereitelte die Publikation, und die Manuskripte wurden von seiner Schwester an die Athener Sternwarte verkauft. Leider gingen diese im Laufe der nächsten Jahrzehnte verloren, so dass ein bedeutender Teil seiner Arbeitsergebnisse unbekannt geblieben ist.
Nach Vouris’ Weggang wurde Ioannis Papadakis zum neuen Direktor bestimmt. Da dieser kein Astronom war und auch sonst kein Astronom einbezogen wurde, blieb das Institut völlig ineffektiv, ebenso ineffektiv auch alles an wissenschaftlicher und kultureller Verflechtung, was Vouris sonst mit der deutschsprachigen wissenschaftlichen Welt angeknüpft hätte. Mittlerweile war 1856 Georg von Sina gestorben, und sein Sohn Simon (1810-1876) hatte nicht nur sein Vermögen, sondern auch dessen mäzenatischen Geist geerbt, der nach dem Vorbild des deutschsprachigen Mitteleuropa strategisch darauf abzielte, den griechischen Staat in die Reihe fortschrittlicher Nationen einzugliedern.
Auch diesmal dazu bereit, die Besoldungskosten zu übernehmen, bemühte sich Simon von Sina darum, einen anderen Direktor für die Athener Sternwarte zu finden. Schon sehr bald bot er Johann Friedrich Julius Schmidt die Position an, auf den ihn der Leiter der Bonner Sternwarte Argelander aufmerksam gemacht hatte. Schmidt, dem schon seit Kindheitsjahren die Beobachtung des Mondes am Herzen gelegen hatte, war damals Leiter der kleinen Privatsternwarte des Barons von Unkrechtsberg im heute tschechischen Olmütz. Er ging auf von Sinas Angebot ein und wurde 1858 Direktor der Sternwarte Athen, an der er bis zu seinem Tode 1884 verblieb (Tsinganos u.a. 2016).
Als Schmidt die Leitung der Sternwarte übernahm, fand er eine Reihe von Instrumenten vor, die er später, vermutlich um 1864, in einem Aufsatz „Die Sternwarte Athen“ selbst beschrieben hat. Als erstes ging er auf das parallaktische Teleskop von Plössl unter der Kuppel ein, das viele Funktionsstörungen aufwies. Auch Starkes Meridianfernrohr funktionierte mangelhaft. Ferner fand er zwei kleine Teleskope zur Auffindung von Kometen vor; unbekannt ist allerdings, was aus den anderen drei geworden ist, die Vouris gekauft hatte. Die beiden Pendeluhren von Kessels und Berthoud befanden sich in gutem Zustand, dazu fand er einen Regenmesser sowie ein Hygrometer vor. All diese Instrumente wurden 1861 auf Kosten von Simon von Sina wiederinstandgesetzt, doch haben wir keine Indizien für die Anschaffung neuer Instrumente während der Ära Schmidt ausfindig machen können. Schmidt realisierte all seine wissenschaftlichen Aktivitäten mit Hilfe der von Vouris gekauften Ausrüstung. Wie Schmidt in seinem Aufsatz erwähnt, umfasste die Bibliothek der Institution 1858 um die fünfhundert Bände. Diese Zahl wurde zu Schmidts Zeiten durch Zukäufe aus Mitteln von Sina und aufgrund verschiedener Schenkungen seitens ausländischer Sternwarten beträchtlich aufgestockt.10Schmidt wie oben.
Zusammenfassend ist zu sagen, dass die Sternwarte Athen eine der ersten wissenschaftlichen Bauten war, die dort mit dem Ziel gegründet wurden, eine Renaissance der antiken griechischen Vergangenheit herbeizuführen (die Bevorzugung des neoklassischen Architekturstils bei der Errichtung des Gebäudes war keineswegs zufällig) und all dies an den damals wissenschaftlich führenden deutschsprachigen Raum anzubinden. Auch wenn sie als erstes wissenschaftliches Zentrum im Land mit für die damalige Zeit außerordentlich hohen Ansprüchen konzipiert und mit astronomischen Instrumenten von erstaunlicher Präzision ausgerüstet worden war, kam es im Land zu keiner Entwicklung der Astronomie, und ebenso wenig gelang es Vouris, in der örtlichen akademischen Community Fuß zu fassen. Im Rahmen des Wandels Athens vom kleinen Dorf zur europäischen Metropole wurde die Sternwarte zu einem Symbol für die vielfältigen Verflechtungen mit dem deutschsprachigen Raum, für König Ottos Vorstellungen über die Modernisierung des griechischen Staates, aber auch für den Widerstand, den die lokale wissenschaftliche Welt gegen diese Sichtweise zeigte.