Christian Heinrich Siegel

  • Veröffentlicht 16.11.20
1808,
  • Wandsbek
— 1883,
  • Athen
  • Bildhauer

Der Bildhauer Christian Heinrich Siegel (1808–1883) war erster Professor für Bildhauerei an der Königlichen Kunsthochschule in Athen (1847–1859). Seine wohl bekannteste Arbeit ist das Denkmal des bayerischen Löwen in Nafplio, für dessen Ausführung er 1838 nach Griechenland ging, wo er sich später dauerhaft niederließ.

Der im damals dänischen Ort und heutigen Hamburger Stadtteil Wandsbek geborene Christian Heinrich Siegel, Sohn eines Kaufmanns, studierte zwei Jahre in Hamburg bei Otto Sigismund Runge (1806–1839), bevor er bei Hermann Ernst Freund (1786–1840) ein sechs Jahre andauerndes Studium der Bildhauerei an der Königlich Dänischen Kunstakademie in Kopenhagen begann. Nur wenige Monate nachdem er sein Studium bei Ludwig Schwanthaler (1802–1848) im Jahr 1837 in München aufgenommen hatte, wurde er von Ludwig I. von Bayern (1786–1868) nach Griechenland geschickt, um dort ein Denkmal auszuführen (Grimm, 1964, 360; Haugsted, 1996, 214).

Ludwig I. von Bayern hegte den Wunsch, für die 1833/34 gestorbenen bayerischen Soldaten ein Denkmal in Griechenland zu errichten. Es sollte an jener Stelle entstehen, an der sein Sohn Otto (1815–1867), König Griechenlands, mit seinen Soldaten erstmals griechischen Boden betrat und ist zudem nahe dem Friedhof vor Pronia, einer Vorstadt Nafplios, gelegen, auf dem die meisten in Griechenland verstorbenen Deutschen begraben sind. Anders als der Auftrag suggerieren könnte, sind viele der Soldaten nicht eines Heldentodes gestorben, sondern erlagen Krankheiten (Baumstark, 1999, 387).

Nach einem ersten Entwurf des zunächst beauftragten Bildhauers Heinrich Imhof (1795–1869) sollte der Löwe auf einem Wappenschild ruhen. Aus der Korrespondenz zwischen Ludwig I. und Leo von Klenze (1874–1864), der mit den organisatorischen Belangen des Denkmals beauftragt war, geht jedoch hervor, dass der König keine heraldischen Attribute wünschte (Glaser, 2007, 31). Nachdem Imhof Bedenken bezüglich der Ausführungsart äußerte, wurde ihm der Auftrag entzogen (Glaser, 2007, 31).

Der maßgeblich an den Ausgrabungen auf der Akropolis beteiligte Archäologe Ludwig Ross (1806–1859) verfasste im September 1838 ein Schreiben an König Ludwig I., in dem er den ihm bekannten Siegel für den Auftrag empfahl. Siegel wurde daraufhin nach Nafplio berufen, um an Imhofs Stelle das Denkmal auszuführen. Siegel wollte zunächst ein Modell des Denkmals in München anfertigen, jedoch hielt es Klenze für angebrachter, sich den Ort und die Umgebung mit eigenen Augen anzusehen. Daraufhin reiste der Bildhauer im Herbst 1838 nach Griechenland (Haugsted, 1996, 214). Er meißelte den vollplastischen schlafenden Löwen bei Pronia direkt in den Fels. Eine Inschrift unter dem Löwen weist den Zweck des Denkmals und Ludwig I. als Finanzier aus. Am 29. November 1841 wurde das Denkmal enthüllt.

Das Konzept für den aus dem Fels geschlagenen Löwen erinnert an den schlafenden Löwen am Grabmal Papst Clemens’ XIII. (1693–1769) von Antonio Canova (vollendet 1792) sowie das Luzerner Löwendenkmal. Letzteres wurde 1820 von Bertel Thorvaldsen (1770–1844) für die 1792 im Kampf um die Tuilerien in Paris gefallenen Schweizergardisten entworfen. Thorvaldsen wiederum folgte in seiner Komposition der Darstellung eines archaischen Löwenbildes vom Ende des 7. Jahrhunderts v. Chr., das Charles Robert Cockerell (1788–1863) auf der Insel Kea entdeckt hatte und von dem er 1811 zwei Skizzen anfertigte (Seidl, 1981, 257).

Es wird vermutet, dass Siegel während seiner Zeit in Nafplio zudem das Philhellenen-Denkmal in der katholischen Verklärungskirche schuf (Roussos-Milidonis u. Jäger, 1992, 25). Das Denkmal wurde von dem französischen Oberst Auguste Hilarion Touret (1797-1858) in Auftrag gegeben und befindet sich auf der Innenseite des Eingangsportals. Es entspricht der Giebelfront eines altgriechischen Tempels mit vier Säulen, auf denen sich eine Liste von 280 gefallenen Philhellenen befindet. Zur Einweihung des Philhellenen-Denkmals im Mai 1841 waren König Otto mit Gemahlin sowie Prinz Maximilian (1811–1864) anwesend (Friedrich, 2015, 23).

Erst sechs Jahre nach Beendigung des Auftrages erhielt Siegel in Athen eine feste Anstellung als erster Professor der Bildhauerklasse an der Königlichen Kunsthochschule in Athen. Durch seine Lehrtätigkeit wurde die Bildsprache des Klassizismus in Griechenland eingeführt. Somit bildete er die erste Generation griechischer Bildhauer aus, zu der unter anderem die Brüder Fytalis (Jeorjios Fytalis, 1830–1880, Lazaros Fytalis, 1831-1909) und Leonidas Drossis (1836-1882) zählten. Ab 1859 wird er in der Hochschule nicht mehr als Professor gelistet (Lydakis, 1972, 35).

Obwohl Siegel durch seine Berufung zum ersten Leiter der Klasse als Hauptvertreter der beginnenden Bildhauerei in Griechenland angesehen werden kann, ist über sein Schaffen nur wenig bekannt. Nach seinem Auftrag in Nafplio restaurierte er den Löwen von Chaironeia (Grimm, 1964, 360). Danach reiste er nach Athen und schuf dort vorwiegend dekorative Arbeiten und Architekturelemente. In den 1840ern schnitzte Siegel Pfeifen aus Meerschaum, die er 1847 in Athen ausstellte (Haugsted, 1996, 214). Er wirkte beim Bau des Königspalastes mit, den Friedrich von Gärtner (1791–1847) entworfen hatte, und führte dort Antefixe, Akrotere und die Kandelaber vor dem Eingang des Schlosses aus (Lydakis, 1972, 177). An der Athener Sternwarte fertigte er ebenfalls die Kandelaber an. Im Rahmen der griechischen Teilnahme an der Pariser Weltausstellung 1855 stellte er zwei klassizistische Kandelaber aus griechischem Marmor aus (Grimm, 1964, 360). Er war zudem an der Restaurierung der Akropolis beteiligt.

Darüber hinaus ist bekannt, dass Siegel Grabmäler und Büsten schuf. Eine Grabstele, die 1864 für das Grab der Elisabeth Wekberg (1795–1864) gefertigt und in Sektion vier des ersten Friedhofs in Athen aufgestellt wurde, lässt sich ihm zuordnen. Die Stele zeigt das Standbild des Morpheus, erkennbar durch einen Mohnblumenkranz. Eine Eule mit Olivenzweig in der unteren linken Ecke verweist auf die Stadt Athen. Eine ähnliche Grabstele hatten 1860 bereits seine ehemaligen Studenten, die Brüder Fytalis, fertiggestellt (Stroszeck u. Frielinghaus, 2012, Tafel 25). Von Königin Amalie (1818–1875) und ihrer Hofdame Julia von Nordenflycht (1786–1842) schuf er Porträtbüsten (Baumstark, 1999, 397). Neben den Arbeiten in Griechenland soll er außerdem 1851 für die Kirche des Heiligen Nikolaus in Hamburg eine Statue des Heiligen Ansgar angefertigt haben (Grimm, 1964, 360).

Zeitgleich mit seiner Professorentätigkeit wurde Siegel 1850 als eine von drei Personen von der griechischen Regierung zur Suche nach rotem Marmor auf die Peloponnes geschickt. Er sollte dort Proben für die Londoner Industrieausstellung 1851 entnehmen. Im Gebirge von Mani wurde er schließlich fündig und kaufte die Steinbrüche. Die Bewohner Manis galten gemeinhin als unabhängig, da sie sich der Autorität jeder Regierung entzogen. Doch Siegel erreichte bei ihnen hohes Ansehen, indem er den Mainotten durch die Arbeit in den Steinbrüchen Verdienstmöglichkeiten bot und bei Konflikten vermittelte. Neben rotem Marmor fand Siegel auch große Vorkommen an weißem Marmor. Begünstigt durch die Nähe zum Meer wurde der weiße Marmor in die Levante und bis nach Konstantinopel verschifft. Siegel wurde zudem persönlich zu König Wilhelm I. von Preußen (1797–1888) gerufen, um neue Bestellungen entgegenzunehmen (Grimm, 1861, 132ff.).

Eine zeitgenössische Zeitschrift berichtet, dass Siegel Anfang der 1860er am Steinbruch in Mani eine Schule einrichtete, in der er die Jugend in der Kunst der Bildhauerei unterrichtete. Um unter den Mainotten leben zu können, eignete er sich die Landessprache an und übernahm die Landessitten. Die Einrichtung seines Hauses wurde davon ebenso beeinflusst wie seine Kleidung (Zerboni di Sposetti, 1869, 507f.). In den Tagebüchern der Dänin Christiane Lüth (1817–1900) finden sich weitere diesbezügliche Hinweise. Unter anderem beschreibt sie, dass Siegel in griechischer Landestracht durch die Provinzen Griechenlands gereist sei (Haugsted, 1996, 214).

Siegel lebte nach seiner erstmaligen Ankunft fast ausschließlich in Griechenland. Von 1843 bis 1846 hielt er sich wieder in Hamburg auf (Grimm, 1964, 360). Dies könnte eine Folge der Ausweisung aller ausländischen Staatsbediensteten aus Griechenland nach der Verfassungsrevolte im September 1843 gewesen sein. 1858 bis 1862 sowie 1873 besuchte der Bildhauer Rom (Noack, 1927, 557). Siegel pflegte zeitlebens Kontakt zu dänischen Kollegen, mit denen er auch Exkursionen durch Griechenland unternahm. Für die Königlich Dänische Kunstakademie in Kopenhagen fertigte er Gipsabgüsse des Westfrieses des Parthenon sowie von Grabstätten, Flachreliefs, Figurfragmenten und weiteren Architekturfragmenten an und verschickte diese nach Dänemark (Haugsted, 1996, 326). 1883 verstarb Siegel in Athen ohne überlieferten Nachlass oder (bekannte) eigene Veröffentlichungen (Grimm, 1964, 361).

 

Notiz: Der vorliegende Artikel ist im Rahmen des von Prof. Dr. Eleonora Vratskidou geleiteten Forschungsseminars Kulturtransfer: Deutsche Künstler in Griechenland entstanden, das im Sommersemester 2019 am Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik der Technischen Universität Berlin durchgeführt wurde.

Verwendete Literatur

Zitierweise

Annika Thielen: «Christian Heinrich Siegel», in: Alexandros-Andreas Kyrtsis und Miltos Pechlivanos (Hg.), Compendium der deutsch-griechischen Verflechtungen, 16.11.20, URI : https://comdeg.eu/artikel/100694/.