Der Landschaftsmaler Carl Rottmann (1797–1850) reiste im August 1834 für zwölf Monate nach Griechenland, um dort, im Auftrag von Ludwig I., Studien historischer Stätten für einen Bildzyklus anzufertigen. Das heute als Griechenlandzyklus bekannte Werk wurde 1850 fertiggestellt und umfasste 23 Gemälde von griechischen Landschaften. Mit einer Schaffenszeit von über fünfzehn Jahren stellt der Zyklus und die Beschäftigung mit der griechischen Landschaft das zeitaufwändigste Projekt des Künstlers dar und gilt noch heute als repräsentatives Dokument der philhellenischen Griechenlanddarstellung (vgl. Schnell, 2012, 340–344).
Als Auftragswerk des begeisterten Philhellenen Ludwig I. ist der Zyklus bereits von vornherein eng mit der damaligen politischen Lage verknüpft. 1832 war in der Londoner Konvention die Herrschaft von Ludwigs minderjährigem Sohn Otto I. beschlossen worden. Mit dem darauffolgenden Beginn der bayerischen Regentschaft 1833 waren hohe Ausgaben verbunden und es war eine Beziehung entstanden, die es zu pflegen galt. Griechenland, als „Wiege der abendländischen Zivilisation“ sollte zu alter Größe zurückgeführt werden, wovon auch Bayern profitieren sollte (vgl. Seewald, 1994, 1). Um die Bindung zwischen Bayern und Griechenland zu stärken und die Bedeutung des antiken Griechenland für Kunst und Wissenschaft hervorzuheben, beauftrage Ludwig I. Rottmann mit Landschaftsbildern, die die historisch wichtigen Stätten Griechenlands zur Geltung bringen sollten (vgl. Schnell, 2012, 324, 340, 308–309; Lange, 1854, 7). Dafür wurde der Zyklus zunächst für den öffentlichen Raum geplant: Im Münchner Hofgarten sollte er als Erweiterung zu einem Bildzyklus zur bayerischen Herrschergeschichte und Rottmanns Italienzyklus angebracht werden und so zur Erziehung des Volkes beitragen (vgl. Rott u. Poggendorf, 2007, 16–18).
Mit diesem politisch bedeutsamen Auftrag begab sich Rottmann am 4. August 1834 auf eine zwölfmonatige Griechenlandreise. Als Reisebegleitung wählte er den elf Jahre jüngeren Architekten und Landschaftszeichner Ludwig Lange (1808–1868), der 1854 ein Begleitwerk zum Zyklus herausgab, in dem er diesen kommentierte und Rottmanns Verständnis von Landschaft deutlicher machte (Lange, 1854). Aus dieser Schrift und aus Briefen der beiden Reisenden geht hervor, welche Route sie wählten und welche Herausforderungen die Reise an sie stellte. Sie reisten über Italien von Ancona mit dem Schiff nach Korfu und erreichten, über Patras und Korinth, am 11. September Nafplio. Hier wurden sie von Otto I. begrüßt und schlugen ihr erstes Quartier auf. Rottmann und Lange unternahmen Expeditionen nach Tiryns, Mykene und Nemea, bis sie im November ihr zweites Quartier in Korinth bezogen. Um den Jahreswechsel reisten sie nach Sykion und im Januar über den Isthmus und Eleusis nach Athen, wo sie bei dem Maler und Offizier Karl Wilhelm von Heideck (1788–1861) unterkamen. Von dort unternahmen sie weitere Expeditionen durch die Peloponnes und besuchten Kap Sounion, Marathon, den Kopaissee, Theben und die Inseln Santorin und Delos.
Bereits von Anfang an wurde deutlich, wie schwierig sich die Erfüllung des Auftrags in dem von Krieg und Zerstörung geprägten Griechenland gestaltete. Die Infrastruktur war schlecht und von dem geschichtsträchtigen, antiken Griechenland, das Rottmann abbilden sollte, war kaum etwas übrig (vgl. Bleyl, 1983, 186f.; Schnell, 2012, 304f.). Die Motivsuche gestaltete sich demnach als mühsam und wurde zusätzlich dadurch erschwert, dass Griechenlands Landschaft von Malern bis zu diesem Zeitpunkt nahezu unerforscht geblieben war. Einzig das Ansichtenwerk Otto Magnus von Stackelbergs (1786–1837) bot wenige gestalterische Anhaltspunkte, an denen sich Rottmann orientieren konnte (vgl. Rott u. Poggendorf, 2007, 40).
Die große Herausforderung des Motivmangels löst Rottmann in der finalen Ausführung seiner Gemälde über die effektvolle Darstellung des Himmels, des Wetters und der Lichtregie, womit er den Orten Symbolkraft verleiht (vgl. Lange, 1854, 8). Obwohl auch den Überresten der antiken Ruinen und den neuen Griechen in einigen Bildern ein Platz eingeräumt wird (Athen [1843/45], Sykion mit Parnaß [1839]), führt der Blick der Betrachtenden meist darüber hinweg in die Ferne und somit in die Weite der Landschaft und des Himmels. In der Literatur werden die Landschaften Rottmanns häufig als historische Landschaften besprochen, in denen ein sehnsuchtsvoller Blick in die Vergangenheit mit einem kritischen Blick in die Gegenwart kombiniert wird (vgl. Bleyl, 1983, 184, 188; Eschenburg, 1998, 63f., 66f.; Rödiger-Diruf, 1989, 199f.). In jedem Fall aber sind Rottmanns Landschaften gegenwärtige Stimmungsbeschreibungen, die über den historischen Schauplatz einen Dialog mit der Vergangenheit eröffnen. Rottmann folgt dabei einer Auffassung, die Landschaft als entscheidenden Faktor für die Entwicklung eines Volkes begreift (vgl. Lange, 1854, 5f.). Auf diese Weise wird die Natur auch zum Zeugen der Geschichte und zum Ausdruck des griechischen Geistes (vgl. Rott u. Poggendorf, 2007, 61).
Während der langen Schaffensphase des Griechenlandzyklus änderte sich die Auftragslage mit dem geänderten Ausstellungsort. So wurden aus ursprünglich 38 geplanten Werken für den Hofgarten schließlich 23 Werke (in Wachs-Harz Malerei auf transportablen Putzplatten, je 161,5 x 205,5 cm) für einen der großen Säle der Neuen Pinakothek, die 1853 eröffnet wurde. Nach Rottmanns Vorstellung wurde der Saal mit einem von Säulen getragenen Baldachin ausgestattet (vgl. Lange, 1854, 12). Die Hängung der Werke erlebte Rottmann nicht mehr.
Der Griechenlandzyklus in der Neuen Pinakothek galt als Höhepunkt der Ersteinrichtung (vgl. Baumstark, 2007, 7). Das Werk Carl Rottmanns geriet jedoch, mit dem Aufkommen des Realismus, bereits wenige Jahre nach seinem Tod in die Kritik. Im zweiten Weltkrieg erlitt der Griechenlandszyklus zahlreiche Beschädigungen. Erst in den 1970er Jahren wurde das Werk Rottmanns wissenschaftlich aufgearbeitet und ihm neue Bedeutung verliehen. Mit dem 150. Geburtstag der Neuen Pinakothek 2003 wurde 14 Gemälden des Griechenlandzyklus wieder ein würdiger Raum zugewiesen (vgl. Baumstark, 2007, 8), wo er bis heute besichtigt werden kann.
Notiz: Der vorliegende Artikel ist im Rahmen des von Prof. Dr. Eleonora Vratskidou geleiteten Forschungsseminars Kulturtransfer: Deutsche Künstler in Griechenland entstanden, das im Sommersemester 2019 am Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik der Technischen Universität Berlin durchgeführt wurde.