Die Rolle der Bundesrepublik Deutschland in den Beziehungen Griechenlands zu NATO und EG im Zeitraum 1974-1981

  • Veröffentlicht 24.01.22

Welche Rolle spielten die Bundesrepublik Deutschland und Bundeskanzler Helmut Schmidt persönlich bei der Eingliederung Griechenlands in die Europäischen Institutionen und was machte hier Schmidts Bedeutung für die europäische Einigung, für Griechenland und für Deutschland aus? Inwieweit war man auf deutscher Seite am Wiedereinbezug Griechenlands in die militärischen Strukturen der NATO beteiligt, aus dem es sich nach der türkischen Zyperninvasion im August 1974 zurückgezogen hatte? Welche Sicht der Dinge leitete die Entscheidungen von Kanzler Helmut Schmidt und Griechenlands Ministerpräsident Konstantinos Karamanlis in Bezug auf die Europäischen Institutionen und die NATO? Inwieweit kongruierte die nationale Politik beider Länder und an welchen Punkten unterschied sie sich voneinander? Auf welche Weise ließ sich die griechische Europapolitik mit den Prioritäten deutscher Außenpolitik (z.B. der Ostpolitik) in Einklang bringen? Welche Kompromisse konnten mit welcherlei Anpassungen erreicht werden? Welche Auswirkungen hatten im Laufe des „Zweiten Kalten Krieges“ der 70er Jahre die Strategien und Probleme des Westens auf die deutsch-griechischen Beziehungen?

Inhalt

    Bonn in der Rolle des Ausgleichenden

    Die Bundesrepublik Deutschland1Die Bezeichnungen „Bundesrepublik Deutschland“ und „Westdeutschland“ werden ebenso als Synonyme verwendet wie die Bezeichnung „Ostdeutschland“ für die DDR nach 1972. spielte bei der Beteiligung Griechenlands an der europäischen Einigung eine geradezu katalytische Rolle.  Gemeinsam mit Frankreich machte sie im Fall Griechenland sichtbar, welche Priorität im Kalten Krieg politischer Einheit gegenüber wirtschaftlichen Kriterien zukam. Denn sowohl bei der Angliederung Griechenlands an die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG, 1961/62) als auch bei seinem Eintritt in die Europäischen Gemeinschaften 1979/81 hatten politische Kriterien den Vorrang (Botsiou, 2020, 105–106, 116–117). Aus dieser Perspektive wird der in der Geschichte der Gemeinschaft einzigartige Vorgang verständlich, in dem der Ministerrat das anfangs negative Votum der Europäischen Kommission vom 28. Januar 1976 über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Griechenland zu Fall brachte (Kommission, 1976; Karamouzi, 2014, 45–61). Im Gegensatz zur Assoziationsverhandlung in den Jahren 1959/1961, bei der Präsident General Charles de Gaulle die Hauptrolle spielte, liefen beim griechischen Langstreckenlauf zum Beitritt die Fäden bei den deutschen Koalitionsregierungen aus Sozialdemokratie und Freien Demokraten unter Kanzler Helmut Schmidt und Vizekanzler und Außenminister Hans-Dietrich Genscher zusammen. Beide – und auf griechischer Seite ebenso Konstantinos Karamanlis – haben der Geschichte des Beitritts ihren ganz persönlichen Stempel aufgedrückt (Botsiou, 2010, 308–310).

    In der ersten Phase machte de Gaulle, damals maßgebliche Gestalt beim Assoziationsprozess, die zu beachtenden Unterschiede zur rein kommerziellen Annäherung Großbritanniens2Der Name wird abwechselnd mit der offiziellen Bezeichnung „Vereinigtes Königreich“ verwendet., ebenso aber die führende Rolle seines Landes in der EWG geltend (Kolboom, 1991, 143–146; Morelle, 2001, 137–143). In derselben Zeit kulminierte bei der Frage der Kontrolle über die nukleare Sicherheit der NATO die Konfrontation Frankreichs mit den USA und Großbritannien, bei der de Gaulles Vorschlag, im Bündnis ein Dreierdirektorium USA-Frankreich-Großbritannien einzurichten, schließlich ad acta gelegt wurde. Kurz nach Inkrafttreten des Vertrags zwischen Griechenland und der EWG im November 1962 legte der französische Präsident sein erstes Veto gegen die Aufnahme des Vereinigten Königreichs in die EWG im Januar 1963 ein (Warner, 1967, 117-120).3Das zweite Veto wurde 1967 eingelegt. Das war die Reaktion auf die britisch-amerikanische Zusammenarbeit im nuklearstrategischen Bereich der NATO, die gerade im Nassauer Vertrag vom 21. Dezember 1962 ihren Niederschlag gefunden hatte (Costigliola, 1995, 106–107, 112–118; Trachtenberg, 2000; Reyn, 2010; Bitsch, 2001). Zur Zeit der Beitrittsverhandlungsphase war Frankreich in seinem Streben nach verteidigungspolitischer Autonomie bereits seit 1966 aus den militärischen Strukturen der NATO ausgetreten (Ziebura, 1965; Botsiou, 2009; Delmas, 1989). Frankreichs Präsident Valéry Giscard d’Estaing, ein Freund des griechischen Ministerpräsidenten, spielte in den dramatischen Momenten des Sturzes der Diktatur in Griechenland eine führende Rolle, indem er u.a. Karamanlis seine Präsidentenmaschine zur Verfügung stellte, um in sein Land zurückkehren zu können. Zugleich unterstützte er die Beschleunigung der Beitrittsverhandlungen, indem er nachhaltig dazu beitrug, die Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die die Kommission 1976 in den Weg gelegt hatte. Das weitere Vorgehen wurde allerdings Bonn überlassen. Einer der Gründe dafür waren die Pressionen, die angesichts des griechischen Wettstreits von innenpolitischen Faktoren in Frankreich ausgingen; dazu kam die Konfrontation zwischen der Regierung und den Sozialisten François Mitterands um das gaullistische Erbe (Chabal, 2016, 250–256; McDougall, 1985; Hollick 1981, 204–206). Ein weiterer und direkterer Grund war die größere Berechtigung Bonns, die europäisch-atlantischen Interessen zu vertreten, da sich Griechenland als Reaktion auf die Untätigkeit des Bündnisses bei der türkischen Invasion auf Zypern von 1974 ebenfalls aus den militärischen Strukturen der NATO zurückgezogen hatte (Archiv Karamanlis, 2005, Bd. 8, 88–95; Platias 2005, 217–272; Botsiou, 2008, 192–196).

    Bonn war in alle Kerninstitutionen des euro-atlantischen Bündnisses eingebunden, und Helmut Schmidt war überzeugter „Atlantiker“. Verstärkt noch durch die gerade in ihrem Zenit stehende Ostpolitik lag der europäisch-atlantische Zusammenhalt gegenüber der Sowjetunion im fundamentalen deutschen Interesse (Conze, 1995, 88–95; Kwak, 1984; Risas, 2001, 139–224; Botsiou, 2013, 22–24). Von der Einheit und Einigkeit des Westens hing es ab, inwieweit die deutsche Außenpolitik zu Ergebnissen bei der Annäherung der beiden deutschen Staaten gelangen konnte. In die Ostpolitik zu investieren, war für die deutschen Sozialdemokraten das Vehikel zur Umsetzung des höchsten nationalen Ziels: der Wiedervereinigung. Zu der konnte es mit Sicherheit nur im Rahmen eines Zusammenwirkens der beiden europäischen Blöcke mit einem westorientierten Deutschland im Zentrum kommen. Die Bonner Ostpolitik, der eine Schlüsselfunktion bei der Propagierung der Überlegenheit westlicher Lebensweise gegenüber Osteuropa zufiel, konnte als Speerspitze der amerikanischen Entspannungspolitik der 1970er Jahre auf die Unterstützung der USA zählen (Juneau, 2011, 280–282; Akten zur Europäischen Politik der Bundesrepublik Deutschland AAPD, 1969, 1384–6). Im Falle Griechenlands übernahm Westdeutschland eine Rolle, die Frankreich nicht spielen konnte, ohne Washingtons Argwohn zu provozieren. Aber sie passte auch nicht zu Großbritannien – einerseits seines zwiespältigen Verhältnisses zur EWG wegen, der es gerade erst 1973 beigetreten war, andererseits wegen der angespannten Beziehungen zu Griechenland aufgrund des Zypernproblems, das zum inoffiziellen Gegenstand der Beitrittsverhandlungen geworden war. Abgesehen von den seit Jahren virulenten griechisch-britannischen Kontroversen war man in Griechenland vorherrschend der Auffassung, dass die englische Untätigkeit während der türkischen Zyperninvasion mit stillschweigender Akzeptanz gleichzusetzen war (Nafpliotis, 2013, 9–11, 226–233). Förderlich für die gewichtiger gewordene Rolle Bonns war auch die nun eher problematische Beziehung der USA zu Griechenland. 15 Jahre zuvor hatte Washington die Verhandlungen zum EWG-Beitritt nachdrücklich unterstützt (Botsiou, 2015.2, 115–123; Archiv Karamanlis, Bd. 4, 466–467).

    Die diplomatischen Interventionen der USA hatten insofern katalytische Bedeutung für die Beseitigung der wirtschaftlichen Hemmnisse, als Washington das Schreckensbild einer Entfremdung der Griechen vom Westen als Folge des Zypernproblems und aufgrund der Rückständigkeit des Landes gegenüber den starken, aus der „Marshall-Zone“ hervorgegangenen Wirtschaftssystemen des Westens heraufbeschwor (NARA, RG 59, 4 November 1957, 611.81/11–457). 1974 hatten sich die Gegebenheiten verändert. Die Zusammenarbeit der USA mit der Militärdiktatur und die türkische Invasion auf Zypern waren die eine Seite der Medaille. Die andere war der Ansehensverlust der amerikanischen Demokratie wegen des Rücktritts von Präsident Richard M. Nixon im Gefolge der dramatischen Watergate-Enthüllungen, die die USA wie die ganze Welt über zwei Jahre hin erschütterten (Botsiou, 2015.2, 115–117). Der sich seit dem Zweiten Weltkrieg vollziehende Niedergang der (auf Franklin D. Roosevelt zurückgehenden) „imperialen Präsidentschaft“ Amerikas besiegelte die Zweifel an seiner moralischen Führerschaft; hinzu kam die amerikanische Wirtschaftskrise unter dem doppelten Druck des „ungerechten“ Kriegs in Vietnam und der Assimilierung der inneren „Revolution“, die auf die Abschaffung des althergebrachten Rassismus abzielte (Papassotiriou, 2018, 25–41, 345–367). Nixons Rücktritt eben zu dem Zeitpunkt, an dem in Genf die griechische Regierung der Nationalen Einheit die Rückkehr zum Status ante quo auf Zypern verhandelte und bemüht war, den in Griechenland aufflammenden Antiamerikanismus zu dämpfen, führte Athen wie Washington zu der Einsicht, dass sie als Hauptgesprächspartner für die Wiederherstellung einer westlich orientierten Marschrichtung des Landes eher nicht in Frage kämen.

    Die griechische Regierung hielt sich die Möglichkeit eines Krieges mit der Türkei in der zweiten Jahreshälfte 1974 offen und kritisierte die Fortsetzung der amerikanischen Rückendeckung für die Türkei, da sie glaubte, die USA wollten verhindern, dass die militärischen Strukturen der NATO – und insbesondere der südöstliche Flügel der Allianz – ein weiteres Mitglied verliert, während die Krisen im Nahen Osten aufflammten. Im Oktober 1974 legte Präsident Gerald G. Ford sein Veto gegen einen Gesetzentwurf des Kongresses ein, für den sich amerikanische und griechisch-amerikanische Abgeordnete der Demokraten zur Verhängung eines Waffenembargos über die Türkei engagiert hatten. Erst im Februar 1975 fand sich eine Kompromisslösung: das Embargo kam für dreieinhalb Jahre bis August 1978 zum Einsatz. Solange aber Griechenland an seiner eingeschränkten Teilnahme an der NATO festhielt und die griechisch-amerikanischen Beziehungen gestört blieben, waren die USA nicht in der Lage, mit der gleichen Dynamik an den Beitrittsverhandlungen mitzuwirken, wie sie es bei den Assoziationsverhandlungen getan hatten. Das Embargo wurde im Übrigen durch das amerikanisch-türkische Abkommen vom März 1975 unterlaufen, mit dem der Türkei militärische Ausrüstung im Werte von einer Milliarde Dollar bei vier Jahren Laufzeit gewährt wurde. Die fast gleichzeitige Unterzeichnung eines Abkommens zwischen den USA und Griechenland über Ausrüstung im Wert von 700 Millionen Dollar etablierte ein Verhältnis von sieben zu zehn (Botsiou, 2000, 151; Svolopoulos, 2001, 214). Das Auseinanderklaffen der Interessen mitsamt dem Vakuum an Kommunikation ließen die Bundesrepublik Deutschland und Kanzler Schmidt in die erste Verhandlungslinie rücken. Seit dem Beitritt Großbritanniens erwies sich die deutsche Politik binnen weniger Jahre zum zweiten Mal als Bündnispartner Nr. 1 der USA auf europäischem Parkett.

    Die Bedeutung Griechenlands in „Europa“ für die deutsche Ostpolitik

    Der Sturz der Militärdiktatur in Griechenland fiel mit der Ablösung der demokratisch gewählten Regierung in Westdeutschland zusammen. Im Mai 1974 verlor die Koalitionsregierung aus SPD und FDP von Willy Brandt und Walter Scheel unter dem Schatten der Vorwürfe gegen einen Mitarbeiter des Kanzlers wegen Spionage im Dienst der DDR die Macht (Juneau, 2011, 278–280). Der bisherige Verteidigungs- und anschließende Wirtschafts- und Finanzminister Helmut Schmidt (1969–1972/1972–1974) setzte als nachfolgender Kanzler die Ostpolitik als fundamentale Achse der deutschen Außenpolitik fort. Schmidt war, mehr als Brandt, ein „Atlantiker“. Für ihn war die Ostpolitik nur als Aspekt der atlantischen Bündnispolitik, nicht aber als Hebel für deutsche Autonomiebestrebungen in westlichem Rahmen akzeptabel. Er hegte weiterhin Vorbehalte gegen die bekannte Formel vom „Wandel durch Annäherung“, die der theoretische Kopf der Ostpolitik Egon Bahr (unter Brandt Minister für besondere Aufgaben 1972–1974, dann 1974–1976 für Wirtschaftliche Zusammenarbeit) konzipiert und vorangetrieben hatte. Nach Schmidt stand die Ostpolitik im Dienst des Endziels der Wiedervereinigung Deutschlands, allerdings unter der Prämisse, dass dieser vereinigte Staat dann Teil der westlichen Welt und NATO-Mitglied sein würde. Hier mehr auf der Linie von Konrad Adenauer als auf der seiner sozialdemokratischen Genossen, verwarf Schmidt die Idee einer „gleichen Freundschaft“, die sich zugunsten der Wiedervereinigung sowohl nach Westen als auch nach Osten ausrichten sollte. Ein solches Deutschland würde eines Tages auf verhängnisvolle Weise Russland zuneigen und seine Unabhängigkeit verlieren (Rey, 2008; Carter, 2012).

    Schmidt war der Meinung, dass die Bündnispartnerschaft mit den USA Deutschland den größeren politischen Spielraum einbrächte. Die Ostpolitik, die seinem Land so viel internationale Aufmerksamkeit eintrug, hatte ihre Ursprünge mitten in der atomaren Krise um Kuba (Oktober 1962). Die gegenseitige Annäherung der beiden Supermächte brachte Bonn keinen Nutzen, wenn Deutschland sie nicht mitgestalten konnte (Leigh, 1975, 488–492). Der europäische Brennpunkt des Geschehens um die internationale Entspannung, nämlich die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Helsinki (KSZE, 1973–1975) samt der Unterzeichnung ihrer Schlussakte am 30.07.–01.08.1975 war großenteils ein amerikanisch-deutsches Projekt, das den prägenden Stempel Deutschlands trug. Kein anderes Land hatte größeren Nutzen davon als Westdeutschland, umgab sie doch die Annäherung der beiden deutschen Staaten mit einer Aura gesamteuropäischer Entspannung (Rey, 2008; Cordell/Woolf, 2007). Die Schlussakte war kein bindender internationaler Vertrag, aber gerade als politische Willensbekundung flankierte sie passend den Grundlagenvertrag, mit dessen Unterzeichnung sich die beiden deutschen Staaten am 21. Dezember 1972 gegenseitig de facto anerkannt hatten. Von zentraler Bedeutung für die deutsche Frage war dabei, dass die Grenzen in Zukunft als unverletzlich galten, womit sich Spielraum für deren Änderung mit friedlichen Mitteln eröffnete. Die Erhebung der Menschenrechte zu einem Zentralelement des westlichen diplomatischen Arsenals weitete das historisch begründete Interesse Bonns daran aus, sich als deren Beschützerin zu präsentieren (Mueller, 2011, 88–89). Vor demselben Hintergrund deckte sich für Griechenland die Notwendigkeit, als „Wiege der Demokratie“ zur Demokratie zurückzufinden, mit den deutschen nationalen Interessen. Sie lagen aber auch auf der Linie der Interessen der Europäischen Gemeinschaft. Das „Kriterium des Demokratischen“, das Griechenland kennzeichnete, verlieh der neuen politischen Mission, die sich die Gemeinschaft verordnet hatte, sich nämlich nach der Schaffung des Gemeinsamen Markts ein neues Ziel zu setzen und zur internationalen Entspannung beizutragen, frische Dynamik. Die „europäische Erstarrung“, d.h. die ineffektiv gewordene europäische Einigungsidee zeigte deutlich, dass besonders seit der Ölkrise von 1973 wirtschaftliche Kriterien allein nicht mehr ausreichten.

    Dennoch ließ sich Bonn nicht von der gewichtigen politischen Bedeutung der Re-Demokratisierung Griechenlands blenden und bestand als Voraussetzung für eine wohlwollende Prüfung des griechischen Beitrittsgesuches auf einer Reparatur des gestörten Verhältnisses zwischen Griechenland und der NATO. Es war diese „harte Haltung“, die die griechische sozialistische Oppositionspartei PASOK dazu trieb, Kanzler Schmidt während der Beitrittsverhandlungen als „Statthalter“ der Interessen der USA und der NATO zu brandmarken. Trotz ihrer parteilichen Nähe zur sozialdemokratischen Regierung Deutschlands änderte sich dabei an der Haltung des Parteivorsitzenden Andreas Papandreou nichts (Papandreou, 1976, 258–261). Die deutsche Regierung tat sich schwer, Karamanlis‘ Auffassung zu akzeptieren, die Eingliederung in die europäischen Institutionen werde das NATO-Vakuum überbrücken (Archiv Karamanlis, Band 9, 412–417; Botsiou, 2010, 309–310; Karamouzi, 2014, 100–101, 188). Sie betrachtete ihre Friedenspolitik als unvereinbar mit der aktuellen Wahrscheinlichkeit eines griechisch-türkischen Kriegs. Der Beitritt wäre mit dieser Strategie nur in Einklang zu bringen gewesen, wenn Griechenland in die militärischen Strukturen des NATO-Bündnisses zurückgekehrt wäre; in ihm sah man den geeigneten Rahmen, die Differenzen zwischen Griechenland und der Türkei zu regeln. Die Förderung eines kraftvollen und auf Zusammenhalt bedachten westlichen Bündnisses war ja grundlegende Voraussetzung der Ostpolitik. Trotzdem bot der Beitritt Griechenlands Vorteile. Vor allem tangierte er ein bedeutendes Kapitel der KSZE: Kooperation der europäischen Staaten mit den außereuropäischen Mittelmeerländern, wie sie der zweite und dritte „Korb“ des Abschlussprotokolls von Helsinki eigentlich vorsah. Frankreich war kontinuierlich an seinen ehemaligen Kolonien in Nordafrika und im Nahen Osten interessiert, die aufgrund des arabisch-israelischen Konflikts und der kürzlich von der UdSSR in Syrien in Besitz genommenen Marinebasis (1971) an Gewicht und Bedeutung zunahmen. Aber auch Bonn war als Wirtschaftslokomotive Europas daran interessiert, seinen Zugang zu den Ölexporten nordafrikanischer Staaten auszubauen, ohne die USA zu verstimmen. Griechenlands traditionelle Funktion als „Brücke“ zur arabischen Welt bot den Vorteil eines erweiterten Zugangs, verbunden mit einer Abmilderung der Differenzen zu den arabischen Staaten (Sakkas, 2015).

    Karamanlis förderte und stärkte diese perspektivische Dimension. Einer seiner ersten wichtigen Staatsbesuche nach dem Regierungs- und Systemwechsel erfolgte vom 21. bis 24. Januar 1976 in Ägypten, dem Staat, in dem alle Fäden der arabischen Welt zusammenliefen. Die besonderen Verbindungen zwischen beiden Ländern wurden an ihrer Bereitschaft zu gegenseitiger Unterstützung sichtbar: von ägyptischer Seite in der Zypernfrage und über seine Mitgliedschaft in der Bewegung Blockfreier Staaten, von griechischer Seite in der Palästinafrage, die als Kern des Nahostkonflikts den Arabern unter den Nägeln brannte (Archiv Karamanlis, Band 9, 143, 145). Dem folgten weitere entsprechende Kontakte, z.B. mit Libyen. Mit seinen Verbindungsnetzen kreiste Griechenland die Türkei geradezu ein und führte damit der weitab liegenden deutschen Diplomatie seine spezifische Kenntnis und sein Einflusspotential im östlichen Mittelmeerraum vor Augen (Archiv Karamanlis, Bd. 9, 139–147, 480). Eine andere Frontlinie, die die Ostpolitik betraf, waren die kommunistischen Balkanstaaten. Obwohl von den amerikanischen Verbündeten in dieser Richtung ermutigt, um den monolithischen sowjetischen Block aufzubrechen, übten sich die Regierungen unter Karamanlis vor der Militärdiktatur (1955–1963) in Zurückhaltung, wenn es um „Öffnungspolitik“ auf dem Balkan ging, und waren darauf aus, Chruschtschows Politik der „friedlichen Koexistenz“ und der „gleichen Freundschaft zu allen“ damit zu beantworten, dem Impetus der handelspolitischen Öffnungsschritte der Kommunisten entgegenzuwirken (NARA, RG 59, 4 November 1957, 611.81/11-457; FRUS 1955–1957, XXIV, 459, 561, 588). Die griechischen Regierungen begegneten den Vorschlägen zur Zusammenarbeit mit ihren Nachbarn und langjährigen territorialen Widersachern auf dem Balkan, vor allem den Bulgaren, mit Misstrauen. Aber auch im Fall Jugoslawiens beschränkte sich die Zusammenarbeit hauptsächlich auf den Handel, obgleich das Land theoretisch als befreundet und politisch wie wirtschaftlich (auf dem Papier sogar militärisch) eng verbunden galt (Svolopoulos, 2001, 243–247).

    Nach dem Ende der Diktatur änderte sich hier Karamanlis‘ Haltung. Hinzu kam, dass das Obristenregime engere Beziehungen zu den Balkanländern bis hin zur diplomatischen de-facto-Anerkennung Albaniens aufgebaut hatte, mit dem der Kriegszustand seit dem Zweiten Weltkrieg offiziell noch immer andauerte (IEE, 2000, 284; Koppa, 2005, 48). Augenscheinlich hatte Westeuropas allgemeinere Hinwendung zum Dialog mit dem Ostblock zu dieser Lage beigetragen. Von Januar bis Juni 1975 trat Karamanlis nicht nur mit seinen arabischen, sondern auch mit seinen balkanischen Ministerpräsidentenkollegen in Kontakt (Archiv Karamanlis, Bd. 8, 349 u. 290; Svolopoulos, 2001, 217–248). Um mit Blick auf die Begutachtung des Aufnahmeantrags seines Landes durch die Europäische Kommission stets hervorzuheben, welchen Einfluss sein Land auf seine regionale Umgebung ausübte, intensivierte er seine Aktivitäten im Balkanraum. So ergriff er die Initiative zur Einberufung der ersten allgemeinen Balkankonferenz nach dem Krieg, die im Zeitraum vom 16. Januar bis zum 5. Februar 1976 unter Teilnahme der fünf Balkanstaaten (Albanien ausgenommen) stattfand. Im Mittelpunkt der Gespräche stand die technisch-wirtschaftliche Zusammenarbeit, ohne dabei Themen der „großen Politik“ zu berühren. Sicherlich blieb das Ganze überschattet vom althergebrachten griechischen Argwohn, besonders natürlich gegen Bulgarien. Dennoch wurden die Gegensätze durch das Argument abgemildert, die Konferenz werde als regionaler Beitrag zum „Geist von Helsinki“ umgesetzt. Karamanlis ließ Griechenland als fundamentalen Regionalfaktor im Balkanraum und als Verbindungsglied zwischen den Balkanländern und dem östlichen Mittelmeerraum sichtbar werden (Archiv Karamanlis, Bd. 9, 150, 172–173, 196–197, 439 und Bd. 10, 281, 308). Auf diese Weise zeigte er, wie Griechenland Einfluss auf für die westeuropäische Sicherheit kritische Zonen ausübte, zu denen weder die alten Kolonialmächte und die Türkei noch Westdeutschland Zugang hatten (Archiv Karamanlis, Bd. 9, 148–152).

    Diese Initiativen wurden von der griechischen öffentlichen Meinung wohlwollend als Beleg dafür begrüßt, dass der politische Umschwung sich von der bisherigen „einseitigen Abhängigkeit“ von den USA zu lösen bemüht war (Svolopoulos, 2001, 226–243). Sie erfolgten aufgrund der bisherigen Beharrlichkeit der griechischen Seite, mit der sie drohend in den Raum gestellt hatte, sich von der NATO zu lösen und zu verselbständigen. Um Bonn unter Druck zu setzen, im Zusammenhang mit europäischen und griechisch-türkischen Themen nicht seinerseits Griechenland unter Druck zu setzen, spielte die Regierung Karamanlis mit ihren vieldiskutierten „balkanischen Öffnungsschritten“ die Karte einer „multidimensionalen Politik“ Botsiou, 2010, 310–311; Svolopoulos, 2001, 226–247; Archiv Karamanlis, Bd. 9, 118, 170–186, 190–198, 218–226 sowie Bd. 8, 337) Die westdeutsche Presse begegnete den Balkaninitiativen mit Zurückhaltung, weil sie eine Verständigung in Balkanfragen für unmöglich hielt. Zudem zog es die deutsche Politik vor, die Spannungen an anderen peripheren Frontlinien aufrechtzuerhalten, um über das Tempo der internationalen Entspannung in Europa selbst bestimmen zu können (Sergio, 2015, 422–427). Karamanlis‘ Position, die slawische Gefahr habe sich verringert, war für die deutsche Annäherung von keinem Nutzen (Archiv Karamanlis, Bd. 8, 337). Was Kanzler Schmidt weiterhin beunruhigte, war eine eventuelle Entfremdung der Türkei, die sie in die Arme der Sowjetunion treiben würde. Die Regierung Karamanlis wies eine solche Möglichkeit aufgrund der historischen geopolitischen Probleme, die beide Länder voneinander trennten, zurück. Stattdessen machte sie betont auf die Nachsicht aufmerksam, mit der der Westen den illegalen Aktivitäten der Türken zum Nachteil der Griechen begegnete. Um zu zeigen, wie wichtig Griechenland das Thema nahm, hob die Regierung Karamanlis hervor, dass im September 1976 sogar Bulgarien einen Vermittlungsvorschlag unterbreitet hatte, als das türkische Forschungsschiff Sismik I mit Untersuchungen in der Ägäis begann und dabei im Juli–August 1976 den griechischen Festlandsockel in Frage stellte (Archiv Karamanlis, Bd. 9 254ff., 271). Im selben Zeitraum (Sommer/Herbst 1976) hatte die Europäische Gemeinschaft die Beitrittsgespräche mit Griechenland, die Karamanlis seit Beginn des Sommers so dringlich gefordert hatte, praktisch eingefroren (Archiv Karamanlis, Bd. 9, 266). In seinem Bemühen, die Befürchtungen der neun Mitgliedstaaten zu zerstreuen, Griechenland liege vom Zentrum des Westens zu weit ab, hatte Karamanlis im Juni 1976 in einer seiner Parlamentsreden sogar nach der Formel „Griechenland gehört zum Westen“ gegriffen (Archiv Karamanlis, Bd. 9, 202–203 sowie Bd. 11, 170–176; Papandreou, 1976, 326–330).

    Die Beitrittsverhandlungen kamen dann aber doch schnell in Bewegung, nachdem Andreas Papandreou im August 1976 die Regierung Karamanlis aufgefordert hatte, das provokative Verhalten der Türkei mit einer Politik der geballten Faust – reduziert auf ein „versenkt die Chora (bzw. Sismik)“ – zu beantworten (Papandreou, 1976, 248–258; Risas, 2009). Aus Gründen des Gleichgewichts wurden für November 1976 Gespräche zwischen Griechenland und der Türkei zur Festlandsockel-Thematik angesetzt, der einzigen beidseitig offenen Frage, die Griechenland anerkannte (Archiv Karamanlis, Bd. 9, 118; Papadimitriou, 1975). Die beiden Länder erreichten, miteinander Gespräche über die Eingabe einer gemeinsamen Vorlage zur Abgrenzung des Festlandsockels beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag aufzunehmen, und unterzeichneten am 11. November 1976 das Berner Protokoll, das für die Zwischenzeit vorsah, beidseitig auf die Durchführung von Explorationen auf dem ägäischen Festlandsockel zu verzichten. Die Gipfeltreffen wurden 1978 in Montreux (März 1978) und in New York (Mai 1978) auf symbolischer Ebene fortgesetzt. Gleichzeitig wurde auf politisch niedrigerer Ebene eine Reihe von Abkommen beidseitiger Zusammenarbeit in den Bereichen Handel, Tourismus, Stromversorgung, Telekommunikation und Kultur unterzeichnet (Theodoropoulos, 1988, 152–155). Mit Beginn der Beitrittsgespräche kam auch Bewegung in die Zypernfrage. Am 27. Januar 1977 begannen unter der Ägide der UNO gemeinschaftsinterne Gespräche zwischen Makarios und Rauf Denktasch (Archiv Karamanlis, Bd. 9, 381). Obwohl die beiden Länder keine weiteren Fortschritte erzielten, erbrachte die Annäherung doch – wie Karamanlis selbst einräumte – eine gewisse Entspannung (Archiv Karamanlis, Bd. 9, 308). Vor allem Griechenland demonstrierte guten Willen, indem es erklärte, dass mit seinem EWG-Beitritt die griechisch-türkischen Probleme nicht gleich mit Einzug halten würden. Kanzler Schmidt gegenüber machte Karamanlis allerdings klar, dass es unannehmbar sei, den Beitrittsprozess Griechenlands vom Gang der griechisch-türkischen Beziehungen abhängig zu machen, weil damit Ankara Gelegenheit gegeben werde, diesen zu hintertreiben. Diese fundamentale Differenz zwischen Athen und Bonn belastete noch bis 1978 die beiderseitigen Gespräche. Dann vollzog die deutsche Regierung eine beeindruckende Wendung in Richtung eines schnellstmöglichen Beitritts ohne atlantische Bedingungen und Umschweife. Mitten in der europäischen „Raketenkrise“ trug der mahnende Hinweis von Karamanlis Früchte, der einzige Weg, die Hinwendung Griechenlands zur Gemeinschaft auch seitens der offensichtlich dann PASOK-geführten Nachfolgeregierung aufrechtzuerhalten, sei der unverzügliche Beitritt. Kanzler Schmidts Analyse der griechisch-türkischen Spannungen fiel inzwischen anders aus. Sein Kalkül war, dass die Schaffung vollendeter Tatsachen in Europa einen griechisch-türkischen Krieg eher verhindern als befördern würde. Bonn erwartete, dass der „zweite Kalte Krieg“ abflauen werde, um dann die Ostpolitik wieder ins Gespräch zu bringen. Wenn es darum ging, als demokratische Macht die kommunistischen Staaten von neuem zu überzeugen, war es unmöglich, Griechenland die kalte Schulter zu zeigen. Die deutsche Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 1978 brachte die Verhandlungen definitiv zum Abschluss, bevor dann der Staffelstab an die französische Ratspräsidentschaft weiterging und der Beitrittsvertrag im Mai 1979 unterzeichnet wurde.

    Griechenlands „Europa“-Strategie

    Griechenland verfolgte bei den Beitrittsverhandlungen eine zweigleisige Strategie. In der Außenpolitik versuchte es, die durch die prowestliche Diktatur und das Zypern-Problem diskreditierte Westorientierung zu rehabilitieren und die öffentliche Meinung für die Fortführung dieser Orientierung zu gewinnen (Botsiou, 2007, 213, 231–233; Stefanidis, 2010, 135–141). Innenpolitisch zielte es auf einen großen Fortschritt bei der Erreichung des seit Jahren höchsten Ziels der Griechen ab, d.h. zu den wirtschaftlich fortgeschrittenen Staaten Europas aufzurücken und damit „europäisch zu werden“ (Botsiou, 2020, 97–98, 126–127). Damit dieser Sprung gelingen konnte, wurde als unabdingbar vorausgesetzt, die Übergangsperiode von 22 Jahren zu durchlaufen, die der Assoziationsvertrag vorgesehen hatte, alles andere würde einen zehnjährigen Schwebezustand Griechenlands gegenüber dem Westen bedeuten. Dieses Umgehen des Assoziationsvertrages war auch im Interesse der „Neun“, die nicht wollten, dass auch andere assoziierte Ländern das Signal erreichte, sie hätten Drittländern gegenüber Beitrittsvorrang. Wieder einmal löste Griechenland nach seiner Assoziation aus, dass es zu einer Politik der „Sonderbehandlung“ kam (Botsiou, 2010, 26–30). Das wurde auch an den Beitrittsbedingungen sichtbar, die letztlich erreicht wurden (Botsiou, 1999, 423–431; Botsiou, 2020, 114–123). Das Hauptmerkmal der griechischen Strategie war die „Schnelligkeit“ (Stiftung „Konstantinos G. Karamanlis“, 2000, 33–37, 72–83). Ihre Triebfeder war, auf einer Eingliederung des Landes aus politischen und erst dann wirtschaftlichen Motiven zu bestehen. Die grundlegenden politischen Kriterien waren drei: die Auszeichnung des Landes wegen seiner Redemokratisierung nach der Diktatur (trotz seines Bruches mit NATO und Türkei), seine Legitimation als Wiege der Demokratie und damit als Wurzel der europäischen Identität, schließlich die Notwendigkeit, es gegenüber dem Sowjetblock als „Beispiel“ abzusichern, welch schwindelerregende Entwicklung einem kleinen zu Schaden gekommenen Land im Westen glücken konnte.

    Instabile Faktoren, die Griechenlands Anliegen ebenso international einhegten wie es innenpolitisch zu raschem Beitritt drängten: der Kalte Krieg, die internationale Wirtschaft, die Rhythmen der Redemokratisierung und die Anwartschaft der iberischen Länder auf Aufnahme. Die zweite Ölkrise der 70er Jahre, die nach der Installierung des Chomeini-Regimes im Iran zum Ausbruch kam, der Gipfelpunkt der europäischen Raketenkrise samt NATO-Doppelbeschluss im Dezember 1979 und der – letztlich gescheiterte – Putsch der Frankoanhänger in Spanien von 1981 legitimierten die griechische Strategie des schnellen Beitritts (Rudnick, 1976; Lacovara, 1983). Die griechischen Bestrebungen deckten sich bestens mit den Interessen der „Neun“. Die Redemokratisierung Griechenlands wie der iberischen Staaten ließ die Gemeinschaft als Beschützerin der Menschenrechte und des Rechtsstaats gerade zu der Zeit sichtbar werden, als sie dabei war, sich diese internationale Rolle aufzubauen. Dies „demokratische Kriterium“ hatte sich aus Anlass des Birkelbach-Berichts von 1961 zu einem grundsätzlichen Charakteristikum der Gemeinschaft entwickelt (Birkelbach, 1961; Maravall, 1982; Maxwell, 1995). Die in dieser Periode der „europäischen Festigung“ gepflegte Emphase, dem Politischen Priorität einzuräumen, begünstigte die Behandlung des griechischen Aufnahmeantrags und die „besondere Behandlung“ des Landes. Förderlich auf institutioneller Ebene war für Griechenland auch die Umsetzung bedeutender Gemeinschaftsinitiativen im neuen, noch formlosen Europäischen Rat, der 1974 etabliert worden war. Die Dynamisierung der gegenseitigen Verständigung auf der Ebene der Staatsführer und Regierungschefs ermöglichte es Konstantinos Karamanlis, direkt mit einem engen Zirkel von Politikern zu verhandeln, die für den außenpolitischen Rahmen der griechischen Europapolitik ein breiteres Verständnis aufbrachten als auf wirtschaftliche Effektivität fixierte Technokraten. Doch ließen sich, so unterstrich Karamanlis, derlei Dinge auch auf dieser gehobeneren Ebene miteinander abgleichen. Wie er im Frühjahr 1978 seinen Amtskollegen darlegte, wurden die fundamentalen Probleme der öffentlichen Finanzen Griechenlands wie die Inflation (12,5%) – damals gemeinsames Problem der EWG – und das jährliche Wachstum des Bruttosozialprodukts von kaum 4% durch eine Steigerung des Nationaleinkommens um durchschnittlich 5,5% jährlich ausgeglichen (entsprechender EWG-Prozentsatz: weniger als 2%), ferner durch die niedrige Arbeitslosigkeit (1–2%) und den Anstieg der Investitionen um jährlich 8% (Archiv Karamanlis, Bd. 10, 62, 114, 157). Was die negative Handelsbilanz anging, so seien es die nicht direkt in Erscheinung tretenden Einkünfte aus Überweisungen von Auswanderern und Seeleuten sowie der sich rasant entwickelnde Tourismus, die die Situation retteten. Die griechische Europapolitik war in sich selbst widersprüchlich: Das Land betrieb die Eingliederung als zweite Schauseite seiner aus dem Systemwechsel hervorgegangenen Demokratie (Botsiou, 2005).

    Doch machte der Beitritt zum Gemeinsamen Markt Anpassungen in der Fiskalstruktur und eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit erforderlich, die schmerzliche strukturelle Veränderungen nach sich zogen. Demgegenüber aber gebot die Demokratisierung eigentlich, die fiskalischen Zügel zu lockern und damit höhere Sozialaufwendungen einhergehen zu lassen, ohne dabei auf strenge Übereinstimmung mit den Regeln ökonomischer Orthodoxie zu achten. Die Redemokratisierung war ein institutioneller, aber auch ein ökonomischer Prozess, dessen Hauptinstrumente in Zuschüssen zu Löhnen und sozialen Aufwendungen bestanden (Kasakos, 2001, 268–292). Die Wirtschaftspolitik dieser Zeit wurde wegen ihres staatlichen Protektionismus und ihrer Sozialleistungen gern als „Sozialmanie“ etikettiert (Psalidopoulos, 1996, 41–47; Archiv Karamanlis, Bd. 9, 101–102). Viele Privatorganisationen wurden staatlicher Verantwortung unterstellt, zugleich vervielfachten sich in den Bereichen Bildung und soziale Fürsorge die Einstellungen von Personal und die allgemeinen Aufwendungen (Archiv Karamanlis, Bd. 9, 135; Kostis, 2019, 448–456). Umsetzung und Grenzen dieser Eingliederung spiegeln wider, wie schwierig es war, hier die Balance zu wahren. Wie zu erwarten stand, forderte dann später die PASOK-Regierung in ihrem Bestreben, den staatlich-fiskalischen Bereich zu vergrößern, eine weitere Lockerung bestimmter Beitrittsbeschränkungen und schlug mit ihrem „Memorandum“ von 1982 deren Revision vor (Kasakos, 2001, 375–389; Clogg, 1983, 439–440; Sakellaropoulos, 2001, 326–327; Papandreou, 1974). Unter Beibehaltung ihres bisherigen Beitrittskonzepts entsprach die Gemeinschaft auch diesen Wünschen und gewährte den Agrarländern des europäischen Südens großzügige Zusatzmittel für ihre regionale Entwicklung durch die Ergänzungsprogramme für den Mittelmeerraum [gr. MOP], 1983–1989 (Magazin der Europäischen Gemeinschaften 1982; Verney, 1993). Politische Maßnahmen, die mancherlei Sprengstoff für die Zukunft bereithielten …

    Doch die auf den ersten Blick paradoxe Divergenz zeitigte auch positive Resultate für die europäische Politik (Botsiou, 2005, 101–107, 109–113; Kostis 2019, 476–493.) Sie machte Griechenlands Vereinigung mit Europa auch in anderen wirtschaftlich schwachen Staaten populär. Die Toleranz gegenüber den inneren Widersprüchen des griechischen Eingliederungswegs verlieh der Gemeinschaft ein weniger trocken-technokratisches, d.h. ein politischeres Gesicht, das alle Gegebenheiten des Kalten Kriegs abwägend im Auge behielt und dahin tendierte, europäische Länder zu integrieren statt sie auszuschließen. In ihrem Inneren galt die Demokratisierung ohne ein Zweiparteiensystem als instabil. Die europäische Politik war Teil eines Parteiengegensatzes, der sie stabilisierte (Botsiou, 2015.1, 216–220). Karamanlis hielt den „Neun“ immer wieder beschwörend ein Scheitern seiner Europapläne vor Augen, sollten sie säumig sein und Andreas Papandreou würde inzwischen Ministerpräsident. Ob es nun echte Beunruhigung war oder nur eine Verhandlungskarte gespielt wurde: diese Perspektive spiegelte auch seine persönliche Vorsorge für den Fall wider, er würde noch länger an der Macht bleiben, die Mehrheit der Gesellschaft hinter sich behalten, und so die europäische Perspektive weiter ausbauen können. Solange er Ministerpräsident blieb, war auch der Beitritt die über allem stehende Strategie, der alle weiteren politischen Aktivitäten untergeordnet waren.
    Dabei bildeten auch die griechisch-türkischen Beziehungen keine Ausnahme. Der EWG-Beitritt versprach, der Türkei aggressive Aktivitäten gegen Griechenland und Zypern zu erschweren. Wiewohl Europa keinen militärischen Schutz gewähren konnte, sorgte es mit seinem Netzwerk aus wirtschaftlicher und politischer Interdependenz doch auf andere Weise für Sicherheit. Abgesehen von diesem abschreckenden Umstand würde Griechenland auch über einen weiteren Vorteil verfügen: nämlich über eine zweite Tür, an die es im Fall einer türkischen Provokation klopfen konnte, und zwar über die NATO hinaus, von der sie enttäuscht worden war. Natürlich betrieben die Gemeinschaftsmitglieder ihrerseits (insbesondere Kanzler Schmidt) unter deutscher wie europäischer Ägide sowohl der Türkei als auch Griechenland gegenüber eine Politik der Äquidistanz, und erinnerten dabei daran, dass EWG und NATO ein unverbrüchliches Ganzes darstellten (Archiv Karamanlis, Bd. 9, 329). Vielsagend war allerdings die Botschaft, dass in den westlichen Institutionen nun eines der beiden Länder eine Stufe höher steigen würde. Karamanlis lehnte es ab, für Griechenlands Beitritt eine Rückkehr in die NATO zur Voraussetzung zu machen. Eine solche Bedingung wäre als „Erpressung“ betrachtet worden. Übrigens machten auch häufige Wortmeldungen Andreas Papandreous und seitens der PASOK-Partei geltend, dass Griechenland von Bonn erpresst werde (Papandreou, 1976, 305–307, 326–328; Papandreou, 1986; Althammer, 1983).

    Zugleich hätte das im Bewusstsein der Griechen Karamanlis und der europäischen Politik den Nimbus genommen. Daneben gab es auch noch eine strategische Dimension: Griechenland hatte seinen Rückzug aus dem militärischen Bereich der NATO als Reaktion auf die Haltung des Bündnisses gegenüber der türkischen Zypern-Invasion begründet. Ein Widerruf dieser Politik hätte als Legitimierung der Teilung der Insel missdeutet werden können. Hinter den Kulissen wurden die Bemühungen fortgesetzt, trotz Andreas Papandreous Reaktionen (Archiv Karamanlis, Bd. 9, 449; Papandreou, 1986) eine gesichtswahrende Lösung für die vollständige NATO-Wiedereingliederung oder zumindest für einen Sonderstatus zu finden (Papandreou, 1986). Für den Fall, die ursprüngliche deutsche Sicht würde sich durchsetzen, dass das Zypernproblem einer vollständigen Rückkehr in die NATO entgegenstehe, galt es als noch schlimmeres Szenario, Griechenland offen unter Druck zu setzen. 1977 schwanden die Aussichten auf eine Lösung dahin, und so wurden die beiden Fragen letztlich voneinander getrennt. Die Diskussion über die vollständige Rückkehr in die NATO blieb zwar auf der Tagesordnung, doch galt es nicht mehr als unabdingbar, die Zypernfrage und die griechisch-türkischen Beziehungen vorher zu regeln (Archiv Karamanlis, Bd. 9, 499). Schließlich fand sich ein Mittelweg: Griechenland kehrte 1980 in den militärischen Bereich zurück, also nach seiner Eingliederung in die europäischen Gemeinschaften, doch erfolgte diese Rückkehr zwischen der Unterzeichnung des Beitrittsvertrags 1979 und seinem Inkrafttreten im Jahre 1981. Inzwischen war Georgios Rallis Ministerpräsident und Karamanlis zum Staatspräsidenten gewählt worden (Botsiou, 2008; Valinakis, 1989, 217–226). Auf Zypern hatte sich seit der Invasion von 1974 nicht geändert. Karamanlis betonte Helmut Schmidt gegenüber, dies sei das Einzige, was in seiner Laufbahn ohne Ergebnisse geblieben sei.

    Phasenweiser Konsensus und breitere Verflechtungen

    Die gesamten Beitrittsverhandlungen über standen Karamanlis und Schmidt über alle die Eingliederung, ebenso aber auch die griechische Außenpolitik betreffenden Themen in brieflichem Kontakt. Ihre Korrespondenz und ihre Treffen hatten globalen Charakter und befassten sich mit allen Themen, bei denen es um das Verhältnis zwischen Kaltem Krieg und europäischer Integration ging. Schematisch gesehen, durchlief die griechisch-deutsche Verständigung dieser Zeit drei Phasen. Die erste dauerte von der Ingangsetzung des Beitritts am 22. August 1974 bis zum abschlägigen Gutachten der Europäischen Kommission vom 28. Januar 1976. Die zweite Phase umfasste die Zeit vom Frühling 1976 bis zu den Wahlen in Griechenland am 20. November 1977, die mit dem Beginn der Krise um die Atomraketenstationierung in Europa zusammenfielen. Die dritte Phase, in der sich das Verhandlungstempo beschleunigte, dauerte von Anfang bis Ende 1978. In ihr wurden unter deutscher Ratspräsidentschaft alle Hindernisse mit abgekürzten Verfahren aus dem Weg geräumt und die Verhandlungen zum Abschluss gebracht.

    Im ersten Zeitraum (1974–1976) erfolgte Karamanlis‘ erster Besuchszyklus in den europäischen Hauptstädten, der den Boden für die Annahme des griechischen Gesuchs um Aufnahme anstelle einer Verlängerung des Assozationsstatus bereiten sollte. Paris war im Mai 1975 die erste, Bonn die zweite Station (Archiv Karamanlis, Bd. 8, 381ff.). Kurz vor der abschlägigen Antwort der Kommission auf den griechischen Antrag absolvierte Helmut Schmidt vom 28. Dezember 1975 bis 8. Januar 1976 einen offiziellen Besuch in Griechenland (Archiv Karamanlis, Bd. 8., 364 und Bd. 9, 111–122, 327ff.). Dabei beschrieb er die Aufwertung der Rolle Bonns innerhalb der Gemeinschaft als ausgleichenden Faktor zwischen Frankreich und England und legte die wirtschaftlichen Probleme dar, die die Ölkrise von 1973 mit sich gebracht hatte. Anerkennend hob er die schnelle Demokratisierung Griechenlands hervor und unterstrich zugleich die Bedeutung der Demokratie für die Identität der Gemeinschaft. Allerdings brachte er auch zum Ausdruck, dass er es bevorzuge, Griechenland anstelle von Gemeinschaftsmitteln bilaterale Wirtschaftshilfe seitens der Bundesrepublik Deutschland zukommen zu lassen (120 Millionen Mark Entwicklungshilfe sowie 250 Millionen Mark als Bankkredit) – ein deutliches Signal dafür, dass er schon damals die Aufnahme in die Gemeinschaftsinstitutionen nur als Langzeitperspektive im Auge hatte (Archiv Karamanlis, Bd. 9, 111–119). Im Gegensatz zu Giscard d’Estaing, der Karamanlis ermutigte, den Beitrittsantrag in der zweiten Jahreshälfte 1975 voranzutreiben, ließ Schmidt Vorbehalte erkennen, denn er sah in dem Zypernkonflikt, der die Beziehungen Griechenlands zur NATO vergifte, ein Problem, das gebieterisch gegen den Beitritt sprach. Doch dessen Lösung wurde als unabdingbar für die Rückkehr des Landes in den militärischen Bereich der NATO betrachtet und war Voraussetzung für den Eintritt in die Gemeinschaftsorganisationen. Schmidt betonte, seine Rolle sei „diplomatischer und psychologischer Natur“, es seien aber die Vereinigten Staaten, die den Schlüssel für die westliche Einheit in den Händen hielten (Archiv Karamanlis, Bd. 9, 118–119). Er drängte Karamanlis, die Verhandlungen über das Zypernproblem unter der Ägide der UNO fortsetzen zu lassen und den türkischen Zyprioten eine gerechte Repräsentanz bei der Verwaltung der Insel zuzugestehen. Darüber hinaus lag dem Kanzler daran, sicherzustellen, dass Athen durch die weitere Entwicklung nicht in ein „Sub-Bündnis“ mit Frankreich getrieben würde (Archiv Karamanlis, Bd. 9, 118). Karamanlis machte kategorisch klar, Mindestvoraussetzung für wie auch immer geartete Gespräche zur Lösung des Zypernproblems sei die Rückkehr der Insel zu ihrem Status vor der türkischen Invasion und ein Abzug der türkischen Truppen (Archiv Karamanlis, Bd. 9, 312). Unumwunden forderte er Schmidt auf, das griechische Beitrittsersuchen zu unterstützen und in Verbindung mit der Aufnahme die EWG-Finanzhilfe voranzubringen, die in der Zeit der Diktatur eingefroren worden war (Archiv Karamanlis, Bd. 8, 118). Er nutzte die Gelegenheit, auf die Vorzüge Griechenlands im Mittelmeerraum aufmerksam zu machen, vor allem sein freundschaftliches Verhältnis zur arabischen Welt, das die israelnahe amerikanische Politik ausbalanciere, zumal diese Europa den ölproduzierenden Ländern entfremde (Archiv Karamanlis, Bd. 8, 125–130 und Bd. 9, 118–120; Arvanitopolus/Ifestos, 2000, 136–140; Chila, 2005, 143). Doch konnten die griechisch-deutschen Übereinkünfte die ablehnende Haltung der Kommission, die drei Wochen nach Schmidts Abreise Athen wie ein Schock heimsuchte, nicht abwenden.

    In der zweiten Phase, die im Frühjahr 1976 einsetzte, befreite Schmidt die Beitrittsverhandlung von der europäischen Bürokratie. Obwohl Karamanlis Druck machte, die betreffenden Verhandlungen ab Sommer 1976 zu beginnen, hielt Bonn den Fall Griechenland auf niedriger Flamme, um die Klippe der deutschen Bundestagswahlen am 3. Oktober 1976 zu umschiffen. Die Bildung einer neuen Koalition aus Sozialdemokraten und Freien Demokraten, weiter unter Schmidts und Genschers Führung, beschleunigte noch im Herbst 1976 das Ende des Stillstands. Parallel dazu machte sich Griechenland an die Aufnahme von Verhandlungen über die Probleme um den Festlandsockel und die Zypernfrage. (Botsiou, 2000, 150–153). Im Mai 1977 trafen sich Schmidt und Karamanlis im Rahmen der NATO-Gipfelkonferenz, wo Karamanlis seine tiefe Besorgnis zum Ausdruck brachte, die Verzögerung der Beitrittsverhandlungen hinge womöglich damit zusammen, diese mit den Aufnahmeanträgen der iberischen Länder zu harmonisieren (Akten zur Europäischen Politik der Bundesrepublik Deutschland AAPD, 1977, Arch. 116, 602–607). Schmidt entsprach Karamanlis‘ Ersuchen (Karamousis, 2014, 93) und unterstützte die Abtrennung des Falles Griechenland von den Anwartschaften Portugals und Spaniens, die im Mai bzw. Juli 1977 bekanntgegeben wurden (Archiv Karamanlis, Bd. 9, 428, 430). Die Gespräche wurden vom 17.–19. August mit Genschers Besuch in Athen fortgesetzt (Archiv Karamanlis, Bd. 9, 498). Die Beitrittsverhandlungen verliefen 1976–1977 weiterhin in schleppendem Tempo. Beschleunigend wirkte sich dann Ende 1977 die Entwicklung und Aufstellung der sowjetischen SS-20-Raketen in Osteuropa aus. Gleichzeitig veränderte sich die politische Szenerie in Griechenland zu Ungunsten von Karamanlis und seiner Europapolitik. Die Wahlen vom 20. November 1977 wiesen die PASOK-Partei mit 25,34% Stimmenanteil (fast doppelt so hoch wie die 13,58% von 1974) als führende Oppositionspartei aus, während Karamanlis‘ Neue Demokratie einen beunruhigenden Absturz um 10% verzeichnete (41,84% statt 52,3% im Jahr 1974). Offenkundig lehnten die Griechen den Westen ab, wobei sie Europa den schleppend verlaufenden Beitritt und den Vereinigten Staaten ihre Unbeweglichkeit in der Zypernfrage anlasteten. Der PASOK-Spruch „EWG und NATO: ein- und dasselbe Syndikat“ etablierte sich als eine der populärsten Parolen (Papandreou, 1976, 305, 326).

    In der dritten Phase (1977–1978) besuchte Karamanlis vom 31. Januar bis 1. Februar 1978 Bonn; dabei wurde bekanntgegeben, dass er mit dem Aachener Karlspreis ausgezeichnet werden sollte (Archiv Karamanlis, Bd. 10, 111–113). Seine zweite Deutschlandreise zur Preisübergabe im Mai 1978 (03.–05.05.) war ein deutliches Signal dafür, dass der Beitritt näher rückte und dessen Besiegelung von Bonn mit vermehrter Einflussnahme auf die griechischen Angelegenheiten betrieben wurde. Am Tag nach der Preisverleihung traf sich Karamanlis mit Schmidt, Genscher und dem bereits Bundespräsident gewordenen Walter Scheel; dabei wurde ihm zugesagt, dass während der deutschen Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 1978 alle noch offenen Beitrittsfragen abschließend geklärt würden (Archiv Karamanlis, Bd. 10, 200–213). Die griechisch-deutsche Verständigung stieß auf viele Hindernisse, aber auch auf Punkte, bei denen Übereinstimmung herrschte. Beide politischen Führer verbanden Gemeinsamkeiten im Systemischen und solche des persönlichen Naturells. Karamanlis und Schmidt teilten die Auffassung, der Westen müsse eine geschlossene Einheit bleiben. Beide sahen in der Führungsrolle der Vereinigten Staaten eine conditio sine qua non für die westliche Verteidigung und Sicherheit. Beide erkannten allerdings auch an, dass die Europäische Gemeinschaft dort eine unterschiedliche Rolle spielen konnte, wo es Leerstellen auszufüllen galt, die die weltumspannende Ausdehnung amerikanischer Verpflichtungen, Wirtschaftskrisen, die zum Rückzug auf nationale Lösungen nötigten, und der politische Verfall in den USA offenließen. Andererseits hatte Bonn Washingtons laue Reaktion auf die Errichtung der Berliner Mauer im August 1961 nicht vergessen (Conze, 1995, 202–211; Gerlach, 64–93). Sowohl aus griechischer wie aus westdeutscher Sicht ließen die USA erkennen, dass sie der europäischen Szenerie zu geringes Gewicht beimaßen. Als Frontstaaten an der Demarkationslinie zwischen Ost und West bevorzugten aber beide Länder den Status politischer Anspannung gegenüber völliger Entspannung, um ihre Wichtigkeit aufrechtzuerhalten. Die internationale Entspannung zur Ostpolitik und zu Öffnungsschritten auf dem Balkan umzudeuten, war in gewissem Sinne politischer Selbstschutz. Der bei weitem größte gemeinsame Nutzen, den die Aufnahme Griechenlands einbrachte, war die Aufwertung der Gemeinschaft zur Hüterin der Demokratie. Kein anderes Land der „Neun“ profitierte mehr davon als Westdeutschland, war dies doch ein definitiver Schlussstrich unter die düstere Vergangenheit und eine Gelegenheit, sich selbst mit den Begriffen Demokratie und Wiedervereinigung identifikatorisch gleichzusetzen. Der politische Sprung Bonns stand in Analogie zu dem wirtschaftlichen, den Griechenland mit seiner Eingliederung in die „europäische Familie“ unternahm. 1978 war ein Jahr der Wende für die griechisch-deutschen Verflechtungen und die Bemühungen Griechenlands um Aufnahme in die Gemeinschaft. Schmidt hatte die Initiative ergriffen, Griechenlands Kandidatur und seine NATO- und Türkeipolitik voneinander getrennt zu halten, und zugleich die griechischen Handelsinteressen mit ihnen entgegenstehenden europäischen Interessen vor allem von Produzenten gleichartiger Erzeugnisse aus Frankreich und Italien auszutarieren, um die griechischen Forderungen nach Unterstützung für die schwache griechische Wirtschaft zu befriedigen (BAC, 12 September 1978, 48/1984; BAC, 29 September 1978, 66/1985 194). Am 28. Mai 1979, nach kaum zweieinhalbjährigen Verhandlungen und nur fünf Jahre nach dem Fall der Diktatur, wurde der Beitrittsvertrag unterzeichnet. Bonn hatte Griechenland geholfen, sein höchstes jemals zu Friedenszeiten gesetztes Ziel, die neue „Megali Idea“ (Große Idee) zu erreichen, wie sie Karamanlis als Architekt dieser Politik bezeichnet hatte. Ihre Wirkmacht setzte sich auch unter den PASOK-Regierungen fort, denn die PASOK-Partei war nur noch für wenige Jahre auf ideologische Distanz zum politischen Geschehen in Europa bedacht (Archiv Karamanlis, Bd. 9, 460–461 und Bd. 11, 171; Botsiou, 2020.1, 102–104).

    Epilog

    Bei den beiderseitig fundamentalen „Begegnungen“ zwischen Griechenland und der Bundesrepublik in der Ära des Kalten Krieges ging es um Griechenlands Streben nach Teilhabe am europäischen Einigungsprozess. Die griechischen Regierungen wendeten sich in erster Linie an Bonn und Paris, um ihre Ziele voranzubringen. Grundlegender Auslöser war der Aufbau der europäischen Einigung rund um die Versöhnung der zwei seit eh und je verfeindeten Länder, aber auch der Vorrang, den im Falle Griechenlands politische Gesichtspunkte vor wirtschaftlichen hatten. Die „besondere Behandlung“ Griechenlands und die zwei durchlaufenen Phasen waren nicht ohne Einfluss auf die Natur des Einigungsprozesses. Die Tatsache, dass Griechenland das erste Drittland war, das sich der EWG anschloss, und dabei das einzige, das dies separat von der allgemeinen Beitrittswelle während des Kalten Krieges tat, unterstrich den Vorsatz der Europäischen Gemeinschaften, die politische Einigung mit wirtschaftspolitischen Mitteln, nicht aber als wirtschaftlichen Selbstzweck zu betreiben. Die europäische Einigung wurde für Griechenland zur zentripetalen Kraft, die seinen Weg in die westliche Welt immer wieder neu justierte, wenn– wie besonders in den 70er Jahren – die Dinge aufgrund des Zypernproblems und der damit verquickten Militärdiktatur festgefahren waren. Die Bedeutung „Europas“ für die langfristige Entwicklung der Wirtschaft und des Sicherheitsgefühls in Griechenland macht verständlich, welch schwerwiegende Bedeutung den griechisch-deutschen Beziehungen zukam. Im europäischen Zusammenschluss fand Griechenland den Wohlstand und jene Gemeinsamkeit der Interessen, die es dabei unterstützen würden, seine tief im Inneren verborgene Sehnsucht zu erfüllen, sich zu „europäisieren“. Der Kalte Krieg war das erste Kriegsgeschehen, das ihm erlaubte, dieses Ziel innerhalb des europäischen Einigungsprozesses systematisch anzugehen (McNeill, 2017, 382–389; Botsiou, 2020.2).

    Für Griechenland und die Bundesrepublik Deutschland, die in zwei Weltkriegen gegeneinandergestanden und gerade erst die tragische Erfahrung der Besatzungszeit hinter sich hatten, ergaben sich nun in der vom Kalten Krieg geprägten Welt gemeinsame Charakteristika. Beide Länder lagen an der Grenzzone der westlichen Welt, das eine als maritime, das andere als kontinentale Macht – eine geographische Lage, die sie zum direkten wie indirekten Angriffsobjekt par excellence der Sowjetunion machte. Angesichts ihrer physisch-geographischen Nähe zum Ostblock, ebenso aber auch angesichts ihrer jeweils internen Problematik waren sie der sowjetischen Bedrohung besonders unmittelbar ausgesetzt: Griechenland infolge des Bürgerkriegs, die Bundesrepublik wegen der „Berlinfrage“ und des über lange Zeit im Ungewissen schwebenden Wunsches nach Wiedervereinigung. Anders als Frankreich waren beide Länder unverbrüchlich in das Sicherheitssystem der NATO eingebunden und investierten ihre Kräfte in die europäische Einigung, um den Verbündeten gegenüber ihr Gewicht zu erhöhen: Griechenland, weil es mit dem Zypernproblem als nationalem Thema zu tun hatte, das zu seinen Verbündeten Distanz schuf, Deutschland, um seine internationale Reputation und auf lange Sicht seine Einheit wiederzuerlangen. Die Besonderheit der Verhandlungen Griechenlands zu seinem Beitritt in die europäischen Gemeinschaften lag darin, dass diese mit der Wiederherstellung des gestörten Verhältnisses zur NATO verquickt waren. Nach dem Austritt Frankreichs aus dem militärischen Bereich des Bündnisses war die Sorge weit verbreitet, dieses Beispiel könne Nachahmer finden. Dazu bot Griechenland Anlass aufgrund seiner engen Beziehung zu Frankreich (die während der Diktatur noch enger geworden war) und ebenso aufgrund der Zypernfrage, die schon seit ihrer Internationalisierung in den 50er Jahren die Kluft zu den NATO-Partnern immer weiter aufriss. Außerdem war Griechenland der einzige Staat, dessen öffentliche Meinung in den 70er Jahren in der europäischen Einigung eine Option sah, der Notwendigkeit, nach Beschützern zu suchen, ein Ende zu setzen, sie aber nicht als NATO-Abrundungspolitik betrachtete.

    Zusammenfassung

    Als Griechenland nach der Militärdiktatur den Antrag auf Aufnahme in die Europäischen Gemeinschaften stellte, war die Bundesrepublik Deutschland das stärkste Land Europas. Die Zusammenarbeit Deutschlands mit Athen war Voraussetzung dafür, die griechische Strategie einer möglichst schnellen Aufnahme erfolgreich auf den Weg zu bringen. Parallel zu den Beitrittsverhandlungen mit den Europäischen Gemeinschaften wurde auch über die vollständige Wiedereingliederung Griechenlands in die NATO verhandelt; dies erfolgte insbesondere über Bundeskanzler Schmidt und Vizekanzler Hans-Dietrich Genscher als Außenminister. Aufgrund seiner eigenen problematischen Beziehung zur NATO, deren militärischem Bereich es zwischen 1966 und 2007 nicht angehörte, spielte Frankreich in beiden Verhandlungen eine geringere Rolle. Obwohl Karamanlis, solange er Ministerpräsident war, nicht zuließ, dass Griechenland in den militärischen Bereich des Bündnisses zurückkehrte, und ebensowenig, dass der Beitritt zu den Europäischen Gemeinschaften von der Wiedereingliederung in die NATO abhängig gemacht wurde, sorgte er schon 1976 für eine Abmilderung des gespannten Verhältnisses zur Türkei und zum Bündnis, um den „Neun“ zu zeigen, dass die griechisch-türkischen Probleme all dies nicht belasten würden. Gleichzeitig vermied er mit Hilfe der Vermittlung, zu der sich die deutsche und französische Führung bereit erklärt hatten, eine „Vergemeinschaftung“ des Zypernproblems und sicherte damit dessen weiterhin internationale Dimensionierung ab. Nach 1977 beschleunigte die Regierung Schmidt Griechenlands Weg zum Beitritt. Es ging ihr darum, die deutsche Ostpolitik mit den „demokratischen“ und geopolitischen Vorteilen zu verbinden, die Griechenland vornehmlich für den Mittelmeerraum bot. Die Verständigung zwischen Karamanlis und Schmidt beförderte, dass beide der Auffassung waren, dass „Europa“ innerhalb des Westens eine Identität pflegen sollte, die sich von derjenigen der USA abhob. Vorliegende Analyse beleuchtet die Rolle der Bundesrepublik Deutschland bei den Verhandlungen zwischen Griechenland und den Europäischen Gemeinschaften sowie der NATO, ferner die deutschen Strategien auf den Feldern NATO und Europäische Gemeinschaften und schließlich die bilateralen Beziehungen beider Länder in sicherheits- und demokratiepolitischem Zusammenhängen.

    Übersetzung aus dem Griechischen: Joachim Winkler

    Einzelnachweise

    • 1
      Die Bezeichnungen „Bundesrepublik Deutschland“ und „Westdeutschland“ werden ebenso als Synonyme verwendet wie die Bezeichnung „Ostdeutschland“ für die DDR nach 1972.
    • 2
      Der Name wird abwechselnd mit der offiziellen Bezeichnung „Vereinigtes Königreich“ verwendet.
    • 3
      Das zweite Veto wurde 1967 eingelegt.

    Verwendete Literatur

    Galerie

    Zitierweise

    Konstantina Botsiou: «Die Rolle der Bundesrepublik Deutschland in den Beziehungen Griechenlands zu NATO und EG im Zeitraum 1974-1981», in: Alexandros-Andreas Kyrtsis und Miltos Pechlivanos (Hg.), Compendium der deutsch-griechischen Verflechtungen, 24.01.22, URI : https://comdeg.eu/essay/105933/.