Griechisch-deutsche Chorbeziehungen (1980-2021)

Von Ursula Vryzaki | Zuletzt bearbeitet 06.04.2022

Griechische Chöre in Deutschland – deutsche Chöre in Griechenland: Wann, von welchen Trägern und aus welchen Motiven wurden sie gegründet? Wie haben sie sich im Laufe der Jahre entwickelt? Welche Gründe veranlassen Migranten zu einer solchen Pflege des Chorwesens? Was kennzeichnet das Leben und Geschehen in Ensembles, in denen sich Migranten und Ortsansässige zu gemeinsamem Singen mischen? Aber auch vom Migrationsgeschehen einmal abgesehen: in welchem Rahmen gestaltet sich der Austausch zwischen griechischen und deutschen Chören? Welchen Sinn und Nutzen hat er für das Chorleben in Griechenland und Deutschland? Und wie lässt sich all das fördern?

Inhalt

Einleitung: Musik und Migration

Der Zusammenhang zwischen Migration und Musik, genauer gesagt: der Zusammenhang zwischen Migration und Teilnahme an einem Chor wird vornehmlich in Untersuchungen thematisiert, die sich mit dem Eintritt von Geflüchteten und Migranten in Chöre des Gastlandes oder mit Chören multikultureller Prägung beschäftigen. Diese Chorensembles verfolgen als ihr hauptsächliches Ziel, die Integration von Migranten zu unterstützen und über den gemeinsamen Chorgesang deren gesellschaftliche Akzeptanz zu fördern. Daneben sind auch Chorensembles von hohem Interesse, die die Migranten selbst im ihnen fremden Land formieren und sich dabei auf die Musik ihrer hinter sich gelassenen Heimat konzentrieren. Insgesamt gliedert sich das Thema der griechisch-deutschen Chorbeziehungen in zwei Kategorien: einerseits die Chöre von Griechen in Deutschland und von Deutschen in Griechenland, andererseits die Kommunikation, den Austausch und die gemeinsamen Programmvorhaben griechischer und deutscher Chöre, unabhängig von aller Migrationsthematik. Dieser Essay setzt sich zum Ziel, auf das eben Gesagte näher aufmerksam zu machen, es im Einzelnen zu dokumentieren, zu beschreiben und auf dieser Erfahrungsgrundlage eine Ausweitung der griechisch-deutschen Chorbeziehungen zu unterstützen.

Griechische Chöre in Deutschland

Im heutigen Deutschland (2021) leben ca. 364.000 Griechen. Von diesen sind etwa 74.000 in Deutschland geboren, ungefähr 117.000 in den letzten zehn Jahren nach Deutschland umgezogen (Doryforos-europa, 30.03.2021). Das Profil eines Griechen aus dieser Migrationswelle unterscheidet sich von demjenigen der Generationen davor. Er ist 30-40 Jahre alt, stammt aus der bürgerlichen Mittelschicht, verfügt über eine gehobene akademische Ausbildung und emigriert aus wirtschaftlichen Gründen (Demetis, 09.12.2015). Damit steht er im Gegensatz zu den Migranten der 60er und 70er Jahre, die in der Regel ungelernte Arbeiter waren und zwar ebenfalls aus wirtschaftlichen, in bestimmten Fällen jedoch auch aus politischen Gründen ausgewandert waren. Dabei beobachten wir eine ganz andere Ausrichtung bei der Gründung von Chorensembles. Die ersten Chorgründungen in Deutschland erfolgten unter kirchlicher Ägide und dienten hauptsächlich der musikalischen Ausgestaltung der Göttlichen Liturgie. Parallel dazu kam es bei der Gründung der ersten griechischen Schulen auch zur Einrichtung von Schulchören, die nationale und andere schulische Feiern musikalisch umrahmen sollten. Bei Kirchen- wie Schulchören bestanden die Sänger aus Griechen, die Proben erfolgten auf Griechisch, das Repertoire umfasste kirchliche Musik bzw. traditionelle Lieder.

Kirchen- und Schulchöre

Wo immer es in Deutschland Griechen gibt, begegnen wir auch entsprechenden kirchlichen Chören. In jedem Pfarrbezirk existieren für den liturgischen Bedarf kleine Psalmodisten-Ensembles. Systematischer durchorganisierte Chöre fungieren in München und Bonn. In München gründete Konstantinos Nikolakopoulos 1987 den Chor für Byzantinischen Kirchengesang (Tatsis, November 2019). Seine Sänger sind vornehmlich Studierende byzantinischer Musik oder Studenten am Institut für Orthodoxe Theologie an der Universität München. Das Repertoire des Chors ist ausschließlich kirchlich. Sein Sitz ist in München, doch tritt er mit seinem Psalmengesang auch in vielen anderen deutschen Städten mit entsprechenden Kirchen in Erscheinung. 2009 gründete Athanassios Despotis den Byzantinischen Chor Bonn zur Abdeckung des kultischen Bedarfs an der Metropolitankirche.1 Es handelt sich dabei um einen reinen Männerchor, der ausschließlich den Kirchengesang pflegt. 2014 wurde dann auch ein von dem Bariton Jeorjios Kanaris geleitetes weibliches Ensemble sowie drei Jahre später ein Kinderchor unter Leitung von Athanassios Despotis gegründet. Parallel dazu werden Kurse in byzantinischer Musik und alljährlich auch Vortragsveranstaltungen angeboten, deren Themen sich der griechisch-orthodoxen Tradition widmen.

Existenz und Funktion der Kirchenchöre machen bis heute (2021) den Zusammenhalt erkennbar, den sie unter ihren Mitgliedern stiften. Allerdings handelt es sich hier hauptsächlich um männliche Ensembles, deren Schwerpunkt der byzantinischen Musik gilt. Bedeutend ist demgegenüber auch die Rolle der Chöre an griechischen Schulen in Deutschland. Hierbei handelt es sich um Gruppierungen, die im Rahmen des schulischen Konzepts ins Leben gerufen werden. Ihre Teilnehmer sind Schüler und Schülerinnen, als Chorleiter fungieren die Musiklehrer und -lehrerinnen. Diese Chöre machen sich die Ausgestaltung von Schulfeiern zur Aufgabe. Häufig sind sie Teilnehmer an anderen kulturellen Veranstaltungen, um im Rahmen multikultureller Vorhaben für die Präsenz auch griechischer Kultur einzutreten. Bezeichnende Beispiele dafür stellen der Chor des Griechischen Gymnasiums München unter der Leitung von Sofia Paleologou und der Chor der griechischen Sektion der Europäischen Schule in Berlin unter der Leitung von Aris Meliadis dar. Ein bemerkenswertes Beispiel für griechische Kinderchorarbeit außerhalb des schulischen Bereichs bietet der Münchner Kinderchor Melodia, der 2012 gegründet wurde und den Maria Kriniti und Iro Kostraki leiten.2 An ihm nehmen etwa 70 Kinder überwiegend griechischer Abkunft teil. Der Chor besteht aus zwei Sektionen: aus einem über zwei Jahre laufenden Vorchor, die der musikalischen Grundschulung der Kinder dient und dem eigentlichen Chor, der eine enge Zusammenarbeit mit der Theatergruppe von Iro Kostraki pflegt. Melodia tritt alljährlich sechs- bis zehnmal auf und singt dabei traditionelle griechische Lieder, anspruchsvolle Lieder für ein breiteres Publikum, byzantinische Hymnen, Werke griechischer und internationaler Komponisten und Stücke aus Musicals. Ein in jüngerer Zeit entstandener Kinderchor NORIS Griechische Stimmen begann 2016 auf Initiative von Chorleiter Odysseas Konstantinopoulos im Rahmen der Griechischen Ganztagsschule Nürnberg. Er kann bereits auf viele erfolgreiche Konzerte zurückblicken.

All diese Chöre haben nur einen Teil der Bedürfnisse und Wünsche der griechischen Gemeinschaft abdecken können. So entstanden seit den 90er Jahren unabhängige Chöre mit neuem Profil, neuen Zielen und dem besonderen Charakteristikum, dass auch Chorsänger nichtgriechischer Herkunft an ihnen teilnehmen.

Unabhängige griechisch-deutsche Chöre

Der Chor Philharmonia des Musikvereins München wurde 1989 von Nikos Chondrojiannis gegründet.3 Hauptziel des Chors war und ist weiterhin die Präsentation griechischer Vokalmusik in Deutschland. Das Repertoire umfasst traditionelle Lieder, byzantinische Hymnen, Lieder aus der Welt des Rebetiko, aber auch neuere griechische Lieder aus der Feder verschiedener Komponisten. Nicht alle Chormitglieder sind Griechen. Immer um Kontaktpflege und Zusammenarbeit mit deutschen Chorensembles bemüht, tritt der Chor sowohl in München als auch in anderen deutschen Städten sehr häufig auf. Höhepunkte des Chorlebens bilden die Auftritte im Rahmen von Konzerten bekannter Sänger wie Maria Farantouri, Jorgos Dalaras, Maria Dimitriadi u.a. 2007 übernahm Michail Amanatidis die Leitung des Chors. Zwei Jahre nach der Gründung der Philharmonia organisierte sich eine kleine Chorgemeinschaft namens Parea (Geselliger Kreis) mit zwölf Mitgliedern diesmal deutscher Abkunft, die von Andreas Nemeth geleitet wird.4 Was diesen kleinen Chor zusammenhält, ist die Liebe zu Griechenland, zu seiner Sprache und zu seiner Musik. Unter anderem geht es dem Chor bei seinen Auftritten darum, ein Klima des Verständnisses und der Sympathie für Griechenland zu kreieren.

Wenig später gründete Christos Veskas den griechisch-deutschen Chor von Braunschweig, den er bis zu seiner Rückkehr nach Griechenland im Jahre 2008 leitete. Auch hier eint griechische und deutsche Sänger das Ziel, griechisches Chorrepertoire bekannt zu machen. Als Veskas‘ Nachfolgerin übernahm Claudia Bönninger die Leitung. Der Chor tritt häufig bei Veranstaltungen von kulturellem Interesse oder zu wohltätigen Zwecken auf. 2003 wurde in Offenbach das Kulturforum KINISIS gegründet, das als organisches Ganzes einen Chor unter Leitung von Ermina Spathi, eine Tanz- und eine Theatergruppe umfasst.5 Das Repertoire des Chores besteht aus Vertonungen großer griechischer Dichter wie Seferis, Elytis, Ritsos und Kavvadias und Werken bedeutender griechischer Komponisten (Theodorakis, Chatzidakis, Markopoulos etc.), dazu auch traditioneller griechischer und Rebetikomusik. Ein bedeutender Augenblick im Leben des Chors war die Hommage „85 Jahre Mikis Theodorakis“, die 2010 veranstaltet wurde. Das Programm der Auftritte zu Ehren von Mikis Theodorakis war, die Herzen aller Zuhörer, Griechen wie Nichtgriechen, zu bewegen. Die Konzerte vermitteln über den Vortrag der Lieder hinaus auch informative Details über ihren musikgeschichtlichen Hintergrund, einen Überblick über Theodorakis‘ künstlerisches Schaffen und Erläuterungen zu ihren ins Deutsche übersetzten Liedtexten. In Dortmund wurde im Mai 2007 auf Initiative des Archimandriten Philotheos Maroudas der Chor Terpsinoon (Geisteserquickung) gegründet.6 Der Chor zählt etwa 35 Mitglieder überwiegend griechischer Herkunft und wird bis heute (2021) von Voula (Paraskevi) Loukri geleitet. Ziel des Chores ist, die griechische Musiktradition zu bewahren und einer breiteren deutschen Öffentlichkeit bekannt zu machen. Das Repertoire des Chors umfasst traditionelles und neueres griechisches Liedgut.

Ein weiterer griechisch-deutscher Chor wurde 2009 in Berlin gegründet. Vom Kulturverein Exantas und Freunden griechischer Musik in Gang gesetzt, begann der griechisch-deutsche Chor Polyphonia seine Aktivitäten unter der Leitung von Aris Meliadis, der das Ensemble von seinen ersten Schritten an bis Dezember 2015 begleitete.7 Polyphonia ist der einzige Berliner Chor, der sich griechischem Musikschaffen widmet und so zu einem Begegnungsort für jeden Chorsänger wird, dem es um eine kontinuierliche musikalische Anbindung an Griechenland geht. Polyphonia führt pro Jahr – häufig als wohltätige Veranstaltungen zugunsten griechischer Non-Profit-Organisationen – zwei große Konzerte durch und bringt sich zudem in verschiedene Veranstaltungen ein, bei denen es um das Thema Griechenland geht, wie etwa bei der Internationalen Tourismus Börse (ITB), dem Centrum Modernes Griechenland an der Freien Universität Berlin, der Griechischen Kirche u.a. Ein wichtiges Bestreben des Chors ist, Chorverbindungen in Richtung Griechenland zu knüpfen. Bisher hat er gemeinsame Konzerte in Thessaloniki und Berlin mit dem von Michael Stier geleiteten Erwachsenenchor der Deutschen Schule Thessaloniki, ferner in Athen und Aliartos mit dem von Jannis Vryzakis geleiteten Chor der Pantion-Universität Athen und in Berlin mit dem Chor Solarte des Konservatoriums in Larissa durchgeführt, den Nikos Efthymiadis leitet. Ein weiteres griechisches Chorensemble ist der Deutsch-griechische Chor Nürnberg, der im Oktober 2019 von Odysseas Konstantinopoulos ins Leben gerufen wurde.8

Deutsch-griechische Chöre in Griechenland

In Griechenland leben heute ungefähr 11.000 Deutsche. Wenn auch kaum spektakulär, so scheint doch die Zahl deutscher Migranten, die in den letzten zehn Jahren nach Deutschland zurückgekehrt sind, größer zu werden. Über das Profil der deutschen Migranten und die Hintergründe, die sie zur Auswanderung motivierten, gibt es keine Unterlagen. Unabhängig von ihren jeweiligen Zielen scheinen die Ursachen, die deutsche Staatsbürger dazu bewegen, ihrem Land den Rücken zu kehren, mit ihrem beruflichen Weg bzw. mit verschiedenen familiären Gründen wie etwa Mischehen zusammenzuhängen. Die meisten von ihnen verfügen über ein hohes Ausbildungsniveau, viele sind Ruheständler.9

Rein deutsche, ebenso aber auch griechisch-deutsche Vereinigungen und Institutionen sind in Griechenland schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts aktiv. Erwähnenswert sind an dieser Stelle der griechisch-deutsche Verein Philadelphia,10 der – seit 1837 aktiv – die griechisch-deutschen Kulturbeziehungen voranbringt und unterstützt, desgleichen die griechische Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts, das 1874 in Athen gegründet worden ist.11 Mitte des 20. Jahrhunderts werden auch die Dependancen des Goethe-Instituts in Athen und Thessaloniki gegründet.12 Spezifische Bedeutung für den Chorgesang haben die katholischen und evangelischen Kirchengemeinden, ebenso die Deutschen Schulen in Athen und Thessaloniki. In Athen fungieren zwei deutschsprachige Kirchen, eine katholische und eine evangelische, zudem sind deutschsprachige evangelische Kirchengemeinden auf Kreta, Rhodos und in Thessaloniki aktiv. Nur zwei von ihnen verfügen über organisierte Chöre: auf Rhodos ist eine kleine, von Maria Volonaki geleitete Chorgruppe tätig.13 In der deutschsprachigen Kirchengemeinde Athen agieren zwei Chorensembles: der Kirchenchor, der in den 60er Jahren aufgebaut wurde und den Helga Giannoulas leitet, sowie der später (2016) entstandene Chor Cantus Celestis, den der Organist Christos Paraskevopoulos dirigiert.14 Beide Chöre singen ein vielseitiges, geistliches wie weltliches Repertoire aus allen Epochen der Musikgeschichte. Der Chor von Helga Giannoulas zählt 20 deutsche und griechische Sänger verschiedenen Alters, die Chorstunden finden auf Deutsch statt. Im Cantus Celestis singen hauptsächlich Griechen, geprobt wird auf Griechisch und Englisch.

Die Deutschen Schulen in Athen und Thessaloniki pflegen im Rahmen ihres Unterrichts Chorgesang, der aber wie bei den Chören griechischer Schulen in Deutschland eher gelegenheitsbedingt stattfindet und unter der Leitung jeweiliger Lehrer und Lehrerinnen den Bedarf an musikalischer Ausgestaltung bei Schulveranstaltungen abdeckt. Gesondert hervorzuheben ist allerdings der Erwachsenenchor der Deutschen Schule Thessaloniki, der mit seinen Aktivitäten 1971 begann.15 2021 zählte der von Michael Stier geleitete Chor ca. 20 Mitglieder griechischer und deutscher Herkunft, teils mit musikalischen Vorkenntnissen, teils ohne solche. Jährlich werden in der Schule zwei bis drei Konzerte durchgeführt; darüber hinaus beteiligt sich der Chor auch häufig an Chortreffen. So arbeitete er z.B. mit der Berliner Polyphonia bei zwei Konzerten in Berlin und Thessaloniki zusammen. Das Repertoire des Chors ist international, die Probenarbeit findet auf Deutsch statt.

Unabhängig von Schule und Kirche agierende deutsche bzw. griechisch-deutsche Chöre gibt es in Griechenland z.Z. (2021) nicht. Vor längerer Zeit gab es auf der Insel Kos ein kleines, aus zehn Frauen bestehendes Chorensemble, das diese 2008 als Mitglieder des lokalen griechisch-deutschen Kulturvereins gegründet hatten. Seine Mitglieder waren griechischer, deutscher, österreichischer und Schweizer Abkunft, Umgangssprache war deutsch. Des Repertoire war vielfältig, aber nicht griechisch. Der Chor trat hauptsächlich im Rahmen von Festlichkeiten des Vereins auf; daneben unterstützte er beispielsweise Weihnachten oder Ostern die gottesdienstliche Arbeit der Katholischen Kirchengemeinde auf Kos. Ein bedeutender Teil des Repertoires bestand aus deutschen Volksliedern. Aus dem Chorensemble entwickelte sich im weiteren Verlauf eine Gruppe, die griechische Tänze pflegte. 2012 löste sich das Ensemble auf, als die meisten Mitglieder aufgrund der Finanzkrise Griechenland verließen und in ihre Heimatländer zurückkehrten. Nicht unerwähnt bleiben soll auch ein österreichisches Chorensemble, das im Athen der 1980er Jahre von Mitgliedern des österreichischen Vereins in Griechenland gegründet wurde.16 Musikalische Leiterin war Christiane Atzemian, seine etwa 15 Frauen zählenden Mitglieder trafen sich reihum in Privathäusern und sangen hauptsächlich österreichische Volkslieder. Der Verein veranstaltete zahlreiche Heimatabende und sang zudem an nationalen Feiertagen. Die Arbeit des Chors kam 2018 zum Erliegen, als die Leiterin plötzlich verstarb.

Griechisch-deutsche Chorbeziehungen

Als weitere wichtige Facette griechisch-deutscher Chorbeziehungen hat sich der Kontakt und die Zusammenarbeit griechischer und deutscher Chöre auch unabhängig von jeweiligen Migranten herausgebildet. Ich habe diese Facette teils unter Zuhilfenahme entsprechender Fragebögen, teils durch direkten persönlichen Kontakt mit Chorinstitutionen in Griechenland und Deutschland untersucht und bin dabei zu folgenden Feststellungen gekommen: Zu Zusammenarbeit anlässlich gemeinsamer Konzerte oder Reisen bzw. in weitergespanntem Rahmen bei internationalen Chorwettbewerben kam es 2019 bei der Reise des Chors des Berliner Universitätsklinikums Charité nach Prevesa und Athen mit jeweiligen Konzerten,17 dazu 2018 die gemeinsamen Konzerte des Musischen Gymnasiums Mytilini und des Chors des Goethe-Gymnasiums Demmin,18 sowie 2017 in Patras des Leipziger Jugendchors mit der Jugendabteilung des Polyphonischen Chors Patras und dem Chor des Athener Polytechnikums (Patras Events, 29.10.2017). Gelegenheiten zu Austausch und gemeinsamen Konzerten ergeben sich auch im Rahmen der Zusammenarbeit mit griechisch-deutschen Chören, wie z.B. die Konzerte des griechisch-deutschen Chors Polyphonia mit dem Chor der Pandion-Universität, dem Erwachsenenchor der Deutschen Schule Thessaloniki und dem Chor des Konservatoriums in Larissa, von denen weiter oben schon die Rede war. Zu Zeiten der Coronavirus-Pandemie verlagerten sich die Chorbegegnungen ins Internet, beispielsweise über das gemeinsame Video von Polyphonia und dem Chor der Pantion-Universität oder durch die Teilnahme deutscher Chöre am weltweiten Internet-Festival der Musical-Chöre.19

Sowohl seitens der deutschen wie auch der griechischen Chöre zeigt sich für den von uns untersuchten Zeitraum, dass es ein deutliches allgemeines Interesse an der Stärkung dieser Beziehungen gibt, etwa bei der Suche nach Gelegenheiten für gemeinsame Programmvorhaben (Festivals, Wettbewerbe, Konzerte, Chorpartnerschaften usw.), an Erweiterungen des Repertoires und insbesondere an einer Vernetzung unter den griechisch-deutschen Chören. Bezüglich des wichtigen Themas Repertoireerweiterung ist ein Unterschied zu beobachten: bei den griechischen Chören besteht das deutsche Repertoire überwiegend aus Werken klassischer Komponisten und weniger aus traditionellem deutschem Liedgut oder moderneren Kompositionen, während das griechische Repertoire in deutschen Chören sowohl traditionelle griechische Lieder als auch Werke von anerkannten Komponisten aus Vergangenheit und Gegenwart umfasst, darunter als bekanntestem von Theodorakis. Ein großes Problem bei der Zusammenarbeit und dem Austausch von Repertoire stellt die Sprache dar, denn die jeweilige Fremdsprache bietet für Griechen wie für Deutsche viele Ausspracheprobleme. Ich denke, ein Essay wie dieser kann in jedem Fall zu einer Vertiefung und Sichtbarmachung der griechisch-deutschen Chorbeziehungen und deren Vernetzung beitragen. Zur Verwirklichung eines solchen Ziels war und bleibt die Kommunikation zwischen den Leiterinnen und Leitern der Chöre und der sie tragenden Vereine, und darüber hinaus die Einrichtung institutioneller Beziehungen und Zusammenarbeit ganz wesentlich. Gegenwärtig (2021) erscheint die Zukunft vieler Chöre ungewiss. Viele Pläne für Chorreisen, Austausch und gemeinsame Programmvorhaben lassen sich derzeit nicht realisieren. Andererseits bietet eine Stärkung der Internetpräsenz der Chöre weiterhin Gelegenheit für griechisch-deutsche Chorprogramme.

Schlussfolgerungen

Auf griechisch-deutsche Chöre bezogenes bibliographisches Material ist bis heute (2021) in beiden Ländern nur höchst selten zu finden und wenn, dann gewöhnlich nur in indirekter und verstreuter Form. Eine Zusammenstellung von Informationen via Internet ist von den für dieses Medium typischen Defiziten gekennzeichnet, besonders hinsichtlich der Verifizierung und Aktualisierung der Daten. Eine wertvollere Quelle, um an Materialien für diese Untersuchung heranzukommen, war der persönliche Kontakt mit den verschiedenen Organisationsträgern in Griechenland wie Deutschland, der aber viel Zeit beanspruchte und auch seinerseits Schwierigkeiten bereitete. Fasst man die Charakteristika der hier in Rede stehenden Chöre zusammen, ergeben sich für uns folgende Feststellungen/Ergebnisse: Festorganisierte griechische Chöre in Deutschland und deutsche Chöre in Griechenland wurden zunächst von Institutionen wie Kirche und Schule ins Leben gerufen. Das Profil dieser Chöre unterscheidet sich von demjenigen später entstandener unabhängiger Chöre, wie sie in Deutschland lebende Griechen aufgebaut haben. Träger dieser Chöre sind gewöhnlich ein Kultur- oder Musikverein, der häufig auch andere Formationen wie Tanz- bzw. Theatergruppen miteinschließt bzw. all dies zu einem organischen Ganzen zusammenfasst. Im Rahmen des von uns untersuchten Zeitraums scheinen entsprechend unabhängige deutsche Chöre nicht zu existieren. Ein Grund für diese Feststellung mag in der Unterschiedlichkeit der beiden Minoritäten liegen, womöglich in Verbindung mit dem Umstand, dass das Lied im Alltagsleben der Deutschen und Griechen keinen vergleichbaren Stellenwert hat. Wie ein solcher Chor existiert und agiert, hängt von den Bedürfnissen seiner Mitglieder, d.h. den Bedürfnissen der Migrantengemeinschaften des jeweiligen Landes ab. Eine bedeutende Rolle spielt hier die Verbindung zur „verlorenen Heimat“ über die Sprache, das Lied und die sozialen Kontakte, die sich innerhalb eines Chores entwickeln. Für Griechen in Deutschland hat in den letzten Jahrzehnten, d.h. von den 80er Jahren bis heute (2021) auch das Engagement für eine Weitergabe und Verbreitung griechischer Musik eine bedeutende Rolle gespielt. Das verleiht den Chören ihre Ausstrahlung und führt ihnen Teilnehmer aus dem örtlich jeweils vorgefundenen sozialen Umfeld zu. Diese national gemischten Chöre fördern die kulturelle Annäherung ihrer Mitglieder nicht nur aneinander, sondern auch an die sie umgebende Gesellschaft – ein Sachverhalt, der sich bei deutschen Chorinstitutionen besonders positiver Aufnahme erfreut.

Zusammenfassung

Das Gesamtthema „Griechisch-deutsche Chorbeziehungen“ lässt sich in zwei Einzelkategorien unterteilen: zum einen die Kategorie „Griechische Chöre in Deutschland bzw. deutsche Chöre in Griechenland“, zum anderen – unabhängig von aller Migrationsthematik – den Themenbereich „Gegenseitige Kommunikation, gegenseitiger Austausch und gemeinsame Programmvorhaben griechischer und deutscher Chöre“. Ziel dieses Essays ist, griechisch-deutsche Chöre von ihrer Gründung an bis zum Jahr 2021 zu erfassen, zu beschreiben, auf sie aufmerksam zu machen, die griechisch-deutschen Austauschaktivitäten und deren Bedeutung für das Chorleben beider Länder ins Licht zu rücken und damit die Schaffung eines Kommunikationsnetzes im Dienste des Ausbaus griechisch-deutscher Chorbeziehungen zu unterstützen.

Übersetzung aus dem Griechischen: Joachim Winkler

Einzelnachweise

  1. www.facebook.com/groups/909986872347455/ [15.06.2021]
  2. www.facebook.com/kinderchor.melodia/ [15.06.2021]
  3. https://philarmonia.info/chor/ [19.05.2021]
  4. www.facebook.com/pg/PAREA-753959437970414/about/?ref=page_internal [19.05.2021]
  5. www.kinisis.de/ [19.05.2021]
  6. www.facebook.com/groups/terpsinoon/ [19.05.2021]
  7. https://polyphonia-chor.de [19.05.2021]
  8. www.facebook.com/152566828801354/photos/neu-deutsch-griechischer-chor-in-n%C3%BCmberguns-verbindet-die-liebe-zur-griechische/465981074126593/ [19.05.2021]
  9. Expat-news, 01.04.2015; Auswandern-info, 19.05.2021
  10. www.philadel-club.gr [19.05.2021]
  11. www.dainst.org/standort/-/organization-display/ZI9STUj61zKB/14487 [19.05.2021]
  12. www.goethe.de [19.05.2021]
  13. https://ev-kirche-rhodos.com/gruppen/ [19.05.2021]
  14. https://ekathen.de/ [19.05.2021]
  15. www.dst.gr/erwachsenenchor-der-dst [19.05.2021]
  16. www.oegr.gr [19.05.2021]
  17. www.charitechorberlin.de/ [19.05.2021]
  18. http://lyk-mous-mytil.les.sch.gr [19.05.2021]
  19. Youth Choir Contact Nuremberg, Carmina Mundi Aachen, Ensemble Fenice and Friends Munich.

Galerie

Zitierweise

Ursula Vryzaki, »Griechisch-deutsche Chorbeziehungen (1980-2021)«, in: Alexandros-Andreas Kyrtsis und Miltos Pechlivanos (Hg.), Compendium der deutsch-griechischen Verflechtungen, 06.04.2022, URI: https://comdeg.eu/compendium/essay/110404/.

Index

Akteur*innen Michail Amanatidis, Christine Atzemian, Claudia Bönninger, Manos Chatzidakis, Nikos Chondrojannis, Athanassios Despotis, Maria Dimitriadi, Nikos Efthymiadis, Odysseas Elytis, Maria Farantouri, Helga Jannoulas, Jeorjios Kanaris, Nikos Kavvadias, Odysseas Konstantinopoulos, Iro Kostraki, Maria Kriniti, Voula Loukri, Jannis Markopoulos, Filotheos Maroudas, Aris Meliadis, Andreas Nemeth, Konstantinos Nikolakopoulos, Jorgos Ntalaras, Sofia Paleologou, Christos Paraskevopoulos, Jannis Ritsos, Jorgos Seferis, Ermina Spathi, Michael Stier, Mikis Theodorakis, Christos Veskas, Maria Volonaki, Jannis Vryzakis, Ursula Vryzaki
Institutionen Bonner Byzantinischer Chor, Cantus Celestis (Chor), Centrum Modernes Griechenland, Charité Chor Berlin, Chor der griechischen Sektion der Europäischen Schule in Berlin, Chor der Nationalen Technischen Universität Athen, Chor der Pantion-Universität Athen, Chor des Griechischen Gymnasiums München, Chor des Musischen Gymnasiums Mytilini, Chor für Byzantinischen Kirchengesang München, Chor Solarte des Konservatoriums in Larissa, Deutsches Archäologisches Institut (Rom), Deutsche Schule Athen, Deutsche Schule Thessaloniki, Deutsch-griechischer Chor Nürnberg, Deutsch-griechischer Chor Polyphonia Berlin, Deutsch-griechischer Verein Philadelphia, Erwachsenenchor der Deutschen Schule Thessaloniki, Evangelische Kirche Deutscher Sprache in Rhodos, Freie Universität Berlin, Goethe-Institut Athen, Griechisch-deutscher Chor Braunschweig, Griechisch-deutscher Kulturverein Kos, Griechische Ganztagsschule Nürnberg, Institut für Orthodoxe Theologie der Universität München, Internationale Tourismus-Börse Berlin, Katholische Kirche Deutscher Sprache in Griechenland, Katholische Kirche Kos, Kulturforum KINISIS, Melodia (Kinderchor), Musikverein Philarmonia München, NORIS Griechische Stimme (Kinderchor), Österreichischer Verein in Griechenland, Parea (Chor), Philarmonia (Chor), Terpsinoon (Chor), Verein Exantas-Berlin
Kontaktzonen Musik
Vermittlungspraktiken Aufführung, Migration, Soziale Netzwerke, Sozialer Austausch
Zeitfenster 1980-2021

Metadaten

Essaytyp Präsentation
Lizenz CC BY-NC-ND 4.0
Sprache Deutsch, übersetzt aus dem Griechischen von Joachim Winkler

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